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ARBEITERSTIMME/193: Uruguay vor Parlamentswahlen - Bewegt sich das Land weiter nach links?


Arbeiterstimme Nr. 163 - Frühjahr 2009
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Uruguay vor Parlamentswahlen
Bewegt sich das Land weiter nach Links?


Obwohl am 25. Oktober 2009 in dem südamerikanischen Land, das nur halb so groß ist wie Deutschland, Parlamentswahlenwahlen angesagt sind, ist vorerst wenig über den Wahlkampf zu erfahren. Wer interessiert sich schon für dieses rohstoffarme Agrarland, das vor Jahrzehnten als "die Schweiz Südamerikas" bezeichnet wurde und etwas eingeklemmt wirkt zwischen der Regionalmacht Brasilien und dem großflächigen Argentinien? Während in den deutschen Medien regelmäßig und ausführlich über Waldbrände in Kalifornien und Australien berichtet wird, ist eine aktuell durchaus vergleichbare Situation in Uruguay kein Thema. Dabei sind hier die Auswirkungen noch katastrophaler, betreffen sie doch einen kleinen Staat, dessen Hauptexportprodukt nach wie vor Rindfleisch ist.

Die mediale Nichtbeachtung könnte noch einige Zeit anhalten, bis sich dann etwa durch einen Hinweis der Konrad-Adenauer-Stiftung eine gewisse Aufgeregtheit einstellen dürfte. Schon bei den letzten Nationalwahlen 2004 war von den konservativen Parteien mit einer gehörigen Portion Antikommunismus Stimmung gemacht worden, was jedoch einen Sieg des Mitte-Links-Bündnisses Frente Amplio (FA) nicht hat verhindern können.

Auch im aktuellen Wahlkampf sind die Rechtsparteien in der Hauptstadt Montevideo munter dabei, eine Angststimmung gegen die fortschrittlichsten Teile der FA zu erzeugen.


Suche nach einem Präsidentschaftskandidaten

Da der derzeitige Präsident Tabare Vazquez von der Sozialistischen Partei lt. Verfassung nicht wieder gewählt werden darf, musste die FA im Dezember 2008 auf dem Nationalkongress einen neuen Kandidaten finden. Und demokratisch geht es zu bei der Breiten Front. Die über 500 Basisorganisationen schickten 2400 Delegierte zum Kongress. Wunschkandidat des amtierenden Präsidenten ist der ehem. Wirtschafts- und Finanzminister Danilo Astori - schon in der jetzigen Regierung neben dem Präsidenten die dominierende Figur. Er sieht es als seine wichtigste Aufgabe an, die Politik der bisherigen Regierung weiterzuführen. Für das eher unbedeutende Amt des Vizepräsidenten sollte sich der ehemalige Landwirtschaftsminister Jose Mujica breitschlagen lassen. Mit dieser Lösung konnte sich die größte Gruppierung der FA, die MPP (Movimiento de Participacion Popular) nicht zufrieden geben. Weniger, weil sich die MPP, eine Nachfolgeorganisation der Tupamaros, übergangen fühlte.

Vielmehr gibt es in der FA zwei stark differierende Politikkonzepte, die von den beiden Kandidaten Astori und Mujica repräsentiert werden. Astori steht für den liberalen Flügel in der FA, betrieb als Wirtschafts- und Finanzminister die Annäherung an die USA, soll nicht zuletzt deshalb volles Vertrauen des IWF in Washington genießen und steht für Distanz zum Mercosur. Er repräsentiert eine Regierungsbilanz, die im Sinne des Funktionierens eines peripheren kapitalistischen Staates beeindruckende Zahlen vorlegen kann, im Hinblick auf die Umsetzung zentraler Forderungen des FA-Programms aber eher enttäuschend ausfällt.


Mitte-Links erfolgreicher als Mitte-Rechts

Angetreten war die FA-Regierung im Frühjahr 2005 nach einem fulminanten Wahlsieg unter schwierigen Rahmenbedingungen. Peter Burghardt, Lateinamerikakorrespondent der Süddeutschen Zeitung hatte vor der Wahl (November 2004) die desaströse Situation "des kleinen Agrarstaates" wie folgt beschrieben: "Das einst wohlhabende Uruguay geriet 2001/02 in den Sog der Krise im Nachbarland Argentinien. Binnen eines halben Jahres hoben die Anleger die Hälfte ihrer Guthaben ab, vier Banken brachen zusammen, mehrere Firmen gingen Konkurs. Billige Importe trieben die Landwirtschaft und die Textilindustrie in die Krise. Inzwischen lebt ein Drittel der 3,4 Mio. Einwohner unter der Armutsgrenze, die Auslandsschulden sind erdrückend." Nach vier Jahren der Mitte-Links Regierung haben sich die ökonomischen Rahmendaten konsolidiert. In der Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage kommt das Auswärtige Amt in Berlin zu einem rundum positiven Ergebnis: "Uruguay ist ... in einer Phase andauernder wirtschaftlicher Erholung. Das BIP wuchs 2007 real um 7,0 %, für 2008 wird ein Wachstum von rund 5 % erwartet." (...) "Das Schuldenmanagement der uruguayischen Regierung wird von den internationalen Finanzmärkten und möglichen Investoren anerkannt. Durch die Umschuldung von mittelfristigen in langfristige Staatsanleihen sowie die Begebung neuer Staatsanleihen konnte die uruguayische Regierung in Abstimmung mit dem IWF ihre dortigen Schulden im November 2006 vollständig vorzeitig zurückzahlen. Aufgrund der rigiden Sicherungs- und Kontrollmechanismen, die nach der Bankenkrise von 2002 eingeführt wurden, hat das uruguayische Finanzsystem sich gegenüber der weitwirtschaftlichen Finanzkrise 2008 bislang als relativ resistent erwiesen."


Dunkle Wolken am Horizont

Was die angesprochene Finanzkrise von 2008 betrifft, dürfte die Einschätzung zu optimistisch sein, denn die aktuelle Weltwirtschaftskrise wird auch in Uruguay ihre Spuren hinterlassen und den Handlungsspielraum der nächsten Regierung erheblich einengen.

Dazu kommen die Auswirkungen der bereits erwähnten Dürrekatastrophe. Nach Informationen der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina werde im Süden des Landes mit einem Totalausfall der Ernte gerechnet. Schon jetzt (Januar) habe man mit einer Notschlachtung abgemagerter Rinder begonnen. Man rechne mit etwa 100.000 Milchkühen, fast ein Drittel des Milchviehbestandes, das somit der Dürre zum Opfer fallen werde. 12.000 Hektar seien bis Ende Januar den Flammen zum Opfer gefallen. Zusätzlich werde die Lage durch eine Heuschreckenplage verschärft. Auch mache sich bereits ein Mangel an Trinkwasser bemerkbar. Vor diesem Hintergrund findet der Wahlkampf statt.

Auf dem Nationalkongress erhielt Jose Mujica mit 71 % der Delegiertenstimmen ein eindeutiges Votum gegenüber Astori, der nur 23 % für sich verbuchen konnte. Somit ist Mujica, der als der beliebteste Politiker des Landes gilt, bis Juni 2009 der offizielle Präsidentschaftskandidat der FA. Im Juni stimmen dann sämtliche Mitglieder ab. Erst dann steht fest, wer für das Mitte-Links-Bündnis endgültig antritt. Ein aufwendiges Verfahren, das dem 74-jährigen Senator Mujica, der über 12 Jahre als Geisel der Militärdiktatur unter unvorstellbaren Haftbedingungen verbracht und nur knapp überlebt hatte, einiges zumutet. Als Landwirtschaftsminister hatte Mujica nur einen geringen Handlungsspielraum. Dass er als Anführer der stärksten Gruppierung nicht auf einen deutlicheren Linkskurs insistierte, wird ihm von einigen Linken zum Vorwurf gemacht. Das lässt aber die komplizierte Gemengelage in der FA außer Acht. (dazu mehr in Arsti Nr.152)


"Wer heute José 'Pepe' Mujica sieht, wie er mit seiner Lebensgefährtin Lucia Topolansky auf einem klapprigen Moped durch die Stadt fährt, dem fällt es schwer, sich vorzustellen, dass der jetzige Senator ein Ex-Guerillero ist, der an verschiedenen Anschlägen der Tupamaros in den 60er und 70er fahren teilgenommen hat, der durch die Kloaken von Montevideo aus dem Gefängnis flüchtete, der lebensgefährlich verletzt wurde, der 13 Jahre unter unmenschlichen Bedingungen in den Kerkern der Militärdiktatur verbrachte und in der Isolationshaft einer brutalen Folter ausgesetzt war."

Aus: Lateinamerika Nachrichten - Februar 2000, Text: Stefan Thimmel


Die Mitte bremst

Die Linke ist zwar in dem Parteienbündnis ein starker Faktor. Es besteht aber immer die Gefahr des Auseinanderbrechens bzw. der Absplitterung der Parteien und Gruppierungen, die sich zur Mitte hin orientieren, sobald sich die Linke lautstark zu Wort meldet. Das lässt sich am Beispiel des Partido Democrata Cristiano (PDO) verdeutlichen. Diese kleine christdemokratische Partei, die mit in der Regierung der FA sitzt, wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) als sog. Partnerpartei bezeichnet. Man muss nicht über viel Phantasie verfügen, um die Rolle dieser konservativen Partei in einem Mitte-Links-Bündnis zu definieren. Sollte die FA bei den Nationalwahlen die Mehrheit in den beiden Kammern verlieren, säße die KAS weiterhin am Regierungstisch dabei. Hat sie doch eine weitere Partnerpartei, den traditionell starken Partido Nacional (PN), mit 35 % der Wählerstimmen die größte Oppositionspartei. Der PN wird in den Publikationen der KAS als Partei im Mitte-Rechts Spektrum bezeichnet. Im Falle des Wahl-Siegs des rechten Spektrums würde der PN mit der Regierungsbildung beauftragt. Da die FA im Senat mit 16 Sitzen und im Abgeordnetenhaus mit 52 Sitzen nur knapp über die absolute Mehrheit verfügt, ist der Abstand nicht so groß, dass man die Abspaltung des "gemäßigten" Teils im Bündnis riskieren kann. Das mag ein Grund für die eher vage inhaltliche Positionierung des Kandidaten Mujica bezüglich der Vorhaben einer Regierung unter seiner Präsidentschaft sein. Immerhin steht er für eine stärkere regionale Integration in den Mercosur und für engere Beziehungen zum lateinamerikanischen Linksblock. Er punktet auch bei den ärmeren Bevölkerungsteilen mit der Ankündigung, er werde sein Präsidentengehalt einer Stiftung zur Verfügung stellen und weiterhin in seinem einfachen kleinen Bauernhof wohnen bleiben. Das klingt glaubwürdig, weil er nach seiner Freilassung lange Zeit Blumen gezüchtet und sie zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der legendären Tupamara Lucia Topolansky, auf einem Wochenmarkt verkauft hat. Sollte aber der politische "Spielraum" einer FA Regierung unter Mujica zu eng werden, bestünde die Gefahr der Abspaltung am linken Rand.

So sieht es auch Stefan Thimmel, einer der wenigen Journalisten, die aus Montevideo für deutsche Medien berichten: "Obwohl sich seit dem Regierungsantritt von Tabare Vazquez im März 2005 nicht wenige Linke in Uruguay enttäuscht von der Frente Amplio abgewendet haben, gibt es jetzt wieder die erstarkte Hoffnung, dass es mit einem Präsidenten Mujica einen wirklich linken Umschwung geben könnte. Sollten diese Hoffnungen von Mujica enttäuscht oder Astori zum Präsidenten gewählt werden, kann es passieren, dass sich die uruguayische Linke in eine weitere Traditionspartei verwandelt, die sich nur noch unwesentlich von den Blancos (PN) und den Colorados unterscheidet." (Lateinamerika Nachrichten, Febr. 09) Sollte am 25. Oktober die FA wieder über eine absolute Mehrheit der Sitze in beiden Kammern verfügen und "El Pepe" Mujica Präsident werden, ist in den Erwartungen Realismus angesagt. Für Uruguay dürfte ebenso zutreffen, was Prof. Dieter Boris für die Länder Lateinamerikas allgemein prognostiziert hat: "Nirgendwo ist eine antikapitalistische sofortig Umwälzung in Sicht." (W&F 2006/2)

Was deutsche Medien betrifft, wird man vermutlich im Sommerloch den Exguerillero und nach wie vor unverbesserlichen Linken Mujica in das Umfeld von Chavez einordnen und die Liste der sog. Demagogen und Populisten um einen Namen erweitern. Ob die Kampagne von Spiegel Online, Focus oder FAZ losgetreten wird oder von allen drei gleichzeitig, wird sich zeigen.

Stand Februar 09
hd.


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Am 3. Februar 2009 ist in Montevideo die Tupamara Yessie Macchi gestorben.

Yessie Macchi wurde 1946 in Montevideo geboren. 1966 schloss sie sich der uruguayischen Stadtguerilla MLN-Tupamaros an. Zweimal konnte sie aus dem Gefängnis fliehen. Bei ihrer letzten Festnahme 1972 wurde ihr Compañero Leonel erschossen. Nach dem Putsch der Militärs wurde Yessie Macchi zur Geisel des Staates erklärt. 1985 kam sie nach der erneuten Einsetzung einer Zivilregierung frei. Sie engagierte sich in der Folge in zahlreichen politischen und sozialen Projekten, u.a. beim Radio Panamericana und der unabhängigen Nachrichtenagentur COMCOSUR, deren Frauenprogramm sie betreute. Der Parlamentarisierung der Tupamaros in der Frente Amplio stand sie ablehnend gegenüber.

Im Verlag Assoziation A erschien 1992 in dem Buch "Odranoel. Die Linke zwischen den Welten" ein erstes Interview mit ihr. 1998 erschien das von Monika Berberich und Irene Rosenkötter herausgegebene Buch "Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt", an dem sie maßgeblich beteiligt war und in dem ein längeres Interview mit ihr veröffentlicht wurde.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Foto: Jose Mujica


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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 163, Frühjahr 2009, Seite 24 bis 26
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2009