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ARBEITERSTIMME/215: Gedanken zur Entwicklung der Partei "Die Linke"


Arbeiterstimme, Sommer 2010, Nr. 168
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Gedanken zur Entwicklung der Partei Die Linke

Ein Element des gesellschaftlichen Fortschritts oder eine Bremse bei der Herausbildung von Klassenbewußtsein?


Eigentlich findet unsere Diskussion über die Partei "Die Linke" zu einem ungünstigen Zeitpunkt statt. Wir stehen kurz vor dem Parteitag, erfahren erst morgen das Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen, dem auch bundesweite Bedeutung zukommt (Bundesrat). Zum anderen hat die Programmdiskussion erst begonnen, die eineinhalb Jahre dauern soll. Eine Mitgliederurwahl hat gerade 84,5% für eine Doppelspitze gebracht. Da sich nur 48% der Mitglieder beteiligt haben, offenbart das ein Desinteresse. Die neuen Parteivorsitzenden Gesine Lötsch und Klaus Ernst müssen erst noch gewählt werden. Es ist also einiges im Fluss. Doch Oskar Lafontaine ist kaum zu ersetzen. Wenn es um den Zustand und die Perspektive der Partei "Die Linke" geht, dann spielt ihre Einbettung in die geschichtlichen und aktuellen Bezüge keine geringe Rolle. Über 20 Jahre ist es nun her, dass die DDR und SED untergingen und die PDS entstand. Was mit dem Anschluss der DDR an die BRD begann, hat bis heute noch nicht zum sozialen Gleichstand an das BRD-Niveau geführt. Dadurch besteht die politische und gesellschaftliche Sonderrolle der neuen Bundesländer fort und damit werden auch Regionalinteressen aufrechterhalten. Die Weltwirtschaftskrise verschärft diese Unterschiede noch. PDS und nun Die Linke haben darin eine der Grundlagen ihrer Existenz. In Krisenzeiten vergleicht die Bevölkerung die Zustände mit denen in der untergegangenen DDR. Dieser fällt, je mehr Zeit vergeht nicht immer zum Nachteil des Vergangenen aus. Für viele damals unerwartet senden neue Kriege ihren Schrecken aus. (Jugoslawienkrieg, Afghanistankrieg) Außer der Linken hatten alle etablierten Parteien die Aggressionspolitik unterstützt. Die Sozialdemokratie natürlich wie gewohnt dabei. Ein weiteres Element für die deutschen Sonderbedingungen zur Entstehung einer relevanten linken Partei war der Rechtsschwenk der regierenden Sozialdemokraten und der Grünen mit verursacht durch den sozialen Strukturwandel. Alles zusammen gab Raum für eine neue Partei links von der SPD. Maßgebend dafür war auch der Anstieg der Dauerarbeitslosen und Leiharbeiter, die Zementierung von Hartz IV und die Entstehung eines Prekariats. Die Finanzkrise und die ideologische Erschütterung des Neoliberalismus haben ebenso ihren Teil zu den Erfolgen der Linkspartei beigetragen, wie auch die Zuspitzung des Afghanistankrieges.

Vor diesem Hintergrund gelang 2008, trotz manchen Gerangels, die Vereinigung von PDS und WASG zur Partei Die Linke. In der Folge konnte sie organisatorisch die Grünen überflügeln und wurde viertgrößte Partei. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte sie mit 11,9% (2005 8,7%) der abgegebenen Stimmen 5 Millionen Wähler und konnte 76 Abgeordnete nach Berlin entsenden. Die Linke ist nun in allen sechs ostdeutschen Landtagen und in sechs der zehn westdeutschen Landtage vertreten. In Berlin und Brandenburg sitzt sie in Koalitionsregierungen mit der SPD. Den größten Erfolg im Westen erzielte sie im Saarland mit 21,3%, wobei die Hälfte ihrer Wähler damit mehr die Zustimmung zu Oskar Lafontaine als zur Linkspartei ausdrückte. Die PDS war in früheren Zeiten dort mit 0,4% untergegangen.

Die Partei Die Linke hat nun 75.000 Mitglieder (1995 hatte die PDS noch 113.000 Mitglieder). Schlossen sich 2008 bei der Vereinigung 65.000 Mitglieder aus dem Osten mit etwa 6.000 aus dem Westen zusammen, so hat sich das Verhältnis nun stark geändert: Aus der ehemaligen DDR stammen jetzt nur noch 50.000 Mitglieder, in Westdeutschland jedoch ist die Zahl der Mitglieder auf 25.000 angewachsen. In NRW zum Beispiel hat sich die Zahl der Mitstreiter in den letzten zwei Jahren auf 8.580 verdoppelt. Bei der letzten Kommunalwahl gelang der Linkspartei dort der Durchbruch bei den Stadt- und Kreisräten mit 150 Mandaten. Selbst in Rheinland-Pfalz konnte die Linke das Landtagswahlergebnis auf 9,4% erhöhen. Bei der Neuwahl in Hessen konnte sie, trotz des Debakels mit Ypsilanti, erneut die 5%-Hürde nehmen. In Hamburg zählt die Linke nun 1.400 Mitglieder und hat die Grünen damit überflügelt. In manchen anderen Ländern, wie in Bayern, ist die Linkspartei weniger verankert.

Die Linke ist keine Arbeiterpartei, weder von der Mitgliedschaft noch von der Wählerschaft her. So wählten bei der letzten Landtagswahl im Saarland nur jede dritte Arbeiterin und Arbeiter die Linkspartei, in Thüringen waren es nur 29%. In Sachsen muss es schwerwiegende Gründe gegeben haben, dass nur 18% der Arbeiterschaft für die Linkspartei votierten - aber 40% für die CDU!

Bei den Arbeitslosen ist die Lage ähnlich: 46% an der Saar stimmten für die Linkspartei, in Thüringen und Sachsen nur jeder Dritte. An den sozialen Programmpunkten kann es nicht gelegen haben. Auch werden die gewerkschaftlichen Forderungen weitgehend von der Linkspartei unterstützt.

Es wird geschätzt, dass die Partei nun über 2.000 Funktions- und Mandatsträger hat; diese verfügen über besonderes politisches Gewicht.

Von den Hauptamtlichen bedienen 63 die Zentrale und 133 sind in den Ländergeschäftsstellen beschäftigt. Das Personal der Parteizeitung "Neues Deutschland", über deren mangelnde Linksausrichtung manche Mitglieder nur noch den Kopf schütteln, ist nicht eingerechnet. Die Kassenverwaltung der Linkspartei konnte 2008 über ca. 24 Millionen Euro verfügen. Das war wichtig, mussten doch der steigende Aufwand für die Wahlkämpfe finanziert werden und gleichzeitig der weitere Aufbau der Parteistrukturen in ganz Deutschland. 40% der Einnahmen entstammten den Mitgliedsbeiträgen (durchschnittlich 10,80 EUR monatlich pro Person), 600.000 EUR waren Spenden, der Rest Staatsgelder. Allein die Höhe der Personalausgaben in Höhe von 8,5 Millionen EUR machte 37% aus. Spenden aus der Wirtschaft und vom Großkapital, die vor allem den Rechtsparteien einen Vorsprung verschaffen, werden von der Linkspartei grundsätzlich abgelehnt - sie hätte auch von dort kaum welche zu erwarten.

In der Vergangenheit war die PDS immer mehr zur "Rentnerpartei" geworden. Das hat sich, vor allem seit der Vereinigung, geändert. Die Partei Die Linke hat seit ihrer Gründung 25.000 Mitglieder dazugewonnen, etwa 20.000 aus dem Westen und 5.000 aus dem Osten, einschließlich Berlin. Somit hat ein Drittel der Gesamtmitglieder keine Wurzeln in den Vorgängergruppierungen mehr, weder aus der PDS noch aus der WASG. Das dürfte die linksozialdemokratische Tendenz in der Partei stärken. Das Durchschnittsalter der neuen Mitglieder ist auf 37 Jahre gesunken, der Rentneranteil der Neuen liegt bei 5% und hat sich von 2007 bis 2009 halbiert. Doch nur noch 36% der Neumitglieder sind lohnabhängig Beschäftigte, der Arbeitslosenanteil beträgt 17,5%. Beim Frauenanteil der Neuen hapert es gewaltig; mit 26% schaut es schlechter aus als bei allen anderen Parteien.

Wesentlich ist, die neuen Mitglieder sind jünger. Damit ist die gefährliche Schwund-Tendenz vorerst mal überwunden. Derzeit ist die Linkspartei die einzige Partei mit Mitgliederzuwachs. Dass es dabei bleibt hängt natürlich zum großen Teil von der Aktivität der Parteimitglieder und der politischen Linie der Partei selbst ab.

So ist der Zuwachs der Jüngeren auch nicht vom Himmel gefallen, er ist Ausdruck des außerparlamentarischen Wirkens in Universitäten, Schulen, sozialen Bewegungen und des entschiedenen Kampfes gegen das immer frecher werdende Auftreten der Neonazis. Das Anwachsen des linken Studentenverbandes "SDS" und der Aufschwung der Linksjugend "solid" sind Ergebnis davon. Letztere verfügt nun, nach eigenen Angaben, über 4.000 Mitglieder und über mehr als 190 aktive Basisgruppen.

Sie sollen "als Brücke zwischen der Partei und den Protesten auf der Straße" fungieren. Die Bundessprecherin Franziska Stier stellt fest: "Wir haben ein Ausnahmejahr hinter uns. Die Aktivität des Verbandes hat 2009/2010 nie gekannte Ausmaße erreicht."

Ohne die erfolgreiche Westausdehnung und die Vereinigung mit der WASG, ohne den großen Einsatz von Oskar Lafontaine, hätte die PDS den Durchbruch zur bundesweiten Kraft nicht geschafft. Im Gegenteil, denn die PDS war nicht nur auf dem Weg des Abstiegs, sondern des existenzbedrohenden Absturzes. Überalterung, Mitgliederschwund und der Rückgang der Aktivitäten machte Mitte der neunziger Jahre der PDS zu schaffen. Wenn wir heute von der Halbierung der SPD durch ihren Rechtskurs sprechen, so ist den Wenigsten bewusst, dass es nach dem Abflauen der Hartz IV-Bewegung auch eine Halbierung der Mitgliedschaft der PDS gegeben hat. Die PDS hatte 1995 noch 113.000 Mitglieder. In den folgenden zehn Jahren, bis 2005, verlor die Partei 55.000 Mitglieder und konnte nur noch einen Stand von 58.000 aufweisen! Die Gründe dafür lagen nicht nur im Generationenwechsel, sondern hatten auch politische Ursachen. An erster Stelle stand die Enttäuschung vieler Mitglieder und Wähler über das verloren gegangene Profil während der Beteiligung an mehreren Länder-Koalitionsregierungen. Es entstand der Eindruck, das Besetzen von Regierungsposten und die Anpassungspolitik seien wichtiger als der Kampf gegen die soziale Umverteilung von unten nach oben.

Auch jetzt, als Partei Die Linke, kommt der Zuwachs nicht so sehr aus den Bundesländern des Ostens. Prozentuale Erfolge bei Wahlen sind nicht immer absolute Erfolge. Der zahlenmäßige Rückgang an Wählerstimmen dort ist nicht zu übersehen, es gab eine Abwanderung ins Lager der Nichtwähler. In den Ortsverbänden zum Beispiel wird geklagt "wieder haben wir bei Wahlen 3% verloren". "Wieso haben wir diesmal beim Frauentag keine roten Nelken überreicht?" "Wir dürfen uns nicht nur vor den Wahlen um die Menschen kümmern, sondern auch unter der Zeit." "Im Leitungskörper gibt es zuviel Streit." "Wir bräuchten besseres Werbematerial!" Man sieht, auch an der Basis wird die Debatte oberflächlich geführt. Auch im Vogtland fürchtet man ein Ansteigen der "Berliner Verhältnisse" und fordert eine Einstellung des "Zickenkrieges". Es würden zu wenig die existentiellen Fragen der Mehrheit der Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt. Wenn der Personal- und Verfahrensstreit nicht aufhöre, würde sich der Abwärtstrend bei den Wahlen durchsetzen.

Viele kritisierende Mitglieder verkennen jedoch, dass hinter den Streitereien hauptsächlich politische Meinungsverschiedenheiten stecken, die unbedingt an- oder ausdiskutiert werden müssten. Die einen sind von grundsätzlicher Art, die anderen haben praktische politische Bezüge. Die Partei Die Linke wird nur dann politisch relevant bleiben, wenn sie sich weiterhin als Union unterschiedlicher politischer linker Kräfte versteht und die Mitglieder das auch akzeptieren. Das heißt, manche von ihnen müssten auf den Versuch eines "Umfunktionierens" verzichten. Das soll nicht heißen, dass sie sich einer Werbung für ihre Linie enthalten müssten. Andererseits müsste es klare Grenzen geben auch in der Art und Weise der Bekämpfung gegensätzlicher Auffassungen. Ein uferloser Pluralismus führt zur Beliebigkeit und zerstört das Profil. Es gibt also ein sowohl als auch. Dieses Kunststück zu vollziehen, wird Aufgabe der Programmdiskussion, die nun ansteht.

In der Partei arbeiten gegenwärtig verschiedene Gruppierungen und Richtungen mit: Linkssozialdemokratische Reformer, Reformisten, Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten u.v.m. Sie sammeln sich in verschiedenen Gruppen wie in der Sozialistischen Linken, der Kommunistischen Plattform, in den Antikapitalistischen Linken, in der Linksjugend, in der Emanzipatorischen Linken, den Gewerkschaftslinken, dem Marxistischen Forum, in der Gruppe BAK Shalom usw.

Es wäre jedoch ein Missverständnis, anzunehmen, die Masse der Mitglieder würden irgendeiner dieser Richtungen angehören. Es wird geschätzt, dass etwa 90% der Mitglieder ungebunden sind und von Mal zu Mal entscheiden. Nach Angabe der Zeitschrift "avanti" sollen 80% aus dem trotzkistischen Spektrum in der Linkspartei aufgegangen sein. Eine revolutionäre Tendenz verfolgt nur eine kleine Minderheit. Aus der Partei Die Linke kann sich auch keine kommunistische Partei entwickeln. Dafür fehlen die Bedingungen, auch eingedenk des gegenwärtigen Zustands der deutschen Gesellschaft, nicht nur wegen der bestehenden Parteipolitik und Parteistruktur der Linken. So hat Die Linke auch keine Betriebs- und Stadtteilgruppen aufgebaut, wie früher die kommunistischen Parteien. Es gibt in Deutschland, zumindest in diesem Stadium, keine relevante politische und soziale Bewegung als Antrieb für die Partei. In Folge der kapitalistischen Krise weicht die große Mehrzahl der Arbeiter und Arbeiterinnen, sowie der Gewerkschafter, vor der Offensive von Kapital und Kabinett zurück. Auch der Trick der Regierung Merkel, die Kurzarbeit auszuweiten, trägt ihre Früchte.


Verkommenheit der bürgerlichen Demokratie

Seit dem Bestehen der PDS und der Partei Die Linke sind diese und ihre Repräsentanten einem Kesseltreiben von rechts ausgesetzt, das keine Lüge, Verdrehung und Manipulation scheut. Daran beteiligen sich nicht nur die etablierten Parteien, natürlich einschließlich der Sozialdemokraten, sondern, wie in einem Einheitskartell, die im Schlepptau des Kapitals befindlichen Medien. Da wird jede Auseinandersetzung, die es auch in anderen Parteien gibt, zum garstigen Streit hochstilisiert und wenn die Presse der Rundfunk und das Fernsehen überhaupt etwas über die Linke bringt, ist dies meist von negativer Art. Die Linke macht ständig Vorschläge und kritisiert sachlich die Politik der Regierung Merkel, doch, wenn man von den Talk-Runden absieht, wird die Partei in den Medien ausgesprochen boykottiert. Die anderen kleine Parteien, die Grünen und die FDP werden ständig zitiert, die Linkspartei scheint es gar nicht zu geben. Umso perfider wird nach den letzten Stasispitzeln und IMs gesucht, wobei manche zur DDR-Zeit vielleicht erst 20 Jahre alt waren. Diskreditierung und Verketzerung führender Persönlichkeiten waren und sind an der Tagesordnung, wobei der Vorwurf des Populismus noch das harmloseste ist. Selbst Heiko Maas schrieb in der ZEIT vom "populistischen Sozialismus". Besonders Lafontaine war im Fadenkreuz. "Oskar der Brandstifter" wurde er im "Express" diffamiert, oder "Oskar Xiaoping". Für die WELT ist er der "Demagoge aus dem Saarland". Diese Tonlage prägen viele Artikel vor allem in der Springer-Presse und diese zielen auch auf Gysi, Bisky und andere Spitzenkräfte der Linkspartei.

Diffamierung und Boykott sind eigentlich ein Zeichen, dass der davon betroffene Gegner politisch wirksam ist. Sie sind auch ein Beweis, dass die Meinungsfreiheit in diesem Land nichts gilt. So sehen in Deutschland eben die Vorkämpfer der Demokratie aus...

Vor allem mit dem Totschweigen haben die bürgerlichen Medien erreicht, dass die Linkspartei nicht noch mehr Wähler und Anhänger, vor allem aus dem Kreis der bisherigen Nichtwähler, gewinnen konnte. Um unter solch erschwerten Bedingungen nicht an Zahl und politischer Bedeutung zu verlieren, ist die Partei gezwungen, noch bestehende Schwachstellen möglichst bald anzugehen. Das Bemühen, mit eigenen regionalen Parteiblättern den bürgerlichen Tageszeitungen etwas entgegenzusetzen, zeitigt aber nennenswerte Wirksamkeit nur unter ostdeutschen Bedingungen, und kann das Fernsehmonopol natürlich nicht beseitigen. Im Westen ist man auf das Verteilen von Propagandamaterial angewiesen, das meist nur jene erreicht, die es anfordern. Selbst stärker an die Öffentlichkeit zu treten, ist auch eine Frage der finanziellen Mittel. Die Lösung politischer Schwachstellen ist nun unumgänglich geworden. Sie könnten unter den Parolen stehen:


Von der bodenlosen Pluralität zu mehr Verbindlichkeit. Für eine bessere Streitkultur!

Interne Machtkämpfe gibt es in anderen Parteien auch. Noch weniger als diese kann es sich aber Die Linke leisten, wenn Personaldebatten herabsetzend und über die Medien geführt werden, die der Partei eigentlich feindlich gegenüberstehen. Einige Beispiele in jüngster Zeit können das illustrieren: Als der Entwurf des Parteiprogramms bekannt wurde, sahen sich einige führende "Realpolitiker" bemüßigt, gleich von vornherein die Diskussion darüber in ihre Richtung zu lenken. Der Vorsitzende der Linken in Sachsen, Andre Hahn, glaubte gleich, in der "Leipziger Volkszeitung" das aufgeschreckte Besitzbürgertum beruhigen zu müssen: "Eine massenweise Verstaatlichung von Unternehmen wird es nicht geben." Aufs Glatteis ging der Bundesgeschäftsführer der Partei, Bartsch, in der "Mitteldeutschen Zeitung": "Der Entwurf wird verbessert werden", meinte er. Und so, als könnte er es allein bestimmen: "Am Ende wird das Programm ein anderes sein." "Ein anderes", basta! Als Lafontaine ihm widersprach, ging er ihn übel an, was ihn dann den Bundesgeschäftsführerposten kostete. Postengerangel und politischer Streit sind auch in den Landesverbänden gang und gäbe, wie kürzlich in Bayern, als der Landesvorsitzende Zega mit der Vorstandschaft in Streit geriet. Er warf dem kommenden Parteivorsitzenden Klaus Ernst u. a. vor, sein Benehmen sie "gutsherrlich". Die Parteivorsitzenden Bisky und Lafontaine hatten im März einen Brief an die Mitglieder gerichtet: "Wir haben in diesen Tagen lernen müssen, dass der Vereinigungsprozess unserer jungen Partei noch nicht so weit vorangeschritten ist, wie wir uns das alle wünschen." Oskar Lafontaine moniert ständig, dass es am Profil der Partei mangele. Die Programmdiskussion soll die Vereinheitlichung vorantreiben. Wenn strikte Verbindlichkeit durchgesetzt werden soll, müsste letzten Endes bei dem heterogenen Charakter der Partei eine Minderheit sich anpassen oder ausscheiden. Bei dem bestehenden Kräfteverhältnis ist das zu bezweifeln. Vermutlich bleibt mit einer Kompromisslösung das Ganze auf halbem Wege stecken. Doch auch wenn es so kommt, wird die Programmentscheidung in der Partei eine gewisse Zäsur bedeuten.


Von der Unklarheit zur Klarheit

Es haben immer mehr Funktionäre und aktive Mitglieder der Partei erkannt, dass Die Linke nur mit Klarheit und verbindlichen Gemeinsamkeiten eine erfolgreiche Zukunft haben kann. Es gab zwar bisher schon Programmpunkte, doch waren sie zu wenig diskutiert und akzeptiert, sie waren auch nicht ausreichend. Ihre Verbindlichkeit wurde nicht immer durchgesetzt. Nach dem designierten neuen Vorsitzenden Klaus Ernst gäbe es 90% Gemeinsamkeiten in der Partei. Das ist doch zu bezweifeln. Sehen wir uns einige Hauptpunkte an. Bezüglich des strategischen Zieles der Linkspartei, in Deutschland einen Politikwechsel herbeizuführen, gibt es weithin Übereinstimmung. Nur eine Minderheit der Aktiven hält daran fest, Die Linke solle als bloße Protest- und Oppositionspartei das Endziel Sozialismus als Hauptaufgabe begreifen. Ein Politikwechsel ist dem Kräfteverhältnis nach nur möglich, wenn die Linke sich an der Regierung beteiligt und dafür genügend Koalitionspartner findet. Auf Länderebene hat sie welche gefunden und wird weitere finden. Die Möglichkeit eines Politikwechsels bezieht sich aber hauptsächlich auf die Bundesebene. Der Streit, der sich darüber entzündet hat, ist m.E. unnütz. Denn selbst wenn die Wähler zahlenmäßig die Möglichkeit dafür gäben, bleibt es inhaltlich eine Illusion, es sei denn, die Linke gibt sich in solchen Koalitionsverhandlungen nahezu selbst auf. Die Quittung von den Linkswählern würde auf dem Fuß folgen. Die SPD macht nun (auch unter dem Druck der Linkspartei) wieder etwas mehr auf sozial und gibt vor, sich vom Afghanistankrieg ein Stück weit zu distanzieren. Ein Ottmar Schreiner hat mit dem Segen der Parteizentrale wieder volle Säle. Das alles jedoch kann verbal bleiben, die SPD braucht es vorerst nicht zu beweisen. Die Erfahrungen der Wähler mit diesen Sozialdemokraten in der Regierung ist jedoch eine andere! Als Koalitionspartner müssten Grüne und SPD sich ändern, um Zugeständnisse grundsätzlicher Art zu machen, was für lange Zeit ausgeschlossen erscheint. NATO und Kriegspolitik sind für beide Parteien nicht verhandelbar, die Herrschaft des Wirtschafts- und Finanzkapitals nicht antastbar. Da fragt man sich schon, was soll denn das ganze Theater. Es sei denn, die "Realpolitiker" der Linken Ramelow, Bartsch, Höhn, Birke, Korte, Liebich, Brie usw., gingen mit ihrem Anpassungskurs aufs Ganze.

So bliebe der Linken nur die Regierungsbeteiligung auf Länderebene. Da gibt es zwei Richtungen, darüber wird noch heftig gestritten werden. Die Einen gieren nach Posten und Einfluss und wollen hier und heute etwas bewirken und das sehen auch viele Mitglieder so. Sie werden sich billig verkaufen - sie haben sich ja auch schon billig verkauft in den Koalitionen mit der SPD in Berlin, in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern und vor Jahren mit ihrer Tolerierungspolitik in Sachsen-Anhalt. Über den Berliner Sündenfall ist viel geschrieben worden. Daher nur ein paar Beispiele: Eine rosarote Koalitionsregierung privatisiert über 100.000 Wohnungen und sogar Krankenhäuser. Dem "Sachzwang" folgend, schloss sie Schulen und andere Einrichtungen und strich sogar das Blindengeld. In Berlin gibt es nun Zehntausende 1-Euro-Jobber, usw. Aus dem Arbeitgeberverband trat die Stadt kurzerhand aus - Bahn frei für Dumpinglöhne.

Der Parteivorsitzende Lafontaine stellte klar: "Ich bin für Regierungsbeteiligung, wenn wir im Sinne unserer Programmatik die Politik verändern." Er stellte fest, er hätte in Brandenburg den Koalitionsvertrag nicht unterschrieben, weil die Haltehürden nicht eingehalten wurden: "Kein weiterer Sozialabbau, kein weiterer Personalabbau im Öffentlichen Dienst und keine weitere Privatisierung." Er sprach sich gegen den Verzicht auf Einfluss bei Bundesrat-Entscheidungen aus. Das Recht auf politischen Streik müsse erkämpft werden.

Auf kommunalpolitischer Ebene verfährt Die Linke mit Koalitionen längst pragmatisch. In Chemnitz, Zwickau, Magdeburg und Cottbus paktiert sie sogar mit der CDU. Es ist kein Zufall, dass die schärfste Kritik an den Verstaatlichungsplänen des Programmentwurfs (PE) aus den unbedingt nach Regierungsbeteiligung strebenden Landesverbänden kommt. Die Sucht nach Anerkennung und nach Gleichberechtigung wird in der Linkspartei immer stärker.

Die Noch-Vorsitzenden Bisky und Lafontaine haben schon abgebremst: "Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Wir werden uns nicht den Wirtschaftsmächten unterwerfen." Doch die Systemfrage stellen auch sie nicht. Ihr Kampf gilt den Auswüchsen, dem "Raubtierkapitalismus". Der Neoliberalismus soll bekämpft werden, die Krise mit keynesianischer Wirtschaftspolitik. Lafontaine hatte vier "Kernforderungen" herausgestellt, die richtig sind, die aber auch durchaus ein Sozialdemokrat in der Opposition unterschreiben könnte: Hartz IV abwählen, Mindestlohn jetzt, gegen die Rente ab 67, Raus aus Afghanistan. Zusätzliche Punkte sind z.B. die 30-Stunden-Woche, das unbegrenzte Streikrecht, die Millionärssteuer, die Verstaatlichung von Großbanken und Energieunternehmen. Wie man das erreichen will, auch die "Mitarbeitergesellschaft", ist nur vage angesprochen: durch demokratische Wahlen... So ist es kein Wunder, dass der Klassenkampf und die Rolle des Staates, die Herrschaftsstruktur des Kapitals außen vor bleiben, auch im PE. Imperialismus und Repression im Inneren werden wohl benannt, doch in ihrer Bedeutung verkannt. Die wahren Herrscher, das Industrie- und Finanzkapital, wird sicherlich nicht friedlich zusehen, wie die neuen Eigentumsformen der Linkspartei, unter denen das Privateigentum "nicht mehr die Dominanz" habe, durchgesetzt werden. Früher hieß das "Aufstand", heute heißt es "Abwahl" (!) wird in Verkennung aller geschichtlichen Erfahrungen und aktuellen Geschehnisse verkündet. Im PE sind die neuen Eigentumsformen vage angegeben als genossenschaftlich, kommunal und staatlich. Dass allein der erfolgreiche Klassenkampf als revolutionärer Akt die Vergesellschaftung der Produktionsmittel durchsetzen kann und dass dies Ziel und Aufgabe einer sozialistischen Partei sein müsste - danach sucht man vergebens.

Der PE ist "linker" geworden, als viele befürchteten. Und er erkennt auch die ökologischen Gefahren eines Weiterwurstelns. Manche Mitglieder haben sich schon zum Entwurf geäußert, u.a. Anton Latzo, Eckehard Lieberam, Jochen Traut. Sie nennen einige wichtige Thesen, die noch zu behandeln wären:

Die Klassenstruktur unserer Gesellschaft.
Der Zustand des subjektiven Faktors.
Die Stabilität der gegenwärtigen Herrschaftskonstellation zu Gunsten des Kapitals.
Das Verhältnis von außerparlamentarischem gegenüber dem parlamentarischen Kampf.
Der Stellenwert der Machtfrage in einem Übergangsprogramm zu einer neuen Gesellschaft des demokratischen Sozialismus über die Demokratisierung der Wirtschaft hinaus.
Der Charakter bzw. die "verborgene Grundlage" der gegenwärtigen Großkrise des Kapitalismus als Krise des Systems.
Die wohl allzu positive Einschätzung der EU und ihrer Politik angesichts der Militarisierung und neoliberalen Ausrichtung dieser Organisation.

Sie sprechen von jenen in der Partei, denen der PE zu weit links ist, "Stellenweise zu wenig lebensnah": "Es wird nicht leicht sein, sie daran zu hindern, dem Entwurf die radikaldemokratische Schärfe zu nehmen. Noch ungleich kniffliger aber ist die Aufgabe (wenn denn der Entwurf in seiner Grundausrichtung zum Programm wird), aus einer Partei, deren 'BerufspolitikerInnen' zum Teil bereits ihren Frieden mit dem gesellschaftlichen status quo gemacht haben, eine sozialistische Kampfpartei auf dem Niveau eines solchen Kampfprogramms zu machen."

In dem PE werden die Kampfeinsätze der Bundeswehr entschieden abgelehnt. Es scheint jedoch, als würden Gregor Gysi und der zuständige Bundestagsabgeordnete Schäfer in der Frage von Auslandseinsätzen schwankend werden. Doch die Debatte um den Programmentwurf hat erst begonnen. Es bleibt abzuwarten, welche Kräfte sich letztendlich durchsetzen.

Die Gründer der Partei Die Linke wollten 2007 "Barrikaden gegen die neoliberale Offensive" errichten. Die Partei sollte "zum Zentrum von Gegenwehr" werden, zum parlamentarischen Arm der außerparlamentarischen Opposition. Dort, wo die Partei mitregiert, ist nichts daraus geworden. Sie ließ sich einbinden in die angeblichen Gesetzmäßigkeiten des Neoliberalismus und in die eines krisengeschüttelten Kapitalismus. Der parlamentarische Kretinismus macht sich breit. Andererseits wird der Anpassungskurs durch die gegenläufige allgemein-politische Entwicklung gebremst werden, stehen wir doch mitten in der zweiten Finanzkrise, die zur Krise der EU sich auszuweiten droht. Dazu rückt der Zahltag für die Wirtschaftskrise I immer näher. Die Werktätigen werden sich wehren, die Verhältnisse noch instabiler werden. Eine Linkspartei, die darauf nicht reagiert, macht sich wieder überflüssig. Ausgeschlossen ist auch nicht eine politische Zuspitzung, welche die Partei radikalisiert. Eine marxistische Partei wird daraus nicht. Ihr Vorhandensein ist auch kein "erneuter Start zu einer sozialistischen Umgestaltung", wie kürzlich der trotzkistische "Funke" meinte.

Hans Modrow, einst SED-Bezirksleiter und späterer DDR-Ministerpräsident, hob kürzlich hervor, dass die deutsche Linkspartei in Europa einmalig sei. Wenn man Vergleiche zieht mit den politischen Zuständen in europäischen Ländern, die vor dem Zusammenbruch des Realsozialismus eine kämpferische Arbeiterbewegung und eine militante Kommunistische Partei hatten, muss man ihm zustimmen. Was sich in Italien abspielt, ist erschütternd; aber auch in Spanien, Frankreich, Österreich usw. schaut es schlecht aus. Und wer hätte in Deutschland vor 15 Jahren vorausgesagt, dass eine linke Partei sich erfolgreich entwickeln könnte? Dass über die Rosa-Luxemburg-Stiftung breite Aufklärung im sozialistischen Sinn betrieben werden kann? Dass die Gewerkschaften zumindest wieder einen Arm im Parlament haben, auch die Friedensbewegung? Wenn Die Linke die außerparlamentarische Opposition nicht ausreichend stützen und aktivieren kann, liegt das nicht nur an ihr, sondern am mangelnden Klassenbewusstsein der Massen.

Die Verantwortlichen der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben sich kürzlich einen Fauxpas geleistet, der jedem Begriff von Meinungsfreiheit ins Gesicht schlägt, als sie die Veranstaltung mit Norman Finkelstein über die verheerende rechtsradikale Politik der israelischen Regierung durch Verbot auffliegen ließen. Das war glatte Zensur und eine Schande für die Linkspartei.

Der politische Charakter der Linkspartei ist zwiespältig. Einerseits hält sie progressives Denken und Handeln aufrecht, tritt in der Regel für die sozialen Belange der Massen ein, ist sie die einzige Anti-Kriegspartei im Lande. Als Partei kann sie die gesellschaftlichen Missstände anprangern oder zumindest manche zur Sprache bringen, was nicht wäre, wenn es sie nicht gäbe. Sie kann auch manches ändern oder abmildern, da sie allein in ihrer Funktion als Wahlkonkurrenz Druck auf andere Parteien, vor allem auf die SPD, ausübt. Andererseits trägt auch Die Linke dazu bei, die tatsächliche Lage zu verschleiern und lenkt die Massen von den wahren Gründen ab und verschweigt den einzigen Ausweg, der aus dem Irrsinn von Konjunktur-Krise-Krieg führt: den Sozialismus. Wer nur die Auswüchse des Kapitalismus bekämpft, verhindert die Erkenntnis, dass die Wurzel des Übels das System selbst ist, das beseitigt werden muss.

Wer die wirkliche Rolle des bürgerlichen Staates als ideeller Gesamtkapitalist verschweigt und unterschlägt, dass dieser Staat die Klassenherrschaft mit allen Mitteln, auch mit Gewalt, versuchen wird, durchzusetzen, der züchtet die Illusion des Stimmzettels. Der schlägt den Massen die einzige Waffe aus der Hand, alles von Grund auf zu ändern: das Mittel des Klassenkampfes. Insofern trägt die Linkspartei zu Verwirrung und Zwietracht bei.

Mag das unter den heutigen unreifen Verhältnissen noch nicht so relevant sein, bei der Zunahme stärkerer Bewegungen würden die Gegensätze zu den revolutionären Positionen relevant. Ein gewisses Konkurrenzverhältnis zu den verbliebenen kommunistischen Kleingruppen besteht darin, dass die Linkspartei Kräfte von ihnen abgezogen hat, die dort nun fühlbar fehlen.

Es geht nicht um jene, die halb resignierend inaktiv geworden waren und bei der Linkspartei reaktiviert worden waren. Doch die an sich schon schrumpfenden marxistischen Kleingruppen, aber auch die DKP, haben Mitstreiter verloren, die sie im Rahmen der eigenen Organisation dringend weiter gebraucht hätten. Da wir überzeugt sind, dass das Weiterbestehen marxistischer Kader notwendig ist, damit der revolutionäre Funke nicht erlischt und die Entstehung von Klassenbewusstsein entsprechender Förderung bedarf, brauchen wir jede Genossin und jeden Genossen selbst. Das verbindet sich mit der Aufgabe, in der Partei Die Linke noch vorhandene marxistische Kreise zu stärken und nach Möglichkeit für uns zu gewinnen. Wir hatten bisher die Linkspartei bei Wahlen und ihren Aktivitäten immer kritisch unterstützt und werden das auch weiterhin tun. An unserem alten kommunistischen Selbstverständnis brauchen wir nichts zu ändern, das bestätigen die Ereignisse dieser Tage eindringlich.


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 168, Sommer 2010, S. 8-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2010