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ARBEITERSTIMME/287: Machtpoker um die Ukraine


Arbeiterstimme Nr. 184 - Sommer 2014
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Machtpoker um die Ukraine



Der Konflikt um die Ukraine zwischen den EU-Staaten und den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite hat seine Wurzeln im Zusammenbruch und Zerfall der Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Der russische Präsidenten Wladimir Putin sah im Ende der Sowjetunion die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts". In jedem Falle eröffnete der Kollaps des sozialistischen Lagers eine neue Runde des "Großen Spiels" um Einflusssphären zwischen den Weltmächten, wie wir sie seitdem erleben. Die deutsche Wiedervereinigung, die Zerschlagung Jugoslawiens in kleine Teilstaaten, die Integration des Baltikums und die geplante Ausweitung der Europäischen Union und der Nato bis hart an die Grenzen Russlands - all das bedeutet eine vollständige Revision der geopolitischen Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs in Europa.


Als der Genosse diesen Artikel schrieb, war noch nicht abzusehen, wohin sich die Ukraine entwickelt. Mittlerweile ist der Bürgerkrieg im vollen Gange, hunderte Menschen sind gestorben; wir finden es dennoch richtig und wichtig diesen Text zu veröffentlichen - die Ereignisse mögen sich überstürzen, die Feststellungen werden dadurch nicht falsch.

Redaktion Arbeiterstimme


Der Kiewer Maidan und "Donbass-Rossija"

Der Protest des Kiewer Maidan hatte von Anfang an eine klare Stoßrichtung - auf die Europäische Union hin. Das im Raum stehende Assoziierungsabkommen mit der EU, dessen Unterzeichnung die Regierung Janukowitsch verweigert hatte, weckte vor allem im Westen der Ukraine die Hoffnung vieler Menschen, dass es nach Jahren des wirtschaftlichen Niedergangs wieder aufwärts gehen würde. Es fiel auf, in welch starkem Maße der Protest auf dem Maidan fast von Anfang an zentral gesteuert wurde - herausragendes Sinnbild dafür war die sündhaft teure Bühne mitsamt ihrer professionellen Beschallungsanlage. Aber ebenso stand dafür das Dreigestirn aus neofaschistischer Partei Swoboda ("Freiheit"), der Vaterlands-Partei des Oligarchenklüngels um Julia Timoschenko und "Udar"-Partei von Witali Klitschko, die der CDU und der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament nahe steht. Deren Repräsentanten beherrschten in der internationalen öffentlichen Wahrnehmung die Bühne. Der Kontrast zu spontanen Volksaufständen, wie etwa in der "Arabellion", konnte größer kaum sein.

Die Massenproteste hatten gleichwohl selbständige Wurzeln in der wirtschaftlichen Misere der Ukraine, in der Wut der Lohnabhängigen auf die Oligarchen, korrupte Politiker und schlechte Zukunftsaussichten. Die innere Spaltung der Ukraine zwischen einem eher agrarisch orientierten Westen und dem industrialisierten Donbass im Osten wird verstärkt durch die Erinnerungen an die Kriegszeit, wo im Westen die ukrainischen Partisanen auch gegen die prosowjetischen ostukrainischen Partisanen und die Sowjettruppen kämpften. Viele Westukrainer zeigen sich an der EU interessiert, von der sie sich eine Perspektive für ein besseres Leben erhoffen. Sie sahen im Assoziierungsabkommen mit der EU, das Ende November 2013 unterzeichnet werden sollte, eine Perspektive für ein besseres Leben.(1) Im Osten dagegen haben, so der FAZ-Korrespondent Konrad Schuller; "... Kiew die Leute hier nie vertraut und den Oligarchen wollen viele jetzt nicht mehr folgen - so bleibt als Fluchtpunkt nur Moskau. 'Donbass-Rossija' ist deshalb am Wochenende der Schlachtruf des Tages gewesen." (FAZ, 12.03.2014)

Die herrschenden Klassen der Ukraine konnten und können die Ressentiments in weiten Kreisen der Bevölkerung zu ihren eigenen Gunsten ausnutzen. Allerdings hat sich gezeigt, dass es auch Risse im Block der Oligarchen gab und weiterhin gibt. Dabei ging es um die Profite aus dem Erdgasgeschäft mit Russland und aus den Weiterleitungsgebühren. Und heute sind die Oligarchen des Ostens in der Zwickmühle, dass sie eine Spaltung des Landes nicht wollen können, weil sie einerseits zu einer extremen Marktverengung für ihre Produkte führen würde und dass andererseits eine Integration in die EU die Industrie des Ostens mit ihrem geringen Innovationsniveau und mit Anpassungserfordernissen an die EU-Regeln und technischen Normen schnell überfordern könnte.

Hinzu kommt, dass sich in der prorussischen Bevölkerung des Ostens ein "lange unterdrückter Zorn" gegen die postsowjetischen Multimillionäre, die Stahl- und Kohlebarone des Donezker Clans Luft macht. Die Oligarchen, die nun Miene machen, mit Kiew zusammen gehen zu wollen, werden nun verhasst. "Der lange eher diffuse Antiukrainismus des Ostens hat damit im neuen Hass gegen die milliardenschweren 'Gangster' an der Spitze des Donezker Clans einen neuen Kristallisationspunkt gefunden. Beide Gefühle verstärken einander." (FAZ, 12.03.2014) Gleichwohl sind auch im Osten des Landes viele Menschen gegen eine Spaltung der Ukraine, weil sie wissen, dass dies ihre Lage eher verschlechtern als verbessern würde.

Entwicklungsland Ukraine

Es sind offensichtlich nicht in erster Linie wirtschaftliche Erwägungen, welche die EU dazu bewegen, um die Ukraine zu werben. Die Warenausfuhr aus dem gesamten EU-Raum belief sich 2012 auf gerade einmal 23,8 Mrd. Euro, die Einfuhr ukrainischer Waren in die EU im gleichen Zeitraum auf 14,6 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Russland lieferte 2013 Waren im Wert von rund 23 Mrd. USD in die Ukraine, davon mehr als die Hälfte des Warenwerts Erdöl und Erdgas. Die Ukraine ist ein armes Land mit einem wachsenden negativen Außenhandelssaldo. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner, das einen groben Vergleich der Arbeitsproduktivität in verschiedenen Ländern ermöglicht, lag 2013 (kaufkraftbereinigt) mit 7.400 USD weit unter dem von Polen (21.100 USD), Russland (18.100 USD) und sogar Rumänien (13.200 USD). Die Währungsreserven sanken zwischen Januar 2011 und Januar 2014 von 36,9 Mrd. USD auf 16,1 Mrd. USD. (FAZ-Sonntag, 02.03.2014)

Auch aus Sicht Russlands stehen sicherlich nicht ökonomische Erwägungen hinsichtlich der Ukraine-Politik im Vordergrund, auch wenn es aus den Zeiten der Sowjetunion wirtschaftliche Verschränkungen vor allem in der Rüstungsproduktion gibt. Dem BIP der Ukraine von 180 Mrd. USD stand 2013 ein BIP Russlands von 2.000 Mrd. USD gegenüber. Im selben Jahr betrug der Anteil des russischen Außenhandels mit der Ukraine gerade einmal sechs Prozent. Die ukrainische Ausfuhr nach Russland besteht überwiegend aus Metallen und Stahl, also Waren, mit denen Russland selbst gut versorgt ist, bzw. wo es bereits Überkapazitäten hat. Demgegenüber ist die Ukraine von den Erdöl- und Gas-Lieferungen aus Russland existenziell abhängig. Hinzu kommt, dass die Ukraine bislang erhebliche Rabatte auf den Gaspreis erhielt, was u.a. für die Konkurrenzfähigkeit der dortigen Unternehmen von Bedeutung ist. Bislang erhielt sie je 1.000 Kubikmeter Erdgas für 269 USD, ab April 2014 wird sie nach Kündigung des Rabatts durch Gasprom 378 USD zu zahlen haben - das liegt aber immer noch unter dem Durchschnittspreis von zuletzt 383 USD für die zentral-europäische Kundschaft.

Auch den Bemühungen der westlichen Staaten, die Ukraine finanziell an sich zu binden und die Bindungen an Russland zu schwächen, sind Grenzen gesetzt: Zwei Mal wurden in den vergangenen Jahren Kreditzahlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) eingefroren, weil die Regierungen ihre Zusagen nicht einhielten: Das waren einmal Kredite über 16,4 Mrd. USD im Jahr 2008 an die Regierung von Premierministerin Julija Timoschenko und 2010 über 15,2 Mrd. USD unter Präsident Victor Janukowitsch. Die Regierungen hielten beidemale ihre Zusagen nicht ein, den Wechselkurs der Landeswährung Griwna freizugeben, Subventionen für den Gasverbrauch zu streichen und das Haushalts- und Handelsdefizit zu verringern. Ein Ende der Gassubventionen, die den Gaspreis auf etwa ein Fünftel des Einkaufspreises reduzieren, würde für die breite Bevölkerung wie auch für die Betriebe große Härten mit sich bringen. Kurz: Die Souveränität der Ukraine steht auf schwachen Füßen und es ist sehr wohl möglich, dass ein Übergang in die Abhängigkeit von IWF und EU-Geldgebern, wie im Falle Griechenlands, dem sprichwörtlichen Wechsel vom Regen in die Traufe gleich kommt.

Die Zuspitzung des Konflikts auf die Krim

Es ist derzeit nicht absehbar, welche Kräfte innerhalb der Ukraine sich landesweit durchsetzen werden; ob es zu einer Spaltung des Landes in einen östlichen und einen westlichen Teil kommen könnte, vielleicht in der Folge eines Bürgerkriegs. Das hängt nicht nur von den Ukrainern selbst ab, sondern auch vom Agieren der großen Mächte, der Nato-Staaten und Russlands. Deutlich sichtbar ist allerdings, welche Konsequenzen Moskau aus dieser unsicheren Situation gezogen hat:

1954 hatte der Oberste Sowjet die russische Krim der ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen. Die Gründe dafür waren innenpolitischer und verwaltungstechnischer Natur. Um das landwirtschaftliche Potential der Krim zu entwickeln, war es notwendig geworden, die unter Stalin vertriebenen Krimtataren zurück zu holen, die 1944 nach Zentralasien deportiert worden waren. Außerdem verliefen wichtige Verkehrswege und die Energieversorgung der Krim ohnehin über ukrainisches Gebiet. Folgen für die sowjetische Schwarzmeerflotte ergaben sich nicht. Ein Auseinanderbrechen der Sowjetunion konnte sich damals niemand vorstellen, weder im Westen noch im Osten.

Mit dem Jahr 1991 war eine andere Situation eingetreten. Russland konnte damit rechnen, die Ukraine, deren Wirtschaft nach wie vor eng mit der eigenen verflochten war, im eigenen Bündnisraum zu halten. Die erweiterte Ostausdehnung der EU war damals noch kein beherrschendes Thema der Weltpolitik. Als sich das nach der Jahrtausendwende änderte und insbesondere die polnischen Regierungen stets auf eine weitere Ausdehnung der EU in die Ukraine und Weißrussland pochten, beeinflussten sich äußerer Druck und innenpolitische Spannungen innerhalb der Ukraine gegenseitig und es entstand auch unter den Oligarchen ein eher EU-orientierter oder Russland-orientierter Flügel. Daraus folgte fast zwangsläufig eine Wiederbelebung von Ressentiments entlang sprachlicher bzw. ethnischer Linien, die von den politischen Kräften organisiert und ausgenutzt werden konnten.(2)

Die von der Regierung Putin getroffene Entscheidung, die Krim nach Russland zurück zu holen, sichert die Basis der russischen Schwarzmeerflotte, ohne die Russland militärisch erheblich geschwächt wäre. Außerdem erlaubt sie günstigere Routenführungen für die geplanten Erdgas-Pipelines "South Stream" und "White Stream". Dass dieser Schritt, der von einer Mehrheit der Krim-Bewohner mitgetragen wird, rechtlich damit begründet wird, dass der Oberste Sowjet seinerzeit nach der Verfassung nicht berechtigt gewesen sei, die Unionsgrenzen neu zu ziehen, ist eher zweitrangig. Wichtiger ist, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist, ohne einen Krieg zwischen Russland und der Nato auszulösen. Einerseits ist die Legitimation der aktuellen ukrainischen Regierung nach der Flucht des Staatschefs Janukowitsch nach Russland zweifelhaft, andererseits ist die Ukraine derzeit weder Mitglied der EU noch der Nato. Die tatsächlichen Reaktionen der US-Diplomatie und ihrer Verbündeter bestätigen die Annahme, dass sie diese Annektion wohl oder übel schließlich akzeptieren werden, dafür aber einen Preis verlangen, über den zur Zeit noch Verhandelt wird. Viel wahrscheinlicher ist es zur Zeit, dass das Tempo für die Integration der Ukraine (ohne die Krim) in EU und Nato beschleunigt wird, und dass so von beiden Seiten Fakten geschaffen werden, die den neuen status quo zementieren. Die ukrainische, russische und krimtatarische Bevölkerung ist in diesem Konflikt nur Spielball der streitenden Fraktionen ihrer herrschenden Klassen, solange sie nicht für eigene gesellschaftliche Perspektiven kämpft.

Zurück zum Kalten Krieg?

Niemand kann mit Gewissheit vorhersagen, ob sich nicht eine konfrontative Dynamik zwischen den Nato-Staaten unter Führung der USA und Russland entwickelt. Gegenwärtig sieht jedoch alles danach aus, als wären beide Seiten bemüht, den Konflikt einzuhegen. Moskau dadurch, dass es betont, die Einheit der Ukraine erhalten zu wollen; USA und EU, indem sie es vorerst bei eher symbolischen Sanktionen gegen Einzelpersonen und ein Handelsembargo gegen Produkte aus der Krim belassen. In dieses Bild passte sowohl Barack Obamas Auftreten beim Treffen der G 7-Gruppe und anschließend bei der Europäischen Kommission und der Nato in Brüssel, als auch der Besuch des Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser bei Wladimir Putin am 26. März, wo er weitere Investitionen in Russland ankündigte. Allerdings sind Interessenunterschiede im westlichen Bündnis unübersehbar. Außenminister Steinmeier wies betont darauf hin, es sei ein Fehler gewesen, die Ukraine zu einer Entweder-Oder-Entscheidung hinsichtlich der EU und Russlands zu drängen und damit die innere Spaltung des Landes zu vertiefen. Polen und die baltischen Staaten, die sich in einer Pufferposition zwischen dem Nato-Lager und Moskau sehen, befürworten dagegen eine aggressivere Einkreisungspolitik gegen Russland, die den territorialen Bestand ihrer eigenen Staaten absichern soll.

In Obamas Augen ist Russland nur eine Regionalmacht. Das mag den Tatsachen entsprechen. Doch bleibt Moskau auf absehbare Zeit die einzige Militärmacht auf der Welt, die in der Lage ist, den USA in der nuklearen Rüstung einschließlich der Trägersysteme und maritim annähernd auf Augenhöhe zu begegnen. Zudem ist die russische Armee kriegserprobt. Beides lässt sich derzeit von keinem anderen Land sagen, auch von China nicht. Zweifellos zahlt Russland für seinen militärischen Status einen hohen ökonomischen Preis, weil es einen großen Anteil seines Bruttoinlandsprodukts für unproduktive Militärausgaben verwendet, die ihm dann für Infrastruktur und Sozialleistungen fehlen. Das beeinträchtigt seine wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig, wie es auch den Untergang der Sowjetunion mit bewirkte. Allerdings zeigt - nach der Georgien-Krise - nun auch die Ukraine-Krise, dass die USA und ihre Nato-Verbündeten durchaus eine Einkreisungspolitik betreiben, die schließlich, z.B. durch Stationierung von Raketen-Abwehrsystemen unmittelbar an den russischen Grenzen, die nukleare Zweitschlagfähigkeit Moskaus aushebeln, den Gegner also schwächen soll.

Konkurrenz ist das Lebensprinzip des Kapitalismus. Sie wird durch gemeinsame Teilinteressen und Diplomatie zeitweilig abgemildert. Die USA müssen Moskau an den Verhandlungstisch holen, wenn sie ihre Konflikte mit Iran, Afghanistan und Syrien bereinigen wollen. Handelspolitische Interessen verbinden sie mit Russland nicht. Umgekehrt will Russland nicht in eine Lage geraten, wo es für seine wirtschaftliche Entwicklung allein von Chinas gutem Willen abhängig wird; dafür braucht es den Zugang zu den Märkten und den Finanzsystemen des Westens, vor allem denen Europas. Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, dass es nicht zu einer unkontrollierten Eskalation des Krim-Konflikts kommt. Was aber, wenn es innerhalb der Ukraine entlang ethnischer bzw. sprachlicher und regionaler Linien zu Konflikten bis hin zu Bürgerkrieg kommt? Kiew befindet sich am Rande eines Staatsbankrotts, die soziale Lage breitester Schichten der Bevölkerung ist desolat; daran hat sich durch die Sogenannte Übergangsregierung nichts geändert. Wirtschaftlich ist die Ukraine von ihrer Verbindung zu Russland abhängig, ihr gesamter Produktionsapparat ist nach wie vor nach Osten und nicht nach Westen ausgerichtet und sie bezieht fast alle ihre Energie aus russischen Quellen. Eine Konfrontationspolitik gleich welcher ukrainischen Regierung gegenüber Moskau würde die wirtschaftliche Krise der Ukraine verschärfen und damit zugleich die Gräben zwischen den Regionen und den Bevölkerungsgruppen vertiefen. Eine solche Entwicklung würde unweigerlich wieder zu neuerlichen Spannungen zwischen den internationalen Mächten führen, die bereits heute Beteiligte des Ukraine-Konflikts sind - eines Konflikts, der noch lange nicht gelöst, sondern erst einmal nur aufgeschoben ist.

Weder die Lohnabhängigen in der Ukraine noch die in Russland und Europa können ein Interesse daran haben, dass es zum Bürgerkrieg in der Ukraine oder zu weitergehenden militärischen Entwicklungen kommt. Allen Scharfmachern, die sich in diesem Konflikt politisch zu profilieren versuchen, müssen wir entgegentreten.

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Sanktionen?

Es fällt schwer, sich vorzustellen, welche harten Sanktionsmöglichkeiten die USA oder die EU gegen Russland haben sollten. Die USA haben nur unbedeutenden Handel mit Russland, sind aber in der internationalen Politik immer wieder auf die russische Regierung angewiesen. Zur Zeit ist das im Syrien-Konflikt und im sogenannten Atomstreit mit Iran der Fall. Deutschland und seine östlichen EU-Partner sind in hohem Maße auf Erdgaslieferungen aus Russland angewiesen; zum Teil vollständig, die Ukraine und Deutschland um die fünfzig Prozent. Die deutschen Unternehmer gehören zu den Haupthandelspartnern Russlands, wie Vorher schon der Sowjetunion. Der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft nennt 6.200 deutsche Firmen, die in Russland aktiv sind (zum Vergleich: in China etwa 5.000 deutsche Firmen) und dort 20 Milliarden Euro investiert haben, darunter die Ikonen der deutschen Industrie, wie Siemens, Daimler, VW und BASF. Der Warenverkehr zwischen Deutschland und Russland betrug 2013 etwa 76,5 Milliarden Euro, für den Maschinenbau ist Russland der viertwichtigste Exportmarkt. Zudem steht die deutsche Exportwirtschaft nicht konkurrenzlos da - China holt im Maschinenbau zügig auf und wäre wohl in der Lage, in die Bresche zu springen. Aber auch die französischen und italienischen Unternehmer würden unter scharfen Sanktionsmaßnahmen gegen Russland leiden. Da die Rückeinverleibung der Krim ohnehin nicht zu verhindern ist und ein Wirtschaftskrieg anstelle einer militärischen Auseinandersetzung auch den Angreifer unabsehbar schädigen würde, wird es wohl eine Zeit lang bei lauter Diplomatie und eher symbolischen Aktionen bleiben, mit denen die westlichen Regierungen ihren Oppositionsparteien den Wind aus den Segeln nehmen und ihre demokratische Prinzipientreue unter Beweis stellen können.

13. April. 2014



Anmerkungen

1) Aus der Sicht der damaligen ukrainischen Regierungen standen EU-Assoziierung einerseits und Zollunion mit Russland andererseits alternativ zueinander. Der damalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Pavlo Klimkim, äußerte im Interview mit der Zeitschrift Wostok u. a.: "... es (gibt) diesen politischen Konsens (für das Assoziierungsabkommen), Und es gibt den Konsens der Geschäftswelt. Die großen ukrainischen Konzerne und Unternehmen sind auf die europäische Integration ausgerichtet... Mit diesem Konsens ist klar, dass es neben der europäischen Option keine weitere geben kann. Mitgliedschaft in zwei Organisationen - also sowohl Freihandelszone als auch Zollunion - geht begründeterweise nicht." (Wostok 3/2013 S. 16)

2) Es gibt keine unstreitigen Angaben über die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung auf der Krim. Die FAZ vom 03.03.2014 meldet: 58,5 Prozent Russen, 24,4 Prozent Ukrainer, 12,1 Prozent Krimtataren. "Nach einer Umfrage im Rahmen der Volkszählung 2001 zur Muttersprache: 77 Prozent Russisch, 11 Prozent Krimtatarisch, ca. 10 Prozent Ukrainisch. (Angaben strittig)"

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 184 - Sommer 2014, Seite 14 bis 17
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2014