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ARBEITERSTIMME/337: Abschrecken, rüsten, Krieg führen


Arbeiterstimme Nr. 193 - Herbst 2016
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Abschrecken, rüsten, Krieg führen

Eine Übersicht über 15 Jahre "Antiterrorkrieg" und neue Konfrontationen


Der NATO-Gipfel am 8./9.7. in Warschau und unmittelbar danach die Vorlage des neuen "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr" am 13.7. durch die CDU-Verteidigungsministerin von der Leyen, geben Auskunft über den gegenwärtigen Standort des Bündnisses und oberste Leitlinien deutscher Militärpolitik. Das neue Weißbuch (WB), erstmals nach zehn Jahren wieder unter einer schwarz-roten Regierung vorgelegt, trägt gewandelten Bedrohungs- und Herausforderungswahrnehmungen des Westens Rechnung. Als eine Art zivil-militärische PR- und Diskussionsplattform steht es neben den konkreteren "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 2011 moderierend und vermittelnd im Schnittpunkt von Militär, Politik und Gesellschaft. Es soll nach eigenem Verständnis die Ziele und Inhalte deutscher Sicherheitspolitik angeben, die Handlungsfelder der deutschen Regierung und Maßnahmen der (militärischen) Interessensumsetzung benennen und gleichzeitig einen engeren Kontext des Militärischen zum Zivilen herstellen. Anders als noch 2006 wurde das WB nicht nur parlamentarisch zur Kenntnis genommen, sondern diesmal dem Kabinett vorgelegt und von ihm verabschiedet, was wohl seine größere Verbindlichkeit unterstreichen soll.


"Mehr Personal - mehr Waffen - mehr Geld!"

So überschreibt Andreas Seifert in seinem Artikel zum WB in Ausdruck 4/2016 die Folgerungen von dessen erstem Analyseteil für die Bundeswehr. Das WB bleibt auch in diesem Teil eher vage, lässt Formulierungspielraum. Beteiligte Betroffene wie Bundeswehrverband oder Rüstungslobby müssen sich eine Berücksichtigung und Erfüllung ihrer Erwartungen daraus zusammensuchen. So hat der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) schon im Januar in seinem Bericht an den Bundestag einen quer durch die Bundeswehr sich ziehenden Mangel und Bedarf an Personal und Material angemahnt. Im Interview mit ES&T 8/2016 hält er die zu erfüllende NATO-Vorgabe von 2 % des BIP jedes Mitglieds an Ausgaben für Verteidigung und Rüstung für die Bundeswehr in ihrer jetzigen Größe gar nicht für erforderlich. Schon mit 1,4 bis 1,5 gegenüber den aktuell 1,18 % wäre man "im grünen Bereich". Er geht ausgehend von projektierten 36,6 Mrd. Euro für den Militäretat für 2017 (= 6,8 % mehr als 2016) bis 2020 von über 39 Mrd. aus, was seiner Ansicht nach durchaus ausreichen würde (S. 20). Es müssen u.a. komplett neue Sturmgewehre angeschafft werden, vier neue Mehrzweckkampfschiffe MZK 180 in Fregattengröße werden ab 2023 der Marine zulaufen (Kosten: ca. eine Mrd. je Einheit), ein neuer mittlerer und schwerer Transporthubschrauber stehen für alle Waffengattungen auf der Agenda, 100 zusätzliche Leopard 2-Panzer werden "gebraucht", der neue Schützenpanzer "Puma", Panzerhaubitzen, Pionierbauteile und Radfahrzeuge sind in der Anschaffung und das sind nur die dicksten Brocken. Die Diskussion, ob zum Ausgleich des Personalmangels auch BürgerInnen aus der EU als "Söldner" in die Reihen der Bundeswehr aufgenommen werden sollen, ist in Gang gesetzt. Die erwartete und angenommene Bereitschaft von jungen Frauen, im Zug der weiblichen Öffnung der Armee, Zeit- oder Berufssoldatinnen in höheren Rängen zu werden, hält sich offenbar sehr in Grenzen, was die Lücken nicht schließen kann. Laut Bartels sollen in den nächsten sieben Jahren zu den jetzigen 185.000 Soldaten zusätzlich 11.500 militärische und zivile Dienstposten geschaffen werden. Um die Probleme mit Rekrutierung und Personalaufwuchs in den Griff zu bekommen, wird derzeit sogar wieder über die Reaktivierung der Wehrpflicht laut nachgedacht, deren "Abschaffung" die Union 2009 der FDP zum Koalitionsgeschenk machte, um sie dann 2011 zunächst "auszusetzen".


Die NATO in Warschau

Ausgerechnet in der Gründungsstadt, die einst dem Gegenbündnis kommunistischer Staaten des "Ostblocks" den Namen gab, versammelten sich unter dem Motto "Abschreckung und Verteidigung" demonstrativ die Repräsentanten der 28 NATO-Staaten. Das sollte nicht zuletzt auch die Bedeutung nach der "Epochenwende" von 1989/90 im Zug der NATO-Osterweiterung nach und nach hinzugekommener neuer osteuropäischer Mitglieder wie Polen, die drei baltischen Staaten, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Albanien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien an der Sichelflanke zu Russland hervorheben. Als weitere NATO-Aspiranten stehen Moldawien, Ukraine und Georgien auf der Aufnahme-Agenda, Montenegro soll bald 29. Mitglied werden. Damit rückt man ganz dicht an Russlands West- und Südgrenze heran. Die in der Augustnummer der führenden deutschen Militärzeitschrift Europäische Sicherheit & Technik (ES&T) von dem CDU-MdB und Mitglied im Verteidigungsausschuss, Wilfried Lorenz, geäußerte Befürchtung einer "militärischen Einkreisung europäischer Staaten durch Russland" (S. 34), wird durch einen einzigen Blick auf die Landkarte widerlegt. Eindrucksvoll ließ man sich zum Gipfel-Auftakt am Konferenzort von einer Formation von 28 NATO-Kampfflugzeugen verschiedener Nationen, darunter deutsche Eurofighter, überfliegen. Anfang der 90er Jahre war nach Ende der Blockkonfrontation der NATO ihr einigendes Feindbild Warschauer Pakt mit dessen führenden Staaten Sowjetunion und DDR abhanden gekommen. Statt nun die "Friedensdividende" zu nutzen, um durch zivile Bestrebungen, Konflikte politisch durch friedliche Kooperation und Entwicklung zu entspannen und Konfrontationen ohne Militärgewalt und Abschreckungs- und Drohpotenziale zu überwinden, wurde für das kostspielige westliche Bündnis und seine hoch gerüsteten Armeen nach neuen militärischen Aufgaben und Zielen gesucht. Die fanden sich, seit 1994 von vereinigter deutscher Seite höchst verfassungsrichterlich abgesegnet, auch bald in sog. Auslandseinsätzen "Out of Area" anfangs noch exklusiv unter UN-Fahne. De facto wurde damit das ausschließliche Landesverteidigungsgebot und Verbot eines Angriffskrieges juristisch ausgehebelt, was einem Bruch des Grundgesetzes gleichkam. Seit 2001 liegen Deutschland "Grenzen" plötzlich am Hindukusch, in Afrika, im Mittleren Osten oder in Osteuropa. Statt des Antikommunismus aus dem Kalten Krieg fand man ein neues Feindbild in Gestalt eines fundamentalistischen radikalen "Islamismus" und seit den "Luftangriffen" auf das Welthandelszentrum in New York und das US-Pentagon in Washington am 11. September 2001 mit entführten US-Linienflugzeugen eine Rechtfertigung für einen globalen sog. Krieg gegen den Terror. Die NATO operiert dabei eng verbunden mit anderen militärischen Zweckbündnissen.


Mobile "360°-NATO" und westöstlicher Manöveraufmarsch

Faktisch wurde die NATO sukzessive vom nordatlantischen Verteidigungs- in ein weltweit operierendes Interventionsbündnis umdefiniert und umfunktioniert. Das Sinn stiftende Stichwort heißt neuerdings neben der 360°-Formel lediglich ausgetauscht nicht mehr "Vorneverteidigung", sondern "Vorne-" oder "erhöhte Vorwärtspräsenz". Das klingt weniger militärisch, ist aber um nichts weniger potenziell offensiv. Dies sieht im Kern so aus, dass am ostmitteleuropäischen NATO-Rand die relativ schwachen Truppen der dort befindlichen Staaten Polen, Litauen, Lettland und Estland insgesamt mit je 1.000 = 4.000 stationierten SoldatInnen aus multinationalen NATO-Bataillonen verstärkt werden. Das ist zwar nicht vereinbar mit der in der NATO-Russland-Grundakte von 1997 festgelegten Verpflichtung, keine fremden NATO-Truppen in osteuropäischen Ländern dauerhaft zu stationieren, wurde aber vor allem von Polen schon beim Gipfel in Wales 2014 als Reaktion auf Ukrainekonflikt und Krim-"Annexion" gefordert. Der daraufhin auf dem Waliser Gipfel auf den Weg gebrachte "Readiness Action Plan" (RAP) findet jetzt seine einzelnen Konkretionen. Die Begrifflichkeit "nicht dauerhaft stationieren" umgeht man mit dem Kniff, die neue Präsenz als eine Art rotierendes Dauermanöver auszugeben. Die US-Armee stellt zusätzlich eine Kampfbrigade und hat die Führung des Kontingents in Polen. Die Bundeswehr führt mit 600 eigenen Soldaten das gemischte Bataillon in Litauen an, kanadische und britische Truppen sind federführend in Lettland und Estland. Es bedeutet auch die verstärkte Anwesenheit von NATO-Kriegsschiffen in der dortigen Seeregion und patrouillierender deutscher Luftwaffe jenseits der Memel sowie von NATO-AWACS-Aufklärern mit zu einem Drittel deutschem Militärfachpersonal über dem Baltikum. Mögliche gefährlich nahe Begegnungen in der Luft mit russischen Kampfjets sind da programmiert. Noch bis kurz vor dem Gipfel fanden im 1. Halbjahr mehrere größere NATO-Manöver wie "Anakonda" mit 30.000 polnischen Soldaten unter Beteiligung eines deutschen Panzerpionierbataillons und an der Südflanke in Georgien "Agile Spirit" u. a. zusammen mit US-Soldaten, bulgarischen, rumänischen und lettischen sowie ukrainischen und georgischen Truppenteilen statt, obwohl letztere beide noch gar nicht der NATO angehören. Dahinter stehen als treibende Kräfte vor allem die USA und Polen. Selbst dem deutschen Außenminister Steinmeier ging dieses massierte Säbelgerassel flankiert von zahlreichen weiteren Armeeübungen in kritischen Äußerungen zu weit. Russland wiederum konterte und demonstrierte Kampfbereitschaft mit im südlichen Wehrbezirk Krim und angrenzend an die Ostukraine abgehaltenen Manövern "Kaukasus 2016" mit 12.500 Soldaten. Russland kündigte 2016 an, drei Divisionen mit zusammen 30.000 Mann an seine Westgrenze zu verlegen. Es wäre für westliche Militärbeobachter überdies ein Leichtes für Russland, trotz der dort jetzt vorwärtspräsenten NATO-Bataillone mit eher symbolisch-demonstrativem Charakter in 18 bis 30 Stunden das gesamte Baltikum zu überrennen. Das wiederum führt zu Konsequenzen für die NATO-Nuklearstrategie, einen Einsatz gegen russische konventionelle Überlegenheit nach altem Muster wie vor 35 und mehr Jahren notfalls mit Atomwaffen zu erwägen. So ist auch zu erklären, dass westliche Hardliner wie Richard Shirreff, 2011 bis 2014 stellvertretender NATO-Oberkommandeur in Europa, in seinem Buch 2017 War with Russia argumentiert, es sei zwar nicht zwingend, aber "sehr wahrscheinlich", dass es zu einem Atomkrieg mit Russland komme. Ihm zur Seite gesellte sich im Vorwort des Buches James Stavridis, 2009-2013 NATO-Oberkommandierender, mit der Aussage: "Unter Präsident Putin hat Russland einen gefährlichen Kurs eingeschlagen. Sollte es ihm erlaubt werden, damit fortzufahren, wird dies zwangsläufig zu einer Kollision mit der NATO führen. Und das wird einen Krieg bedeuten, der schnell auch atomar geführt werden könnte." (zit. nach Ausdruck, IMI-Magazin, Ausgabe 4/August 2016, S. 20). Nun weiß man auch, wozu US-Atomwaffen modernisiert werden. Doch auch Russland überlegt sich eskalierend seinerseits atomare Ersteinsatz-Optionen gegen "westliche Übermacht". Man will gleichwohl vor allem von deutscher Seite die Tür für Moskau noch offenhalten und so bemühte Merkel sich noch vor dem Warschaugipfel um eine Zusammenkunft des NATO-Russland-Rats, die nach zweijähriger Frostpause am 20. April erstmals wieder in Brüssel stattfand. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach dem Prinzip reden und rüsten der demonstrative Ton gegenseitig rauer geworden ist und statt Kooperation die Zeichen wie zu Zeiten des Kalten Kriegs auf Konfrontation stehen. Weitere Weichenstellungen in Warschau betrafen die verlängerte Präsenz im Rahmen von "Resolute Support" in Afghanistan, wo neben 8.400 US-Soldaten auch 900 Bundeswehrsoldaten zur "Trainingsmission" vor Ort stationiert bleiben. Hinzu kommen eine intensivierte Verständigung über neue Bedrohungen wie Cyber-War und "hybride Kriege" und ein beschlossenes verstärktes maritimes NATO-Engagement im Mittelmeer zur Seeraumüberwachung im Verbund und zur Unterstützung der FRONTEX- Grenzsicherung der EU ("Standing NATO-Maritime Group 2" in der Agäis unter deutscher Führung); "Operation Active Endeavour" und "Operation Sophia" vor Libyen. Als Beiwerk sozusagen dazu wird weiterhin die Seenotrettung von Bootsflüchtlingen angesehen und betrieben.


Kampfbegriff

Der "Antiterrorkrieg" bezeichnet weniger ein reales umgrenztes Geschehen auf Kriegsschauplätzen (asymmetrische und sog. hybride, d. h. kombinierte Kriege), sondern ist zunächst ein ideologischer Kampfbegriff der Herrschenden. Unter und mit ihm lassen sich verschiedene militärische Aktivitäten und verabredete Strategien summieren und begründen. Es gilt die "Guten" von den "Bösen" zu unterscheiden. Er ist als Formel Teil der Strategie vor allem des kapitalistischen Westens, wann und wie immer mit seinen Streitkräften überall auf der Welt präsent zu sein (zu "intervenieren"), seine Interessen wahrzunehmen, Einflusszonen zu sichern und erweitern und Ziele durchzusetzen. Interessen wie die Sicherung von maritimen Welthandelswegen, der ungehinderte Zugriff auf Rohstoffe und das Ziel, den neoliberalen Welthandel in weiträumigen Freihandelszonen mit den von den Wirtschaftsmonopolen erwarteten optimierten Gewinnspannen abzusichern. Alle politischen Kräfte und militanten Tendenzen, {die sich dem in den Weg stellen oder im Weg sind, bekommen den Unwillen und die abgestufte Reaktion von "Koalitionen der Willigen" zu spüren, von politischem Druck, materiellen Sanktionen bis hin zu "Militärschlägen". Sei es im Afghanistankrieg, seien es die beiden Irakkriege unter Führung der USA und Großbritannien, seien es militärische "Interventionen" direkt oder indirekt durch stellvertretende Verbündete in Ländern wie Somalia, Libyen, Syrien oder Mali. Es ist geradezu Mode geworden, wie auch das Beispiel des NATO-Mitglieds Türkei im Krieg gegen das kurdische Volk im eigenen Land, im Norden von Syrien und im Nordirak zeigt, eigenes aggressives Interventionshandeln unter dem Begriff "Krieg gegen Terror" zu deklarieren und rechtfertigen. Groteskerweise kommen dabei sogar NATO-Mächte einander ins Gehege, wie das Beispiel der jüngsten Offensive türkischer Truppen in Nordsyrien zeigt. Dort unterstützen die USA bisher auch Verbände kurdischer Selbstverteidigungsmilizen, die jetzt von der türkischen Armee bekämpft werden, um sie bis östlich des Euphrat zurückzudrängen und so ein zusammenhängendes Kurdengebiet zu verhindern. Man kann gegen "Terrorismus" keinen militärischen Frontenkrieg führen ohne nicht die Zivilbevölkerung erheblich mitzutreffen. Man nehme nur das Beispiel des sog. Kunduz-Massakers im September 2009, an dessen Ausführung die Bundeswehr maßgeblich beteiligt war und bei dem es nachweislich zu über 120 meist zivilen Toten (menschliche "Kollateralschäden") kam.


Bilanz: Verheerend

Der seit 15 Jahren weltweit geführte "Antiterrorkrieg" des Westens kann mit einer erschreckenden Bilanz von mehreren zehntausend bis hunderttausend Toten (alles "Terroristen"?), hunderten Milliarden Dollar an Kosten, Zerstörung ganzer Städte, Örtlicher und regionaler Infrastrukturen aufwarten. Er führte weder zu einem Ende des Terrorismus noch zu dessen Eindämmung oder Kontrolle, im Gegenteil. Von Zeit zu Zeit werden wie jüngst "Erfolge" gemeldet wie die Rückeroberung der irakischen Großstadt Falludscha nicht weit westlich von Bagdad, die zuvor schon 2004 während der US-geführten "Operation Phantom Fury" gegen aufständische sunnitische Rebellen erheblich zerstört wurde. Jetzt mussten die schwarzen Milizen des IS unter dem Druck der vorrückenden irakischen Armee und US-Bombardements diese Bastion wieder räumen, nicht ohne einzelne Stadtviertel durch Sprengfallen noch für längere Zeit unbewohnbar zu hinterlassen. Für die Zivilbevölkerung führte der Antiterrorkrieg zu ungeahnten gewaltsamen Eskalationen und Gefährdungen, vor allem aber zu einer beispiellosen Fluchtbewegung von Millionen in und aus den betroffenen Ländern von den Peripherien in die Mitte Europas. Seit Anfang 2015 starben über zehntausend Flüchtlinge allein bei Überfahrten auf dem Mittelmeer. Es ist kein Geheimnis, dass mit westlichen Interventionen und initiierten Stellvertreterkonflikten auch eine destabilisierende Strategie des "Regimechange" unliebsamer Staaten und ihrer Regierungen verfolgt wird. Der Widerstand in jenen Ländern hat und sieht nur noch die Möglichkeit, sich weltweit mit terroristischen Mitteln zur Wehr zu setzen. Das muss so drastisch festgestellt werden, bei aller Ummäntelung dieses Terrors durch extremistische religiöse Ideologie und regionales Hegemoniebestreben, um wie im Fall des Islamischen Staats ein zusammenhängendes anachronistisches Kalifat zu schaffen. Es ist eine Gegenwehr aus dem Sumpf der "Verdammten" und "Vertriebenen", beginnend schon mit den Folgen der Kriege in Nahost/Palästina seit 1948 und sich fortsetzend in der religiös-islamischen Revolution 1979 im Iran, die das autokratisch-reaktionäre, westlich orientierte Schah-Regime beseitigte, erstmals nach Ägypten zur Zeit Nassers wieder den westlichen Einfluss aktiv zurückdrängte und so für viele dort Lebende das Blatt für den Islam wendete und seiner aggressiv-militanten Variante ideologischen Auftrieb verlieh. Seit 1998 hat mit Pakistan erstmalig ein islamischer Staat die Atombombe, während sich der Iran nach wie vor an der Schwelle dazu befindet. Von da führte der "Nukleare Express" der Verbreitung atomaren Know-hows bis nach Nordkorea. Der Westen, vor allem die USA, hetzten ihren aufgerüsteten Vasallen Irak mit Saddam Hussein in den 1980er Jahren in einen mehrjährigen Abnutzungskrieg, den ersten Golfkrieg, gegen das iranische Mullah-Regime. Der 11. September 2001 folgte erst lang danach. Als dies absehbar nicht zum gewünschten Ergebnis für den Golfpotentaten führte, besetzte er den kleinen, aber reichen Ölstaat Kuwait, um sich wenigstens an dessen Ölquellen schadlos zu halten. Damit hatte er aber den Bogen überspannt und bedrohte gleichzeitig die mächtigen Ölfelder Saudi-Arabiens, was die USA als dessen engen Verbündeten auf den Plan rief. Das wurde zum Anlass für den darauf folgenden zweiten Golfkrieg 1991/92, um ihn zunächst militärisch in die Schranken zu weisen. Im dritten Golfkrieg 2003 schließlich wurde Husseins Herrschaft beendet und der Irak weitgehend zerschlagen. Die Geburtsstunde eines sich seither in einem sog. Islamischen Staat formierenden und konzentrierenden Kriegsterrors. Es ist wie mit einer vielköpfigen Hydra, schlägt man ihr einen Kopf ab, wendet sich dem Angreifer ein neuer zu. Einen anderen jahrzehntelangen Störenfried und unberechenbaren Regionalpotentaten, al-Gaddafi in Libyen, wurde man im Zuge eines vor allem französisch/US-amerikanisch ausgeführten Militärluftschlags während der übergreifenden Unruhen des "Arabischen Frühlings" 2011 los, die in Libyen rasch bürgerkriegsartig eskalierten. Dadurch wurden al-Gaddafis Revolutionsgarden als seine letzte militärische Hausmacht so gut wie ausgeschaltet, der Weg, ihn zu liquidieren, frei. Das seither in Bürgerkriegszonen gespaltene Land war vom Westen in eine staatsfreie "Transitzone" für den Flüchtlingsdurchzug zum Mittelmeer freigebombt werden, in der sich Schlepperbanden einnisten und ungestört ihr schmutziges Schleusergeschäft mit der Flucht organisieren konnten.


Soziale Basis

Es gibt im Umfeld der sich gegen den Westen richtenden islamistischen Kräfte eine soziale Basis für den IS und andere Gewalt übende Vereinigungen wie Boko Haram (Nigeria), Al-Nusra-Front oder Al Queida. Sie existiert im Irak und in Syrien genauso wie in Ländern des Maghreb, Libyen, Ägypten, Sudan, Mali, Somalia und Israel (Gaza, Westbank) und inzwischen vermehrt auch in einigen westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Belgien und Großbritannien. Vermutlich auch in deutschen Salafistenkreisen, aus denen sich zunehmend terroristische Kämpfer und Zellen rekrutieren. Wer als einzelner Palästinenser Israel oder seine StaatsbürgerInnen angreift, für den wird multiplizierte Vergeltung geübt, das eigene Haus zerstört, die Familie in Sippenhaft genommen, ganze Bevölkerungsteile in den Autonomiegebieten werden auf unbestimmt der zusätzlichen Kollektivrepression unterworfen. In einem Streifen von Nordafrika über das Horn von Afrika, Mittelost bis Vorderasien erstreckt sich ein brennendes Band, gekennzeichnet von teils schweren politischen Unruhen und Konflikten, destabilisierten Staaten und Bürgerkriegen, wovon derzeit neben der Atomnachrüstung und neuen Konfrontation mit Russland mit die größte Bedrohung für den Weltfrieden ausgeht. Seriöse PublizistInnen und Islam-KennerInnen wie Michael Lüders oder Karin Leukefeld beschreiben und analysieren in ihren Büchern Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet (2015) oder Flächenbrand. Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat (2015) die wahren Ursachen und Zusammenhänge. Der aktuelle Vorschlag deutscher Friedensforschungsinstitute, die ein jährliches Friedensgutachten (Mai 2016) erstellen, vermehrt auf den Ausbau von UN-Friedensmissionen zu setzen, mutet eher etwas rat- und konzeptionslos an. UN-Blauhelme haben sich mit wenigen Ausnahmen bislang nicht gerade mit pazifistischem Ruhm bekleckert, in Srebrenica 1995 versagten sie komplett. Im Sudan/Südsudan sind Blauhelmkontingente der Afrikanischen Union derzeit so gut wie wirkungslos und werden selbst zahlreicher gewalttätiger Übergriffe auf die Bevölkerung beschuldigt.


Spannungen und Krisen weltweit: Pazifikregion - China - Indien - Japan

Doch nicht alles lässt sich derzeit mit den Erfordernissen eines "Antiterrorkampfes" ausreichend beschreiben, was geostrategische Aspekte trägt. Dazu gehören die neue Konfrontation zwischen NATO und Russland ebenso wie die mehr als nur Geplänkel z.B. im ost-, vor allem aber südchinesischen Meer um eine Reihe unbedeutend erscheinender Insel-Archipele zwischen China und mehreren Anrainerstaaten wie Malaysia, Philippinen, Vietnam, Japan (und den dahinter stehenden USA), die darauf Gebietsansprüche erheben. Es werden dort größere Erdöl-/Erdgasvorkommen unter dem Meeresboden vermutet und China baut in dem genannten südlichen Seegebiet seit längerem beanspruchte Riffe systematisch zu Militärbasen aus. Zum Bedrohungspotenzial zählen auch die Spannungslage zwischen Nordkorea, das immer wieder mit seinem atomaren Raketensäbel rasselt, Japan und den USA und die atomare Rolle von China und Indien. Im pazifischen und süd-/ostasiatischen Raum sind China und Indien die mit großem Abstand umfassend aufrüstenden See- und Regionalmächte mit Atomträgern, Atom-U-Booten und See gestützten atomaren Mittel- und Langstreckenraketen mit jeweils einem eigenen militärisch-industriellen Komplex als Motor. Die früher neben gewahrter Neutralität traditionell sowjetische, danach russische Anlehnung Indiens wird derzeit gerade unter "sanftem" US-Druck versucht, auf eine stärkere Ausrichtung auf die USA als künftigem Partner umzulenken. Durch die Lieferung moderner Kernreaktoren wollen die USA den Fuß mehr in die indische Tür bekommen. Bis jetzt sträubt sich die indische Politik noch dagegen, will sich auch nicht zu angeregten gemeinsamen US-indischen Seepatrouillen "einladen" lassen. Zu sehr hängt Indien mit Zulieferung und Forschungskooperation noch vom russischen Tropf ab. Indien ist historisch Rivale zu China und steht auf Kriegsfuß mit seinem westlichen Atomkonkurrenten Pakistan, von dem sich die USA wegen dessen engen Beziehung zu China zunehmend abwenden. China ist nach den USA und Russland drittgrößter Rüstungsexporteur, dessen Waffenausfuhren zwischen 2011 und 2015 um 88 % zunahmen, vor allem in Länder Afrikas und Asiens, womit sich natürlich auch Wünsche nach entgegenkommenden Leistungen (Handel, Stützpunkte) verknüpfen. Allein etwa 71 % der Waffenlieferungen gehen nach Pakistan, Bangladesh und Myanmar (Zahlen zit. nach Die Zeit vom 21.7.2016). Japan rüstet gegenwärtig seine Flotte mit Reichweiten vergrößernden Trägerkomponenten auf (indem es von der Verfassung nicht erlaubte Hubschrauberträger als Zerstörer ausgibt). Es gedenkt sich unter seinem extrem rechtsnationalen Premier Abe von seiner "pazifistischen" Verfassung durch deren Änderung (Abschaffung) zu verabschieden, in der bisher in Art. 9 ein Kriegsverbot verankert ist, und wendet sich einer offensiven Militärdoktrin für Auslandseinsätze zu. Damit einher geht die Lockerung von Rüstungsexportbeschränkungen, sofern ausgeführte Waffen "dem Frieden dienen". Japan betreibt eine eigene zivile Raumfahrt mit Trägerraketen und Kommunikations- und Militärsatelliten im All und hat eine Mittelstreckenrakete entwickelt, die mit atomaren Komponenten versehen werden kann.


Deutsche "Verantwortung" im internationalen Kräftespiel

Das vor allem von Linken vorgetragene Argument von Deutschland als (wieder) zur Weltmacht strebendem Staat verkennt zwei Dinge: 1. ist Deutschland politisch und ökonomisch längst eine zumindest europäisch tonangebende Führungsmacht und 2. fehlt es der umspannenden Weltmachtoption eindeutig an militärischer Unterfütterung und Schlagkraft. Der Publizist Jörg Kronauer sieht in seinem Buch Allzeit bereit. Die neue deutsche Weltpolitik und ihre Stützen (2015) eine Kampagne auch unter Beteiligung des Bundespräsidenten Gauck am Werk "für eine neue deutsche Weltpolitik". Die Debatte um die Zukunft der deutschen Außenpolitik würde maßgeblich befördert durch deutsche Think-Tanks wie German Marshall Fund (GWF) und Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin (SWP), die auch die Bundesregierung berät, Das hier gehandelte offizielle Stichwort in vielen PolitikerInnenreden und auch im Bundeswehrweißbuch der "gewachsenen Verantwortung" heißt übersetzt, mehr Führungsanspruch auf Einfluss, Einmischung und Kontrolle. Kronauer identifiziert "Bestrebungen Berlins, nach Möglichkeit auf Augenhöhe mit den USA zu gelangen, um den Durchbruch Deutschlands zur offen dominierenden Macht in der EU" zu erreichen. Deutschland benutze dabei die EU als Mittel zur Weltmacht, den europäischen Einigungsprozess als Weg zur Parität mit den USA (zitiert nach pravda-tv.com). Kronauers Analyse, der in diesen Punkten zuzustimmen ist, mangelt es jedoch an der Berücksichtigung militärischer Faktoren, denen er sich in seinem Buch nicht weiter widmet.


Deutsche Kriegsbeteiligung und Militärfähigkeit

Deutschland ist nach der Teilnahme am Afghanistankrieg, wo seine SoldatInnen wieder das Kämpfen im Verbund lernten, weiter aktiv am Antiterrorkrieg beteiligt: durch den zeitlich befristeten Einsatz von Patriot-Raketenabwehreinheiten im Südosten der Türkei, Aufklärungstornados im syrischen Luftraum ("Counter Daesh" mit 430 deutschen Soldaten), hoch spezialisiertes Personal in AWACS-Aufklärern in der Türkei, eine Fregatte der Bundesmarine zur Seeüberwachung vor der Küste Libanons und Syriens, patrouillierende Kriegsschiffe vor Libyens Küste und gegen Seepiraten am Horn von Afrika sowie (bis zu) 650 in Mali stationierte Soldaten. Ferner durch ausbildende Militärberater in Kriegs- und Krisenregionen Afrikas (Somalia, Südsudan), im Irak und in Afghanistan und Lieferungen "leichter Waffen" und Munition an "gute Verbündete" in Spannungs- und Konfliktgebiete (Bsp. kurdische Peschmerga im Nordirak). Militärstrategisch kann Deutschland in der Welt zwar nur bedingt mithalten, versucht vielmehr im Militärverbund der NATO eine führende Teil-Rolle einzunehmen, der freilich auch Grenzen gesetzt sind. Maßgeblicher Rückhalt jeder Weltmacht wäre eine starke Marine. Die deutsche Marine verfügt zwar über eine Reihe modernster Fregatten, Korvetten, konventioneller U-Boote und Einsatzgruppenversorger mit großer Reichweite, doch anders als die britische und französische weder über Flugzeug- noch Hubschrauberträger für Ferneinsätze noch eine Flotte von Atom-U-Booten, das militärische Rückgrat bisher noch jeder Weltmacht auf nuklearer Basis. Gemessen daran, dass die Bundesmarine keine eigenen Küsten mehr zu verteidigen hat, ist der Anteil von künftig bis zu 22 größeren Kriegsschiffen dennoch hoch. Die im Zug der "Neuausrichtung der Bundeswehr" (Konzept HEER2011) gebildeten schnellen Eingreifverbände des Heeres (Division Schnelle Kräfte) unter Einschluss holländischer Elitebataillone und der Krisenspezialkräfte (KSK), die auch in Afghanistan zum Einsatz kamen, stellen als eine von drei Heeresdivisionen mit etwa 10.000 ständig einsatzbereiten SoldatInnen den Kern der Bundeswehr als "Armee im Einsatz" dar. Sie hat mit dem neuen viermotorigen A400M (45 Stück) jetzt einen leistungsstarken strategischen Militärtransporter, der doppelt soviel Last über die doppelte Reichweite schneller als der veraltete taktische Transall-Transporter befördern kann. Ein kleinerer taktischer Militärtransporter, dessen schnelle Anschaffung von mind. 10 Maschinen aus vorhandener ausländischer Produktion (USA, Brasilien oder Italien) erwogen wird, soll die pannenbedingte Verzögerung bei der A400M-Auslieferung überbrücken und dessen Kapazität ergänzen, da sich inzwischen herausgestellt hat, dass das schwere Flugzeug mit seinen großen Ausmaßen (militärisch: "Fußabdruck") sich nicht für alle neuen flexiblen Bedarfe und fliegerischen Erfordernisse problemlos eignet. Deutsche Eliteeinheiten sollen auch Kräfte für die NATO Response Force und EU-Battlegroups bereitstellen. Die Marine verfügt zusätzlich zum SEK M (Kampfschwimmer vom "Seals"-Eliteformat) über das seit 2014 aufgestellte 800 Soldaten starke KSK-"Seebataillon", die ersten echten deutschen "Marineinfanteristen" nach 1945. (Zur genauen militärischen Stärke der Bundeswehr siehe ausführlich den Beitrag in Arbeiterstimme Nr. 184/2014, Seite 25-30).


Frankreich, Großbritannien

Deutschland kann seine "Weltpolitikpläne" militärisch nur im gezügelten paritätischen NATO-Rahmen verfolgen. Es wäre daher zutreffender, von einer angestrebten deutschen Führungsrolle im Rahmen eines EU-Weltmachtanspruchs zu sprechen. Anderes würden verbündete, d. h. vor allem französische und britische Interessen gar nicht zulassen. Das ist eine Tatsache ungeachtet der unter Ministerin von der Leyen beabsichtigten Aufrüstung in einer Dimension von 130 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. Frankreich und Großbritannien investieren bei deutlich geringerer Bevölkerungszahl und schwächerem Bruttoinlandsprodukt (BIP) fast ein Fünftel (Frankreich mit 1,9 % vom BIP) bis knapp das Doppelte (Großbritannien mit 2,4 % vom BIP) mehr in ihre Militäretats als die BRD (34 Mrd. = 1,2 % vom BIP). Damit hinkt die BRD auch der NATO-Zielvorgabe von 2 % hinterher, wobei beim jüngsten Gipfel Merkel die Zusage machte, diese künftig zu erfüllen.


Russland, USA

Russland konnte trotz wirtschaftlicher Einbrüche durch die Krise 2008 und Produktions-Stagnation aufgrund des Verfalls des Erdöl- und Erdgaspreises sowie seiner Abhängigkeit vom Rohstoffexport während Putins dritter präsidialer Amtszeit seit 2012 strategischen Boden gutmachen. Es erhöhte seine Militärausgaben in den vergangenen zehn Jahren stetig auf das Doppelte, von 2005 noch 43,6 auf 2015 91,08 Mrd. Dollar (de.statista.com). Russland trat an seiner westlichen Grenze mit dem nationalen Anschluss ("Annexion") der als Seestützpunkt geopolitisch bedeutenden Krim 2014 sowie der Unterstützung separatistischer russischer Kräfte im bewaffneten Konflikt in der Südostukraine der NATO-Osterweiterung entgegen. Russland kann militärisch wiedererstarkt binnen weniger Tage mehrere tausend Soldaten an seine Westgrenzen mobilisieren. Konkret bedroht fühlt sich Russland vom in Polen und Rumänien installierten strategischen US-Raketenabwehrschirm (mit Befehlszentrale in Ramstein/Rheinland-Pfalz), der Russlands atomare Zweitschlagsfähigkeit unterläuft. Mit seinem militärischen Auftreten als Verbündeter des al-Assad-Regimes im syrischen Bürgerkrieg mischte sich Putin aktiv in den Antiterrorkrieg ein, pochte auf seinen einzigen Marinestützpunkt im Mittelmeer im syrischen Tartus, errichtete bei Latakia einen zusätzlichen Luftwaffenstützpunkt und unterstrich seinen Anspruch auf eine neue Rolle als weltpolitischer Akteur. In Russland allerdings auf der Weltbühne außenpolitisch eine "antiimperialistische Kraft" gegen die USA zu sehen, wie es z. B. einige Vertreter der DKP gerne sähen, ist eine völlige Verkennung der russischen Rolle und Ziele. Die gegenseitigen Sympathien von Putins neuem Imperium und europäischen Rechtspopulisten wie dem Front National, UKIP (GB) oder der deutschen AfD sind zu augenfällig.

Unter der zu Ende gehenden 2. Regierung Barack Obama haben die USA (Militärbudget 5 % vom BIP; ca. 625 Mrd. Dollar = 40 % der Weltmilitärausgaben) eine Verschiebung ihrer Hauptpräsenz vom atlantisch-mittelmeerischen auf den pazifischen Raum vorgenommen. Europäische NATO-Mächte, darunter vor allem Großbritannien, Frankreich und die BRD, sollen hier verstärkt entlastendes Engagement zeigen und sich mehr einmischen. Nach wie vor sind die USA mit elf Atomflugzeugträgerflotten auf nahezu allen Weltmeeren präsent. Sie sind neben ihrer großen nuklearen U-Boot-Flotte und den strategischen Atombombern das kostspielige militärische Rückgrat ihrer Weltmacht, dessen Unterhalt allein elf Mrd. Dollar jährlich verschlingt. Die USA müssten "überall auf der Welt führen", so der Friedensnobelpreisträger Barack Obama und Ziehsohn des USA-Weltmacht-Strategen Zbigniew Brzezinski in einer Ansprache 2014 vor Kadetten der Eliteakademie Westpoint. Beflissen erklärte gerade im Juni US-Verteidigungsminister Ashton Carter auf seine große Zahl Verbündeter und Partner dort bauend, dass das US-Militär trotz massiv betriebener Modernisierung der chinesischen Streitkräfte "auf Jahrzehnte hinaus" die Oberhand im asiatisch-pazifischen Raum wahren werden (zit. nach ES&T, 8/2916). Man sieht sich durch die wirtschaftliche Expansion Chinas und seine konventionelle wie atomare Aufrüstung herausgefordert, sich als pazifische Ordnungsmacht mit Verbündeten wie Australien, Neuseeland, Taiwan, Südkorea und Japan an der Seite dem entgegenzustellen. Im Nordosten Australiens wird zur Zeit ein US-amerikanischer Militärstützpunkt mit 2.500 SoldatInnen errichtet. Gemeinsam mit den genannten Verbündeten wird eine abgestufte ökonomisch-militärische Strategie der "Eindämmung" (AFTA-Freihandelszone) verfolgt und gegenüber China ein militärischer Abwehrschirm errichtet. Auf die USA und Russland entfällt derzeit das Gros von 90 % der noch immer rund 16.000 bereitgehaltenen Atomsprengköpfe.


Deutsche Rüstungsexporte

Deutschland ist wie die Niederlande, Belgien, Italien und Türkei lediglich von den USA kontrollierter atomarer Teilhaberstaat (20 von 180 US-Atomsprengköpfe in Europa lagern unter US-Verschluss in Büchel, einsetzbar von deutschen Tornado-Kampfbombern aus). Die Übungskapazitäten der Bundeswehr in Manövern wurden noch unter den Verteidigungsministern Scharping bis de Maiziére, als der "Sicherheitspartner" Russland kein erklärter Feind im Osten mehr zu sein schien, kein Warschauer Pakt mehr existierte, immer weiter zurückgefahren. Schweres Gerät, vor allem Leopard 2-Panzer und der alte Schützenpanzer Marder, wurden reihenweise eingemottet oder ins Ausland (Polen, Türkei) verkauft. Von ehedem noch 4.600 Panzern im Kalten Krieg, sind gerade noch 220 übrig geblieben, deren Bestand jetzt wieder um 100 erhöht werden soll. Der geplante Verkauf von 200 Leopard 2 an Saudi-Arabien wurde 2015 wegen der akuten Krisenlage (Saudi-Arabien im Krieg mit der Fraktion der Huthi-Rebellen im Jemen) zunächst gestoppt. Das kleine Ölscheichtum Katar mit nicht einmal 1 Mio. Einwohnern, das im jemenitischen Bürgerkrieg mit 1.000 Soldaten Unterstützer auf Seiten des Golf-Kooperationsrates zugunsten des vertriebenen ehemaligen Präsidenten Salih ist, soll aufgrund einer Vereinbarung noch aus schwarz-gelben Koalitionszeiten 2013 62 Leopard 2-Kampfpanzer und 24 Panzerhaubitzen erhalten (Wert: 2 Mrd. Euro). Da bei Ausfuhrstopp eine empfindliche Schadensersatzklage des Panzerbauers Krauss-Maffei droht, bleibt Rüstungs-Wirtschaftsminister Gabriel wohl nichts anderes übrig als zuzustimmen. Der deutsche Rüstungsexport (5. Position im Weltranking) ist wieder deutlich angestiegen, von 2014 3,87 Mrd. auf 2015 7,86 Mrd. Euro.


Friedensbewegung totgeschwiegen

Von den bedeutenden bürgerlichen Medien und bekannten populären TV-Talkrunden wird die Friedensbewegung hierzulande weitgehend ignoriert und links liegen gelassen. Der Frieden wird sowohl als Theorie, wie politische Strategie wie als Wissenschaft der Friedens- und Konfliktforschung totgeschwiegen. Es existiert von den beiden bestehenden Bündnissen Bundesausschuss Friedensratschlag (Kassel) und Kooperation für den Frieden (Bonn) mit weit über hundert Gruppen, Initiativen und Organisationen ein Katalog ständig ergänzter und überarbeiteter Schwerpunkte, Themen- und Länderdossiers, an denen sich Friedenspolitik, so es aus Berlin eine gäbe, alternativ orientieren könnte. Für die mitregierende SPD ist Friedenspolitik gerade in Zeiten Großer Koalition kein Thema. Die zur liberalen BürgerInpartei mutierten Grünen haben sich bis auf Reste um MdB Ströbele schon lange aus dem Spektrum der Friedensbewegung verabschiedet. Statt wie früher noch ein friedenspolitisches gibt es nur noch ein verteidigungspolitisches SprecherInnenamt. Im Verteidigungsausschuss des Bundestages nicken grüne VertreterInnen die Rüstungsvorhaben der Bundeswehr zumeist unkritisch ab und im Bundestag stimmt eine Mehrheit grüner Abgeordneter beschlossenen Militäreinsätzen meistens zu. Einzig die oppositionelle Partei Die Linke erweist sich noch als parlamentarische Fürsprecherin von Friedens- und Antikriegspositionen. Derzeit wird von Friedensorganisationen gemeinsam für den 8. Oktober eine zentrale Demonstration in Berlin vorbereitet (www.friedensdemo.de), die unter dem Aufruf "Die Waffen nieder - Kooperation statt NATO-Konfrontation - Abrüstung statt Sozialabbau" zu einer eindrucksvollen Kundgebung gegen Krieg, Kriegsplanung und Aufrüstung werden soll.


® EK/HB, 11.9.2016


Materialien/Quellen:

- "Ausdruck". Magazin der Informationsstelle Militarisierung. Ausgabe 4/August 2016

- Bundesministerium der Verteidigung (Hg.): Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr. Berlin, Juni 2016

- Europäische Sicherheit & Technik (ES&T), Heft 8, August 2016

- Informationsstelle Militarisierung (IMI) / DFG-VK (Hrsg.): Die 360° NATO: Mobilmachung an allen Fronten. Tübingen, Juni 2016
(www.imi-online.de)

- Kooperation für den Frieden (Hrsg.): Unsere Antwort auf das "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr". Friedenspolitische Forderungen und Perspektiven. Positionspapier. Berlin/Bonn, 13.7.2016, 11 S. (www. koop-frieden.de)

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 193 - Herbst 2016, Seite 1 + 3 bis 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2016

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