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AUFBAU/222: Cash und Care - der kleine Unterschied


aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Cash und Care - der kleine Unterschied

ARBEITSTEILUNG - Wie kommt es, dass sich die alten Geschlechterrollen - trotz gegenteiliger Tendenzen - so hartnäckig halten? Wir verfolgen die Frage zu ihrem Ursprung.


(ag/akfk) Viele meinen, es werde bei uns mehr bezahlte als unbezahlte Arbeit geleistet. Dies stimmt tatsächlich - für die Männer, nicht aber für die Mehrheit proletarischer Frauen. In der Schweiz wird jährlich 8,4 Milliarden Stunden unbezahlt und nur 7 Milliarden Stunden bezahlt gearbeitet. Rund 80% der unbezahlten Arbeiten erledigen Frauen. Familien mit egalitärer Aufteilung von Erwerbs- sowie Haus- und Familienarbeit machen einen Anteil im Ein-Prozent-Bereich aus. Gemäss Bundesamt für Statistik(1) würde es 270 Milliarden Franken kosten, müsste die unbezahlte Arbeit berappt werden. Ein Hauptteil dieser Arbeit entfällt auf das Sorgen und Versorgen von Menschen, in der feministischen Ökonomie Care-Arbeit genannt.


Care ohne Cash

Die unbezahlte Care-Arbeit zu definieren ist nicht ganz einfach: sie ist zeitlich schlecht abgrenzbar; sie hat nicht immer ein klar definierbares Produkt; Emotionen und zwischenmenschliche Beziehungen sind Teil der Tätigkeit; sie ist geprägt von hohem Kommunikations- und Organisationsbedarf. Sie ist ökonomisch nur begrenzt optimierbar, da beispielsweise Tätigkeiten wie zuhören oder Gespräche führen nicht beliebig beschleunigt werden können. Sie ist auch nicht auf unbegrenzt viele Personen verteilbar, ohne entscheidend an Qualität einzubüssen.

Wie kommt es, dass ein bedeutender Bereich der Ökonomie eine minderwertige und untergeordnete Stellung hat, obwohl es sich hier um die unmittelbare Versorgung von Menschen handelt und der grössere Teil der Gesamtökonomie ausmacht? Wie kommt es, dass jener Teil der Ökonomie, bei dem es um die Erwirtschaftung von Profit für eine kleine Eigentümerklasse geht, eine solch dominante und übergeordnete Position hat?

Und wie kommt es, dass trotz stets steigender Erwerbstätigkeit und ökonomischer Unabhängigkeit der Frauen, sich diese für die Reproduktionsarbeiten(2) verantwortlich fühlen bzw. verantwortlich gemacht werden?


Spontane Arbeitsteilung

Bekanntlich ist das Patriarchat viel älter als die kapitalistische Gesellschaft. Die bürgerliche biologistische Meinung will uns weis machen, dass die Unterordnung der Frau naturbedingt (oder gottgegeben) sei und dass der "starke Mann" die "verletzliche Frau" beschützen soll.

Die marxistische Analyse sieht die Ursachen der Frauenunterdrückung als Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung.

"Jede gesellschaftliche Unterdrückung liegt letztlich in der Stellung, die der Unterdrückte im Produktionsprozess einnimmt, begründet. Wenn wir also von einer besonderen Unterdrückung der Frau sprechen, so muss sich dies auch auf eine spezifische Funktion im gesellschaftlichen Produktionsprozess zurückführen lassen."(3) 

Gestützt auf Engels, Marx und Bebel zeigt Karin Bauer auf, wie die Entstehung der Frauenunterdrückung mit der Auflösung der Urgesellschaft und dem Übergang in eine Klassengesellschaft zusammenfällt. Auch neue Untersuchungen zur historischen Entwicklung haben keine nennenswert anderen Ergebnisse hervorgebracht.


"Die erste Teilung der Arbeit ist die von Mann und Weib zur Kindererzeugung."

Karl Marx


Bereits in der klassenlosen Urgesellschaft entstand eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die "naturwüchsige" oder spontane Arbeitsteilung. Zuvor allerdings spielten Frauen weitgehend dieselbe soziale Rolle wie Männer. Sie gingen auf die Jagd, kämpften als Kriegerinnen und waren in sexuellen Beziehungen gleichberechtigt. Die biologische Funktion der Frau hemmte diese nur einen kurzen Zeitraum rund um die Geburt in ihrer sozialen Funktion. Alle Tätigkeiten, die mit der Mutterschaft zusammenhingen, wurden von der Stammesfamilie kollektiv erledigt. Erst im Verlauf von ökonomischen Errungenschaften und einer relativen Sesshaftigkeit fiel der Frau durch Gebärfähigkeit und Stillen die Versorgung der Kinder, das Hüten des Feuers und des Hauses zu. Der Mann nahm vermehrt Funktionen ausser Haus wahr. Trotz dieser Arbeitsteilung bestand noch keine Herrschaft. Die Arbeiten waren zwar je nach Geschlecht unterschiedlich, doch beide waren gesellschaftlich gleichwertig, denn beide produzierten verschiedene, aber gleichsam notwendige Gebrauchswerte.


Die Entstehung der Warengesellschaft

Durch die Entwicklung der Viehzucht und des Ackerbaus wurde die Produktivität stark gesteigert. Zum ersten Mal in der Geschichte war es möglich, mehr zu produzieren als für die unmittelbare Reproduktion der Gesellschaft nötig war. Nunmehr wurden nicht alle produzierten Güter sofort verzehrt, ein Teil konnte als Vorrat angelegt werden. Die Grundlage für die Entwicklung des Privateigentums und des Tauschhandels war geschaffen. Der Mann - die Frau war durch die naturwüchsige Arbeitsteilung ans Haus gebunden - begann, die angehäuften Vorräte mit anderen Stämmen zu tauschen und sich anzueignen. Dies führte dazu, dass gewisse Güter zusätzlich zu ihrem Gebrauchswert einen Tauschwert bekamen.

Von diesem Zeitpunkt an wurde der Tausch immer wichtiger und mit ihm auch der Warencharakter der Dinge und die Bedeutung des Tauschwerts. Es entstand ein Gefälle zwischen Dingen mit "blossem" Gebrauchswert und solchen mit Gebrauchs- und Tauschwert. Als Konsequenz davon sank die gesellschaftliche Wertschätzung der Frau, weil sie mit der Kindererziehung und der Familienarbeit hauptsächlich Gebrauchswerte schuf. Ihr war es nur beschränkt möglich, an der Warenproduktion und am Tausch teilzunehmen.


Die "welthistorische Niederlage"

Mit allen grundlegenden Änderungen der Produktionsverhältnisse ändern sich auch die sozialen Beziehungen der Menschen. Eine der Folgen der Entstehung von Privateigentum und Warenproduktion war der Sturz der matrilinearen Verwandtschaftsfolge(4), was von Engels als die "welthistorische Niederlage des weiblichen Geschlechts"(5) bezeichnet wird. In den urgesellschaftlichen, geschlechtssymmetrischen Gesellschaften existierten keine engen Familiengrenzen und die Zugehörigkeit wurde über die Mutter geregelt. Das entstandene Mehrprodukt, welches in einer langen Entwicklung zum Privateigentum des Mannes geworden war, verlangte nach legitimen Erben und so trat an die Stelle der Matrilinearität die patriarchale Familie.

"Patriarchat, Vielehe, Kaufehe, Monogamie kennzeichnen eine Entwicklung, in der die Frau immer grössere Bereiche ihrer früheren sozialen und politischen Rechte an den Mann abtreten musste. Dies entsprach ihrer sinkenden Bedeutung in der Produktion der sich entwickelnden Warengesellschaft."(6) 

Noch heute, im Kapitalismus, finden wir die gleiche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Familienstruktur wieder, obwohl deren objektive Notwendigkeit schon lange durch die technologischen Entwicklungen aufgehoben wurde. Der Kapitalismus hat ein direktes Interesse an dieser Struktur festzuhalten. Die unbezahlte Reproduktionsarbeit der Frauen produziert gratis und verantwortungsbewusst die kostbarste aller Waren: die Ware Arbeitskraft. Auch wenn dies eine wertvolle Ware ist, nützt das der Frau nicht viel, denn im Kapitalismus wird nicht die Bereitstellung der Arbeitskraft, sondern nur ihr direkter Einsatz im Produktionsprozess bezahlt.

Folglich wird der Kapitalismus die Frauenunterdrückung nicht beenden können, denn seine Logik folgt dem Profit. Er ist angewiesen auf die unbezahlte Arbeit der Frauen, deshalb wird auch auf ideologischer Ebene diese Arbeit nicht als vollwertige Arbeit anerkannt.


Teil und Besonderheit

Aus dem Gesagten wird klar, dass die Entstehung des Geschlechterwiderspruchs mit der Entstehung der Klassengesellschaft eng verknüpft war oder wie Frigga Haug es sagt, dass Geschlechterverhältnisse auch Produktionsverhältnisse sind. Eine Reduzierung allgemeiner Gesellschaftsprobleme auf "Frauenfragen" müssen wir als Produkt von Herrschaftsideologie entlarven. Die Diskussion über Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Frau greift zu kurz. Solange eine Gesellschaft die Frage ihrer Reproduktion nicht gesellschaftlich und auf einem hohen qualitativen Niveau geregelt hat, wird die Frauenbenachteiligung fortbestehen. Anderseits sollen alle Menschen in der Reproduktions- oder Care-Arbeit ihre sozialen Interessen und Fähigkeiten entwickeln können, genauso wie niemand von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sein soll. Die Verknüpfung der Bereiche muss notwendige Grundlage einer emanzipatorischen Politik sein. Die Geschlechterrollen sind für Frau und Mann zur Fessel geworden. Die Trennung von Produktion und Reproduktion, von Privat und Öffentlich, von Frauen- und Männerarbeit, von Hand- und Kopfarbeit, von Ökonomie, Politik und Kultur, muss aufgehoben werden. Erst wenn sich alle in die wichtigen Bereiche der Gesellschaft einmischen, kann die Entwicklung jedes Einzelnen die Entwicklung aller voranbringen.

Diese Ziele sprengen allerdings den kapitalistischen Rahmen. Darum sind frauenemanzipatorische Ziele ohne die Überwindung der Klassengesellschaft eine Illusion. Darum muss der Frauenkampf als Teil und Besonderheit des Klassenkampfes gehandelt werden: und ist der Geschlechterwiderspruch nicht Nebenwiderspruch sondern Teil und Besonderheit des Grundwiderspruchs.

"mit der Teilung der Arbeit, ... welche ihrerseit auf der naturwüchsigen Teilung der Arbeit in der Familie ... beruht, ist zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche ... Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum, das in der Familie, wo die Frau und die Kinder die Sklaven des Mannes sind, schon seinen Keim, seine erste Form hat.

... mit der Teilung der Arbeit ist die Möglichkeit, ja die Wirklichkeit gegeben, dass die geistige und materielle Tätigkeit, dass der Genuss und die Arbeit, Produktion und Konsumtion, verschiedenen Individuen zufallen, und die Möglichkeit, dass sie nicht in Widerspruch geraten, nur dann liegt, dass die Teilung der Arbeit wieder aufgehoben wird."

Karl Marx


Anmerkungen:
(1) Caritas: Sozialalmanach 2009
(2) Wir benutzen den Begriff Reproduktionsarbeit, um jene Arbeit zu bezeichnen die notwendig ist, um die Arbeitskraft der Arbeiterinnenklasse zu reproduzieren, also Hausarbeit, Kindererziehung, Pflegetätigkeiten.
(3) Karin Bauer: Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung, S. 21
(4) Über die Mutterlinie bestimmte Verwandtschaftsfolge
(5) Friedrich Engels: Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates
(6) dito


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009, Seite 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2009