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AUFBAU/225: Um Nepals Zukunft wird auf allen Ebenen gekämpft


aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Um Nepals Zukunft wird auf allen Ebenen gekämpft

NEPAL - In Nepal spielen sich derzeit Klassenkämpfe auf allen Ebenen ab.
Trotz Rückschritten bleibt ein Sieg der revolutionären Kräfte möglich.


(agkk) 2006 wurde der während eines Jahrzehnts von der CPN(M) geführte Volkskrieg zugunsten eines Friedensprozesses beendet. Dieser beinhaltete die Fusion der maoistischen Volksbefreiungsarmee (Peoples Liberation Army, PLA) mit der königlichen Armee, die Auflösung der Organe der Volksmacht in den befreiten Zonen sowie Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Versammlung. Der revolutionäre Aufbau stand diesem Vorgehen skeptisch gegenüber und schloss sich der solidarischen Kritik der indischen GenossInnen der CPI(Maoist) an(1). Diese besagte, dass eine Zusammenarbeit mit den parlamentarischen Kräften nicht möglich sei, weil diese entgegengesetzte Klasseninteressen vertreten würden. Mit der Verschmelzung der PLA mit der königlichen Armee und der Auflösung der Organe der Volksmacht stünde das Volk einer reaktionären Offensive schutzlos gegenüber. Würde alles bisher erreichte verloren gehen?


Wahlsieg der MaoistInnen

Seither sind zweieinhalb Jahre vergangen und in Nepal hat sich einiges ereignet. Die lokalen Organe der Volksmacht, wie die Volksgerichte und die Volksmilizen, wurden mehrheitlich aufgelöst. Erfreulicherweise lässt jedoch die Fusion der beiden Armeen auf sich warten. Die PLA wurde auch nicht entwaffnet und die Uno-Mission, seit Anfang 2007 im Land, hat nur den Charakter einer Überwachungstruppe. Im April 2008 fanden die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung statt. Die überragende Siegerin hiess CPN(M). Sie eroberte mehr als einen Drittel aller Sitze. Der Nepali Congress eroberte als zweitstärkste Kraft nicht einmal halb so viele Sitze. Dadurch konnte die CPN(M) mit anderen Parteien zusammen die neue Regierung bilden. Der wichtigste Koalitionspartner ist die CPN(UML)(2).

Unsere schlimmsten Befürchtungen einer unmittelbaren Konterrevolution sind also nicht eingetreten. Allerdings gibt es auch klare Anzeichen dafür, dass ein friedlicher Übergang zum Sozialismus nicht möglich ist.


Die Staatsarmee rekrutiert...

So gab es in den letzten Monaten Streitereien um Rekrutierungen in beide Armeen. Angefangen hatte es zu Beginn dieses Jahres. Die ehemals königliche Armee - sie nennt sich nun nepalesische Armee - kündigte an, ca. 3000 neue Soldaten zu rekrutieren. Den Befehl des Verteidigungsministers der CPN(M), dies zu stoppen, ignorierte sie.

Ihr Chef Katawal hat diesen Posten bereits unter dem König inne gehabt und somit den Volkskrieg bekämpft. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass er sich der demokratisch legitimierten Regierung widersetzt. Viel lieber unterhält er sich mit militärischen Grössen imperialistischer Mächte, wie zum Beispiel dem "Commander in Chief of the British Army General Sir David Richards" oder er trifft seinen alten Vorgesetzten, den 2008 abgesetzten König Gyanendra. Beides Personen, welche sich mit Sicherheit gegen einen sozialistischen Wandel in Nepal stellen. Es scheint also, dass die vom Volk gewählte Regierung keinen Einfluss auf die nepalesische Armee hat.


... die Volksbefreiungsarmee auch

Anfang März hat nun auch die PLA etwa 12.000 Neurekrutierungen angekündigt. Das ist genau die Anzahl, welche sie auf Betreiben der UNMIN(3) letztes Jahr aus dem Dienst entlassen hatten - die meisten davon, weil sie noch nicht 18 Jahre alt waren. Damals schrumpfte die PLA um ein Drittel auf etwa 19.000. Nun soll wieder die ursprüngliche Grösse von mehr als 30.000 hergestellt werden, so die Begründung der PLA Führung. Allerdings ist es wohl eher eine Reaktion auf die Einstellungen der nepalesischen Armee. Zwischen den bewaffneten Kräften scheinen also die Fronten klar abgesteckt zu sein. Unklar ist allerdings, wo sich Teile der Parteiführung, allen voran der Parteivorsitzende und Premierminister Prachanda, positionieren. Der hat sich nämlich von Anfang an öffentlich gegen die Rekrutierungen der PLA ausgesprochen und versprochen, er werde sie unterbinden. Dies jedoch missachtete die PLA-Führung und fuhr unberirrt fort. "Die PLA wird die Rekrutierungen nicht mal dann stoppen, wenn der Parteivorsitzende und Premierminister Pushpa Kamal Dahal höchstpersönlich den Befehl gegen die Neueintritte gibt", liess der Kommandant der siebten Division verlauten. "Nicht einmal Genosse Prachanda kann uns stoppen."

Das uneinheitliche Auftreten der MaoistInnen kann unterschiedlich interpretiert werden. Einerseits könnten die Aussagen von Prachanda ein Lippenbekenntnis sein, um die bürgerliche Öffentlichkeit und die "internationale Gemeinschaft" zu beschwichtigen; hinter geschlossenen Türen würde er aber die Vorgehensweise der PLA befürworten. Trifft dies zu, so ist es fraglich ob dies eine kluge Taktik ist, kann sie doch zu viel Verwirrung führen. Es sprechen allerdings auch handfeste Tatsachen gegen diese Version. So wissen wir, dass es auch zur Frage der Fusion beider Armeen unterschiedliche Meinungen in der Partei gibt. Folglich sind auch die Differenzen zu Neurekrutierungen gut möglich. Zudem lässt folgendes Zitat von Prachanda aufhorchen: "Ich kann die PLA-Kommandanten nicht anweisen, die Rekrutierungen zu stoppen in meiner Funktion als Vorsitzender der CPN(Maoist), weil die PLA nun der Regierung und dem AISC unterstellt ist." Das AISC(4) ist aber nur ein Gremium, das die Fusion der beiden Armeen vorbereiten soll. Die PLA ist weiterhin der CPN(M) unterstellt. Angesichts der Zusammensetzung des AISC - auch der Nepali Congress ist darin vertreten - ist es äusserst bedenklich, dass Prachanda ihm verbal das Kommando über die PLA zuspricht.


Klare Fronten

Die Aufstockungen auf beiden Seiten zeigen, dass sie unterschiedliche Klasseninteressen vertreten. Weitere Indizien dafür sind die Befehlsverweigerung der Führung der nepalesischen Armee und ihre Treffen mit ausländischen Militärs. Unsere Überlegungen, die wir zu Beginn des Friedensprozesses geäussert hatten, sind somit diesbezüglich bestätigt: Durch Wahlen kann der Charakter eines derartigen Machtorgans nicht geändert werden.

Die Reaktion der PLA ist hingegen ein positives Zeichen. Denn im bisherigen Verlauf des Friedensprozesses haben die Maoisten schon viel an realer Gegenmacht aufgegeben. So hatten sie am Ende des Volkskrieges 80% der Landesfläche unter ihrer Kontrolle. In diesen Gebieten gab es Organe der Volksmacht, wie Volksgerichte oder die Volksmiliz. Die PLA ist folglich das wichtigste verbleibende Machtorgan. Ihre Stärke zu erhalten ist unserer Meinung nach deshalb äusserst wichtig.


Machtkämpfe oben

Was bei aller Kritik an Prachanda nicht ausser Acht gelassen werden darf, sind die Umstände, in denen sich seine Regierung bewegt. So versuchte der Nepali Congress seine Koalition von aussen zu spalten, indem er den ehemaligen Generalsekretär der CPN(UML) als neuen Premierminister einer alternativen Regierung vorschlug. Mitte Februar erteilte jedoch der Generalkonvent der CPN(UML) diesem Versuch die Koalition zum scheitern zu bringen mit knapper Mehrheit eine Absage. Auf den Sekretär vom Premierminister, ein Politbüromitglied der CPN(M), wurde gar ein Mordanschlag verübt, der glücklicherweise misslang(5). In diesem Umfeld ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ausarbeitung einer neuen Verfassung kaum Fortschritte macht.

Eine Beurteilung, was die Regierung positives bewirken kann fällt uns schwer. Wir verneinen nicht, dass die Arbeit auf Regierungsebene durchaus ein Teil der Taktik sein kann. Allerdings müssen Klassenkämpfe an der Basis das zentrale Element sein.


Klassenkämpfe von unten

Trotz des Wahlerfolgs und des Regierungseinzugs haben die Menschen an der Basis das Kämpfen nicht verlernt. Es finden noch immer zahlreiche Klassenkämpfe im ganzen Land statt. So machen sich maoistische Gewerkschaften immer wieder durch Aktionen bemerkbar. Letzten November wurden 60 Unternehmen im wichtigsten Industriegebiet Nepals durch Streiks dazu gezwungen, die Produktion zwischenzeitlich einzustellen. Ein Tochterunternehmen eines indischen Kosmetikkonzerns wurde mit der Forderung nach 10% mehr Lohn bestreikt. Zudem wurden die von ihr gesponserten Miss-Nepal-Wahlen von MaoistInnen mit einem Boykottaufruf bekämpft. Es finden auch zahlreiche weitere Kämpfe im ganzen Land statt, so zum Beispiel von der Jugend oder den StudentInnen. Auch in den ländlichen Gebieten ist es nicht ruhig. Es gibt vereinzelt Berichte über noch aktive Volksgerichte und Landbesetzungen, die durchgeführt werden.


Offener Ausgang

Abschliessend lässt sich sagen, dass die Kritik am aktuellen Kurs der Partei berechtigt ist. Die Vorteile der demokratischen Republik - im Vergleich zu einer neuen Demokratie - sind für uns nicht ersichtlich. Allerdings kann aus heutiger Sicht auch nicht von einem Scheitern die Rede sein. Die laufenden Kämpfe zeugen vielmehr von einem nach wie vor vorhandenen Klassenbewusstsein an der Basis. Der Ausgang des Kampfes um die Macht in Nepal ist deshalb offen. Ein weiterhin aufmerksamer Blick in Richtung Himalaya ist notwendig.


Anmerkungen:
(1) "Mit der gegenwärtigen Taktik ist Vorsicht geboten", aufbau Nr. 46
(2) Communist Party of Nepal (United Marxist Leninist), revisionistisch orientiert
(3) United Nations Political Mission in Nepal
(4) Army Integration Special Comittee
(5) "The unravelling in Nepal", indianexpress.com 17.2.2009


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009, Seite 14
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009