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AUFBAU/251: Die Katrina der Karibik


aufbau Nr. 60, März/April 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die Katrina der Karibik


HAITI - Nach dem Erdbeben in Haiti betreibt die US-Armee einen Katastrophen-Imperialismus, ähnlich wie nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans. Der Wiederaufbau des Landes unter dem Diktat des internationalen Kapitals bedeutet verschärfte Bedingungen für das Proletariat, die städtischen Armen und die Bäuerinnen.


(az) Auch mehr als zwei Monate nach dem Erdbeben bleiben die Ausmasse der Katastrophe in Haiti unfassbar und unabschätzbar. Laufend werden die Zahlen der Todesopfer und der Verletzten nach oben korrigiert. Das Erdbeben vom 12. Januar hat Menschenleben ausgelöscht wie nur ganz wenige Ereignisse in den letzten Hundert Jahren. Was angesichts des immensen Leids als internationale Hilfe daherkam, war aber in Wirklichkeit eine militärische Besetzung unter Führung der US-Armee. Statt Krankenbetten kamen Kanonen.

"Es gibt auf jeden Fall wichtige Unterschiede, aber in manchen Punkten verhält sich das US-Militär wie beim Hurrikan Katrina in New Orleans", sagt Dieter Drüssel vom Zentralamerika Sekretariat in Zürich. Er weist darauf hin, dass das Army Corps of Engineering, eine im Irak erprobte Koordinationsstelle für den Wiederaufbau, ganz ähnlich wieder Grossaufträge vergibt wie in New Orleans. Noch etwas anderes ist gleich: Die Propagandaoffensive, die aus traumatisierten Opfern brandschatzende Bestien machte. Die rassistische Kampagne bedeutet nicht nur beispielloser Hohn angesichts der Solidarität und der Selbstorganisation der haitianischen Bevölkerung. Das Stereotyp beruht auch auf einem uralten Bedrohungsbild der Imperialisten: der Gefahr, die von einem Land ausgeht, in dem SklavInnen es einst gewagt hatten sich selbst zu befreien. Ein Armeesprecher meinte, man wolle eine Situation wie in Somalia vermeiden. Dort hatte eine gedemütigte US-Armee die militärische Kontrolle über einen "humanitären Einsatz" verloren. So bevorzugte in Haiti die US-Armee systematisch Militärmaschinen vor Flugzeugen mit Hilfsgütern. Wie die NGO Partners in Health meldete, starben wegen der unterlassenen Hilfeleistung 20.000 Menschen pro Tag.

Es geht der Armee auch, aber nicht nur, darum Flüchtlingswellen in die USA zu verhindern. Der Wiederaufbau wird mit gewaltigen Umsiedlungen innerhalb des Landes vorbereitet. Hillary Clinton lobt ausdrücklich die Pläne zur "Dezentralisierung", welche die Regierung unter Jean-Max Bellerive verfolgt. Damit soll die Gefahr von Aufständen gebannt werden, wie sie nach den Preissteigerungen im Jahr 2008 entbrannt waren. Zudem bestehen seit über einem Jahr Pläne, die Wirtschaft Haitis umzukrempeln. Und dazu kommen die Deportationen gerade recht. Ein Vorschlag den der britische Ökonom Paul Collier für die Uno ausgearbeitet hat, geht dahin, Sonderwirtschaftszonen einzurichten, in denen die Bekleidungsindustrie angesiedelt werden kann. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Umsiedlung in zukünftige Arbeitslager für diese Sweatshops gipfeln wird. Der für die Exportindustrie wichtige Hafen soll privatisiert werden, wie auch das Elektrizitätsnetz, das nötig ist, um die Fabriken zu versorgen.

Die Bekleidungsindustrie ist arbeitsintensiv. Armut wird da flugs zum Standortvorteil erklärt: "Weil Haiti so arm ist", schreibt Collier, "und einen relativ unregulierten Arbeitsmarkt hat, ist das Land in Sachen Lohnkosten voll konkurrenzfähig mit China, das die globalen Massstäbe setzt". Hungerlöhne begeistern einen bürgerlichen Ökonomen. Nur müssen, so Collier weiter, die haitianischen ArbeiterInnen noch gezwungen werden, in drei Schichten und 24-Stunden-Betrieb zu malochen. Das verhindern im Moment noch Gesetze. Was schleunigst zu ändern sei, findet Collier. Das Konzept des Ökonomen findet bei imperialistischen Vordenkern Anklang. Ein Kolumnist der "New York Times" preist als Vorbild für den wirtschaftlichen Aufschwung in Haiti die Textilindustrie von Bangladesch (nach Haiti eines der ärmsten Land der Welt).

Ein anderer Punkt ist der Anbau von Mangobäumen. Aufforstung klingt gut bei einem Land, dessen verheerende Abholzung durch die von der Befreiung 1804 bis zum Jahr 1947 dauernden Tributzahlungen an Frankreich und von ausländischen Holzkonzernen betrieben wurde. Aber die Mangobäume sollen weniger vor der Bodenerosion schützen, als die Landwirtschaft für den Exportbetrieb zurichten und damit vom Weltmarkt abhängig machen. Mit der Planung von Monokulturen einher geht eine Bodenreform, für die eine Sonderjustiz eingerichtet wird. Ausländische Investoren wollen schliesslich ihren Anteil am Land auf sicher haben. Der Moment dazu ist günstig in einem Land, das gegenwärtig keine nennenswerte Linke kennt, ausgeblutet und traumatisiert ist.


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Redaktion

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Quelle:
aufbau Nr. 60, März/April 2010, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2010