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AUFBAU/324: Occupy featuring Klassenkampf


aufbau Nr. 69, mai/juni 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Occupy featuring Klassenkampf



OCCUPY-OAKLAND Boots Riley ist politischer Organisator, Leadsänger der Hip-Hop-Gruppe "The Coup" und Kommunist. In Zürich hat er gesungen und von den Kämpfen in Oakland berichtet.


(az) Boots Riley tourt mit seiner Band "The Coup" durch Europa, er ist sichtlich übernächtigt und abgekämpft vom vielen Reisen. Dennoch ist er im Gespräch entgegenkommend und vorsichtig. Er strahlt Ernsthaftigkeit und Interesse für das Gegenüber aus. Sowas ist selten, insbesondere bei Personen, die aus dem Musik-Business kommen, und besonders bei solchen aus der Hip-Hop-Welt. Doch das macht Boots Riley aus, er ist eine bewusste Person. Als "red diaper baby" geboren, also als Spross einer roten Familie - die alleine Stoff genug für ein Buch liefern würde - war ihm Musik immer auch Mittel zum Zweck, um seine Propaganda unter die Leute zu bringen. Doch das hat auch seine Grenzen. Manchmal hat er einfach genug vom "Musik-Scheiss". Wenn er also gerade nicht im Studio ist, dann betätigt er sich als Aktivist, bis ihm das wiederum zum Hals raushängt und es ihn zurück auf die Bühne und ins Studio zieht. So pendelt er hin und her. Die grosse Konstante in seinem Leben ist der Kommunismus. In den USA, speziell in Oakland, war er bisher ziemlich alleine mit dieser Meinung. Durch Occupy-Oakland, insbesondere durch die militanten Arbeitskampfaktionen (siehe aufbau 68), hat sich das verändert. Der Klassenkampf hat durch sie an Popularität gewonnen. War das Wort Kapitalismus gemäss einer Untersuchung während vier Jahren nur zweimal in den Mainstream-Medien vorgekommen, so hat die Occupy-Bewegung dafür gesorgt, dass der Begriff nun täglich verwendet wird.

Die Rede von 99 gegen 1 Prozent ist für Boots keine Klassenanalyse, aber dennoch die These, die einer solchen bisher am nächsten kommt und dadurch ein Ansatzpunkt. Es gelingt zunehmend zu vermitteln, dass es nicht nur Arme und Reiche gibt, sondern dass es eben diese Armen sind, die den Reichtum produzieren. Diese Entwicklung stimmt Boots hoffnungsvoll für die Zukunft.

Frage: Wie ist es dazu gekommen, dass Du eines der Aushängeschilder von Occupy-Oakland geworden bist?

Boots Riley: Ich war in New York für ein Konzert, dort war gerade die Occupy-Wallstreet-Bewegung losgegangen und ich schaute mir das an. Es interessierte mich nicht. Auch als dann Occupy-Oakland anfing, wollte ich nicht wirklich etwas damit zu tun haben. Allerdings gab es dann die Polizei-Razzia, mir wurde ein Demoaufruf zugeschickt zum weiterleiten. Ich erreiche via Facebook an die 70.000 Personen, ich habe also aufgerufen und auch an der Demo gesprochen. So fing das an. Ich habe dann gemerkt, dass Occupy zwar chaotisch und für mich abstossend ist. Aber das ist wohl der Punkt, der die Leute inspiriert, ihnen die Möglichkeit bietet, sich irgendwie zu beteiligen. Ich habe also mitgemacht, zuerst eher zögerlich mit "The Coup", meiner Band, dann voll und ganz. Wie andere, die sich schon lange als Revolutionäre bezeichnen, war ich skeptisch, aber das beruhte teilweise auf einer falschen Analyse von Occupy. Das ist eine Massenbewegung, keine Organisation und schon gar keine Partei. Unsere Aufgabe als RevolutionärInnen ist es heute, die Sorgen der Leute kennenzulernen und von dort auszugehen. Heute kämpfen alle gegen das System, alle haben ihre Probleme damit. Aber sie tun es alleine. Wir müssen gemeinsam Kampagnen machen zu Themen, die die Leute betreffen, die sie berühren. So kann die Bewegung den Leuten bewusst machen, dass sie kämpfen und gewinnen können. Dass wir so viele waren und dass wir so grosse Erfolge erzielt haben als Occupy-Oakland, das macht die Bewegung so wertvoll. Wir haben Grosses erreicht und das in Oakland, wo niemand ein Selbstwertgefühl hat. Wir denken: "Wenn du aus Oakland bist, hast du sowieso verloren."

Frage: Wie funktioniert das? Wie wird entschieden, dass ein Generalstreik ausgerufen werden soll?

Boots Riley: Wir entscheiden an Vollversammlungen. Das ist ein wenig anstrengend, zumal wir im Moment, am Tiefpunkt der Bewegung, 130 Leute haben. Normalerweise waren jeweils 600 und zu den besten Zeiten an die 3.500. Es ist also schwierig und wir funktionieren über einen "modifizierten Konsens". Vorschläge können mehrfach verändert eingebracht werden und sie müssen nicht zu 100 Prozent Konsens sein, sondern zu 90. Hätten wir Einstimmigkeit angestrebt, dann wäre der Streik nie machbar gewesen. So haben wir ihn gemacht, im Rahmen einer Woche, obwohl viele Angst hatten, dass wir uns übernehmen würden und zuwarten wollten. Aber der Erfolg war durchschlagend, 50.000 Leute waren auf der Strasse, alles war blockiert. Die Leute von Oakland waren begeistert von sich selbst. Alle sagten zueinander: "Wir haben das gemacht. Wir haben die Stadt lahm gelegt!"

Frage: Du sprichst von Kampagnen. Was heisst das konkret?

Boots Riley: Es gibt verschiedene Kampagnen. Einige sind klassenkämpferischer, wie beispielsweise der Generalstreik, von dem wir gerade sprachen und an dem wir den Hafen dicht gemacht haben. Andere sind zur Unterstützung. Wir sind beispielsweise Leuten beigestanden, die von einer Hausräumung bedroht waren. In einem Fall sind wir sogar auf die Bank gegangen und haben für eine Frau den Kredit neu ausgehandelt. Für sie hat es übrigens in Zürich eine Solidaritätsaktion gegeben. Sie hat vor Freude geweint, als sie die Fotos gesehen hat. Den Hausbesitz zu retten ist weder revolutionär noch progressiv, aber die Leute müssen irgendwo wohnen. Und wir zeigen mit solchen Aktionen, dass wir erfolgreich Druck aufbauen können. Wir können helfen, beispielsweise sind wir bei der Gründung von zwei Gewerkschaften mit dabei, einerseits für prekarisierte ArbeiterInnen, andererseits für die Angestellten von Fast Food-Ketten.

Frage: Wie ist das Verhältnis zwischen Occupy und Gewerkschaften?

Boots Riley: Natürlich sind nicht alle Gewerkschaften gleich radikal, aber unser Verhältnis zu ihnen ist schon alleine deshalb solidarisch, weil Teile der Occupy-Bewegung auch gewerkschaftlich organisiert sind. Das Verhältnis der Gewerkschaften zu uns kann hingegen durchaus zwiespältig sein. Wir radikalisieren ihre Basis teilweise mehr, als sie das wünschen. Die städtischen Angestellten zum Beispiel wollten beim jüngsten Arbeitskonflikt nicht verhandeln, sondern ohne Umschweife Occupy angehen und dann zusammen das Stadthaus besetzen. Es standen viele Entlassungen an, es war eine angespannte Situation, in der die Gewerkschaft dank uns eine grössere Kraft darstellte, gleichzeitig aber Angst vor der Militanz ihrer Mitglieder bekam. Die HafenarbeiterInnengewerkschaft ILWU hat hingegen eine militante Vergangenheit: Sie hat bei Kriegsausbruch gestreikt und sich geweigert Kriegsmaterialtransporter zu löschen. Diese Gewerkschaft hat grosse Freude an uns.

Frage: Ruft ihr denn auf, sich gewerkschaftlich zu organisieren, oder wieso habt ihr diese zwei Gewerkschaften gegründet?

Boots Riley: Gegenwärtig sind nur sieben Prozent der Bevölkerung organisiert. In den USA ist die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft nur für die möglich, die auch Arbeit haben, deshalb rufen wir nicht dazu auf. Aber wo es noch keine Gewerkschaft gibt, weil die Unternehmer es verhindern, da unterstützen wir die Gründung. Eine Fast-Food-Gewerkschaft ist ja keine neue Idee, sie konnte einfach nie durchgezogen werden.

Wir von Occupy-Oakland sind als gewalttätig und zu militant verschrien, das gibt uns die Möglichkeit und die Kraft zu drohen. Wir haben beim Generalstreik gedroht, dass wir jedes Geschäft, das Arbeiter wegen des Streiks entlassen würde, lahmlegen. Jetzt können wir drohen, dass wir jeden Fast-Food-Laden, der Organisierte feuern will, lahmlegen. Das könnte die Gewerkschaft nicht. Und weil diese Fast-Food-Läden Franchising-Betriebe sind, also Kleinunternehmer, die nur grosse Namen benutzen, hat der einzelne Unternehmer normalerweise keine ökonomischen Reserven. Wir wissen genau, wer wie viel pro Tag macht und wie viel es braucht, um ihn zu ruinieren. Damit können wir jenen, die sich organisieren wollen, die Sicherheit geben, die sie nie hatten.

Frage: Was unterscheidet Occupy-Oakland von Occupy-Wallstreet?

Boots Riley: Wir sind da, wo die Leute leben, und spüren die Konsequenzen von dem was wir tun. Ganz anders ist es in New York. Wer dort lebt, ist wahrscheinlich nicht dort geboren und wohnt sicher nicht an der Wallstreet. Die Arbeit dort ist auch eine ganz andere: Dort gibt es nur Banken und Büros. Das führt zu einer anderen politischen Arbeit, die mehr medienorientiert ist. Wir machen das, was die Leute direkt betrifft, uns alle betrifft: die Arbeit, das Wohnen. Auch in New York sollte sich die Bewegung nach Brooklyn oder Queens ausdehnen, dahin wo die Leute sind.

Auch das Camp unterscheidet uns: Wenn es nicht gerade kalt ist, können wir es halten. Bei uns sind viele Obdachlose sehr aktiv, sie gehören teilweise zu den führenden Kräften. Das Camp braucht zwar viel Energie, es ist aber auch notwendig. Es braucht einen Ort, wo die Leute zusammenkommen können.


Boots Riley - Künstler und Kommunist

Boots Riley spricht sich für eine militante Praxis aus. Er möchte dort ansetzen, wo Widerstand das Leben der ProletarierInnen besser machen kann und Erfolge möglich sind. An seiner eigenen Position lässt er aber keinen Zweifel aufkommen. Wer bei seinen Liedern auf den Text achtet, stösst auf "Fünf Millionen Wege einen CEO umzubringen" und der Zuhälter heisst bei ihm Jesus. Gleichzeitig gelingt es ihm, Kitsch aufzuführen und den von der Bühne aus als revolutionär zu verkaufen. Denn schliesslich muss man auch zusammen Party machen und das Leben geniessen, um Revolutionärin sein zu können. Das ist zweifellos auch einer der Gründe, die ihn zum begnadeten Organisator einer Massenbewegung machen. Er stärkt die Leute. Im Herbst werden "The Coup" mit einem neuen Album wieder auf Tournee sein. Wer ihren Auftritt verpasst hat, bekommt also bald eine zweite Gelegenheit Boots Riley und seine Band live zu sehen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, mai/juni 2012, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2012