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AUFBAU/333: Schweizer Asylwesen - Revidieren, Internieren und profitieren


aufbau Nr. 70, sept/okt 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Revidieren, Internieren und profitieren

FLÜCHTLINGE - Das Schweizer Asylwesen ist ein Knastwesen und als solches kostenintensiv. Es kann privatisiert, verschärft und verbilligt werden, aber für den Bund bleibt es teuer. Damit bleibt es auch stets Anlass der Mobilisierung reaktionärer Hetzer und Sparer. Und darum folgt eine Revision auf die andere.




(az) Dauernd werden uns die Millionen-Beträge, die das Asylwesen. verschlingt, um die Ohren geschlagen. Und tatsächlich: Das hiesige Asylwesen ist ein Kuriosum. Kommt eine asylsuchende Person in die Schweiz, so wird sie nach dem ersten Aufnahmeprozedere in einen Kanton verfrachtet, wo sie versorgt und verköstigt wird, solange die Abklärungen laufen. Und dafür zahlt der Bund den Kantonen monatlich ca. 1500 Franken pro Betreuung. Die Kantone mieten zur Unterbringung völlig überteuerte Räumlichkeiten, Personal ohne Ende muss her und der Zahnarzt ist auch noch gratis! Wer das Asylwesen aus dieser Perspektive betrachtet, wird zum Rassisten und stellt sich auf den Standpunkt, die Parasiten sollen doch wieder abhauen. Aber diese Sicht ist grundlegend falsch. Das Geld fliesst nicht in die Taschen der Asylsuchenden, sondern in die Taschen jener, die sich als VermieterIn oder privatisierter Dienstleistungsbetrieb eine goldene Nase damit verdienen. Sie verdrängt auch, dass das ganze, teure Asylwesen einzig und alleine auf der Kontrollwut der Schweizer Bürokratie basiert. Denn wer entscheidet Menschen einzusperren, ist auch verantwortlich für sie und bezahlt. Und das führt zum Aufbau einer Infrastruktur, die jener eines Gefängnisses sehr vergleichbar ist. Es ist die Entscheidung des Staates, lieber für das Essen und die Arztrechnung aufzukommen, als mit dem Risiko eines Kontrollverlustes zu leben. Das würde er nämlich eingehen, wenn er den Asylsuchenden ein selbstbestimmtes Leben zugestehen würde.


Klandestin mit Meldepflicht

Die offizielle Schweiz macht Seltsames, um die Kontrolle zu behalten. Wo sonst gibt es Sans Papiers, die sich täglich melden, um vom Staat Nothilfe zu bekommen? Anderswo leben Illegale klandestin und arbeiten schwarz oder kleinkriminell - was in der Schweiz durchaus auch vorkommt. Denn offen gesagt, kann man hierzulande vom Nothilfeansatz von täglichen acht Franken gar nicht leben. Die einzigen, die gut von der Nothilfe leben, sind die privaten Nothilfezentren. In Zürich fest in der Hand der ORS. Die vom Bund für NothilfeempfängerInnen bezahlte Pauschale ist nämlich ähnlich hoch wie für Asylsuchende, die Ausgaben sind aber tiefer. Einige Container mit Feldbetten, einige schlecht bezahlte Nachtwachen und eben, die besagten acht Franken. Ein Arztbesuch z.B. wird nur im äussersten Notfall bezahlt. Ein einfaches und lukratives Geschäft. Auch die Aufregung über die vielen kriminellen abgewiesenen Asylsuchenden ist eine scheinheilige Debatte, die nur dazu gut ist, den offenen Rassismus zu befördern und das Grundlegende, die gesellschaftliche Stellung der betroffenen Menschen damit mehr schlecht als recht zu verbergen.


Nach der Revision ist vor der Revision

Im Asylwesen jagt eine Revision die andere, noch während das Parlament debattiert, erarbeitet das Bundesamt schon die nächste Verschärfung. Die jetzigen vom Nationalrat angenommenen und vom Ständerat in der Herbstsession zu besprechenden Revisionen scheinen auf eine blosse Provokation weiterer rassistischer Aufruhr angelegt zu sein. So sollen künftig alle AsylbewerberInnen nur noch Nothilfe und nicht mehr Sozialhilfe bekommen; Besagte acht Franken. Das Botschaftsasyl soll abgeschafft werden, ein starkes Stück, bedenkt man, dass sich alle dauernd beklagen, dass die Leute illegal anreisen. Und weil so viele Leute momentan über Italien einreisen, einem gemäss Dublin-Abkommen sicheren Drittstaat, in welchem sie zu bleiben hätten, ist der Nationalrat nun für die Wiedereinführung der Grenzkontrollen zwischen Italien und der Schweiz. Denn Italien zeigt sich wenig kooperativ in der schnellen Rücknahme "ihrer" Dublinfälle.

Dienstverweigerung soll auch kein Asylgrund mehr sein, wahrscheinlich betrachtet der Nationalrat das als Gleichbehandlung der Geschlechter, schliesslich wurden frauenspezifische Fluchtgründe auch noch nie anerkannt. Interessant ist auch, dass mit dem Argument, Asylsuchende dürften sich nicht im Nachherein einen Asylgrund fabrizieren, die politische Meinungsäusserung im Exil verboten wird. Wenn also ein Oppositioneller mit Internetkompetenzen jemand aus der Gruppe der viel gelobten BloggerInnen - den Weg in die Schweiz finden sollte, dann dürfe er hier nicht bloggen, denn solches würde ja seine Rückreise verhindern. Oder auch nicht. Da lässt die Gesetzgebung die Beurteilung von Fall zu Fall offen.

Und ausserdem soll die Härtefallregelung erst nach sieben Jahren geprüft werden können. Diese besagt bisher, dass Nicht-Aufgenommene nach fünf Jahren die Aufnahme beantragen können, wenn sie nachweisen können, dass sie ein Härtefall und gut integriert sind, was schon jetzt den wenigsten gelingt.


Internieren und profitieren

Diese ganzen Verschärfungen gehen nun aber der SVP-Spitze noch nicht weit genug. Sie wünscht sich zusätzlich noch, dass die Rekursmöglichkeiten weiter eingeschränkt werden - werden sie tatsächlich auch, doch die SVP wünscht deren Behandlung durch ein Amt statt durch ein Gericht, was dem Nationalrat wiederum dann doch zu viel ist, da das den Grundsatz der Gewaltentrennung zu sehr verletzt. Noch spektakulärer ist allerdings Brunners und Blochers Forderung nach Internierungslagern für "renitente" Asylsuchende. Man kann sich ja vorstellen, wie das aussehen würde. Die Leitung übernähme die private ORS, der Bund würde weiterhin 1500 Franken Monatspauschale pro Person bezahlen, die Insassen würden zur Zwangsarbeit verplichtet, wie in Internierungslagern üblich - wohl Spargelstechen in der Ostschweiz. Das ergäbe ein blühendes Geschäftsmodell, wäre nach wie vor sauteuer und würde selbstverständlich dazu führen, dass gemäss der Statistik noch mehr Asylsuchende als kriminell eingestuft werden. Für die SVP der Idealfall einer Verschränkung der Möglichkeit zur rassistischen Hetze und Profitmaximierung.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, sept/okt 2012, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2012