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AUFBAU/393: Die vergessenen ArbeiterInnen der Landwirtschaft


aufbau Nr. 78, september / oktober 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die vergessenen ArbeiterInnen der Landwirtschaft



LANDWIRTSCHAFT In regelmässigen Abständen wird in der Schweiz über das Leid der hiesigen Bauernhöfe und deren BesitzerInnen berichtet. Dass heute auch ein Heer von prekarisierten Arbeitskräften aus dem Osten zu Tiefstlöhnen auf den Höfen schuftet, wird dabei häufig vergessen.


(agkkzh) In der schweizerischen Landwirtschaft sind in den letzten Jahrzehnten drei verschiedene Tendenzen auszumachen. Einerseits ist seit Jahren ein rapider Rückgang der Anzahl Höfe und der in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen zu beobachten. Gleichzeitig aber verringerten sich die landwirtschaftliche Nutzfläche und der gesamte in diesem Sektor erwirtschaftete Wert nur minim. Was drittens dazu führt, dass eine Steigerung der durchschnittlichen Wertproduktion pro Betrieb auszumachen ist. Zusätzlich zeigt sich sowohl eine Erhöhung der durchschnittlichen Anzahl Beschäftigter pro Hof, als auch ein Zuwachs beim Anteil an Lohnabhängigen in der Landwirtschaft. So sind heute rund 30.000 familienfremde Mitglieder auf den schweizerischen Bauernhöfen angestellt. Eine Zahl, die im Gegensatz zur Gesamtarbeitszahl im Landwirtschaftssektor, seit Jahren steigt. Dabei nicht mitgezählt sind die unzähligen, oft nur für kurze Zeit angestellten zusätzlichen Erntehelfer. Der garantierte Stundenlohn solcher ArbeiterInnen liegt dabei, gemessen an einer 55 Stunden Woche, bei 13.40 Fr,-. Damit zahlt die Landwirtschaft mit Abstand die tiefsten Löhne in der Schweiz. So erklären sich auch die zuvor genannten Tendenzen im Agrarwesen. Denn dies bedeutet, dass die Steigerung der Wertschöpfung der einzelnen zu Kleinunternehmen mutierten Betrieben nicht etwa aus einer durch eine allfällige verbesserte Produktionsleistung stammt, sondern schlicht auf einer für Schweizer Verhältnisse schier unbekannten Ausbeutung der meist aus Osteuropa stammenden Arbeitskräfte beruht.


Proletarisierung und Klassenkampf von oben

Ähnlich wie in der Care Arbeit haben dabei die lohnabhängigen Angestellten mit speziellen Problemen zu kämpfen. Oftmals für nur wenige Monate in die Schweiz geholt, fehlt der Kontakt zu anderen ArbeiterInnen, die gewerkschaftliche Organisierung ist nur gering vorhanden, Gesamtarbeitsverträge sind inexistent und die soziale Kontrolle durch die jeweiligen Betriebsleiter ist hoch. Zudem sind die historischen Wurzeln der heutigen Situation tief in den Köpfen verankert. Noch immer haben die Angestellten mit dem Stigma des weitgehend rechtlosen Taglöhners beziehungsweise des Knechtes und der Magd zu kämpfen. Dass sich die Situation in den letzten Jahren nicht verbessert hat und dass einzelne kantonale Regelungen noch immer frühkapitalistischen Verhältnissen gleichen - so empfiehlt der Kanton Glarus beispielsweise für Angestellte über 19 Jahren gerade mal 2-4 Wochen Ferien im Jahr, bei gleichzeitig zulässigen Wochen mit 66 Arbeitsstunden - liegt nicht nur an der fehlenden Organisierung von unten, sondern auch am Druck von oben. So haben der Bauernverband und das Parlament in den letzten Jahren regelmässig Versuche zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen unterbunden. Statt die ArbeiterInnen zu schützen, soll der Preisdruck durch den Markt weiterhin auf diese abgewälzt werden.

Dass dabei so häufig von den Problemen in der Landwirtschaft gesprochen, während über die prekären Arbeitsbedingungen auf den Höfen geschwiegen wird, hat auch mit der starken Lobby des Bauernverbandes in der herrschenden Politik zu tun. Alleine im 200 köpfigen Nationalrat sitzen 27 Bauernvertreter, welche das Vertrauen der Bauernverbände geniessen und deren Anliegen unterstützen. Zudem findet mit der zunehmenden Industrialisierung und Monopolisierungstendenz innerhalb der Landwirtschaft auch eine Annäherung an andere Industriezweige statt, beispielsweise mit der Nahrungsmittelindustrie oder dem Agrobusiness. Zudem die Bauern oftmals einer nationalistischen Protektionspolitik unterstellt sind, welche diese weniger um deren Produktion, denn um deren erkorenes Kulturgut zu schützen vermag. Die Opfer einer solchen Politik sind die vergessenen lohnabhängigen Angestellten der Landwirtschaft.


Perspektiven in der Landwirtschaft

Es soll dabei nicht verneint werden, dass auch unzählige der LandwirtInnen unter prekären Verhältnissen leben. Ebenso sehr muss aber festgestellt werden, dass sich diese nur allzu gerne von SVP-nahen Kreisen unter die Räder spannen lassen und damit selbst eine Spaltung unter den Prekarisierten vorantreiben. Unlängst etwa nahm der schweizerische Bauernverband den Vorstoss des Bundesamts für Migration positiv zur Kenntnis, dass zukünftig, um den Bedingungen der SVP Masseneinwanderungsinitiative zu entsprechen, die Arbeitskräfte aus dem Osten durch ebenso günstige Asylsuchende ersetzt werden sollen. Einziger Einwand des Verbandes lag darin, dass dieser sich nicht sicher darüber ist, ob die Asylbewerber denn auch genügend "Willen", "Konstitution" und "Kommunikationsfähigkeiten" mitbrächten, um die harte Arbeit auf dem Lande ausführen zu können und dass man die "gut eingespielte Zusammenarbeit" mit den SaisonarbeiterInnen nicht aufgeben möchte. Die rassistischen Stereotypen, gepaart mit der Bejahung vorhandener Ausbeutungsverhältnisse zeigt nur allzu gut auf, in wessen Interesse der Bauernverband spricht. Dabei läge die Perspektive für eine fortschrittliche Landwirtschaft längst auf der Hand. Denn alleine der Kapitalismus ist dazu fähig, ein System zu entwickeln, in welchem die Produktivkraftentwicklung und die Proletarisierung nicht zur Verringerung der individuellen Arbeitszeit, sondern zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. Rentabilität und Profit ist schlussendlich auch in der Landwirtschaft das einzige was zählt. Dabei liessen sich die heutige landwirtschaftlichen Produktionsstätten problemlos in ein System gemeinschaftlicher Betriebe überführen, in dem sowohl die Bedürfnisse der in der Landwirtschaft Produzierenden, der Natur und der von der Nahrung abhängigen Menschen berücksichtigt werden könnten.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 78, september / oktober 2014, Seite 4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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E-Mail: info@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2014