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AUFBAU/464: Kurzarbeit als staatlich bezahlte Aussperrung


aufbau Nr. 85, mai/juni 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Kurzarbeit als staatlich bezahlte Aussperrung


FIAT Wir haben uns mit GenossInnen eines kleinen Arbeitskampf-Kollektivs aus Turin getroffen und über die Entwicklung bei FIAT gesprochen, dem ehemals grössten und mächtigsten Industriekonzern Italiens, der das Land langsam aber sicher verlässt.


(az) FIAT war seit der Nachkriegszeit der Inbegriff der italienischen Industrie und des italienischen Kapitals. Die Familie Agnelli baute ihr Imperium aus und die Politik drehte sich um sie. "Für Italien ist gut, was für FIAT gut ist" lautete das Motto. Ausserdem verbindet man FIAT mit Turin, schliesslich steht das T im Namen dafür. Und Turin ist gleichbedeutend mit dem riesigen Werk "Mirafiori", in den 60er Jahren eine Stadt in der Stadt mit insgesamt 100.000 ArbeiterInnen und Angestellten drin. Diese stellten dann auch 1969 und in den folgenden Jahren die Avantgarde der ArbeiterInnenklasse und werden uns deshalb immer in Erinnerung bleiben.

Heute, nach vielen Restrukturierungen vor Ort und Kämpfen dagegen, nach der Übernahme von Chrysler, Auslagerungen von Werken ins Ausland, dem Abstossen von Teilen der Produktion, ist FIAT ein multinationales Unternehmen und die "Mirafiori" sozusagen leer. Theoretisch arbeiten zwar noch über 4.000 ArbeiterInnen dort, doch stehen die meisten unter einem strengen Regime der "Cassa Integrazione", sie leisten also Kurzarbeit. Einer der Arbeiter erzählt, er arbeite noch drei Tage pro Monat, andere etwas mehr, wieder andere weniger. Faktisch heisst das, dass die Löhne von der Arbeitslosenkasse bezahlt werden - und das schon seit langem. So ist die Fabrik sehr weit unter dem, was sie leisten könnte. Während 1.000 Autos pro Tag produziert werden könnten, verlassen tatsächlich noch deren 300 pro Monat das Werk. Unter diesen Bedingungen ist die Vereinzelung extrem und der Kampf sehr erschwert. Zusätzlich werden die politisch bekannten Personen in entfernten Standorten eingesetzt, so dass sie nicht wirksam werden können.


Auslagerung internationalistisch bekämpfen

Der letzte Kampf, der in der Mirafiori eingeschlagen hatte, war vor ca. 15 Jahren. Als Gerüchte einer Auslagerung nach Serbien aufkamen, traten die ArbeiterInnen in den Streik, doch dauerte der nur einen Tag. Die Direktion versicherte, es gebe keine Auslagerung, was gelogen war, aber zum Abbruch führte. Als der Betrug klar wurde, waren die ehemals Streikwilligen schon präventiv auf Kurzarbeit gesetzt und so weitere Kampfmassnahmen verhindert worden. In Serbien hat die FIAT ein Werk sozusagen geschenkt bekommen, inklusive der Garantie, dass keine Steuern zu bezahlen seien, wenn investiert würde. Die serbischen Arbeiter verdienen 300 Euro pro Monat und arbeiten an 6 Tagen, ausserdem haben sie ein Streikverbot und sogar das Verbot, öffentlich über die Arbeit zu sprechen. Der Konzern hat aber die italienischen Fachkräfte gebraucht, um dort auszubilden, deshalb konnten zeitweise militante Turiner Arbeiter mit den serbischen Arbeitern über das ökonomische Spiel, das mit der ArbeiterInnenklasse getrieben wird, diskutieren. Immerhin kam es in der Folge immer wieder zu Sabotageakten im neuen Werk, der FIAT 500L war hauptsächlich davon betroffen.


Kurzarbeit hier, Arbeitshetze da

Während die Produktion aus der Mirafiori abgezogen wird, sieht die Situation in den Werken von Melfi und Termoli ganz anders aus, es handelt sich um Fabriken mit je ca. 5.OOO ArbeiterInnen. Dort laufen die Maschinen auf Hochtouren und die Arbeitslast ist erdrückend. Die Gewerkschaften haben einem Vertrag zugestimmt, der faktisch die Sechs-Tage-Woche eingeführt hat, wobei die Samstage als Überzeit gerechnet werden. In diesen FIAT-Werken sind die ArbeiterInnen nicht gewerkschaftlich organisiert, denn nur wer nicht organisiert ist, erhält eine Prämie. So werden die Gewerkschaften, deren Anwesenheit in der Fabrik ehemals von den Mirafiori-Arbeitern erkämpft worden war, effizient fern gehalten. Aber es stellt sich die Frage, wie schlimm das ist, denn sie treten momentan nur noch zur Konzertierung des Angriffs auf. Beispielhaft zeigt sich das daran, dass 16 Delegierte der Metallarbeiter-Gewerkschaft FIOM, die in einem Flugblatt zur Gründung eines Kampfkomitees und zu Kampfmassnahmen aufgefordert haben, von der gewerkschaftlichen Arbeit suspendiert wurden.

Kämpfen tun in Termoli und Melfi dennoch immer mehr, wenn auch ziemlich versteckt. Fünf Personen haben damit angefangen, die Überzeit zu verweigern, d.h. sie gehen am Samstag nicht arbeiten. In der Zwischenzeit haben sich einige hundert angeschlossen. Sie nennen ihren Kampf selbstbewusst Streik, obwohl sie von Montag bis Freitag 40 Stunden in der Fabrik malochen und stellen auch Forderungen auf: Die Abschaffung der Überzeit und die Herabsetzung des mörderischen Arbeitsrhythmus. Der Kampf dieser Arbeiter ist spontan und unorganisiert entstanden, dehnt sich aber aus, weil er eine existenzielle Notwendigkeit darstellt.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 85, mai/juni 2016, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2016

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