Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


AUFBAU/483: "Nein heißt Nein" - Wir haben aber noch mehr zu sagen!


aufbau Nr. 87, Januar/Februar 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Nein heisst Nein" - Wir haben aber noch mehr zu sagen!


SEXUALSTRAFRECHT Diesen Sommer wurde in Deutschland das Sexualstrafrecht verschärft. Sexuelle Handlungen, welche gegen den erkennbaren Willen des Opfers erfolgen, werden nun unter Strafe gestellt. Dies ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Gewalt an Frauen und für die Anerkennung der weiblichen Selbstbestimmung. Ein Zwischenschritt, der im Kontext eines rassistischen Grundklimas Gefahr läuft, instrumentalisiert zu werden.


(fk) "Nein heisst Nein": Das lernt jedes Kind und ist ein wichtiger Grundsatz respektvollen Umgangs. Gerade in Bezug auf sexuelle Handlungen sollte er zentral sein. Nicht so im schweizerischen Sexualstrafrecht. Nach diesem stehen nämlich nur sexuelle Handlungen, welche durch Einsatz von Gewalt oder Drohung erzwungen werden, unter Strafe. Ob die Frau sich verbal wehrte, ist nicht von Belang, geschweige denn, ob sie ihr Einverständnis gab. In Deutschland wurde dies nun geändert und damit die bereits 2011 unterzeichnete Istanbuler Konvention umgesetzt. Eine Verurteilung ist nun auch möglich, wenn sich der Täter über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt. Dies bedeutet, dass nicht nur physische, sondern auch verbale Gegenwehr für eine Verurteilung ausreicht.

Gewalt gegen Frauen ist zentrales Moment der Frauenunterdrückung und Ausdruck patriarchaler Strukturen. Damit werden die entsprechenden Rollen der Frauen in der Familie, der Gesellschaft und der Ökonomie zementiert. Sie muss also auch im Fokus jeder frauenkämpferischen Politik gegen Unterdrückung stehen. Das Ausmass sexueller Gewalt und dessen Verwebung mit Staat und Familie zeigen, dass sie nicht nur Resultat individueller Handlungen ist, sondern strukturelle Dimension besitzt. Dazu gehört, dass die Gewalt gegen Frauen auf Einzelfälle reduziert wird und ins Private abgeschoben wird. Neuere Studien belegen, dass in der Schweiz 10 bis 20 % der Ehefrauen Opfer innerehelicher, sexueller Gewalt werden. Die Komplizenschaft des Staates zeigt sich im Sexualstrafrecht. Vergewaltigung hat weltweit eine der niedrigsten Verurteilungsraten von allen Verbrechen. Dies, weil es beinahe unmöglich ist zu beweisen, dass Gewalt oder Drohungen ausgeübt wurden. Der Fall der Vergewaltigung Gina-Lisa Lohfinks ist dafür exemplarisch und war wichtig in der Debatte um das neue Gesetz in Deutschland. Obwohl es ein Video gibt, auf dem deutlich zu hören ist, wie sie "Nein!" und "Hört auf damit!" sagt, kam es zu keiner Verurteilung. Das Nein habe sich anscheinend nur auf das Filmen bezogen. Mit dem neuen Gesetz in Deutschland und einer stärkeren Thematisierung der sexuellen Gewalt können wir hoffen, dass sich Raum für eine Thematisierung rund um geschlechtsspezifische Unterdrückung öffnet. Für die Betroffenen wird entscheidend sein, wie in den Institutionen mit dem neuen Gesetz umgegangen wird. So ist die Änderung auch nicht mehr als ein Zwischenschritt. Es gilt im Frauenkampf weiter zu schreiten gegen jegliche Unterdrückung.

Rassistische Instrumentalisierung

Auch wenn die Änderung erst einmal zu begrüssen ist, ist sie nicht frei jeder Kritik. Zwar war sie schon lange Thema im Bundestag, richtig Aufschwung kriegte sie nach Köln. Im Zuge der Übergriffe der Silvesternacht öffnete die breite Öffentlichkeit plötzlich die Augen - um sie dann schnell wieder zu schliessen. Geschlechtliche Gewalt ist ein Problem, ja, aber es wurde auf eines von Männern aus dem "nordafrikanisch-arabischen Raum" reduziert. Dies widerspiegelt sich nun in der Implementierung des neuen Gesetzes im Ausweisungsrecht.

Eine Verurteilung ist fortan eigenständiger Ausweisgrund, unabhängig von der Höhe der Strafe. Eine feministische Errungenschaft wird rassistisch instrumentalisiert. Gesellschaftliche Errungenschaften schlagen sich in Gesetzen nieder. Diese sind aber erst einmal formal. Ihre konkrete Umsetzung und in welchen Kontext sie gesetzt werden, hängt von den Machtverhältnissen ab. Darüber hinaus wird das Problem der systemischen geschlechtlichen Gewalt durch ihre Verrechtlichung darauf reduziert, es zu benennen, zu bewältigen und zu verwalten. Man beschränkt sich darauf, auf die sexuelle Gewalt zu reagieren. Stattdessen sollten wir fragen, inwiefern sie Resultat der patriarchalen Strukturen ist und wie diese in der kapitalistischen Gesellschaft re- und produziert werden.

Eine Politik für eine Gesellschaft ohne jede Form der Unterdrückung geht weiter als "Nein heisst Nein". Im Kontext von sexueller Selbstbestimmung würde sich wohl eher in einem Grundsatz à la "Ja heisst Ja" äussern. Dieser ginge nicht von einem Zustand der Abwehr und Schutzbedürftigkeit der Frauen aus, die nichts mehr als ein Objekt sind. Viel mehr geht es darum, als Frauen Subjekt einer selbstbestimmten Sexualität zu sein. Mit "Nein heisst Nein" kriegen Frauen immerhin eine lautere Stimme. Nun müssen sie weitersprechen.

*

Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

*

Quelle:
aufbau Nr. 87, Januar/Februar 2017, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang