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AUFBAU/538: Von Menschen und mechanischen Hunden


aufbau Nr. 93, Mai/Juni 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Von Menschen und mechanischen Hunden


TV-SERIE Der Streamingdienst Netflix widmet sich mit seiner Serie Black Mirror von technologischem Fortschritt angetriebenen, dystopischen Szenarien in der nahen Zukunft. Die hier besprochene Episode Metalhead liess sich dabei kräftig von russischer science-fiction Literatur und der cineastischen Ästethik Andrei Tarkovskys inspirieren.


(agkkzh) Die Kamera folgt einem Personenwagen, der sich durch eine postapokalyptische Einöde bewegt. Das Bild ist in Scharzweiss gehalten, die drei Insassen wechseln einige spärliche Worte. Das Auto kommt vor einer scheinbar verlassenen Fabrikhalle zum Stehen. Die Art und Weise, wie sich die Figuren, nachdem sie das Fahrzeug verlassen haben, durch die Szenerie bewegen, erinnert sofort an das Picknick am Wegesrand der Strugatzki Brüder, beziehungsweise dessen Verfilmung durch Andrei Tarkovsky. Sogleich wähnt man sich in der berüchtigten Zone, dem Ort, wo einst Ausserirdische auf der Erde einen Zwischenhalt eingelegt haben und die für den Menschen ungreifbare Gefahren bereithält. Gleich der Hauptfigur des Romans wirft einer der Protagonisten einen Stein, um zu sehen, ob die geheimnisvolle Umgebung auf diesen Stimulus reagiert. Die Luft scheint rein und die Gruppe bewegt sich vorsichtig in die Fabrikhalle. Hier treffen sie auf eine im Jargon der Truppe als 'Hund' bezeichnete Killerdrohne. Um den ZuschauerInnen die Effizienz dieses Monstrums zu demonstrieren, werden zwei der drei Akteure sogleich von der Drohne ausgelöscht.


Auf der Flucht

Für den Rest der Episode begleiten wir Bella, die Überlebende des anfänglichen Kontakts mit der Drohne, auf ihrer Flucht. Ihr Umgang mit dem mechanischen Gegner lässt weitere Parallelen zum Werk der Strugatzkis erkennen. So gibt sie einem hochkomplexen Gerät, dessen Funktionsweise sie nicht ansatzweise versteht, einen simplen Namen: 'Hund'. Ebenso verhalten sich die Figuren im Picknick am Wegesrand. Sie geben den Objekten und Vorkomnissen in der Zone Namen wie 'Fliegenklatsche' oder 'Hexensülze'. Diese Bezeichnungen verraten die Ahnungslosigkeit der Menschen im Angesicht ihnen unverständlicher Technologie. Der Höhepunkt der Hilflosigkeit der Protagonistin wird erreicht, als sie sich, als letzten Ausweg vor dem artifiziellen Killerhund, auf einen Baum retten muss. Hier wird der Mensch in Gegenwart der hochentwickelten Technik wieder zum Affen. Gleichzeitig sehen wir an diesem Punkt den ersten Moment der Selbstermächtigung der Hauptfigur. Bella bewirft den Roboter, der aufgrund eines defekten Beins den Baum nicht zu erklimmen vermag, mit kleinen Gegenständen, um ihn so zu konstanter Aktivität zu verleiten, was schliesslich seine Batterie leert. Die Rückbesinnung auf das Natürliche, veranschaulicht durch das Besteigen des Baums, ermöglicht der Protagonistin, sich gegen die alles verzehrende Technik zur Wehr zu setzen. Doch der vermeintliche Sieg ist nur von kurzer Dauer, die Drohne lädt sich bei Tagesanbruch mithilfe eingebauter Sonnenkollektoren wieder auf und Bellas Flucht setzt sich fort.


Letztes Refugium

Im letzten Abschnitt findet Bella Zuflucht in einer verlassenen Villa. Während sie den Zaun überwinden und die Schlüssel zur Eingangstür mithilfe einer Angel aus dem Briefschlitz fischen muss, verbindet sich der Roboter einfach mit dem elektronischen Überwachungssystem des Anwesens und tritt so problemlos ein. Das smart house wird der Heldin zum Verhängnis. Ungeachtet dessen findet Bella die Zeit, sich auf die finale Konfrontation mit der Maschine vorzubereiten. Ein Kübel Farbe hilft ihr, die optische Sensorik des Hundes lahmzulegen. Der Drohne, welche nun bloss noch akustisch wahrnehmen kann, wird mithilfe des Autoradios des vor der Villa geparkten Geländewagens eine Falle gestellt. Dies ist einer der seltenen Momente, in dem das Geschehen musikalisch untermalt ist. So wird hier das Lied Golden Brown, die vom Cembalo getriebenen Hitsingle der englischen Punkband the Stranglers, gespielt. Bella gelingt es schliesslich den Roboter auszuschalten. Dieser lässt jedoch, kurz vor seinem Ableben, eine kleine Granate explodieren, deren Schrapnell mit Sendern ausgestattet ist. Die Heldin, verletzt durch die Granate und so ein markiertes Ziel für die restlichen Drohnen des Rudels, muss sich mit der Ausweglosigkeit der Situation abfinden. Sie wird sich niemals gegen eine ganze Meute von Killerrobotern zur Wehr setzen können. So endet die Episode mit der Niederlage der Protagonistin gegen die übermächtige Technik.


Mainstream mit progressiven Anleihen

Es ist interessant zu beobachten, wie sich der Streamingdienst Netflix, der sich der Produktion massentauglicher Erzeugnisse verschrieben hat, auf Inhalte und Ästhetik progressiver Literatur- und Filmkultur bezieht. Das Werk von Arkadi und Boris Strugatzki, sowie dessen filmische Adaption durch den sowjetischen Filmemacher Andrei Tarkosky, können klar als Vorbilder von Metalhead identifiziert werden. Die cineastische Darstellung der postapokalyptischen Welt in Metalhead erinnert sofort an Tarkoskys visuelle Umsetzung der Zone aus Picknick am Wegesrand. Es wird eine natürliche Landschaft gezeigt, die wenigen Artefakte menschlicher Kultur sind zerfallen, sind im Begriff sich aufzulösen. Der Mensch hat hier nicht mehr das Sagen. Die Bedrohung durch das Unbekannte glänzt vor allem durch ihre Verborgenheit. nur selten manifestiert sie sich für den Beobachter, wie etwa am Beispiel des Roboterhundes. Ebenfalls wird auf eine Erörterung des Ist-Zustands völlig verzichtet. Was hier vor sich geht können sich die Protagonisten schlicht nicht erklären, es liegt weit jenseits ihres intellektuellen Horizonts. Es geht im Picknick am Wegesrand sowie in Metalhead darum, wie der Mensch mit Dingen und Zuständen umgeht, die sich seinem Verstand entziehen. Selbstverständlich ist nicht die ganze Inspiration für Metalhead kulturhistorischer Natur. Das Design des künstlichen Killerhundes orientiert sich an den Produkten des amerikanischen Technologiekonzerns Boston Dynamics. Dieser zeigt auf seinem Youtube Kanal schon heute hundeähnliche Drohnen, die sich autonom bewegen, miteinander kooperieren und einfache Probleme, wie etwa das Öffnen einer Türe, bewältigen können.


Ein durchkalkuliertes Produkt

Dass den KonsumentInnen ein Produkt, welches die Abgründe der Robotik thematisiert, vorgesetzt wird, ist keinesfalls ein Zufall. Netflix ist nicht nur der führende Streamingdienst, sondern hat auch Pionierarbeit in der Auswertung riesiger Mengen von Verbraucherdaten geleistet. Als Netflix seine erste Erfolgsserie House of Cards, eine im Weissen Haus angesiedelte Politsatire, in Auftrag gab, ging dem ein langwieriger Prozess der Datenanalyse voraus. So liess Dave Hastings, Vorsitzender der Datenanalyseabteilung von Netflix, verlauten, dass heutzutage kein Multimillionen Investment getätigt wird ohne die vorhergehende Analyse einer riesigen Datenmenge. Das Streamingportal weiss, welche Serien und Filme uns sonst noch gefallen, wann und wo wir welche Angebote konsumieren und wie oft wir auf Pause drücken, um eine Tüte Kartoffelchips zu holen. Aus diesen Daten lässt sich ein Produkt kreieren, das perfekt auf die VerbraucherInnen zugeschnitten ist. Die enstprechenden Algorhitmen zur Empfehlung neuer Produkte sorgen dafür, dass die KonsumentInnen verlässlich darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre neue Lieblingsserie endlich auf Netflix zu sehen ist. Es kann natürlich sein, dass die ZuschauerInnen noch nicht wissen, dass es sich um ihre neue Lieblingsserie handelt, doch der Algorhitmus liegt selten falsch. Die Freiheit, wählen zu können scheint in der digitalen Ära bloss noch ein Relikt vergangener Zeiten zu sein. In der politischen Dimension zeigt sich, dass die ungebremste, nicht hinterfragte Entwicklung potentiell gefährlicher Technologien von einer breiten Masse als problematisch empfunden wird. Sonst würde ein Produkt, das sich mit ebendiesen Ängsten auseinandersetzt, nicht marktfähig werden. Eine nach marktwirtschaftlicher Logik funktionierende Technologiebranche wird sich keine ethischen Fragen stellen, es geht letztlich einzig um den Profit. Hier manifestiert sich der Anknüpfungspunkt revolutionärer Politik. Es geht darum Entwicklungen zu hinterfragen. Gegenaufklärung zu leisten bezüglich der Lebensrealität der digitalisierten Gesellschaft, sozioökonomische Zwänge aufzubrechen und so die Perspektive eines selbstbestimmten Lebens, fernab der Bevormundung und Gefährdung durch Technologiegiganten, zu entwickeln.


HINTERGRUNDINFOS

Arkadi und Boris Strugatsky (28.08.1925-12.10.1991/ 14.04.1933-19.11.2012) waren sowjetische Autoren. Der Roman Picknick am Wegesrand zählt zu den erfolgreichsten Werken der Brüder. In der von ihnen entworfenen Gesellschaft der Welt des Mittags skizzieren sie ausserdem das Ideal einer hochentwickelten, kommunistisch organisierten Zukunftsgesellschaft. Ihr Schaffen gehört zum Kanon der science fiction Literatur.

Andrei Tarkovsky (04.04.1932-29.12.1986) war ein stilprägender sowjetischer Regisseur. Die filmische Adaption des Romans Picknick am Wegesrand, getragen durch Tarkovskys poetische Bildsprache, wurde zum Klassiker des science fiction Kinos. Weitere Bekanntheit erlangte er u.A. durch die Verfilmung von Stanislaw Lems Solaris.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 93, Mai/Juni 2018, Seite 16
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2018

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