aufbau Nr. 97, Mai/Juni 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus
Beharrlicher Kampf gegen die Ärmsten
SOZIALHILFE Während sich auf dem Arbeitsmarkt im Zuge des digitalen Umbaus zunehmend Unsicherheiten und Zukunftsängste breit machen, sehen sich Sozialhilfe-Beziehende Verschärfungen ausgesetzt. Das gegenseitige Ausspielen hat System - ein kapitalistisches.
(agj/agkk/az) Bereits in den Zeitungsnummern 77,80 und 88 haben
wir über Verschärfungen in der Sozialhilfe - vorwiegend in Kanton
Zürich - berichtet. Doch wer sich heute einen Überblick über die
Chronologie und die derzeit laufenden Verschärfungen gegen Menschen
verschaffen will, die von der Sozialhilfe abhängig sind, benötigt ein
akribisches Gedächtnis und viel Zeit. Es liegt im System der
Sozialhilfe und deren kommunalen Charakteren begründet, dass die
Angriffe zu verschiedenen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten
erfolgen. Die Sozialhilfe wird nicht vom Bund organisiert, sondern die
Kantone geben den Gemeinden die Ausgestaltung vor. Somit findet analog
zum Steuerwettbewerb zwischen den Gemeinden ein stetiger
Negativwettbewerb mit dem Ziel statt, die Ärmsten in andere Gemeinden
zu verjagen. Durchaus mit Erfolg: Wer etwa in der Gemeinde A keine
bezahlbaren Wohnungen findet, ist gezwungen, in eine Gemeinde B
umzuziehen. Dieses Phänomen ist zwar keinesfalls neu, doch in den
letzten Jahren haben sich die Schlagzeilen über Verschärfungen noch
einmal deutlich vermehrt. Neben Kürzungen beim Grundbedarf (siehe
Kasten) sind vermehrte Angriffe auf rechtlicher Ebene zu beobachten.
Argumentiert wird vordergründig oft mit Spardruck, es geht dabei aber
nicht zuletzt auch um ideologische Komponenten. Der Kampf gegen die
Sozialhilfe reiht sich ein in Angriffe gegen den Sozialstaat, gegen
die Invalidenversicherung oder die Ergänzungsleistungen.
Anfang Texteinschub
Fakten zur Sozialhilfe
Die Sozialhilfe, entstanden aus der kirchlichen Armenfürsorge, ist
historisch gesehen älter als die bekannten Sozialversicherungen wie
zum Beispiel die Alters- und Hinterlassenenversicherung oder die
Invalidenversicherung (AHV/IV). Die Sozialhilfe ist im Gegensatz zur
AHV/IV keine Versicherung, welche mit Lohnabzügen finanziert wird,
sondern eine Bedarfshilfe. Sie wird durch öffentliche Gelder
finanziert.
In der Schweiz beziehen 280.000 Personen Sozialhilfe von Gemeinden,
davon sind ein Drittel Kinder. Die Zahl der Sozialhilfebeziehenden ist
zwar stabil, die Kosten sind aber tendenziell steigend. Dies hängt vor
allem mit den steigenden Mieten und Krankenkassenprämien zusammen -
also mit den Geldern, die den ImmobilieneigentümerInnen und den
Krankenkassen in die Taschen fliessen. Die Schweizerische Konferenz
für Sozialhilfe (SKOS), deren Richtlinien von praktisch allen
Gemeinden eingehalten werden, empfiehlt den Grundbedarf für den
Lebensunterhalt in einem Einpersonen-Haushalt von 986.- Franken. Dazu
kommen Unterstützungen für die obligatorische Krankenkasse und nach
oben beschränkte Beiträge für die Mietkosten. In der Stadt Zürich sind
dies 1100.- Franken für eine Einzimmerwohnung - wer den Stadtzürcher
Wohnungsmarkt kennt, weiss, dass dieser Beitrag kaum reicht. Deswegen
gab und gibt es auch VermieterInnen, die von dieser Situation
profitieren und Wohnungen exakt zu diesem Betrag vermieten (vergleiche
Aufbau Nummer 88, Reportage zu den "Gammelhäusern").
Durch die politischen Angriffe auf die sozialen Institutionen im
Allgemeinen findet ein politisches Spiel der Kostenverlagerungen
zwischen den Sozialversicherungsinstitutionen und der Ebene
Gemeinde/Kanton/Bund statt. Wenn beispielsweise Invalidenrenten
restriktiver vergeben werden, werden die Betroffenen in die
Sozialhilfe verschoben. Ein anderes Beispiel ist, dass durch die hohen
Mieten in einer Gemeinde Sozialhilfebeziehende in eine andere Gemeinde
abgeschoben werden.
Ende Texteinschub
Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) gibt mit ihren Richtlinien eigentlich einen Rahmen vor, um die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe kantonsübergreifend einigermassen einheitlich zu gestalten. Diverse Gemeinden (unter anderem Romanshorn und Dübendorf) sind aber bereits aus der SKOS ausgetreten und setzten deren Richtlinien - die mitnichten ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und absolut zu kritisieren sind - noch weiter unter Druck. In diversen Kantonen stehen Vorlagen oder sogar schon Abstimmungen an, um den Grundbedarf noch weiter zu kürzen. Argumentiert wird mit Spardruck, so etwa im Kanton Zürich, in Bern, Solothurn oder im Aargau. Im Kanton Bern hat das Kantonsparlament eine Kürzung des Grundbedarfs um acht Prozent gutgeheissen. Bei vorläufig Aufgenommenen, jungen Erwachsenen und Personen ohne Deutsch- oder Französischkenntnisse wird der Grundbedarf gar um 15 bis 30 Prozent gesenkt. Gegen diese Kürzungen gab und gibt es Opposition. Es fehlt jedoch häufig an politischer Durchschlagskraft, auch weil die Opposition sich nicht mit gewerkschaftlichen Kämpfen zu verbinden weiss.
Neben dem vermeintlichen Spardruck geht es in der Frage der Sozialhilfekürzungen um eine ganz andere Sache. In der SRF-Dokumentation vom 10. Januar 2019 kommt zum Ausdruck, was niemanden besonders erstaunen mag: Eine schweizweite SVP-Arbeitsgruppe unter der Führung des reaktionären Urgesteins Ulrich Schlüer beackert das Thema ideologisch - und erfolgreich. Zu dieser Arbeitsgruppe gehört auch der Baselbieter Landrat Peter Riebli. Letzterer forderte, dass der Grundbedarf bei allen SozialhilfebezügerInnen um 30% aufs absolute Minimum gesenkt würde - dadurch blieben einem neben der Krankenkasse und der Wohnungsmiete noch knapp 600 Franken zum Leben. Wer dann aber "kooperieren" würde, erhielte etwas mehr Geld. Dabei gibt die SVP Baselland unumwunden zu, dass es nicht um die Einsparung von Kosten geht, sondern um das "Unattraktivmachen" der Sozialhilfe. Dies kann als ein klares Warnsignal an die werktätige Klasse interpretiert werden. Es geht am Ende darum, dass nicht mehr aufmucken soll, wer (noch) eine schlecht bezahlte Arbeit hat.
Es gibt sie weiterhin, die guten und die schlechten Armen: Die einen gelten als "Working poor" und können von ihrem Job kaum leben, die anderen liegen vermeintlich dem Staat auf der Tasche. Mit dem Angriff auf die Sozialhilfe kommen auch die Löhne unter Druck. Doch die SVP ist in ihrem Kampf nicht alleine. Auch die Sozialdemokratische Partei steht weit vorne mit dabei, wenn es um Angriffe gegen die Ärmsten geht und zeigt sich fleissig in der operativen Umsetzung der SVP-Strategie. In der Stadt Zürich - immerhin der grössten Stadt der Schweiz - wollte Stadtrat Raphael Golta mit Unterstützung seiner sozialdemokratischen Ratsfraktion SozialhilfebezügerInnen per GPS-Sender überwachen, dies wäre ein Signal mit schweizweiter Symbolwirkung gewesen. Eine Beschwerde hat nun aber ein Verfahren in Gang gesetzt, welches diese Massnahme mindestens verzögert. Es gilt weiterhin: Wer nicht spuren will, soll bluten. In Zeiten vom Umbau des Arbeitsmarktes erst recht und heftig.
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Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)
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Quelle:
aufbau Nr. 97, Mai/Juni 2019, Seite 4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken
veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2019
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