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CORREOS/046: Die neue Regierung von Paraguay - Hoffnungen und Widersprüche


Correos des las Américas - Nr. 155, 18. November 2008

PARAGUAY
Die neue Regierung - Hoffnungen und Widersprüche

Von Reto Sonderegger


Der folgende Text entstand aufgrund einer Diskussion über die aktuelle Lage und die sozialen Bewegungen in Paraguay zwischen Jorge Galeano vom Movimiento Agrario y Popular (MAP), Braulio Aníbal Ávalos Romero, Kleinbauer und Menschenrechtsberater aus San Pedro und einer der Köpfe des Frente Social y Popular (FSP), Javiera Rulli, ursprünglich von einer argentinischen Landrechtsgruppe, und Reto Sonderegger, herkunftsmässig Biobauer und Autonomer aus der Schweiz.


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Am 15. August trat Fernando Lugo offiziell und formell das Präsidentenamt an. In seiner Antrittsrede bezog er ganz klar Position und stellte sich auf die Seite der sozial Schwachen und Ausgeschlossenen. Am folgenden Tag reiste er mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez ins Konfliktdepartement San Pedro zur Amtseinführung des neuen Gouverneurs, José Ledesma "Paková" (guarani für Banane, José ist Bananenproduzent), einem langjährigen politischen Alliierten Lugos.

Doch ein rascher, tief greifender sozialer Wandel scheitert nicht nur an der geschlossenen Ablehnung der traditionellen Oligarchie aus Grossgrundbesitzern, Mafia und Schmugglern, sondern auch an einer mangelhaft organisierten gesellschaftlichen Basis für diesen Veränderungsprozess. Leider hat der Wahlsieg Lugos die Spaltungen in den sozialen Bewegungen nicht aufhalten können. Es ist zu hoffen, dass aufgrund der existenziellen Probleme der Mehrheit der Bevölkerung, die Einsicht der Führungspersonen reift, dass nur eine in aller Vielfalt einheitliche Bewegung die Kraft für eine neue Gesellschaft aufbringen kann.

Das grösste Problem der neuen Regierung sind die Altlasten des vorhergehenden Systems und seine Kontinuität in der Legislative und Judikative. Das Parlament wird beherrscht von einer Mehrheit von Abgeordneten aus der Coloradopartei, oviedistischen Vertretern und Liberalen (Colorados: alte Diktaturpartei; Lino César Oviedo: General a.D. und Putschist). Letztere sind zwar Teil der Allianz für den Wandel, vertreten und verteidigen aber in Sachfragen oft die Positionen der traditionellen herrschenden Sektoren. Zudem sind die öffentlichen Institutionen regelrecht geplündert worden, um die Wahlkampfkasse der Colorados zu füllen oder die angehende Regierung ohne Mittel zu lassen. Viele Ministerien haben das Jahresbudget schon fast aufgebraucht und müssen auf den Staatshaushalt 2009 warten, um "richtig" anfangen zu können. Dies schürt natürlich soziale Unzufriedenheit, welche die von der Macht verdrängten Colorados kanalisieren wollen, um möglichst schnell wieder das Zepter in Paraguay zu übernehmen. In den Ministerien wurden nur die Führungskader ausgewechselt. Dies bedeutet, dass der allergrösste Teil der Leute innerhalb der Institutionen mindestens passiven Widerstand leisten wird. Das Justizsystem ist das perfekte Bollwerk der Colorados. Sämtliche Mitglieder des obersten Gerichtshofes wurden auf Fingerzeig von Lugo-Vorgänger Nicanor Duarte ernannt. Eine unabhängige Justiz im Sinne der traditionellen Gewaltenteilung existiert nicht einmal in Ansätzen. Die grösste Kraft der Regierung ist deshalb die Unterstützung und das Vertrauen vieler gesellschaftlicher Sektoren, die ihre Hoffnungen auf einen sozialen Wandel an die neue Regierung Lugo knüpfen. Dennoch ist diese Lage bedrohlich und kritisch, wenn es die Regierung nicht schafft, auf die dringendsten sozialen Probleme schnell im Alltag spürbare Antworten zu finden. Wenn die Regierbarkeit und der makroökonomische Rahmen vor den Forderungen der Ausgeschlossenen kommen, sind Konflikte vorprogrammiert, die leicht von der rechten Opposition instrumentalisiert werden können. In der Stadt sind das die Obdachlosen (Sin Techos) und auf dem Land die Landlosen (Sin Tierras). Da ist bei den sozialen Organisationen sehr viel Reife, Bewusstsein, Verantwortung und Disziplin gefragt.

Grundsätzlich kann man festhalten, dass die neue Regierung keinen strukturellen Wandel anstrebt, sondern eher einen Übergangsprozess, der den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren Möglichkeiten zur Organisierung und Kräfteakkumulation bietet.


Der Frente Social y Popular

Nach dem Wahlsieg vom 20. April wurde der Frente Social y Popular ins Leben gerufen, als Instanz, welche die Debatten, Analysen und Vorschläge der sozialen Sektoren bündelt und der neuen Regierung vorträgt, um eine Politik der öffentlichen Hand zu erreichen, die auch wirklich für die Interessen der Armen und Ausgeschlossenen arbeitet. Im FSP sind über 100 Organisationen vereinigt. Darunter sind Kleinbauern, Indigenas, Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Obdachlose, arbeitende Kinder, KünstlerInnen, StudentInnen, RentnerInnen, kleine und mittlere Unternehmen und die Sozialpastorale der katholischen Kirche. Die FSP ist kein offizialistischer Zusammenschluss. Sie ist eine Plattform der sozialen Bewegungen, um Einfluss auf die Politik der neuen Regierung zu nehmen, gestützt auf die Forderungen der Basen der in ihr vereinigten Organisationen und gesellschaftlichen Sektoren.

In diesem Sinne wurde ein agrarischer Notstandsplan erarbeitet, der auf die Reaktivierung der bäuerlichen Familienlandwirtschaft abzielt. Leider wurde dieser bislang aber vom neuen Landwirtschaftsministerium nicht akzeptiert. Dessen Chef Cándido Vera Bejarano ist ein Mann ohne Visionen und will mit Gentech die Welt vor dem Hunger retten. Das Sagen haben sein japanischer Vizeminister Henry Moriya und im Hintergrund Leute der deutschen GTZ (Das Bundesunternehmen "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit", GTZ, ist dem Entwicklungsministerium BMZ angegliedert und dem Entwicklungshilfearm des schweizerischen Seco vergleichbar). Aber bei der Agrarreformbehörde INDERT ist die FSP auf offene Ohren gestossen und konnte die oberste Hierarchie mit Vertrauensleuten besetzen. Innerhalb des INDERT wird nun bereits über neue Landbesitzformen diskutiert, denn das alte Modell mit den individuellen Parzellen kann als gescheitert betrachtet werden.

Aber auch im Gesundheitsministerium, der Indianerbehörde INDI, der Umweltbehörde und der Acción Social (unterstützt die Ärmsten der Armen) konnten Leute aus den sozialen Bewegungen oder wenigstens solche, die ihr Vertrauen geniessen, auf Verantwortungsposten gehievt werden.


Korruption und geplünderte Institutionen: Die Probleme der neuen Regierung

Eines der grössten Probleme ist, dass es die Regierung bis heute nicht geschafft hat, materielle Antworten auf die Klagen der Bevölkerung zu finden. Dies hat seine Gründe in der fünfmonatigen Übergangszeit zwischen April und August, also dem Wahlsieg Lugos und seiner Amtsübernahme. In dieser Zeit wurden die Institutionen des Staates regelrecht geplündert: Demontage der Infrastruktur, Plünderung des Staatshaushaltes in die eigenen Taschen und die Zerstörung vieler Daten und Archive gehörten zur Tagesordnung. Die Übergangskommissionen, die bestimmt wurden, wurden vom damaligen Präsidenten Duarte Frutos nicht anerkannt und deshalb nicht zugelassen. So gab es keine Möglichkeit der Kontrolle, Überwachung und Einarbeitung.

Ein krasses Beispiel kommt von der Zollverwaltung. Kürzlich wurden dort Dokumente entdeckt, die Steuerflucht in der Höhe von 650 Millionen Dollar belegen. Von diesem Betrag sind aber 150 Millionen für immer verloren, da die Ablauffristen für diese Fälle schon vorüber sind. Diese Raubzüge sind typisch und haben eine direkte Verbindung mit der Mafia aus Unternehmern und Politikern, welche Paraguay beherrscht.

Die neue Regierung hatte grosse Hoffnungen, dank der beiden grossen binationalen Wasserkraftwerke Itaipú und Yacyretá an flüssige Mittel für den Veränderungsprozess zu kommen. Aber auch dort hat man nur Saldi im roten Bereich angetroffen. Auch die Soziale Aktion hat Schulden, weil kontinuierlich Gelder abgeflossen sind für illegale Geschäfte wie Landkauf, Ausschreibungen für Projekte an Parteifreunde mit überhöhten Rechnungen und Direktzahlungen an die nicanoristischen Teile der Obdachlosenbewegung.

Um diese von Korruption geprägte Situation umzukehren, braucht es juristische Schritte und Gerichtsverfahren. Aber solange die Justiz in den Händen der nicanoristischen Mafia und der Kongress politisch praktisch handlungsunfähig ist, sind diese Aktionen zum Scheitern verurteilt. Sogar die Staatsanwaltschaft ist ganz klar in den Fängen der Coloradopartei und treibt ein von Provokationen geprägtes Programm voran, welches das Land destabilisieren soll.


Kostenlose Gesundheitsversorgung

Die neue Gesundheitsministerin Esperanza Martínez hat ein öffentliches Gesundheitsprogramm mit sozialer Gleichberechtigung entwickelt. Dazu sollen 100 Gesundheitsteams mit territorialem Charakter gebildet werden. Dabei soll gezielt auf die Einbeziehung von Gemeindeorganisationen gearbeitet werden. Auch der Begriff von Gesundheit soll weiter und ganzheitlicher gefasst werden. Themen wie Ernährung und Umweltverschmutzung bekommen einen wichtigen Stellenwert. Die Direktorin des Programms für die Hilfe an die verwundbarsten Bevölkerungsteile, Raquel Rodríguez, hat einen grossen Erfahrungsschatz dank ihrer früheren Arbeit mit Indígenas und in Kampagnen gegen Pestizide. Der Zugang zum Gesundheitswesen soll universell und kostenlos sein. Um dies zu unterstreichen, verbreiten die Gemeinderadios die Listen derjenigen Medikamente, die kostenlos an die Kranken abgegeben werden müssen. Denn allzuoft werden diese in weit entlegenen Gegenden vom Gesundheitspersonal an die schlecht informierte Bevölkerung verkauft und das Geld in die eigenen Tasche gesteckt. Auf internationaler Ebene wurden schon einige Verträge und Abkommen mit Kuba und Venezuela geschlossen.


Die Herrschaft der Coloradopartei im Erziehungswesen brechen

Das Erziehungsministerium ist eines der stärksten Feudalreiche der Coloradopartei. Sogar der neue Minister Horacio Galeano Perrone ist Colorado, aber immerhin von einem Parteiflügel, der offen Lugo unterstützt hat. Im Moment werden Klagen in Millionenhöhe gegen die Ex-Erziehungsminister Nicanor Duarte Frutos und Blanca Ovelar lanciert. Man zielt auf ein graduelles Gesunden der Institution. Die Millionendiebstähle sollen aufgedeckt und die Verantwortlichen der Justiz zugeführt werden. Es wurden Lagerhallen mit Schulmaterialien entdeckt, die nie ausgehändigt wurden. Abertausende Bücher, Hefte und Dokumentarfilme, die mit Geldern der internationalen Entwicklungszusammenarbeit finanziert wurden, aber nie in die Hände der Schülerinnen und Schüler gelangten. Echte Veränderungen können wohl erst ab dem kommenden Jahr 2009 erwartet werden. Dabei wird vor allem auf eine Verbesserung der pädagogischen Lehrinhalte abgezielt. Vor kurzem berief Lugo eine Versammlung von 10.000 SchuldirektorInnen ein, mit dem Ziel, die Erziehung aus den Klauen der Colorados zu entreissen und neue, demokratische Wege zu beschreiten.


Soziale Mobilisierungen auf dem Land und Polizeirepression

Paraguay erlebt gegenwärtig eine eindrückliche Mobilisierung gegen die mechanisierte Landwirtschaft der Gentechmonokulturen. Es gibt 130 Zeltlager von Kleinbauern und Landlosen im ganzen Land, allein im Departement San Pedro sind es 70. Diese befinden sich an den Rändern, aber nicht in den grossen Latifundien, weshalb diese Aktionen kein Eindringen in Privatland darstellen.


Die Leute in den Zeltlagern handeln entlang zweier Achsen:

1. Zugang zu Land und Neuvermessungen des Landes, um irregulär angeeignetes Staatsland zu entdecken. Dazu legte die Agrarreformbehörde INDERT einen Bericht vor, der von fast 8 Millionen Hektar Staatsland spricht, welches irregulär an Parteibonzen, Militärs und Unternehmer anstatt an landlose Bauernfamilien verteilt wurde. Die Landlosen fordern die Enteignung und Neuverteilung dieser Ländereien.

2. Mobilisierungen gegen die Umweltverschmutzung und Zerstörung der Lebensgrundlagen. Viele Gemeinden mobilisieren gegen die Leiden, die die Pestizidsprühungen der Sojafelder für sie bedeuten. Ebenfalls werden Sumpflandschaften und die letzten Waldstücke verteidigt.

Obwohl sich die Zeltlager nicht auf Privatland befinden, räumt und unterdrückt die Staatsanwaltschaft die mobilisierten Kleinbauern. Seit dem 15. August wurden 27 Zeltlager geräumt. Dabei wurden viele Leute verhaftet und verletzt. Es gab einen Schwerverletzten in Choré in San Pedro und in Paraguarí wurde Sindulfo Britez, ein Anführer der paraguayischen Bauernbewegung MCP, nach seiner Haft unter verdächtigen Umständen in seinem eigenen Haus ermordet. Im Departement Caazapá verbleiben 200 Campesinos nach einer Räumung in Haft. In den allermeisten Fällen zogen sich die Campesinos bei Räumungseinsätzen der Polizei jedoch zurück, um direkte Zusammenstösse zu vermeiden. Dabei wurden aber die Zelte und Habseligkeiten der Kleinbauern zerstört. Zu Verhaftungen kam es in denjenigen Fällen, in denen sich die Landlosen weigerten, die Zelte zu verlassen.

Angesichts dieser von Gewalt gegen die mobilisierten Basen geprägten Lage reichte die FSP eine Klage ein, die die Ersetzung des Generalstaatsanwaltes und des Obersten Gerichtshofes fordert. In dieser Forderung gibt es eine Übereinstimmung mit den Liberalen, der Partei Patria Querida und der Bewegung Tekojoja. Aber diese Parteien versuchen nun, diese Kampagne zu vereinnahmen.

Die FSP hat anfangs September auch sofort nach Asunción mobilisiert, als Fernando Lugo im Fernsehen eine Putschverschwörung öffentlich machte. Dabei handelte es sich um ein Treffen im Haus des Ex-Generals und Putschisten Lino César Oviedo mit dem Ex-Präsidenten Nicanor Duarte Frutos, dem Generalstaatsanwalt Rubén Candia Amarilla und Juan Manuel Morales vom Obersten Wahlgericht, welches Lugo zum Wahlsieger gekürt hatte. Zu ihrem Treffen luden sie den General Máximo Díaz ein, Verbindungsglied zwischen dem Parlament und den Streitkräften. Von ihm wollten sie wissen, was das Heer von der Krise im Senat halte. Der General antwortete, dass dies ein politisches Problem sei und er sich als Militär dazu nicht äussern könne und bat darum, sich zurückziehen zu dürfen. Am nächsten Morgen erstattete er dem Präsidenten Bericht.

Die Mobilisierung der FSP von jenem 4. September hatte die Verteidigung der demokratischen Institutionen zum Ziel, forderte aber auch ein Mitspracherecht in der Budgetdebatte des Parlaments und freien Zugang zu Informationen.


Den Sojaanbau einschränken

Der Widerstand gegen den extensiven Sojaanbau in Paraguay ist viel breiter geworden. Der Druck seitens der Landbevölkerung, die Saat und die Sprühungen innerhalb ihrer Gemeinden zu vermeiden, ist enorm gewachsen. Seitens der Grossgrundbesitzer wird viel Druck auf die Regierung ausgeübt. Dabei versuchen sie, Entführungsfälle Bauernorganisationen in die Schuhe zu schieben, um sie als Terroristen zu verunglimpfen. So wollen sie den Kampf um Lebensrecht der Kleinbauernfamilien kriminalisieren.

Lugo hat öffentlich seine Unterstützung für die kleinbäuerliche Landwirtschaft erklärt und meint, dass sich die Sojaproduktion auf bestimmten Flächen konzentrieren soll. Dabei spielt er auf Raumordnungspläne an. Dennoch ist dies eine technische Antwort auf eine politische oder politisch-ökonomische Frage. Eines der Hindernisse auf dem Weg zur Einschränkung oder Zonierung des Sojaanbaus ist sein eigener Landwirtschaftsminister Candido Vera Bejarano, der die Interessen der Grossgrundbesitzer und des Agrobusiness vertritt.

Der neue Präsident ist dann aber am 24. September in seiner ersten Rede vor der UNO-Vollversammlung einen Schritt weitergegangen. In New York redete er gegen jegliche Form des Terrorismus. Dabei erwähnte er den "Terrorismus, der in meinem Land die Kinder betrifft, die wegen Pestiziden sterben". Dies löste eine Welle der Entrüstung unter der Sojalobby aus. Die Vorsitzende der paraguayischen Vereinigung der Soja- und Oelsaatenproduzenten, Claudia Ruser, fühlt sich diskriminiert und hält Lugos Statement für "inakzeptabel, weil er Sojaproduzenten mit Terroristen vergleicht".

Dieser neue Streit fällt genau auf die Zeit der Sojasaat oder zumindest der Saatbeetzubereitung mit Glyphosat. Im Distrikt Lima in San Pedro wurden schon einige Traktoren gestoppt und Kleinbauern deswegen kriminalisiert. Die Spannung steigt täglich. Die Systemfrage wird sich in Paraguay in den nächsten Wochen noch dringlicher stellen, denn für die Kleinbauern und Landlosen geht es ums Überleben. Wenn sie es nicht schaffen, in diesem Jahr die Sojaexpansion zu bremsen, sind sie zum Untergang verurteilt. Viele reden davon, im Falle einer Niederlage aufzugeben.


Schlussfolgerung

Der soziale Prozess, der Lugo auf den Präsidentensitz gehievt hat, charaktierisiert sich durch seine Schwäche und Improvisation. Keinesfalls kann man den Prozess in Paraguay mit demjenigen in Bolivien vergleichen, wo die sozialen Bewegungen der Motor der Veränderung waren, zumindest bis Evo Präsident wurde. Aufgrund dieser Schwäche ist die solidarische Unterstützung von aussen äusserst notwendig. Ebenso wie andere politische Beziehungen, die den Prozess stärken können.

Lugo positionierte sich in den ersten Tagen an der Seite von Venezuela, Bolivien und Ecuador. Unterdessen hat er aber mehrfach abgewiegelt und sich auf Chile und Uruguay als Vorbilder berufen. Je nachdem, woher Druck auf ihn ausgeübt wird, gibt er - zumindest im Diskurs - nach. Die aktuelle regionale Krise mit ihrer Reorganisierung einer neoliberalen, unternehmerischen bis offen faschistischen Rechten, von Bolivien über Paraguay bis Argentinien, mit der Sojaproduktion als grundlegender Matrix, bedroht den ganzen demokratischen und emanzipatorischen Prozess.

Die Lage der Mehrheit der Bevölkerung in Paraguay, vor allem auf dem Land, ist ziemlich extrem. Die dringenden Bedürfnisse wegen der extremen Armut und anderer Probleme wie der Umwelt schaffen eine Unrast und zwingen die neue Regierung zu schnellen und wirkungsvollen Antworten. Vor allem bei der Landfrage und der Verteidigung des kleinbäuerlichen und indigenen Territoriums gegen den Vormarsch der Sojamonokulturen. Der Druck des Agrobusiness auf die Regierung ist sehr gross. Noch hält Lugo an der Unterstützung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft fest, aber das wird nicht leicht werden angesichts von konspirierenden politischen Gruppen, der Schwäche der staatlichen Institutionen, dem Fehlen von Kadern und TechnikerInnen und der Dringlichkeit der sozialen Bedürfnisse. Alle diese Faktoren können potentiell und relativ leicht dazu benutzt werden, um die öffentliche Meinung und die mobilisierten gesellschaftlichen Gruppen zu manipulieren.

Angesichts institutioneller Blockierung und Boykotts der Legislative, der Administration und der Judikative müsste die Regierung auf Notstandsdekrete setzen, wie dies Néstor Kirchner in Argentinien gemacht hat. Dies scheint der einzige Weg, um eine Politik der neuen Regierung in Gang setzen zu können. Im Falle der Trockenheit im Chaco und der unmenschlichen Lage der Indigenas wurde ja bereits der Notstand erklärt, um den bürokratischen Hindernislauf möglichst zu vermeiden und direkt und wirkungsvoll Hilfe leisten zu können. Sogar das traditionelle Transchaco-Rally wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, was zu Protesten von Unternehmenssektoren geführt hat.

Die sozialen Organisationen aus dem Landesinnern fordern die Erklärung des Agrarnotstandes, den sie selber mit Hilfe von einigen organischen Intellektuellen erarbeitet haben. Darin enthalten sind Kernpunkte wie die Verteilung von Produktionsgütern für Lebensmittelproduktion, das Verbot der Pestizidspritzungen auf Gemeindeterritorium, ein Moratorium für Landkauf und -pacht von Agrarreformland und eine generelle Amnestie für alle 3000 wegen Landkonflikten kriminalisierten Bauern.

Die nächsten Wochen werden wegweisend sein. Und die neue Regierung wird an den Tatsachen gemessen werden müssen und nicht mehr an Absichtserklärungen. Der Wille von Lugo scheint da zu sein, die Bauernfamilien vor Vergiftungen zu schützen. Aber die zuständige Behörde SENAVE hat gerade mal drei Fahrzeuge landesweit, um die Anwendung der Pestizide zu überwachen. Bei fast drei Millionen Hektar Soja im Land ist das weniger als ein Tropfen auf den heissen Stein und die Verteidigung des Existenzrechts wird deshalb einmal mehr von der Durchsetzungskraft der lokalen Organisationen in ihrer direkten Auseinandersetzung mit dem Agrobusiness abhängen. Die Anwesenheit von 800 schwerbewaffneten brasilianischen Paramilitärs in der Ostregion zum Schutz der Sojaproduktion kann da aber schnell zu einer unkontrollierbaren und sehr gewalttätigen Lage führen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die neue Regierung in diesem Spannungsfeld geschickt und strategisch verhält.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 155, 18. November 2008, S. 6-9
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009