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CORREOS/066: Guatemala - Das Recht zu wissen


Correos des las Américas - Nr. 157, 27. April 2009

GUATEMALA
Das Recht zu wissen

Von Barbara Müller


Die Erforschung von Geheimarchiven der Polizei ermöglicht heute das partielle Aufdecken von Kriegsverbrechen in den vergangenen Jahrzehnten. Doch gleichzeitig wird eine prominente Menschenrechtlerin entführt und gefoltert.


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"Das Recht zu Wissen" ist der Titel des ersten Berichtes, den das Menschenrechtsprokurat (PDH) am 24. März 2009 der Öffentlichkeit vorlegte und in dem die bisher erreichten Ergebnisse der seit 2006 unternommenen Untersuchungen des Archivs der Nationalpolizei (PN) dargestellt werden. Dieses war zufällig im Juli 2005 zunächst in den Kellergewölben des Kommissariats in der hauptstädtischen Zone 6 und daraufhin in einigen weiteren Polizeidienststellen gefunden und schliesslich in der Hauptstadt zusammengetragen worden. Es umfasst rund 80 Millionen Dokumente aus den Jahren 1882 bis 1997, als die Nationalpolizei im Rahmen des Friedensprozesses aufgelöst und die Institution der Zivilen Nationalpolizei (PNC) gegründet.

Längst war bekannt, dass die Nationalpolizei faktisch dem Militär untergeordnet war. In den nun veröffentlichten Akten werden nicht nur die Befehlshierarchien und Strukturen der Polizei ersichtlich, sondern es gibt, mehr als zu Beginn vermutet, umfangreiche Dokumentationen mit namentlicher Nennung der Durchführenden über den Umgang und Verbleib von damals politisch Verfolgten. Etwa 7,8 Millionen Dokumente aus den Jahren 1975 bis 1985, der brutalsten Zeit des internen bewaffneten Konflikts, sind mittlerweile digitalisiert und so zugänglich gemacht worden.

So wurden tatsächlich rund 100 Unterlagen gefunden, auf deren Grundlage Anfang März zwei mutmassliche Täter verhaftetet werden konnten, die 25 Jahre nach der Tat für das Verschwinden des damals 27jährigen Studenten und Gewerkschaftlers Édgar Fernando García am 18. Februar 1984 verantwortlich gemacht werden. Das Verbrechen an García, der mit der heutigen Abgeordneten der Partei Encuentro por Guatemala (EG) Nineth Montenegro verheiratet war, gehörte zu den bekannten Fällen des staatlich angeordneten Verschwindenlassens in Guatemala. Für Montenegro war es der Anlass, mit anderen Familienangehörigen von Verschwundenen im Juni 1984 die Menschenrechtsorganisation Gruppe gegenseitige Hilfe (GAM) zu gründen.

Die nun verhafteten ehemaligen Angehörigen der Nationalpolizei, der 52jährige Héctor Roderico Ramírez Ríos und der 48jährige Abraham Lancerio Gómez Cálix, warten auf ihren Prozess. Angeklagt sind sie beide der Geiselnahme und des Amtsmissbrauchs. Bislang werden sie nicht des Verbrechens des erzwungenen Verschwindens und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit belangt. Widersprüchlich sind diesbezüglich die Aussagen des zuständigen Richters hinsichtlich der Tatsache, dass diese Art von Verbrechen erst 1996 in den Strafkatalog gesetzlich aufgenommen wurden, dieser aber nicht rückwirkend anwendbar sei. Gleichzeitig spricht jedoch für die Anwendbarkeit des Gesetzes in diesem Fall, dass die Familienangehörigen seit dem Verschwinden die Gerichtsinstanzen ersucht haben, in dem Fall zu ermitteln und erreicht haben, dass die PDH im Fall García just 1996 die Untersuchungen aufgenommen hat.

Der Angeklagte Ramírez Ríos ist seit 28 Jahren im Polizeidienst und in den letzten Jahren bis zu seiner Verhaftung als Kommissariatschef in Quetzaltenango tätig gewesen. Über Gómez ist bislang nur bekannt, dass er aktuell nicht mehr bei der Polizei arbeitet.

Der Staatsanwaltschaft war auf eigenen Antrag hin bereits Anfang März vom Menschenrechtsprokurat die im Archiv der Nationalpolizei lokalisierte Dokumentation über das Verschwinden von studentischen Kadern in den Jahren 1978 bis 1980 (unter der Regierung von Ex-Präsident Romeo Lucas García) überreicht worden.

Die Öffnung des Archivs für Opfer, Familienangehörige, ForscherInnen und JournalistInnen am 24. März dieses Jahres, begann mit einer Ehrung von 746 während des Konflikts verschwundenen Frauen. Präsidentengattin Sandra Torres setzte eine Pflanze im städtischen Rosengarten in der Nähe des Archivs. Am späteren Nachmittag übergab Menschenrechtsprokurator Sergio Morales den Bericht "Das Recht zu Wissen" an diverse hohe Funktionsträger. Anwesend bei der Präsentation von Auszügen aus dem Bericht waren rund 800 Personen, darunter VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen und Angehörige von Opfern, die vor den Anwesenden Zeugnis ablegten über den von ihnen erlebten Horror.

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung sprach sich Ombudsmann Morales dafür aus, ein Büro der Staatsanwaltschaft in der Nähe des Archivs der Nationalpolizei zu eröffnen, damit diejenigen Personen, die in den historischen Dokumenten Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen finden, diese gleich zur Anzeige bringen können. Auch berichtete er von Morddrohungen gegen ihn selber und gegen den Anwalt der PDH, der sich mit dem Fall García beschäftigt und wenige Tage nach den Festnahmen vor seinem Haus von Unbekannten zusammengeschlagen worden war. Zudem seien, so Morales, im Umkreis des Archivs verdächtige Fahrzeuge beobachtete worden, die die im Archiv Arbeitenden fotografierten.

Nur 11 Stunden nach der Präsentation des Berichts wird die Anwältin Gladys Monterroso Velásquez, Ehefrau von Sergio Morales und aktives Mitglied der von Nineth Montenegro präsidierten Partei Encuentro por Guatemala (EG) entführt und gefoltert. Sie wurde von drei maskierten Unbekannten beim Verlassen eines Restaurants in ein Auto gezerrt und 13 Stunden in einem Haus in der randstädtischen Zone 18 festgehalten; ihr wurden Drogen verabreicht, sie wurde geschlagen, mit einer Pistole bedroht und auf ihrem Körper wurden brennende Zigaretten ausgedrückt. Schliesslich wurde sie drogenbetäubt in einem Strassengraben in einem Wohnviertel der Zone 18 deponiert.

Morales bat derweil die US-amerikanische Regierung, ein Team zusammenzustellen, um den Fall der Entführung seiner Frau und der MitarbeiterInnen der PDH aufzuklären, da er nicht ausschliesse, dass "einige Mächte von Seiten der Regierung" hinter den Taten stecken.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 157, 27. April 2009, S. 21
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2009