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CORREOS/100: Guatemala - Vom Krimi zum Drama


Correos des las Américas - Nr. 162, 16. Juli 2010

Vom Krimi zum Drama

Von Barbara Müller


Am 7. Juni ist der Leiter der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) zurückgetreten mit der Erklärung: «Ich kann nichts mehr für Guatemala tun». Überraschende Worte für jemanden, der seit gut drei Jahren minutiös hinter den grossen Fischen des guatemalteksichen Verbrechens her ist und dabei auch schon einige Erfolge vorzuweisen hat.


Seit Anfang September 2007 im Land, konzentrierte sich die CICIG die ersten beiden Jahre vorwiegend darauf, interne Veränderungen im Justiz-, Polizei- und Gefängniswesen voranzutreiben, Gesetzesreformen im Bereich Sicherheit zu begleiten und staatliche Institutionen bei der Durchsetzung ihrer Autorität zu stärken. Zwar nahm sie auch Anzeigen in konkreten Verbrechensfällen entgegen, den ersten grossen Coup landete sie jedoch erst Ende Januar 2009 mit der Absetzung und Verhaftung des damaligen Staatsanwaltes Álvaro Matus, welcher der Behinderung der Justiz und des Amtsmissbrauch angeklagt wurde. Ein Jahr später folgte mit der Verhaftung des Ex-Präsidenten Alfonso Portillo, der wegen Geldhinterziehung im grossen Stil angeklagt ist, ein weiterer Streich gegen das organisierte Verbrechen.

Kurz darauf dann der grosse Knall: Nach neun Monaten akribischer Arbeit, an der 300 FunktionärInnen aus elf Ländern beteiligt waren, die zusammen insgesamt 10.000 Dokumente studierten, 135 ZeugInnenaussagen aufnahmen und rund 100.000 Telefongespräche analysierten, gab am 12. Januar 2010 Carlos Castresana, Leiter der CICIG, die Details bekannt, die belegen, dass Anwalt Rodrigo Rosenberg, dessen Ermordung im Mai 2009 eine Staatskrise ausgelöst hat (siehe Correos 158, August 2009, [im Schattenblick zu finden unter: www.schattenblick.de -> Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse: CORREOS/000: Guatemala - Rosenbergs Video] ), seinen Mord höchstpersönlich in Auftrag gab. Damit stellte er alle bisherigen Thesen (u. a. der Präsident Alvaro Colom selber sei daran beteiligt gewesen) in den Schatten und entblösste all jene, die hofften, aus dieser Geschichte ihr eigenes Süppchen zu kochen, sei dies wahltaktischer oder machtpolitischer Art - was leider viel zu wenig thematisiert wurde, aber durchaus zu den politischen Phänomenen Guatemalas gehört.


Den Unberührbaren zu nahe getreten

Der Rücktritt von Carlos Castresana und die Untersuchungen der letzten Monate, die zur Verhaftung der intellektuell Verantwortlichen am Mord von Rodrigo Rosenberg geführt haben, beweisen, dass Castresana den vermeintlich Unberührbaren zu nahe getreten ist.

Im Rahmen dieser Verhaftungen wurde ein Plan aufgedeckt, mit dem die CICIG und ihr Leiter hätten sabotiert und diskreditiert werden sollen. Und er belegt ebenso einen engen Zusammenhang mit der Wahl des neuen Generalstaatsanwaltes, gegen die sich Castresana vehement ausgesprochen hatte. Gemäss KennerInnen des Themas haben sich seit der Verhaftung Portillos diverse bisher konkurrierende Gruppen des organisierten Verbrechens einander angenähert unter dem Motto «gemeinsam gegen Castresana». Diese Anti-CICIG-Stimmung wurde auch über die Medien immer wieder verbreitet, wo KolumnistInnen sich lang und breit über die «fremde Einmischung in interne Angelegenheiten» ausliessen.

Einer der im Zusammenhang mit der Ermordung von Rosenberg Verhafteten ist Nicolaid Julio Rodolfo Ibarra Figueredo, ein anerkannter PR-Mann, der früher in der Kommunikationsabteilung von Ex-Präsident Berger arbeitete und heute für die Öffentlichkeitsarbeit der oppositionellen Partido Patriota zuständig ist. Diese gehörte u.a. zu den obengannten Suppenköchen, hielt sie doch nach der Ermordung Rosenbergs die Polizei und die Justiz wochenlang auf Trab mit erfundenen Zeugen und Beweisen, deren Sinn einzig die Verunglimpfung der politischen GegnerInnen (sprich der Regierungspartei) war.

Unklar ist die Rolle des Journalisten und Anwalts Mario David García. García war jener Freund Rosenbergs, der ihm bei der Aufnahme des berühmten Videos half. Dieses Video wurde vor dem Tod Rosenbergs aufgenommen und sofort nach seinem Tod unter die Leute gebracht. Rosenberg beschuldigte darin unter anderem den Präsidenten, an seinem und am Tod des Unternehmers Khalil Musa und dessen Tochter Marjorie schuld zu sein. Es trug dazu bei, dass sich sofort eine «Solidaritätsbewegung» aus dem bügerlichen Lager für Rosenberg bildete. Diese Unterstützungsbewegung war, bewusst oder unbewusst, Teil eines Komplotts gegen die Regierung und trug massgeblich zur damaligen Staatskrise bei. García sprach in seiner Radiosendung eine Woche vor Castresanas Rücktritt zum ersten Mal über eine potentielle Geliebte und über Untersuchungen, welche die UNO gegen den CICIG-Mann am führen sei. Castresana und die UNO wehrten sich gegen diese Behauptung.

Ibarra Figueredo und García sind hier stellvertretend aufgeführt für eine ganze Reihe von Personen, die dank ihrer finanziellen oder politischen Position, dank einer Vergangenheit in Militär oder Geheimdienstkreisen oder dank familiärer Verbandelung in offiziellen und inoffiziellen Machtpositionen sitzen. Nicht zuletzt hat die CICIG ja das Mandat, die «parallelen Kräfte und klandestinen Strukturen» aufzudecken und aufzulösen.


Die Rolle des Generalstaatsanwalts

Der am 25. Mai eingesetzte neue Generalstaatsanwalt Conrado Reyes war für die Verdeckung des Falls Rosenberg, aber auch für die Straflosigkeit in anderen korrupten und kriminellen Verbrechen, eine Schlüsselperson. Für klandestine Gruppen ist es unabdingbar, eine Person ihres Vertrauens auf diesem Posten zu haben, und entsprechend weit gingen sie, um dies auch zu erreichen. Castresana versuchte seit Beginn des Auswahlprozederes den Finger darauf zu legen, dass die KandidatInnen ihre Finanzen und Beziehungen transparent machen müssten, und sprach sich gegen verschiedene KandidatInnen - darunter auch Conrado Reyes - wiederholt aus.

Castresana wies darauf hin, dass Reyes, einmal zum Generalstaatsanwalt ernannt, sofort jene Spezialabteilung der Staatsanwaltschaft, die eng mit der CICIG zusammenarbeitet, unter Kontrolle nahm. Er ordnete an, dass sämtliche Haft- und Durchsuchungsbefehle über seinen Schreibtisch zu laufen hätten, und wechselte einen Teil des Personals mit Leuten aus, die ihm loyal sind. So setzte er zum Beispiel Edna Barco wieder ein, die entlassen wurde, weil sie Informationen über ein Narco-Massaker in Zacapa durchsickern liess, oder Zoraida Samayoa, die Informationen im Fall des Ex-Staatsanwalts Alvaro Matus weitergab. Seine Sicherheit übergab Reyes an Osman Contreras und an Juan Roberto Garrido. Contreras ist ein Ex-Militär, der Carlos Quintanilla, dem ehemaligen Sicherheitsberater von Präsident Colom, nahe steht, welcher wiederum für den bis heute unaufgeklärten Abhörskandal im Präsidentenpalast verantwortlich ist. Und Garrido wird des Drogenhandels bezichigt und ist in den «Jahrhundert»-Diebstahl der 9 Millionen US-$ im Flughafen La Aurora verwickelt.


Wie weiter?

Der Rücktritt von Carlos Castresana hat ein mittleres politisches Erdbeben ausgelöst. Zwar hielt Präsident Colom dem neugewählten Generalstaatsanwalt noch drei Tage die Stange, doch als das Verfassungsgericht die Wahl als ungültig erklärte und ihn absetzte, schwenkt auch Colom um. Sofort versprach er der CICIG seine volle Unterstützung und erklärte öffentlich, dass er den Beweisen, die Castresana gegen Reyes vorgebracht habe, voll und ganz traue. Derweil übernahmen die von Reyes abgesetzten Personen innerhalb der Staatsanwaltschaft wieder ihre Ämter. Zur «Sicherheit» wurde die Staatsanwaltschaft während dieser Übergangszeit in den Nächten von der Polizei bewacht, um zu verhindern, dass Dokumente verschwinden.

«¿Quién tiró la tolla? - Wer warf das Handtuch?», fragte rhetorisch ein Kolumnist nach dem Rücktritt von Castresana. Jener, weil er persönlich «nichts mehr für Guatemala tun kann», oder die UNO, seine Auftraggeberin, weil sie keine Hoffnung mehr sieht, das Land aus den Klauen des organisierten Verbrechens zu befreien und es somit implizit zum «failed state» erklärt?


Der Nachfolger

Francisco Dall'Anese Ruiz, bisheriger Generalstaatsanwalt von Costa Rica, wurde am 1. Juli als Nachfolger für Carlos Castresana als neuer Chef der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) ernannt. Der neue CICIG-Leiter hat schon in Costa Rica erfolgreiche Ermittlungen gegen Drogenhandel und Korruption geführt. Diese endeten in Strafprozessen gegen die Expräsidenten Miguel Ángel Rodríguez und Rafael Ángel Calderón.

Rodríguez (Präsident von 1998-2002) hatte Beträge in Millionenhöhe von der Telekommunikationsfirma Alcatel und von einer anderen Firma, welche in enger Verbindung mit der taiwanschen Regierung stand, bekommen. Calderón (Präsident von 1990-1994) seinerseits wurde 2009 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er hatte vom Kauf von medizinischen Geräten bei einer finnischen Firma durch die staatliche Krankenkasse finanziell profitiert.

Dall'Anese wird als ehrlich und unbestechlich beschrieben, als erfahren und erfolgreich. Laut Javier Monterroso vom Institut für vergleichende Studien in der Strafrechtswissenschaft (ICCPG) ist es interessant, die Erfahrung Costa Ricas in Guatemala mit einzubeziehen, da diese Land über eines der besten Einrichtungen polizeilicher Nachforschnung verfügt.

Die grosse Herausforderung für Dall'Anese wird sein, dass die verbleibende Arbeitszeit der Kommission genau in die Zeit der guatemaltekischen Wahlkampagne fällt, was erfahrungsgemäss eine politisch unruhige Zeit ist. Eine wichtige Rolle für seine Arbeit wird sicher der neue Generalstaatsanwalt bzw. die neue Generalstaatsanwältin spielen, dessen/deren Wahl nach der erzwungenen Absetzung von Conrado Reyes noch aussteht.

Die Ernennung Dall'Aneses trifft auf die Zustimmung der guatemaltekischen Zivilgesellschaft, auch das Unternehmertum hat sich positiv darüber geäussert. Und sie weckt Erwartungen auf allen Seiten.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 162, 16. Juli 2010, S. 8-9
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2010