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CORREOS/161: Gemeindewahlen in Nicaragua


Correos des las Américas - Nr. 172, 14. Dezember 2012

NICARAGUA
Stille Wahlen
Es war seltsam still um die nicaraguanischen Gemeindewahlen, in Nicaragua, aber auch in Europa und natürlich in der Schweiz.

von Gérald Fioretta



Mit 1.347 Millionen Stimmen gewann der FSLN, der seit 2008 in 109 Gemeinden regierte, 134 der 153 Gemeinden im Land. Er gewann vor allem 16 der 17 Departementshauptstädte, nur Bilwi an der Nordatlantikküste ging an die indigene Partei Yatama. Mit 67 Prozent der Stimmen vergrösserte der FSLN seinen prozentualen Vorsprung vor der rechten Opposition, die vor allem durch den PLC von Arnoldo Alemán und den PLI von Eduardo Montealegre vertreten war. Bei den Präsidentschaftswahlen vom November 2011 machte der FSLN 61 Prozent, der PLI 21 und der PLC nur 9 Prozent.

In 115 der 134 gewonnenen Gemeinden schnitt der FSLN besser ab als bei den Präsidentschaftswahlen, insbesondere in allen gewonnenen Departmenthauptstädten. Dies unterstreicht den Einfluss der energetischen und Sozialprogramme der sandinistischen Regierung, aber natürlich auch eine gute Gemeindeverwaltung. Ausser Bilwi sind die anderen 18 von der Opposition gewonnenen Gemeinden klein und mittelgross, alle im «Contra-Korridor» in der nördlichen Mitte des Landes und an der Atlantikküste gelegen. Der PLI hat 13 gewonnen, Yatama 3, der PLC 2 und ALN 1.

Dieser von den Umfragen angekündigte Sieg hätte grossartig gefeiert werden können. Das war aber nicht der Fall. Die sandinistische Stille nach den Wahlen ist das Echo auf die Stille vorher, die die Kampagne charakterisiert hat. Drei Faktoren können diese ambivalente Situation erklären.

Erstens hat die nicht nur von der Opposition und den USA und Europa in Frage gestellte Legitimität des Obersten Wahlrates CSE einen Teil der Allianz PLI-MRS zum Wahlboykott bewogen, um so den Sieg zu diskreditieren. Aber laut dem CSE lag die Abstinenz mit rund 45 Prozent nicht viel höher als bei den Gemeindewahlen 2004 und 2008, auch wenn das Wahlbeobachtungsinstitut IPADE, das erst die gleiche Zahl verbreitet hat, heute von 55 Prozent spricht. Mit 2 Millionen haben fast gleich viel an den Wahlen teilgenommen wie 2008, was per se ein etwas höheres Niveau der Stimmenthaltung als 2008 bedeutet, wenn auch innerhalb der historischen Margen von Gemeindewahlen. Letztlich hat die Abstinenzschlacht nicht stattgefunden.

Zweitens ist die Rechte nicht nur zwischen PLC und PLI-MRS gespalten, sondern auch quer durch diese Parteien entlang der Frage: Wahlbeteiligung oder nicht? Vorallem aber hat sie kein politisches Programm und war nicht wirklich fähig, eine Gemeindekampagne zu führen oder auf verantwortliche Weise an der Abwicklung der Wahlen selbst teilzunehmen - dies wegen des Mangels an fiscales, ParteivertreterInnen an den Urnen. Eine abwesende Rechte kann den Sieg nicht in Frage stellen.

Und drittens hat der FSLN dieses Mal beschlossen, keine Primärwahlen für die Ernennung seiner KandidatInnen durchzuführen. Dies wegen der Erfahrung aus früheren Primärwahlen mit ihren manchmal gewalttätigen Spaltungen zwischen den lokalen VorkandidatInnen. In vierzig Gemeinden hat die Ernennung von KandidatInnen Missmut (berechtigt oder nicht) bewirkt, der später zu neuen Spaltungen führen könnte. Und die Kampagne des Frente war einheitlich auf die Gemeindeprogramme und bisherige kommunale Verwaltungserfolge ausgerichtet, ohne je die Personen der KandidatInnen selbst in den Vordergrund zu rücken. Das schlug sich natürlich in der Wahlkampagne nieder, keine personenbezogenen Plakate, wenige mobilisierende Meetings. Dies hat zweifellos zu einer Abstinenz von sehr siegessicheren oder wegen der aufgedrückten Kandidaturen unzufriedenen Sandinistas geführt.

Daher dieser Eindruck von lautlosen Wahlen. Aber gehen wir auf einige Aspekte ein, denn der FSLN-Sieg vom 4. November kann den seit 2007 laufenden Volksprozess stärken oder gar dynamisieren.


Wahlreformen zugunsten der Frauen

Dank den Reformen von 2012 an den Wahl- und Gemeindegesetzen ist die Zahl der GemeinderäteInnen landesweit von 1271 auf 3350 gestiegen, wobei, international wenig beachtet, die Parität für die Posten von Bürgermeister/In und Vize sowie die GemeinderätInnen eingeführt worden ist. Somit werden die für 2012 bis 2016 gewählten 3350 GemeinderätInnen eine bessere Vertretung und Beteiligung der BürgerInnen an den Kommunalangelegenheiten ermöglichen. 77 Gemeinden haben eine Bürgermeisterin, 76 einen Bürgermeister (wobei die/der Vize jeweils zum andern Geschlecht gehört). Diese Parität entspricht einer bewussten Grundstrategie des Frente bezüglich der Rolle der Frauen in der Gesellschaft; unter anderem soll so mittelfristig auch ein 2006 nach dem Verbot jeder Abtreibung, auch der medizinisch indizierten, erfolgter Rückschlag mittelfristig wieder wettgemacht werden.


Das Symbol von La Trinidad

Die Schweizer Solidarität hat die Resultate aus einigen Gemeinden aufmerksam verfolgt. Der sandinistische Sieg in San Marcos im Departement Carazo, das dank des Engagements des Nica-Komitees in Biel seit 25 Jahren eine Städtepartnerschaft mit Biel hat, war erwartet worden. Seine Dimension - eine Stimme mehr als 75 Prozent - belegt die Qualität der Arbeit und ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung.

Der symbolträchtigste Sieg für die Schweizer Solidarität ist jedoch jener der GenossInnen des FSLN und des Movimiento Comunal in La Trinidad; mit letzterem ist das Nica-Komitee von Delémont im Rahmen der Städtepartnerschaft La Trinidad-Delémont verbunden. Zum ersten Mal seit 1990 gewinnt hier der FSLN. Ein knapper Sieg, 36 Prozent gegen eine mehrheitliche, aber gespaltene Rechte. Die Herausforderung ist jetzt, dass unsere GenossInnen und FreundInnen in den nächsten vier Jahren die Herzen und die bewussten Stimmen der WählerInnen gewinnen. Und zwar mit sozialen Programmen, aber auch mit produktiven Projekten für die klein- und mittelbäuerischen Kooperativen und die Genossenschaften der informellen ArbeiterInnen der Stadt.

Und spielte im Department Matagalpa, dem die Schweizer Solidarität historisch verbunden ist, nicht die von den sandinistischen Gemeinderegierungen und solidarischen NGOs in Gang gesetzte oder weiter gegebene soziale und produktive Kapazität eine wichtige Rolle? Ein sandinistischer Sieg mit mehr als der Hälfte der Stimmen in 10 der 14 Gemeinden; zum ersten Mal Matiguas und Rancho Grande mit mehr als 45 Prozent gewonnen, einzig Rio Blanco und Waslala bleiben antisandinistisch.

Schliesslich ist klar, dass die Stimmen der Jungen zu einem guten Teil den Fortschritt des Frente erklären. Dies dank der Programme für die Jungen, vor allem auf dem Land: Stipendien, um gegen die Schulflucht schon vom ersten Primarjahr an zu kämpfen, die eine technische Ausbildung und das Engagement in den Heimatsgemeinden in Programmen der Regierung und solidarischer NGOs favorisieren.

Die Stille um die Wahlen erscheint seltsam. Aber die Dimension des Sieges, seine Ursachen, die jetzt zu leistende Arbeit für die Dynamisierung des Volksprozesses sollte den neuen Gemeindebehörden, den Frauen und der BürgerInnenbeteiligung einen Schub geben.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 172, 14. Dezember 2012, S. 15+14
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2013