Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

CORREOS/191: Argentinien - "Und es regnete Steine, Frösche und Schlangen"


Correos de las Américas - Nr. 178, 22. August 2014

«Und es regnete Steine, Frösche und Schlangen»

Argentinien benimmt sich wieder ungebührlich, weigert sich, redlich seine Schulden abzuzahlen, und stürzt sich ins Elend. So der Medienbegleitchor zu einem unglaublich scharfen Angriff mit unbekannten Folgen.

von Dieter Drüssel



Während der Militärdiktatur (1976-83) zwangen die Militärs staatliche Unternehmen zur internationalen Schuldenaufnahme für die Armee, von den westlichen Gläubigern freudig gewährt. Unter der Regierung Menem wurde 1996 der Peso fix an den Dollar angebunden. Resultat: Einbruch der dadurch verteuerten Exporte. Privatisierungen sollten als Ersatz die für den Schuldendienst nötigen Dollars hereinholen. 2001 wurden, unter «Beratung» der CS, $28 Mrd. zu $40 Mrd. umgeschuldet. Resultat: Spekulationsgelder trieben die Landesanleihen in absurde Höhen - der IWF bejubelte sein «argentinische Erfolgsrezept» -, danach stürzten sie im Handel auf maximal 28% ihres Nominalwertes ab - das transnationale Kartell wusch sich die Hände in der «argentinischen Unfähigkeit».

2001 revoltierten die Unterklassen gegen die Sozialkriegsessenz dieser Politik. 2002 erklärte Argentinien den Zahlungsstopp (Default) für die privat gehaltenen, meist billigst erworbenen $80 Mrd. der insgesamt $160 Mrd. Aussenschulden. Die italienische Zentralbank musste zugeben, dass die Finanzinstitute des bel paese, die jahrelang saftige Risikozinsen eingestrichen hatten, ihre argentinischen Bonds «rechtzeitig» an 400.000 ihrer KundInnen teuer gegen deren Altersersparnisse abgestossen hatten. 2005 und 2010 kam es zur Umschuldung der auf dem Sekundärmarkt zu Schrottpreisen gehandelten Bonds bei einem Nominalabschlag von bis zu 70%, an der sich fast 93% der BondhalterInnen beteiligten. Die meisten von ihnen erzielten so dank billig erworbener Bonds feiste Gewinne. Soviel zum Mediengejammer über den «brutalen» Abschlag.

7% der BondhalterInnen, deren prominentester der Grosssponsor der US-Republikanischen Partei Paul Singer ist, verweigerten die Teilnahme an der Umschuldung(1). Es handelt sich dabei vor allem um Geierfonds, darauf spezialisiert, Bonds bankrotter Staaten zum Schleuderpreis zu kaufen und die Auszahlung des Nominalwertes durchzusetzen. Die argentinischen Kirchnerregierungen aber wollten nicht spuren. Singer und weitere Holdouts klagten in New York auf Auszahlung von einem Dollar Nominalwert pro «investierte» 6 Cents und erhielten vom Bundesrichter für Manhattan, Thomas Griesa, Recht. Der Mann untersagte alle Zahlungen Argentiniens für die restrukturierten Fonds, solange nicht Singer & Co. zuerst der Vollwert von $1.5 Mrd. führ ihre Bonds ausbezahlt werde. Ein Appellationsgericht und das Oberste Gericht stützten Griesa, der im Juni einen definitiven Zahlungstermin bis 30. Juli 2014 setzte. Die von der argentinischen Regierung im Juli geleisteten Zahlungen von $539 Mio. für die restrukturierten Bonds liess Griesa sperren (sie erfolgten vertragsgemäss über bestimmte internationale Banken).

Doch was hat die US-Justiz mit der Frage zu tun? Weniger als ein Viertel der umgeschuldeten Bonds legen als Gerichtsstand New York fest, die Mehrheit läuft unter argentinischem, andere unter britischem und ganz wenige unter japanischem Recht. Der Geierrichter verbot nun schlicht alle umgeschuldeten Zahlungen, also auch jene, die nicht dem US-Recht unterliegen. (Und welche Bank legt sich mit den USA an?) Mit gleicher «amerikanischer Unbekümmertheit» behandelte Griesa (und mit ihm der Supreme Court) die famose Pari Passu-Klausel in den Bonds, wonach alle BondhalterInnen gleich behandelt werden. Laut Griesa beinhaltet die Klausel aber: Eine Umschuldung ist nur möglich, wenn alle BondhalterInnen ihr zustimmen. Und zuerst müssen die Holdouts mit für andere bestimmten argentinischen Staatsgeldern voll ausbezahlt werden, bevor die anderen BondhalterInnen kassieren dürfen. Am 30. Juli 2014 verstrich die angeblich letzte Zahlungsfrist. Laut transnationaler Finanzindustrie befindet sich das Land jetzt im (Teil-) Default, auch wenn es kein Default ist, da Argentinien ja gezahlt hat. Wäre die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner Griesas Order gefolgt, müsste das Land jetzt wahrscheinlich, aufgrund der Umschuldungsverträge, für die restrukturierten Bonds den vollen ursprünglichen Nominalwert zahlen; die argentinische Regierung redet von bis zu $500 Mrd., was ungefähr dem letztjährigem Bruttoinlandprodukt BIP entspricht.

Die Auswirkungen der US-Rechtssprechung, die ihre bisherige Praxis umstösst und sogar die eigenen gesetzlichen FSIA-Limiten für Prozesse gegen souveräne Staaten aushebelt(2), sind in Argentinien und global noch nicht ermessbar. Vorerst wird Argentinien, das nach dem Default 2002 weitgehend vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten blieb, seine Aspirationen auf neue westliche Kredite herunterschrauben müssen (s. dazu Lucita in diesem Heft). Wieweit die klassische argentinische Bourgeoisie und die Rechte die Lage nutzen (können), um mit einem «Chaosszenario» Stimmung für die Wahlen von Oktober 2015 zu machen, wird sich zeigen (Kapitalflucht, «präventive» Teuerung, Anheizen von Dollarkäufen statt Konsumausgaben etc.).

Lange sah es so aus, dass eine Reihe Regierungen von westlichen Staaten (inklusive USA) und Schwellenländern und der IWF die Linie von Singer/Griesa ablehnen. Denn sie gefährdet direkt jede Restrukturierung von Staatsschulden. Zwar sehen die meisten Bondverträge jetzt vor, dass es 25 % der BondhalterInnen braucht, um eine Umschuldung zu blockieren - doch wird es nach diesem Präzedenzfall nicht schwer sein, diese Posse aufzustellen. Starökonom Joseph Stiglitz kritisiert den von der US-Justiz geschaffenen «enormen Schaden für die globalen Staatsschuldenmärkte» (New York Times, 1.8.14). Deshalb positionierte sich der IWF gegen die Geierfonds; er kündigte eine entsprechende Intervention (amicus curiae brief) im Verfahren vor dem Supreme Court letzten Juni an, der dann per Nichteintreten Griesas Urteil stützte. Mark Weisbrot vom Center for Economic and Policy Research schreibt dazu: «Warum trat der Supreme Court nicht auf den Fall ein? Möglicherweise wurde er von einer Haltungsänderung der US-Regierung beeinflusst, die ihn zur Überzeugung brachte, dass der Fall nicht wichtig sei. Die US-Regierung legte keinen amicus brief vor dem Supreme Court ein, obwohl sie dies im Appellationsverfahren gemacht hatte. Ebenso wenig tat dies - grosses Geheimnis - der IWF, obwohl er öffentlich Besorgnis über die Folgen des Entscheids geäussert hat.» (cepr.net, 24.6.14: Who Shot Argentina?)

Hinter einigen der Griesa-kritischen Artikeln in den USA steckt schlicht die Besorgnis des Finanzplatzes New York, aufgrund der neuen Justiz lukrative Bondgeschäfte an die Konkurrenz in London zu verlieren. Für die New York Times ist Griesa von der Materie schlicht überfordert. Das erklärt aber nicht das Vorgehen des US-Finanzdepartmements, des IWF und des Supreme Court. Obama hätte die Verfassungskompetenz, den Entscheid der US-Justiz mit Verweis auf dessen Gefährdung der US-Aussenpolitik zu annullieren. Das hatte George W. Bush gemacht, als schon damals Singer Eigentum des Kongro-Brazzaville in den USA beschlagnahmen lassen wollte(5). Offenbar findet im imperialen Lager eine Auseinandersetzung über neue Finanzstrategien zum «Management» grosser Weltteile statt, deren Konturen noch wenig erschlossen sind. Nebenbei: Singers Lobby American Task Force Argentina (ATFA) bezahlt den ultrareaktionären Ex-Kongressabgeordneten Connie Mack (Republikaner) mit seinen Vorstössen für eine verallgemeinerte Zuständigkeit der US-Justiz für ausländische Schuldner und wird von Clintons ehemaligem Vizewirtschaftsminister Robert Raben geleitet. Und der ATFA-Energieökonom Bernard Weinstein vom George W. Bush Institute drohte damit, dass ein Default die Investitionen in die riesigen Schiefergasvorkommen der Vaca Muerta bedrohe. Aus argentinischen Regierungskreisen fragt man: «Wie erklärt sich, dass der [Signer-]Geierfonds NML von der US-Justiz die Bewilligung erhielt, Informationen über die Aktiven von YPF [argentinische staatliche Ölgesellschaft] zu suchen, vor allem über jene in der Provinz Neuquén [Vaca Muerta]?»(3)

Wird sich die transnationale US-Justiz im Griesagewand durchsetzen? Oder wird sie die US-Finanzhegemonie zugunsten neuer Akteure wie der BRICS-Staaten schwächen? Immerhin hat Argentinien gerade von China für 1 Jahr Devisenreserven für $11 Mrd. erhalten, nicht nichts. Die BRICS-Staaten gründen eine eigene «Weltbank» und einen eigenen Währungsfonds, der Banco del Sur der Alba-Länder gibt nach jahrelanger Paralyse wieder Lebenszeichen von sich, selbst die OAS stellte sich hinter Argentinien. Das sind mehr als rhetorische Eintagsfliegen, als die sie «unsere» Medien meist hinstellen (im Wald pfeifen?).

Die chinesischen Kredite an Argentinien, etwa für die schnellere Soja-Verschiffung nach China oder den Bau eines AKWs, zeigen aber auch, wie widersprüchlich die Lage ist. Das Kirchner-Lager steht für die Sojaisierung der Landwirtschaft und für die versuchte Rückkehr an die transnationalen Finanzmärkte. Die Regierung hat offenbar von Fukushima nie etwas gehört (wie leider auch nicht Evo Morales, der ebenfalls ein AKW will). Definitiv reaktionär. Gleichzeitig wird sie von der globalen und der argentinischen Rechten nicht zufällig systematisch angegriffen. Sie unterschiedslos bei den Rechten einzuordnen, ist nicht nur wegen der Auseinandersetzung mit den radikalen Fonds, sondern auch aus anderen Gründen falsch: massive Reduktion der Verschuldung in Fremdwährung, mutiger Kampf gegen die Armeestraflosigkeit, Rückgang der Arbeitslosigkeit (bei prekären Jobs, aber weniger prekär als früher) und der Armut etc.

Für die transnationale Stossrichtung gegen den Kirchnerismus reicht es, sich die von Kolonialpaternalismus und oft bewussten Lügen triefende Berichterstattung im Mainstream anzusehen. Nur als Beispiel das Credo, argentinische «Misswirtschaft» führe zu Problemen und Default. Um das zu untermauern, lesen wir wiederholt krasse Falschaussagen wie diese: «Beim letzten Zahlungsstopp vor 13 Jahren schrumpfte die Wirtschaft um 21%, die Arbeitslosigkeit schnellte auf 23% hoch.» (NZZ Online 31.7.14: Argentinien erneut im Default) Weiss der Wirtschaftskorrespondent wirklich nicht, dass es genau umgekehrt war? Die Wirtschaft schrumpfte vor dem Default und erholte sich danach. Die damalige Krise war natürlich ausgelöst durch das argentinisch-internationale Verschuldungsmanagement. Und heute lesen wir vom gleichen Schreiber, wie Argentinien damals «einer der besten Kunden von Wall Street gewesen» sei und das hoffentlich bald wieder werde (NZZ, 31.7.14: Der Default Argentiniens als Geschäftsmodell). Cristina Kirchner dazu: «Das kenne ich, sie sagten, es würde [nach der CS-geleiteten Umschuldung von 2001] Dollars regnen, und es regnete Steine, Frösche und Schlangen auf uns nieder.(4)»

Doch leider scheint ihre Regierung das Wort «illegitime Schulden» vergessen zu haben. Dabei ist ein Grossteil der aktuellen Schulden genau das, mithin nicht zurückzubezahlen. Seit 2003 hat das Land schon $ 190 Mrd. «zurückbezahlt». Warum macht das die Regierung: aus kapitalistischer Orientierung oder wegen ungünstigem Kräfteverhältnis? Wer die Frage nach den Machtverhältnissen ausklammert, gibt keine überzeugende Antwort.


Anmerkungen

(1) Für die haarsträubende globale Verbrecherkarriere von Singer siehe gregpalast.com, 30.7.14: The Vulture: Chewing Argentina's Living Corpse

(2) Vgl. Página 12, 3.8.14: Un fallo que atenta contra la inmunidad soberana ; Página 12, 8.8.14: Ir a La Haya contra los EE.UU. es una vía correcta

(3) Página 12, 17.7.14: La American Task Force Argentina advirió por la Vaca Muerta

(4) Página 12, 27.7.14: «Van a tener que inventar un nombre nuevo»

(5) The Guardian, Online, 7.8.14: How Barack Obama could end the Argentina debt crisis

*

Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 178, 22. August 2014, S. 20-21
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2014