Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


CORREOS/201: Venezuela - Amerika-Gipfel und Gangstertrio


Correos de las Américas - Nr. 181, 15. Mai 2015

VENEZUELA
Amerika-Gipfel und Gangstertrio

Washington verschärft seine Aggression gegen das chavistische Venezuela und verliert damit in Lateinamerika an Boden. Aggressionsvorwand: Das Schicksal von drei «Freiheitshelden».

von Philipp Zimmermann


Solch einen schweren Stand wie Barack Obama am vergangenen 11. April am Amerika-Gipfel in Panama hatte wohl noch kein US-Präsident bei einem kontinentalen Treffen. Erstmals nach fast sechs Jahrzehnten erzwungener Abwesenheit sass ihm Kubas Regierungschef als ebenbürtiges Mitglied der diplomatischen Runde gegenüber. Und Raúl Castro sparte nicht mit Kritik an der völkerrechtswidrigen Blockadepolitik, die die USA seit 1961 gegen die sozialistische Karibikinsel aufrechterhalten. Doch neben dem diplomatischen Erfolg Kubas dürfte Obama auch das Auftreten der anderen lateinamerikanischen Staatschefs gewurmt haben: Reihum beschuldigten sie die USA, sich wie eine Kolonialmacht aufzuführen, die Region zu destabilisieren und dabei die eigenen Verfassungsideale zu ignorieren.

Hauptsächlicher Ansatzpunkt der Kritik war ein Mitte März erlassenes Dekret, in dem US-Präsident Obama einen «nationalen Notstand» ausgerufen und Venezuela zur «ungewöhnlichen und ausserordentlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten» erklärt hatte.(1) Zudem erliess Obama Sanktionen gegen mehrere Funktionäre der Regierung von Präsident Nicolás Maduro. Das Dekret stiess in der Folge weltweit wahlweise auf scharfe Ablehnung oder auf Hohn und Spott. Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández bezeichnete die Haltung Washingtons als «total lächerlich». Gremien wie der Staatenbund Unasur, die Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac), die Staaten des Regionalbündnisses ALBA, die Gemeinschaft der Entwicklungsländer G77 plus China sowie die Regierung Russlands wiesen das Dekret als Akt der Aggression und unerwünschte Einmischung in die Angelegenheiten Venezuelas zurück. Eine internationale Unterschriftensammlung, die Obama zur sofortigen Rücknahme der Order auffordert, erreichte innert weniger Wochen über 11 Millionen Unterschriften. Und der Twitter-Hashtag #ObamaDeroga-ElDecretoYa (Obama, nimm das Dekret sofort zurück) landete zeitweise unter den weltweit meistgenutzten Schlagwörtern in den sozialen Medien.

Aufgrund des grossen internationalen Drucks sah sich der stellvertretende US-Sicherheitsberater Ben Rhodes noch vor dem Amerika-Gipfel gezwungen, in einer Stellungnahme zu versichern, dass alles gar nicht so ernst gemeint sei. «Die USA glauben nicht, dass Venezuela irgendeine Bedrohung für unsere nationale Sicherheit ist», so der Regierungssprecher. Doch so laute nun einmal das «Format», das es dem Präsidenten ermögliche, Sanktionen gegen ein Land zu verhängen.(2)

Die Sanktionen waren im ursprünglichen Dekret gegen sieben venezolanische Regierungsfunktionäre ausgesprochen worden, die sich Verstössen gegen die Menschenrechte schuldig gemacht und politische Gegner verfolgt hätten. Namentlich als «Verfolgte» genannt werden die drei rechten Oppositionspolitiker Leopoldo López, Daniel Ceballos und Antonio Ledezma, die sich zu dem Zeitpunkt alle in Haft befanden. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf diese drei Personen zu werfen, um die Dynamik der Auseinandersetzung zwischen den USA und Venezuela besser zu verstehen.


Der Fall Leopoldo López

Leopoldo López, Anführer der rechtsgerichteten Partei Voluntad Popular (Volkswille) wurde am 18. Februar 2014 verhaftet. In den Tagen zuvor hatten Angriffe von Oppositionsanhängern auf öffentliche Gebäude, Gesundheitsstationen, Lebensmittelmärkte und auf Privathäuser von Regierungspolitikern in Caracas und anderen Städten mehrere Todesopfer gefordert. López rief zusammen mit Rechtspolitikern wie der Abgeordneten María Corina Machado und dem Bürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, seine Anhänger dazu auf, nicht von der Strasse zu weichen, bis die Regierung von Präsident Maduro gestürzt sei. Unter dem Titel La Salida (Der Ausweg) forderten die Oppositionellen die Regierung ultimativ zum Rücktritt auf. Die Proteste gerieten aus dem Ruder, als Vermummte das Wohnhaus der Gouverneurs des westlichen Bundesstaates Táchira sowie das Gebäude der Staatsanwaltschaft in Caracas mit Molotowcocktails angriffen. Der per Haftbefehl als Verantwortlicher der Ausschreitungen gesuchte López führte noch mehrere Tage lang Protestkundgebungen an, bis er sich an der Spitze einer Demonstration den Behörden stellte. Insgesamt forderten die Ausschreitungen, die auch nach López' Verhaftung weitergingen, 43 Todesopfer.

López ist kein unbeschriebenes Blatt, was gewaltsame Umsturzversuche angeht. Im April 2002 war er massgeblich an den Vorbereitungen zum Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Hugo Chávez beteiligt. Als Bürgermeister des reichen Stadtviertel Chacao in Caracas beaufsichtigte er während des Putsches die Verhaftung des Innenministers der legitimen Regierung. Nachdem der Putsch durch eine Volkserhebung niedergeschlagen war, durfte López aufgrund einer Amnestie für die Putschisten sein Amt weiter ausüben. In der Folge erlaubte er, dass in seinem Stadtteil regierungsfeindliche Militärs während Monaten einen öffentlichen Platz besetzten und zum Sturz des Präsidenten aufriefen. Im Jahr 2008 wurde López wegen Korruption verurteilt und für sechs Jahr von der Ausübung öffentlicher Ämter ausgeschlossen.

Wenige Tage nach seiner Verhaftung im Februar 2014 erhob die Staatsanwaltschaft formell Klage gegen López, im Juni vergangenen Jahres begann der Prozess, der zurzeit noch anhängig ist. Unterdessen begannen sowohl das US-Aussenministerium als auch verschiedene Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch eine Kampagne zur Freilassung von López, der angeblich als «politischer Gefangener» festgehalten werde. López' Ehefrau Lilian Tintori und seine in Genf wohnhafte Tante Julieta López pilgerten von Veranstaltung zu Veranstaltung, um das Schicksal des «Verfolgten» zu beklagen.


Der Fall Daniel Ceballos

Im Laufe der Ausschreitungen im Frühjahr 2014 wurde auch der Bürgermeister der Stadt San Cristóbal im Bundesstaat Táchira verhaftet. In San Cristóbal hatten Anfang Februar die gewaltsamen oppositionellen Proteste ihren Anfang genommen, als das Wohnhaus von Gouverneur José Gregorio Vielma Mora überfallen wurde. Täglich blockierten militante Gruppen die Hauptverkehrsstrassen der Stadt und griffen Mitglieder der Nationalgarde mit Schusswaffen an. Bürgermeister Ceballos, der López' Partei Voluntad Popular angehört, ignorierte eine Anweisung des Obersten Gerichtes, den freien Verkehr von Personen und Fahrzeugen zu garantieren, und unterstützte stattdessen die Demonstranten. Er beteiligte sich sogar persönlich und vermummt am Aufbau von Barrikaden.

Nach seiner Verhaftung wurde Ceballos von einem Gericht seines Amtes enthoben und zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt. Ende März 2015 wurde er nach Verbüssung der Strafe ordnungsgemäss aus der Haft entlassen.


Der Fall Antonio Ledezma

Anfang April hat die Staatsanwaltschaft Klage gegen den bisherigen Grossbürgermeister von Caracas wegen Verschwörung zu einem Putsch erhoben. Ledezma wurde am 19. April im Zusammenhang mit einem kurz zuvor gescheiterten Putschversuch (s. Kasten) verhaftet. Er hatte in diesem Zusammenhang zusammen mit Leopoldo López und der Rechtspolitikerin María Corina Machado einen Aufruf für eine «Übergangsregierung» unterzeichnet. Von verhafteten Mitverschwörern war er in abgehörten Skype-Kommunikationen als politisches Schlüsselelement im Putschvorhaben genannt worden. Menschenrechtsgruppen in Venezuela fordern seine strafrechtliche Verfolgung für seine herausragende Rolle als Gouverneur des Grossraums Caracas bei den Anti-IWF-Unruhen von 1989, bei denen die Sicherheitskräfte mehrere tausend Protestierende ermordet hatten.


KASTEN

Weiterer Putschversuch

(dd) Am 12. Februar 2015 gab Präsident Maduro die Verhaftung einer Reihe teils hochrangiger aktiver und passiver Militärs wegen eines für diesen Tag geplanten Putschversuchs bekannt. Eine Reihe von staatlichen Ministerien, das Parlament, der Regierungssitz, der Fernsehsender Telesur, die Wahlbehörde u .a. sollten dabei aus der Luft bombardiert werden. Den Auftakt dafür sollte die tatsächlich am 11. Februar vom rechten Führungstrio López, Ledezma und Machado firmierte «Einigung für den Übergang» abgeben, das den «unausweichlichen Zusammenbruch der Regierung» und die von einer Übergangsregierung zu ergreifenden Massnahmen thematisierte: «Venezuela erneut in die internationalen Finanzflüsse» integrieren, die «Autonomie» der Zentralbank wiederherstellen, Entschädigungen für «willkürliche Enteignungen», Neuausrichtung der staatlichen Ölpolitik, «Freilassung der politischen Gefangenen» u. ä.

Teilweise veröffentlichte Aussagen von Gefangenen und Gesprächsprotokolle aus abgehörten Telefonaten ergeben das Bild eines von aktiven oder wegen früheren ähnlichen «Anlässen» schon inhaftierten oder nach Miami geflüchteten mittleren bis hohen Offizieren und einer Reihe prominenter RechtspolitikerInnen geplanten Coups. Ebenso waren Botschaftsmitglieder der USA, Grossbritanniens und Kanadas in verschiedenen Funktionen in die Putschvorbereitungen involviert. Insbesondere der US-Botschaft scheint eine koordinierende Funktion zugekommen zu sein. In jenen Wochen jagten Gerüchte über und Hinweise auf einen geplanten Putsch. Am 6. Februar 2015 berichtete amerika21.de, gestützt auf einen westlichen Diplomaten, in Brüssel ginge man von einem möglichen Militärputsch aus(3). Schon am Tag zuvor wurde das Schreiben des deutschen Geschäftsträgers in Caracas bekannt, in dem seine in Venezuela lebenden Landsleute aufforderte, sich angesichts bevorstehender Unruhen mit allem Lebensnotwendigen einzudecken(4).

Die Putschenthüllungen erfolgten in einer Zeit sich überschlagender Angriffe diverser Art gegen Venezuela(5), von denen einige ihr grosses Echo in den Mainstreammedien fanden. Doch die Enthüllungen zum Putschversuch wurden unterschlagen oder allenfalls in einer Randnotiz entsorgt, ganz nach der Diktion des US-State Departments als haltlose Phantastereien und Ablenkungsversuche von hausgemachten Problemen. Tatsächlich herrscht seither ein relatives mediales Schweigen zu Venezuela. Der Grund: Nach dem gescheiterten Versuch der Kombination von Putsch und Strassenunruhen und angesichts der Empörung im Südkontinent über Obamas Dekret gegen Venezuela muss das Empire einen neuen Destabilisierungsanlauf nehmen. Kommt er in die Gänge, können wir alles Vertrauen in die Mainstreammedien haben, dass sie wieder in «leidenschaftlichem Interesse» an Venezuela entflammen werden.


Anmerkungen

(1) amerika21.de/2015/03/114105/nationale-sicherheit-usa

(2) amerika21.de/2015/04/117662/venezuela-keine-gefahr

(3) amerika21.de/2015/02/111819/warnungen-putsch-venezuela

(4) http://zas-correos.blogspot.ch/2015/02/venezuela-deutsche-botschaft-macht-auf.html

(5) s. http://zas-correos.blogspot.ch/2015/02/venezuela informationen-zum-putschplan.html

*

Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 181, 15. Mai 2015, S. 24-25
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang