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DAS BLÄTTCHEN/1006: Freie Fahrt für Rüstungsexporte


Das Blättchen - Nr. 1 vom 18. Januar 2010
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

Freie Fahrt für Rüstungsexporte

Von Wolfgang Schwarz


Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hierzulande, hat sich der zivile Exportweltmeister Bundesrepublik im neuen Jahrtausend ein zusätzliches Standbein zugelegt - durch eine kräftige Ausweitung seiner Rüstungsausfuhren. Im Zeitraum von 2004 bis 2008, so das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI, das den globalen Rüstungshandel seit fast 60 Jahren analysiert, sind die deutschen Rüstungsexporte um 70 Prozent gestiegen, während der Zuwachs des weltweiten Waffenhandels im gleichen Zeitraum deutlich niedriger ausfiel. Er lag bei 21 Prozent. Mit inzwischen zehn Prozent Anteil an den globalen Rüstungsexporten ist die Bundesrepublik nächst den USA (31 Prozent) und Rußland (25 Prozent) zum drittgrößten Lieferanten aufgestiegen und hat so traditionelle Waffenhändler wie Großbritannien und Frankreich hinter sich gelassen.

Deutsche Rüstungsproduzenten, die in ihrem Segment international Spitzenstellungen einnehmen, sind insbesondere Krauss-Maffei Wegmann (Panzer), ThyssenKrupp (Fregatten, Korvetten, U-Boote), EADS (Kampfhubschrauber), Rheinmetall (Munition), Diehl (Rüstungselektronik) sowie Heckler & Koch (Maschinenpistolen, Sturmgewehre). Das Sturmgewehr G 3 aus der letztgenannten Waffenschmiede ist neben der Kalaschnikow AK-47 das weltweit am meisten verbreitete Tötungsgerät. Auch die Taliban in Afghanistan verwenden dieses Modell. Wie es in deren Hände gelangt ist, darüber kann nur spekuliert werden. Vielleicht rächen sich hier Exporte aus der Vergangenheit: Eine Produktionslizenz war durch eine frühere Bundesregierung an das damals befreundete Schah-Regime im Iran vergeben, größere Stückzahlen waren auch an Pakistan geliefert worden.

Der Aufstieg der Bundesrepublik im Ranking der globalen Rüstungslieferanten geschah im übrigen keineswegs im Selbstlauf, denn militärische Güter unterliegen in der Bundesrepublik bestimmten Ausfuhrbeschränkungen und Genehmigungsverfahren. Der Aufstieg vollzog sich vielmehr durch zielgerichtete Förderung und immer großzügigere Bewilligungen seitens wechselnder Bundesregierungen - beginnend unter der Ägide von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sowie seines damaligen Außenministers Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) und bruchlos fortgesetzt unter Angela Merkel (CDU).

Laut aktuellem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung - er stammt vom Dezember 2008 (1) -, wurden 2007 Rüstungsexporte im Umfang von 8,8 Mrd. Euro genehmigt. Das war eine Steigerung um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2006: 7,7 Mrd., 2005: 6,2 Mrd.). Dass diese Entwicklung zu dem unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel wiederholt geäußerten Credo, die Regierung betreibe eine restriktive Rüstungsexportpolitik, in direktem Widerspruch steht, liegt einerseits auf der Hand, muß andererseits aber nicht verwundern. Denn im Weißbuch zur Sicherheitspolitik 2006 hatte sich die Bundesregierung ausdrücklich dazu bekannt, daß sie "die Exportbemühungen deutscher wehrtechnischer Unternehmen (unterstützt), um eine ausreichende Auslastung der Kapazitäten zu fördern". Mit vollem erfolg: 70 Prozent der deutschen Rüstungsproduktion gehen derzeit bereits ins Ausland.

Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, daß die Bundesregierung an übermäßiger oder gar vollständiger Transparenz der deutschen Rüstungsexporte kein vordergründiges Interesse hat und das Ihrige tut, um Transparenz nicht aufkommen zu lassen. Das beginnt schon damit, daß Parlament und Öffentlichkeit über erfolgteExportgenehmigungen grundsätzlich erst mit mindestens einjähriger Verspätung informiert werden. Dadurch ist, wie der seinerzeitige sicherheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Winfried Nachtweih, im April dieses Jahes zutreffend kritisierte, "eine begleitende parlamentarische Kontrolle unmöglich". Damit korrespondiert die Auskunftspraxis der Regierung, wenn diese Problematik im Bundestag - was überhaupt nur ausgesprochen selten der Fall ist - Gegenstand von Anfragen der Opposition ist. Da geben sich Regierungsvertreter dann ausgesprochen schmallippig und verweigern praktisch jegliche konkreten Auskünfte.(2)

Darüber hinaus fokussieren die Rüstungskontrollberichte der Bundesregierung ihren Blick grundsätzlich auf die Ausfuhrgenehmigungen, nicht auf die realen Ausfuhren. Angaben zum tatsächlichen Export gab es im Bericht für 2007 nur für so genannte Kriegswaffen - deren Ausfuhr lag laut Berichtsstatistik mit 1,1 Mrd. Euro leicht unter dem Niveau des Vorjahres. Doch die Aussagekraft derartiger "Wert"-Angaben ist, gelinde gesagt, höchst relativ. Das verdeutlicht folgender Sachverhalt: 2007 waren insgesamt 427 gebrauchte Leopard-Panzer der Bundeswehr an die Türkei, Griechenland, Singapur und Chile geliefert worden; in die Berichtsstatistik gingen sie jedoch zusammen mit anderen "Überschußwaffen" lediglich mit 33,8 Mio. Euro ein. Aber auch Panzer zum Nulltarif sind in einem geeigneten Umfeld volltaugliche Kriegsgeräte ...

Die gezielte Intransparenz der Genehmigungs- und Berichtspraxis der Bundesregierung hat noch weitere Facetten: So lassen sich zum Beispiel nicht immer die Endempfänger von militärischem Material "Made in Germany" ohne weiteres ermitteln. Neben Einzelausfuhrgenehmigungen, in denen die Adressaten expressis verbis genannt werden, gibt es nämlich noch Sammelausfuhrgenehmigungen (Umfang 2007: mehr als fünf Mrd. Euro). Sie werden im Kontext rüstungswirtschaftlicher Kooperationen mit NATO- und EU-Partnern erteilt. Dabei geht es "nur" um Komponenten aus deutscher Produktion, Endempfänger werden nicht benannt. Zum Beispiel ist bekannt, daß der israelische Standardpanzer Merkava ab Version 3 mit einer Kanone aus dem Hause Rheinmetall ausgestattet ist.

Nach wie vor ungeklärt ist demgegenüber, wie moderne Sturmgewehre G 36 von Heckler & Koch in die Hände georgischer Streitkräfte gelangen konnte, die sie 2008 im Konflikt mit Rußland einsetzten. Denn offiziell vertritt die Bundesregierung natürlich die Grundsätze des EU-Verhaltenskodexes, dem zufolge militärische Güter nicht in Konfliktregionen und an Diktaturen geliefert werden dürfen. Allerdings spricht die Praxis generell eher eine andere Sprache. So wurden laut einer Auswertung des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) zu den deutschen Rüstungsausfuhren im Jahre 2008 2.544 Einzelausfuhrgenehmigungen an 51 Staaten erteilt, die gemäß EU-Kriterien als problematisch einzustufen sind (unter anderem Ägypten, Saudi-Arabien, Pakistan, Sudan, Angola) - darunter 41 Länder, in denen die Einhaltung der Menschenrechte nicht westlichen Standards entspricht, und 24 Länder, in denen schwere Gewaltkonflikte im Gange sind.

Für die derzeitige Legislaturperiode ist befürchten, daß die neue schwarz-gelbe Bundesregierung Rüstungsexportgenehmigungen noch freizügiger erteilen wird als ihre Vorgängerinnen. Im Koalitionsvertrag ist jedenfalls nicht mehr - wie bisher üblich - von "restriktiver", sondern nur von "verantwortungsbewußter" Genehmigungspolitik die Rede. Zugleich ist vorgesehen, bestehende Vorschriften zu "entschlacken", weil diese deutsche Exporteure gegenüber europäischen Konkurrenten benachteiligten. Des weiteren soll die Vergabe staatlicher Hermes-Bürgschaften für Außenwirtschaftsgeschäfte vereinfacht werden. Mit diesem Instrument werden praktisch auch sämtliche größeren Rüstungsexportdeals abgesichert.

Experten wie der Leiter des Berliner Zentrums für Transatlantische Sicherheit, Ottfried Nassauer, haben zu Recht warnend auf diese Akzentverschiebungen hingewiesen. Welche praktischen Folgen die haben werden, wird angesichts der bisherigen Informationspraxis der Bundesregierung allerdings frühestens am Rüstungsexportbericht 2010 zu erkennen sein, und mit dem ist nicht vor Ende 2011 zu rechnen.


Anmerkungen:

(1) Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag der offizielle Rüstungsexportbericht 2008 der Bundesregierung noch nicht vor. Der am 15.12.2009 veröffentlichte turnusmäßige Rüstungsexportbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirchen und Entwicklung (GKKE) wies für 2008 Genehmigungen im Umfang von 8,32 Mrd. Euro aus.

(2) Ein Beispiel dafür war die Fragestunde des Deutschen Bundestages am 27. Mai 2009, deren Dokumentation im Internet nachgelesen werden kann:
http://www.nachtwei.de/index.php/articles/854


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 1 vom 18. Januar 2010, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 13. Jahrgang
Herausgegeben vom Freundeskreis der Weltbühne
Verantwortlich: Wolfgang Sabath
Telefon/Fax: 030 - 47 46 98 70
E-Mail: wsabath@aol.com
Internet: www.Das-Blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2010