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DAS BLÄTTCHEN/1039: Spekulation - und kein Ende


Das Blättchen - Nr. 13 vom 5. Juli 2010
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

Spekulation - und kein Ende

Von Wolfgang Schwarz


Es gibt kluge Bücher, die erscheinen zur falschen Zeit und werden daher kaum wahrgenommen. Nur manchmal kommt ihre Zeit doch noch - wie im Falle von John Kenneth Galbraith' "A Short History of Financial Euphoria". Das finanzkapitalismuskritische Büchlein kam 1990 auf den Markt. Da war der ökonomische Gegenentwurf zum Kapitalismus gerade dabei, auf ganzer Linie krachen zu gehen, was landauf, landab überwiegend als Sieg des westlichen Systems fehlinterpretiert wurde. Das war lediglich übrig geblieben - mit all seinem zweifellos noch vorhandenen Entwicklungspotential, aber auch mit all seinen systeminhärenten Furunkeln und potentiell tödlichen Krebsgeschwüren. Wer das vergessen hatte, sollte in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise nachhaltig daran erinnert worden sein.

Gerade ist Galbraith' Schrift erneut auf Deutsch erschienen - unter dem Titel "Eine kurze Geschichte der Spekulation", und jetzt passen Galbraith' Darlegungen wie die Faust aufs Auge. Der Autor analysiert die großen Finanzkrisen, die es im Kapitalismus seit der Spekulationsblase um Tulpen in den Niederlanden im frühen 17. Jahrhundert immer wieder gegeben hat, und führt den empirischen Nachweis, daß diesen Krisen noch stets die Spekulation vorausging. Die führt dazu, daß Preissteigerungen für das Objekt der Begierde (Tulpen in Holland, Gold in Louisiana, Immobilien in Florida usw. usf.) dessen realen Wert erst überschreiten und dann immer phantastischere (irreale) Preissteigerungen nach sich ziehen. In die Spekulationsphase, so Galbraith, "gewissermaßen eingebaut ist die Euphorie, die Massenflucht aus der Wirklichkeit, die jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem wahren Wesen der realen Abläufe vereitelt". Besser können Entstehung und Aufschaukeln der Spekulationsblase um faule Subprime-Immobilienkredite in den USA, die die derzeitige Krise ausgelöst haben, nicht beschrieben werden. Galbraith sieht in diesen Zusammenhängen einen systemimmanenten Wesenszug des Kapitalismus. Vor diesem Hintergrund lautet seine zentrale These, die die Axt an eines der grundlegenden Glaubensaxiome der Apologeten der Marktwirtschaft legt: Nicht nur einzelne Akteure im Finanzsystem können Fehler machen, es kann auch die Gesellschaft, das System als Ganzes irren. Oder anders ausgedrückt: Der Markt hat eben nicht immer recht!

Eine solche Schlussfolgerung aus der Geschichte der großen Finanzkrisen des Kapitalismus zu ziehen, mag angesichts der sich wiederholenden Muster und Verläufe geradezu zwangsläufig und wenig spektakulär erscheinen. Doch Vorsicht - gerade hat erst wieder einer der Hauptakteure auf der internationalen Finanzbühne, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, das Mantra verkündet: "The market is always right." Und der frühere Präsidentenberater und Havard-Professor Galbraith macht da für die Zukunft wenig Hoffnung, denn im Ergebnis seiner Untersuchungen konstatiert er, daß "der wiederholte Rückfall in den Schwachsinn" u.a. daraus resultiere, daß es an historischem Bewußtsein fehle. "Es gibt nur wenige Bereiche menschlichen Handelns, in denen die Geschichte so wenig zählt wie in der Welt des Geldes." Aber damit nicht genug: "Erfahrungen der Vergangenheit werden, sofern sie überhaupt im Gedächtnis haftengeblieben sind, als simple Ausflucht derjenigen abgetan, die nicht über die notwendige Einsicht verfügen, die unglaublichen Wunder der Gegenwart zu würdigen." Und im Hinblick auf das sich als Elite gerierende Spitzenpersonal in der nationalen und internationalen Finanzarchitektur warnt Galbraith vor der trügerischen Vorstellung, "Geld und Intelligenz müssten miteinander einhergehen": "In der Wirklichkeit stehen die Personen an der Spitze dieser Institutionen häufig deshalb dort, weil sie unter ihren Konkurrenten mental am berechenbarsten und daher verwaltungstechnisch am unproblematischsten waren; das kommt in großen Organisationen immer wieder vor."

Wenn man sieht, wie dilletantisch, inkonsequent und bisher praktisch wirkungslos die politischen Führungen der westlichen Industriestaaten bei der Bekämpfung der Finanzkrise bisher im Hinblick auf die Eindämmung oder gar ein Verbot von Spekulationen agiert haben, dann möchte man ihnen Galbraith zur Lektüre empfehlen. Das wäre aber nur sinnvoll, wenn Galbraith Hinweis auf die "Personen an der Spitze" nicht auch auf die politischen Institutionen zuträfe. Und dafür gibt es leider keine Anhaltspunkte.

John Kenneth Galbraith:
Eine kurze Geschichte der Spekulation.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010.
123 Seiten, 14,95 Euro


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 13 vom 5. Juli 2010, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 13. Jahrgang
Herausgegeben vom Freundeskreis der Weltbühne
Redaktion: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
Telefon/Fax: 030 - 47 46 98 70
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010