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DAS BLÄTTCHEN/1334: Häutung


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 21 | 14. Oktober 2013

Häutung

von Holger Politt, Warschau



Weniger eine Vereinigung, weniger ein Zusammenschluss, zuallererst der Versuch, eine bereits bestehende Struktur noch einmal neu aufzustellen. Neu aufstellen, um mehr Wind in die Segel zu bekommen. So ließe sich auf den kurzen Nenner bringen, was am ersten Oktoberwochenende in Polen für einiges Aufsehen sorgte. Janusz Palikot sah sich genötigt, seiner Bewegung ein neues Outfit und ein erweitertes Profil zu verschreiben - aus "Palikot-Bewegung" wurde nun "Deine Bewegung".

Der Parteitag, der diese Namensänderung mit großer Mehrheit absegnete, nahm zugleich inhaltliche Kurskorrekturen vor. Man sei jetzt breiter aufgestellt, komme so den Erwartungen in weiten Teilen der Bevölkerung besser entgegen. "Gleichheit, Fortschritt, Europa" - so die dreieinige Formel, mit der "Deine Bewegung" die Hürden der Wahlen zum EU-Parlament im nächsten und zum Sejm im übernächsten Jahr nehmen will. Und Palikot gab gleich die Messlatte vor: Nicht zehn Prozent, wie im Herbst 2011, sondern der Sieg sei das Ziel. In Umfragen lag die Palikot-Bewegung zuletzt meistens bei fünf Prozent, mitunter darunter.

Jede Veränderung, so Palikot, böte mehr Chancen als Risiken. Mit diesem liberalen Geist wurden auch die neuen programmatischen Vorstellungen gestrickt. Während noch 2012 ein durch Piotr Ikonowicz geschriebener Abschnitt entschieden und an vorderster Stelle den Schutz der Arbeit und der Arbeitnehmer forderte, ordnet sich nun alles einer "Strategie für Wirtschaftsentwicklung" unter, womit in erster Linie die erhoffte Schlacht gegen die regierenden Wirtschaftsliberalen der Bürgerplattform Platforma Obywatelska (PO) vorbereitet werden soll. Die umfassende Entlastung des Klein- und Mittelstands solle allen Bürgern zugutekommen, so mit einer Bürgerrente, wodurch die gesetzliche Rentenversicherung - die Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gleichermaßen belaste - ganz wegfalle.

Diese Linie war bereits angelegt, als die Palikot-Leute im Parlament das Regierungsvorhaben unterstützten, das gesetzliche Renteneinstiegsalter auf einheitliche 67 Jahre heraufzusetzen. Palikots Argument bei dieser Gelegenheit: Im 21. Jahrhundert könne Sozialpolitik nicht mehr betrieben werden wie im 19. Jahrhundert, da gehöre nunmehr alles auf den Prüfstand. Anders gesagt, der Wirtschaftsaufschwung müsse untersetzt und abgesichert werden durch höchstmögliche Flexibilität, die insbesondere unternehmerischen Geist und eigene Initiative belohne. Das komme dann schließlich allen zugute, folgte man nur den Rezepten der Palikot-Liberalen.

Das linksliberale Profil, also die Forderungen nach konsequenter Trennung von Kirche und Staat, nach umfassender Gleichstellung von Minderheiten und nach Liberalisierung des rigiden Abtreibungsgesetztes, soll wie bisher ein fester und wichtiger Bestandteil im Programm der Bewegung bleiben. Dafür steht außerdem der Beitritt der antiklerikalen Partei Racja, die sich als erste und bisher einzige kleine Partei vollständig in "Deine Bewegung" integriert hat. Viele andere kleinere Gruppierungen links von der Mitte haben Sympathien erkennen lassen, scheuen sich einstweilen aber vor der endgültigen Aufgabe des eigenen Parteischildes.

Von den prominenten Abtrünnigen der Linksdemokraten (SLD) ist bisher nur Marek Siwiec an Bord gegangen, Ryszard Kalisz wartet ab, da noch gar nicht ausgemacht sei, wie die Europawahlen 2014 tatsächlich bestritten werden sollten. Er hält es also für möglich, dass "Deine Bewegung" selbst nur wieder Teil oder Kern einer breiteren linksliberalen Europa-Liste werden könnte, so wie sie Aleksander Kwaśniewski einst beschworen hatte.

Zufrieden zurücklehnen darf sich jetzt Leszek Miller, denn das Manöver von Palikot verschafft ihm wieder mehr Spielräume im eigenen Feld: Die Belagerung der SLD-Burg durch den umtriebigen Palikot ist aufgehoben, der nun in eine andere Schlacht zieht. Miller ist sich sicher, dass Palikots neue Angriffslust gegenüber der PO nur die Kehrseite des Abfalls von Jaroslaw Gowin ist, der droht, den konservativen Flügel der PO mit sich zu reißen. Während das Schlachtgetümmel im wirtschaftsliberalen Feld immer lauter wird, hofft Miller, seinen SLD-Garten wieder friedlicher und ruhiger bestellen zu können.

Allerdings sind sich die meisten Beobachter einig, dass die Namenswahl "Deine Bewegung" eher provisorisch klingt, denn von einem großen Aufbruch in der Gesellschaft könne dort, wo Palikot herumgeistert, gar nicht die Rede sein. Ob also die Häutung ihren Zweck erfüllen, ob "Deine Bewegung" der erhoffte Jungbrunnen sein wird, werden die kommenden Monate zeigen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 21/2013 vom 14. Oktober 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2013