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DAS BLÄTTCHEN/1517: Wiener Melange - mit Risiken und Nebenwirkungen


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Wiener Melange - mit Risiken und Nebenwirkungen

von Gabriele Muthesius


Auch bei vollständiger Umsetzung der Wiener Vereinbarungen wird Iran in militärischer Hinsicht ein nukleares Schwellenland bleiben. Mohamed ElBaradei, Ex-Chef der IAEA, konstatierte, "die Führung in Iran [...] hat ihr Ziel erreicht: Iran ist eine virtuelle Atommacht". Und Udo Steinbach, der langjährige Direktor des Deutschen Orient-Instituts, hat völlig zu Recht auf folgendes hingewiesen: "Wenn sich die sicherheitspolitischen Bedingungen um Iran herum so verändern würden, dass Teheran doch eine Atombombe bauen will, können kein Abkommen und keine Sanktionen das verhindern."

Den Schwellenmachtstatus kann dem Land als Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages (NPT) - gemäß dessen Bestimmungen im Hinblick auf die friedliche Nutzung der Kernenergie, inklusive Uran-Anreicherung für zivile Zwecke, - niemand verweigern, auch wenn etwa die israelische Führung das immer wieder fordert. Tel Aviv - illegale Atommacht seit Jahrzehnten und Nicht-Mitglied des NPT - hat dem Iran kurz nach Abschluss der Wiener Übereinkunft erneut Militärschläge angedroht. Nunmehr für den Fall einer Verletzung der Wiener Vereinbarungen. Um verbunkerte Atomanlagen sicher zerstören zu können, fehlen Israel aber weiterhin geeignete konventionelle Systeme, die die USA zu liefern bisher stets verweigert haben ...

Nukleare Schwellenmächte gibt es im Übrigen etliche auf der Welt (etwa Japan, Südkorea), und in der Vergangenheit haben schon einige von ihnen die Finger nach der Bombe ausgestreckt (Südafrika, Brasilien, Argentinien), sie dann jedoch wieder von entsprechenden Projekten gelassen, zum Teil auf der Basis internationaler Vereinbarungen.

Im Hinblick auf den Iran lautet die entscheidende Frage, ob und inwieweit es gelingen wird, Teheran in die internationale Gemeinschaft zu reintegrieren. Einen grundlegenden Ansatz dafür hat Christoph Bertram, der frühere Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, bereits 2008 entwickelt - mit der Perspektive, "den Iran nicht länger als Gegner zu sehen, sondern ihn als Partner zu gewinnen". An die Adresse jener im Westen, die lieber Feindbilder kultivieren, erging seitens des Autors damals der nach wie vor zutreffende Hinweis, dass es "in der Außenpolitik gängige Übung ist, auch solche Länder zum Kreis umworbener Partner zu rechnen, die es an demokratischer Struktur und Gesinnung fehlen lassen". Bertram setzte sich insbesondere auch mit dem vorherrschenden Iran-Bild im Westen auf eine immer noch - oder besser: gerade jetzt wieder - bedenkenswerte Weise auseinander. (Siehe dazu ausführlich den Beitrag von Christoph Bertram in dieser Blättchen-Ausgabe.)

Vor diesem Hintergrund könnte der rasche Iran-Besuch von Bundeswirtschaftsminister Siegmar Gabriel in Teheran nach Abschluss der Wiener Übereinkunft, von manchen Seiten als vorschnelles Vorpreschen gescholten, auch ein Schritt in die richtige Richtung gewesen sein.

Die Frage nach der Reintegration Irans in die internationale Gemeinschaft ist aber längst nicht die einzige von strategischer Relevanz, die im Gefolge der Wiener Vereinbarungen zu stellen ist.

So verwundert am Wiener Deal, dass er - nach dreizehn Jahren und wiederholt vor dem Scheitern stehender Verhandlungen - ausgerechnet jetzt zustande gekommen ist, und dies verwundert vor allem deswegen, weil Iran nun unterm Strich weniger Verpflichtungen eingegangen ist, als das Land im Jahre 2003 seinerseits angeboten hatte. Damals sogar inklusive einer "Anerkennung Israels bei einer Lösung der Palästina-Frage", wie man unter anderem bei Bertram nachlesen kann. (Diese Angebot wurde seinerzeit von der Bush-Administration mit ignoriert.) Das nährt den Verdacht, dass jetzt amerikanischerseits in Wien die Einschränkung des iranischen Atomprogramms nicht das alleinige Ziel gewesen ist: Spätestens seit Ausbruch der Ukraine-Krise suchen einflussreiche Kräfte in den USA auch wieder verstärkt nach Wegen, Moskau nachhaltig in Schwierigkeiten zu bringen. Das verspricht man sich zum Beispiel von einem dauerhaft niedrigen Ölpreis. Der ist - bei stagnierender internationaler Nachfrage - vor allem dank außerordentlich gesteigerter Produktion in den USA (Stichwort Fracking) und ungebremster Förderung Saudi-Arabiens - seit Juli 2014 bereits um etwa 50 Prozent gefallen, von 106,06 US-Dollar auf 53,17 ein Jahr später. Der russische Staatshaushalt ist aber mit einem Preis von etwa 100 Dollar pro Fass kalkuliert. Wenn nun infolge der Lösung des Atomstreits Iran als einer der größten Produzenten auf den internationalen Ölmarkt zurückkehrt, mit zusätzlich bis zu einer Million Fass pro Tag bis Ende 2016, wie Experten annehmen, dann ließe sich der Druck auf den Preis und damit auf die Deviseneinnahmen Moskaus gegebenenfalls weiter erhöhen. Auch für den Iran selbst fielen dadurch dringend benötigte Einnahmen weit geringer aus als erwartet. Und noch für einen dritten Antipoden Washingtons wären die Folgen negativ: für Venezuela mit seiner außerordentlich hohen Abhängigkeit von Ölexporten.

Derartige Erwägungen könnten zur Bereitschaft Washingtons, den Atomstreit jetzt doch noch einer diplomatischen Lösung zuzuführen, beigetragen haben. Schon im Herbst vergangenen Jahres jedenfalls hatte Thomas Friedman in der New York Times, gemutmaßt, die USA würden versuchen "mit Präsident Wladimir Putin aus Russland und dem iranischen obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei exakt dasselbe anzustellen, was die Amerikaner und Saudis einst den Führern der Sowjetunion antaten: Sie ins Grab zu pumpen - sie zu ruinieren, indem der Ölpreis unter das Niveau fällt, das beide Länder zur Finanzierung ihrer Haushalte benötigen." Und Ian Bremmer, Präsident der Eurasia Group, einer US-Beratungsfirma, erklärte im Juli gegenüber der Zeitschrift The National Interest: "Russland, das die Hälfte seiner Regierungseinnahmen aus Energieexporten bezieht, wird durch die niedrigen Preise geschwächt werden."

Es ist natürlich davon auszugehen, dass man in Moskau nicht unbedingt die New York Times lesen muss, um ein derartiges Kalkül in Rechnung zu stellen. Doch offenbar wogen andere russische Interessen im Hinblick auf das Atom-Abkommen schwerer - zuvorderst die Verhinderung eines weiteren (islamischen) Nuklearstaates im Süden Russlands und der Ausbau privilegierter, auch wirtschaftlicher und militärischer Beziehungen zu Iran als Macht mit regionalem Führungsanspruch, nicht zuletzt gegenüber Saudi-Arabien, dem Hauptverbündeten der USA im Mittleren Osten. Russlands Präsident Putin hatte im Übrigen bereits im April die vor fünf Jahren auf Eis gelegte Lieferung modernster weitreichender russischer Luftabwehrsysteme vom Typ S-300 an den Iran wieder frei gegeben und inzwischen verlautbarte, dass erste Boden-Luft-Raketen noch 2015 übergeben werden sollen. Das ist zugleich ein Signal an alle, die künftig Luftschläge gegen Teheran in Erwägung ziehen, wenn man auch nicht gleich ganz so weit gehen sollte wie die Website sputniknews der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya, die eine US-Online-Zeit ung zitierte, um mitzuteilen, "die Lieferung von Flugabwehr-Raketensystemen S-300 an den Iran wird US-Luftangriffe auf iranische Atomanlagen fast unmöglich machen".

Eine weitere Koinzidenz mit dem Wiener Übereinkommen fällt ebenfalls in die Kategorie "Risiken und Nebenwirkungen": Als sich der Deal von Wien abzeichnete, legten die Aktienkurse solcher US-Rüstungsfirmen wie Boeing (5,00 Prozent), Northrop Grumman (5,24 Prozent), Lookheed Martin (5,78 Prozent) und Raytheon (4,37 Prozent) kräftig zu. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: "Für Hersteller konventioneller Waffen ist der Dienstag, an dem das Atom-Abkommen mit Iran unterzeichnet wurde, ein Tag zum Feiern. [...] Für Irans Gegner in der Region ist das ein Grund, die Aufrüstung der vergangenen Jahre nun erst recht zu forcieren." In den letzten zehn Jahren habe der Zuwachs der Militärausgaben Saudi-Arabiens 112 Prozent, Bahreins 126 Prozent und der Vereinigten Arabischen Emirate 135 Prozent betragen. Das Wiener Abkommen, "das ist eine bittere Ironie, lässt viel Raum für Aufrüstung. Der Wettstreit um Panzer, Gewehre und Raketen dürfte sich eher noch beschleunigen."

Und die USA werden daran wohl keinen geringen Anteil haben, denn nach der Vereinbarung von Wien erhielt Israel das Angebot amerikanischer "Militärhilfe in bisher beispielloser Höhe", inklusive zusätzlicher Tarnkappenbomber, Raketen und Abwehrsysteme, wie die FAZ zu berichten wusste. Bereits im Mai hatte US-Präsident Obama darüber hinaus den Golfstaaten den Aufbau eines gemeinsamen, gegen Iran gerichteten Raketenabwehrsystems angeboten.

Auch Frankreich steht in den Startlöchern, nachdem unter anderem Saudi-Arabien und Ägypten Interesse an den zwei Hubschrauber-Trägern vom Typ "Mistral" bekundet haben, die für Russland gebaut, dann aber nach Ausbruch der Ukraine-Krise nicht geliefert worden waren.

Und nicht zuletzt sind aus dem Iran Töne zu vernehmen, die im Hinblick auf ein fortgesetztes konventionelles Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten Öl ins Feuer gießen: Der stellvertretende Verteidigungsminister Hussein Daghan verkündete nach dem Wiener Deal, sein Land werde sich vom Bau weitreichender Raketen nicht abhalten lassen.

Damit könnte eine Überlegung des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier womöglich bereits obsolet sein, bevor sie praktisch überhaupt ausprobiert werden konnte. Steinmeier hat in einem "Die Atom-Einigung nutzen" betitelten Namensbeitrag in der FAZ, der anschließend unter anderem auch in Medien Frankreichs, Russlands, der Türkei und der USA erschien, geäußert: "Mit dem E3+3-Format haben wir ein funktionierendes Verhandlungsformat geschaffen, das jahrzehntelange Sprachlosigkeit zwischen Iran und den Vereinigten Staaten überwinden half und gleichzeitig die großen internationalen Spieler hat zusammenrücken und gemeinsame Interessen vertreten lassen. Vielleicht können wir jetzt das Momentum der historischen Einigung von Wien nutzen, um anderswo in der Region Versuche zu starten, die schweren Konflikte zu entschärfen. Dafür - das zeigt die Wiener Vereinbarung - braucht es zwei Dinge: Einigkeit der internationalen Gemeinschaft und den festen Willen, nach gemeinsamen Interessen zu handeln, aber auch die Geduld und Bereitschaft, sich einer Lösung in kleinen, pragmatischen Schritten zu nähern, Misstrauen abzubauen und Ideen und Gesprächsformate zu erproben."

Es wird nicht zuletzt von Initiativen Deutschlands abhängen, ob dieser Vorschlag überhaupt die Chance zur Praxiserprobung erhält.

Teil I - "Wiener Melange ..." - ist im Blättchen 15/2015 erschienen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 17/2015 vom 17. August 2015, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 18. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2015

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