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DAS BLÄTTCHEN/1676: Roman Dmowskis Fußstapfen


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
20. Jahrgang | Nummer 6 | 13. März 2017

Roman Dmowskis Fußstapfen

von Holger Politt, Warschau


Polens heimlicher Staatsführer heißt Jarosław Kaczyński. Seit November 2015 führt er die Geschicke des Landes, auch wenn er es im bescheidenen Hauptsitz seiner Partei tut. Fast jeden Tag erscheint er dort gegen 10 Uhr und nimmt die Zügel in die Hand. Staatspräsident Andrzej Duda und Ministerpräsidentin Beata Szydło stehen zwar protokollarisch in höherer Verantwortung, doch kommen sie nach wie vor nicht aus dem übermächtigen Schatten des kleinen PiS-Mannes heraus. Bei Duda mag es noch eine Frage der Zeit sein, denn schließlich will er 2020 wiedergewählt werden, doch Beata Szydlo hat sich in der Statistenrolle eingerichtet. Sie verwaltet den großen nationalkonservativen Wandel, während Kaczyński diesen führt.

Mit Kaczyński scheinen die alten Gespenster und Gefahren wieder aufgezogen zu sein, so als ob Polen am 1. Mai 2004 gar nicht der Europäischen Union beigetreten wäre. Deshalb steht er auf hoher Wacht, um polnisches Interesse gegen das der Deutschen zu verteidigen. In Berlin sieht er die größte Gefahr für seinen Feldzug in Sachen nationaler Identität, wobei es den Deutschen geschickt gelungen sei, immerzu die Brüsseler Institutionen vorzuschieben. Zuletzt drückte er seine starken Vorbehalte gegenüber dem westlichen Nachbarn in der Frage der Wiederwahl des EU-Ratspräsidenten aus: Donald Tusk sei der deutsche Kandidat, nicht der polnische.

Kaczyński ist nicht der erste in einer langen Reihe von Politikern, die als höchste Pflicht polnischer Außenpolitik den Schutz gegen die von Deutschland ausgehenden Gefährdungen ansehen. Den Anfang hatte Roman Dmowski (1864-1939) gemacht, der legendäre Anführer der Nationaldemokraten, wie Polens moderne, "bürgerliche" Nationalisten sich einst bezeichnet hatten. Er wollte einen polnischen Nationalstaat durchsetzen, der nach Osten hin endlich reinen Tisch macht, soweit er nämlich die Siedlungsgebiete der Belorussen und Ukrainer eher als ein "natürliches" Einflussgebiet Moskaus akzeptierte. Im Innern galt es die zahlenmäßig starke jüdische Minderheit, die zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, wie auch immer unter Kontrolle zu halten, weil mit ihr sowieso kein rechter (National-)Staat zu machen sei. Es blieb somit das Verhältnis zu Deutschland, in dem Dmowski die eigentliche Herausforderung und Bedrohung für Polens staatliche Unabhängigkeit gesehen hatte. Diesem deutschen Drang nach Osten einen Riegel vorzuschieben, hatte er für das erste Gebot polnischer Staatsräson gehalten.

Als einen entschiedenen Nachteil in der Auseinandersetzung mit dem starken Nachbarn hatte Dmowski den auffälligen Hang der Polen zu politischer Romantik ausgemacht, worunter in erster Linie die Tradition der gegen Russland gerichteten Nationalaufstände verstanden wurde. Diese Tradition müsse, so Dmowskis eindringliche Warnung, der klugen Rücksicht auf tatsächliches Kräfteverhältnis und der nüchternen Einschätzung eigener Entwicklungsmöglichkeiten weichen. Im Kern ging es ihm darum, einem nationalpolnisch ausgerichteten Bürgertum politisch den Weg zu ebnen. Insofern waren seine auffälligen antisemitischen Einstellungen fatale Konsequenzen eines gewollten Verdrängungsprozesses, weil die kapitalistische Ordnung in Polen aus historischen Gründen sehr viel stärker jüdisch, denn nationalpolnisch geprägt gewesen war. Dmowski hatte die jüdische Minderheit in Polen zudem für eine Art fünfter Kolonne der Deutschen gehalten, was weitere schwerwiegende Fehleinschätzungen zur Folge hatte.

Wenn Kaczyński jetzt einen "polnischen Kapitalismus" fordert, dann folgt er im Grunde den Fußstapfen, die einst Dmowski gezeichnet hat. Verzichten kann Kaczyński auf jeglichen Antisemitismus, denn Dmowskis Voraussage, die jüdische Minderheit in Polen werde den Deutschen in die Hände spielen, hatte sich bald schon auf tragische Weise als völliger Unsinn herausgestellt, so dass nun viele Jahrzehnte später für den gewollten "polnischen Kapitalismus" eine ganz andere Konkurrenzsituation besteht. Gegner ist nur noch ein "äußerer" Kapitalismus, der in Kaczyńskis Lesart nicht genügend polnisch sein könne, auch wenn er hierzulande investiere und dringend benötigte Arbeitsplätze für die Landeskinder bereitstelle. Da ist auch ein gehöriger Schuss Kapitalismuskritik eingewoben, soweit es nämlich um die galoppierenden Zusammenhänge der sogenannten Globalisierung geht, denen allein der Nationalstaat - und nicht die von Deutschland geführte EU! - noch Hindernisse entgegensetzen könne.

Von dieser Überzeugung ist es nur ein kleiner Schritt zu dem Konzept, mit dem einem polnischen Kapitalismus unter Führung der Nationalkonservativen der Weg geebnet werden soll. Zunächst geht es darum, in vier wichtigen volkswirtschaftlichen Bereichen entsprechende Ordnung herzustellen: im Energiesektor, im Medienbereich, im Einzelhandel und bei den Banken. Derzeit basteln die Nationalkonservativen eifrig an einem Mediengesetz, mit dem über vorgegebene Obergrenzen beim Eigentümeranteil der Einfluss ausländischer, vor allem deutscher Kapitalgruppen auf die privatwirtschaftliche Medienlandschaft Polens zurückgedrängt werden soll. Pikanterweise folgen die Kaczyński-Leute dabei Beispielen in anderen EU-Ländern, die sie nun als Sammelsurium der aus ihrer Sicht besten Vorbilder zu einem einheitlichen Paket schnüren wollen. Es bleibt abzuwarten, wieweit der nationalpolnische Kapitalismus auf den Spuren von Kaczyńnski-Dmowski im Jahre 2017 weiteres Terrain erobern kann.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 6/2017 vom 13. März 2017, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 20. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2017

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