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DAS BLÄTTCHEN/942: Kapitalkosmetik


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 2/2009 - 19. Januar 2009

Kapitalkosmetik

Von Detlef Kannapin


Des Bürgers Menetekel, "Das Kapital" von Karl Marx, hat seit Erscheinen bei Legionen von Tarotkartenlesern mit soziologischem Anstrich krampfartige Reizanfälle ausgelöst. Immer wieder nahmen sie Anlauf, um Marx zu widerlegen, abzuschlachten oder für irrelevant zu erklären. Was ist da nicht alles erfunden worden: Grenznutzen und lange Wellen, Differentialoptionen und Sozialplanetarien, Systemmechanisierung und kommunikatives Handeln, Eigenverantwortung und Kundenzufriedenheit etc. pp. Immer wieder behaupteten diese Geister, daß sie es letztlich geschafft hätten, dem ollen Marx seine Fehler und Mißinterpretationen triftig unter die Nase zu halten. Nur, da stellt sich doch die Frage: Wenn bereits von Böhm-Bawerk, Popper und von Hayek Marx mehr oder weniger stilvoll "erledigt" haben, wieso müssen dann weiterhin welche antreten und sich neuerlich an so ein Werk machen?

Den Konjunkturen wäre Marx sowieso abhold gewesen. Und er wäre sicher nicht erfreut darüber, wenn er heute feststellen müßte, daß sich alle seine analytisch extrapolierten Voraussagen erfüllt haben. Was, seid Ihr immer noch nicht weiter? Man kann ihn Toben hören. Die Leute, die sich für die marxologische Synthese halten, jedoch nur zusammengesetzte Fehlgriffe sind, sterben auch im Spätimperialismus nicht aus. Die Charaktere sind aber die gleichen.

Marx erwähnt irgendwo im ersten Band des "Kapitals" einen zeitgenössischen englischen Soziologen, den er in der Sphäre der Cirkulation oder des Waarenaustauschs in einem Atemzug mit Freiheit, Gleichheit, Eigenthum nennt: Jeremy Bentham. Jedem sei es auf dem Markt nur um sich zu tun, und das sei auch gut so. Denn die Marktteilnehmer vollbrächten, in Folge einer prästabilirten Harmonie der Dinge, damit nur das Werk des Gesamtinteresses aller.

Wahrscheinlich hätte Marx mit dem Kapitalismus ein weitaus kleineres Problem gehabt, wenn die Käufer der Ware Arbeitskraft und ihre bezahlten Lakaien des Schriftgelehrtentums nicht so emsig damit befaßt gewesen wären, Notstand und Mangel als naturgesetzliches Erdenheil zu preisen. Kurzum: Bentham war hier das Beispiel für Schönrednerei ohne wirkliches Argument. Seine vielen Nachfolger haben diese Methode perfektioniert.

Einer von denen heißt auch Marx. Reinhard Marx. Er ist Erzbischof von München und Freising. Dieser Marx kam auf die marketingträchtige Idee, "Das Kapital" noch einmal zu schreiben und damit richtigzustellen. Er war nicht so größenwahnsinnig zu behaupten, nun den vierten Band vorzulegen, denn dann hätte er mit den Klassen anfangen müssen, was freilich recht kompliziert ist. Aber der Einband des Buches ist so schön blau, wie die Marx-Engels-Werke. Um den Klassen aus dem Weg zu gehen, hat der neue Marx seiner Arbeit den Untertitel Ein Plädoyer für den Menschen verliehen. All jene, die sich in den 150 Jahren Marx-Tötung auskennen, werden sich jetzt an den Generalvorwurf erinnern: Kommunismus ist nicht möglich, weil die Natur des Menschen dafür nicht geschaffen sei. Auf diesem Niveau schreitet unser Autor voran, nicht ohne vergessen zu betonen, daß alle Kultur des Abendlandes sich aus dem Christentum speist, Individualität im Zentrum menschlicher Entwicklung steht und einzig die katholische Soziallehre solide Perspektiven dafür aufzeigt, wie der Kapitalismus mit Ethik versöhnt werden könne.

Dies aus der Feder eines Geistlichen ist natürlich nicht neu. Interessant ist nur, daß man die ganzen theologischen Mucken weglassen und mit Versatzstücken aus BWL-, VWL- und IWF-Lehren ersetzen könnte, um eine komplette Bibliothek der gegenwärtigen Ausreden und Ratlosigkeiten einzurichten. Anders herum erscheint die aktuelle Retheologisierung des Denkens der Massen bei Reinhard Marx in Reinkultur. Mit derlei Rückenwind läßt sich natürlich trefflich für einen moralisch geläuterten Kapitalismus werben.

So einer ist Bentham der nächste. Der Bischof beschreibt zwar alle Gebrechen des Kapitalismus, hält aber flankierende Maßnahmen für das Wesen der Aufhebung von Totaldefekten. Er nennt es einen "faszinierenden Ansatz", wenn die "Freiheitspotentiale der Menschen (...) sittlich entlastet werden und obendrein Wohlstand für alle erzielt werden kann". Er betrachtet den stupiden und überholten Nationalökonomismus der sogenannten Freiburger Schule als letzten Schritt zur Gesundung des Kapitals. (Übrigens nicht nur er, wenn man sich die wirtschaftspolitischen Konzepte aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien ansieht.) Bentham hätte es nicht anders formuliert, nur die Möblierung ist moderner. Kurzum: Dieser neue Marx ist konsensfähig. Gute Aussichten für Kosmetik, schlechte für die Welt. Wieder einmal.


Reinhard Marx: Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen,
Pattloch-Verlag München 2008, 320 Seiten, 19,95 Euro


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 2, 12. Jg., 19. Januar 2009, S. 9-11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009