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DAS BLÄTTCHEN/984: Schlachtgetümmel


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 15/2009 - 20. Juli 2009

Schlachtgetümmel

Von Helmut Höge


Die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 nach Christi, in der einige germanische Stämme unter der Führung von Hermann dem Cherusker drei Legionen des römischen Feldherren Varus partisanisch aufrieben, jährt sich zum 2000. Mal. Die Nachkommen der Sieger von damals wollen das ganz groß feiern - unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel. "Die Kanzlerin wagt sich damit auf sumpfiges Gelände", erklärte dazu Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung.

Damit ist nicht das ursprünglich moorige Schlachtfeld gemeint, daß sich im übrigen neuesten englischen Erkenntnissen zufolge gar nicht mehr dort befindet - bei Detmold in Westfalen, wo Kaiser Wilhelm I. ab 1838 das die "Freiheitskriege" besiegelnde Hermannsdenkmal errichten ließ, sondern im niedersächsischen Kalkriese - bei Osnabrück, wo man 201 ein Museum errichtete - auf den Resten der erschlagenen Römer sozusagen. Es war der wohl letzte große deutsche Museumsbau. Er bündelt nun die archäologische Erforschung der einzigen deutschen Freiheitsbewegung, die nachhaltig siegreich war - im Gegensatz zu allen nachfolgenden: Bauernkrieg, Befreiungskriege, 1848, 1918, 1953 und 1989. Und hält die Erinnerung daran wach - mit Kostüm- und Volksfesten aller Art.

Die Schlacht bei Kalkriese, die endgültig die römische Besatzungsmacht vertrieb, ist nun auch nicht mehr nach dem Germanenftihrer Arminius (vulgo: Hermann) benannt, sondern nach dem von ihm einst besiegten römischen Heerführer Varus. Bis hin zur linksalternativen "tageszeitung" hat sich inzwischen die politisch korrekte Meinung durchgesetzt, daß der einzige deutsche Sieg im Partisanenkrieg auf heimischem Territorium - "im sumpfigen Germanien", wie Gustav Seibt schreibt, ein großer Fehler war. Uns entgingen dadurch nämlich mindestens 500 Jahre Zivilisation: Wenn Rom die Germanen ebenso wie zuvor die Gallier, die eher soldatisch als partisanisch kämpften, besiegt hätte, dann sähe hier jetzt alles noch viel kultivierter aus.

Der Altertumsforscher Rudolf Borchardt sprach 1942 von der "verfehlten Romanisierung" der deutschen Nation. Und bereits 1919 hatte der Schriftsteller Hugo Ball in seiner "Kritik der deutschen Intelligenz" den Reformator Martin Luther als Zerstörer des "Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation" ausgemacht, indem dieser unselige Mönch für den Feudaladel und gegen die Bauern Partei ergriff. So ähnlich wie dann 1918 die SPD-Führung um Ebert und Noske mit Hilfe der finstersten Reaktion die Aufstände der Arbeiter und Soldaten niederschlagen ließ.

Über den gallischen Umweg hatten es die "Römer" unter Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts noch einmal mit den Deutschen versucht. Aber auch hierbei waren die an sich überlegenen französischen Truppen schließlich wieder in den "germanischen Sumpf" - und in partisanischen Hinterhalt - geraten. Zwar gelang der deutsche Sieg diesmal nur dank des entschlossenen Widerstands der verbündeten Slawen (des russischen Heeres), aber die Ehre, dafür 1808 eine erste partisanische Kampfanleitung geschrieben zu haben, kommt dem Dichter Heinrich von Kleist zu - mit seinem Drama "Die Hermannsschlacht". An einer Stelle heißt es darin:

Das ist der klassische Morast / Wo Varus steckengeblieben. / Hier schlug ihn der Cheruskerfürst. / Der Hermann, der edle Recke; / Die deutsche Nationalität, / Die siegte in diesem Drecke.

Die antinapoleonischen Insurgenten in Preußen hatten inzwischen Probleme mit einem solchen Kampf: Immer wieder ermahnte der damals ins Exil nach Moskau ausgewichene Freiherr vom Stein die meist unter der Führung von Offizieren gegen Napoleon antretenden deutschen Freikorps, keine schneidigen Attacken zu reiten und sich auch nicht soldatisch zu verschanzen, sondern nach überfallartigen Angriffen rasch den Rückzug - zum Beispiel in die "Emsländischen Moore" - anzutreten. Umsonst. Erst als die napoleonische Armee bei Moskau ins Leere gesiegt hatte, wendete sich das Blau. Dennoch waren es schließlich doch die Kosaken, die Berlin von der Franzosenherrschaft befreiten, die Bürger jubelten ihnen bloß zu. Desungeachtet sah sich die Partei- und Staatsführung der DDR stets in der Tradition der Guten, das heißt der wenigen aufständischen Preußen, die wie sie großteils vom russischen Exil aus gekämpft hatten.

Nach 1989/90 beschäftigte sich deshalb eine Reihe jüngerer westdeutscher Wissenschaftler noch einmal mit dem antinapoleonischen Volkswiderstand in Preußen - und kam dabei in Anlehnung an die Zivilisationstheorie von Norbert Elias zu dem zeitgeistigen Schluß, daß bei der Enthegung des Krieges durch Elemente von Partisanentum "ein Prozeß der Dezivilisierung" eingeleitet worden sei und werde. Besonders an der "Hermannsschlacht" des "Psychopathen" Heinrich von Kleist ließe sich das Wieder-Barbarisch-Werden des Volkes im Widerstand klar herausarbeiten. Zudem erfolgte die Befreiung von den zivilisierten Franzosen mit Hilfe eher barbarischer Russen (die Schleswig-Holsteiner erinnern sich angeblich noch heute schaudernd an den damaligen "Kosaken-Winter"), so daß man auch diesen Sieg - rückblickend - eigentlich als eine Niederlage ansehen müsse. Ungefähr so wie 1945 auch die Befreiung?!

Auch das "Varusschlacht Museum" in Kalkriese, das gemäß den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen quasi direkt auf dem Feld der Ehre unserer Altvorderen errichtet wurde (von den Zürcher Architekturbüros Anette Gigon und Mike Guyer), spricht von einer "Wende", das heißt davon, daß die von den germanischen Stämmen, die sich im Gegensatz zu den keltischen nicht soldatisch verschanzt, sondern den Römern eine partisanische "Schlacht" geliefert - und deswegen gesiegt hätten, einen "Wendepunkt" in der "europäischen Geschichte markiere, dessen Erforschung und facettenreiche Auswirkungen den Menschen heute ein Verstehen der Vergangenheit und damit auch der Gegenwart ermögliche.

Ebenso facettenreich ist das Programm. Unter dem Titel "IMPERIUM KONFLIKT MYTHOS. 2000 Jahre Varusschlacht" beleuchtet ein einzigartiges Ausstellungsprojekt vom 15. Mai bis 25. Oktober 2009 unterschiedliche Facetten des historischen Geschehens: ein Thema, drei Ausstellungen an den drei Originalschauplätzen Haltern am See, Kalkriese und Detmold. Auf der Website der Kooperation (www.imperium-konflikt-mythos.de) kann eine - Tourismus-Broschüre heruntergeladen werden, die die Hauptveranstaltungen beinhaltet. Im Museum selbst gibt es darüberhinaus jede Menge "Führungsangebote", die unter anderem "kleine Pausen im Restaurant Varusschlacht" beinhalten.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 15, 12. Jg., 20. Juli 2009, S. 15-18
Herausgegeben vom Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2009