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GEFANGENEN INFO/079: Ausgabe 342, 10.10.2008


Gefangenen Info

Hervorgegangen aus dem Angehörigen Info. Das Angehörigen Info entstand im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989.

Ausgabe 342, 10.10.2008


INHALT

Der Tod der RAF-Gefangenen muss neu untersucht werden
Gehirnwäsche - Nichts als Wahn: Der Aust-Eichinger-Komplex lebt seine Syndrome aus
Der erste Stammheim-Prozess
Repression auf psychischer Ebene: Über traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt
Prozesserklärung von Axel, Florian und Oliver
Unterstützungserklärung - Solidarität mit Antimilitaristen
Solidarität!
129a-Verfahren nach G8-Gipfel am 24.9.08 eingestellt
Für die Freilassung von Mustafa Atalay
Bundesweite Veranstaltungsreihe zum DHKP-C Prozess in Stammheim
Zur Haftsituation der fünf türkischen Gefangenen in Stammheim
Freigang für Jean-Marc Rouillan gestrichen!
Prozess gegen Andrea am 23.10.08
Zur Konferenz no prison! no state!
Abschaffung von Knästen - Utopie oder Chance?
Soliadresse von Christian S.
Kommentar zur Aktionswoche
Angst essen auf - ein paar Zeilen zur "Gefährlichkeit" von Gefangenen
Auch für Önder Dolutas fordern wir Demokratie, Menschenrecht, Freiheit!
Savvas Xiros gegen Griechenland
Iran - Politische Gefangene im Hungerstreik
Impressum

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Der Tod der RAF-Gefangenen muss neu untersucht werden

Wieder einmal jährt sich die Todesnacht von Stammheim, und in diesem Jahr haben wir mit Stefan Austs "Baader-Meinhof-Komplex" zum wiederholten Male die endgültige Abrechnung mit der Guerilla präsentiert bekommen. Das ist weder neu noch verwunderlich.

Doch die Gegenstimmen werden immer leiser und sind teilweise kaum noch zu hören. So scheint es in der veröffentlichten Meinung keine Zweifel mehr zu geben, dass RAF-Gefangenen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe am 18.10.77 und Ulrike Meinhof am 9.5.1976 in Stuttgart-Stammheim Selbstmord verübt haben.

Dabei sind gerade im letzten Jahr mehrere Indizien aufgetaucht, die die Selbstmordthese zumindest in Zweifel ziehen.

So hat die Publizistin Jutta Dithfurth bei ihrer Recherchearbeit zur Biographie von Ulrike Meinhof ein Foto gefunden, das Meinhof erhängt in ihre Zelle zeigt. Bisher war nur der obere Teil des Fotos bekannt. Doch auf dem ganzen Foto ist zu sehen, dass Meinhof mit einem Fuß noch auf dem Stuhl steht. Kein Wunder, dass das Foto bisher nicht bekannt war und auch jetzt verschwiegen wird. Vielleicht gäbe es ja Fragen, wenn die angeblich Erhängte eben gar nicht erhängt ist. Dann müsste der Stuhl umfallen oder soweit weggestoßen werden, dass der Körper des Toten ihn nicht berührt.


Erschießungen der RAF-Gefangenen

Weiterhin kommen immer mehr Informationen an die Öffentlichkeit, die deutlich machen, dass im Großen Krisenstab während der Schleyer-Entführung nicht mal beiläufig über mögliche Erschießungen von Gefangenen gesprochen wurde. Es war auch nicht nur Franz Josef Strauß, dem man solche Äußerungen zutraute, der diese Vorschläge brachte. Der Spiegel schrieb in der gleichen Ausgabe, wo er Austs neuesten Komplex anpries:

"Es ergibt sich ein verstörendes Bild von den Gedanken und Gesprächen der Mächtigen in jenem 'schwersten Jahr für die Bundesrepublik' (Wischnewski). Überraschende Verwerfungen offenbaren sich im rechtsstaatlichen Fundament der Republik - das nach 32 Jahren gelernter Demokratie als felsenfest galt. Von der Einführung der Todesstrafe war die Rede, von Erschießungen und von Repressalien gegen RAF-Gefangene, falls Schleyer nicht freigelassen wird."

"Man braucht eine massive Gegendrohung", erklärte CSU-Chef Franz Josef Strauß am 12. September 1977. "Der Gedanke der Repression muss erörtert werden," sekundierte Kohl. Und von Willy Brand (SPD) findet sich in Papieren der Satz, es gebe eine "Offenheit, über alles zu sprechen und nachzudenken".

Darin war sich also die große Koalition des Krisenstabes einig. Am 13. September 1977 hat Schmidt seinen französischen Kollegen Giscard d'Estaigne darüber informiert, dass von allen Seiten, sogar von Politikern, Geiselerschießungen verlangt werden. Diese Forderungen werde mit Nachdruck von der "Opposition, aber auch seiner Partei und aus weiten Kreisen nicht parteipolitisch gebundener Bürger" erhoben, so Schmidt.

Auch der damalige führende CDU-Politiker und spätere Bundespräsident Karl Carstens notierte, dass aus führenden Kreisen der CDU und CSU die Forderung erhoben worden sei, "seitens des Staates mit Repressalien gegen die Häftlinge zu drohen". Der Bundeskanzler habe ausdrücklich ermuntert, "alle Möglichkeiten und Vorschläge" durchzudenken?


Eine Forderung für die Zukunft

Wenige Wochen, nachdem diese so unterschiedlichen Politiker darüber geschrieben haben, dass Repressalien bis zu Erschießungen der Häftlinge gefordert wurden, waren drei von ihnen tot. Bei jedem Indizienprozess würde das nicht als bloßer Zufall abgetan. Im letzten Jahr hat Helmut Schmidt in einem Interview erklärt, dass er froh sei, dass das Handeln im Deutschen Herbst nicht kritischer von Juristen untersucht wurde. Was hat er wohl damit gemeint?

Erst kürzlich hat die deutsche Justiz es abgelehnt, Materialien herauszugeben, die bei Abhöraktionen in Stuttgart-Stammheim gesammelt wurden. Dabei glaubt natürlich niemand mehr, dass die Gefangenen damals nicht abgehört wurden. Was ist so Brisantes bei diesem Material, dass es weiter unter Verschluss gehalten wird? Wenn es die Selbstmordversion bestätigen würde, wäre es doch wohl längst veröffentlicht?

Die hier in geraffter Form zusammengetragenen Indizien, zeigen einmal mehr: Die Frage, wie Meinhof, Ensslin, Baader und Raspe umkamen, ist nach wie vor offen. Wir brauchen einen neuen Untersuchungsausschuss, zusammengesetzt aus JuristInnen, MenschenrechtlerInnen, JournalistInnen und engagierten BürgerInnen, die die neuen Indizien bewertet und die Aufklärung fordert? Die juristische Prüfung der Ereignisse, die 1977, wie Schmidt begrüßte, nicht stattgefunden hat, genauer in dem Klima der massiven Hetze gegen alle Oppositionellen nicht stattfinden konnte, steht noch aus.

Sage niemand, dass ist doch alles Vergangenheit und interessiert niemand mehr. Ein kluger Historiker hat mal geschrieben: "Wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist verdammt, sie zu wiederholen." Daher ist die Forderung nach einer erneuten Untersuchungskommission nicht etwas Nostalgisches, sondern ein Pfand auf die Zukunft.

Peter Nowak

Peter Nowak versteht sich in seiner journalistischen Arbeit als Stimme der Unterdrückten und schreibt mit diesem Anspruch in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Ein Teil seiner Texte findet sich auf der Homepage
http://www.kverlagundmultimedia.de/Archiv/archiv.html


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Gehirnwäsche
Nichts als Wahn: Der Aust-Eichinger-Komplex lebt seine Syndrome aus

Mit dem "Baader-Meinhof Komplex" läuft am Donnerstag eine der aufwendigsten Produktionen in der Geschichte des deutschen Films in den Kinos an. Nach einer Medienkampagne, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Die Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Stefan Aust ist schon vor der Freigabe an die Öffentlichkeit als deutscher Beitrag zum Oscar nominiert worden, nachdem Reinhard Hauffs "Stammheim", der sich ebenfalls auf das Aust-Buch stützte, bei der Verleihung des Goldenen Bären vor zwei Jahrzehnten von der Juryvorsitzenden Gina Lollobrigida als "lausiger Film" abgetan worden war.

Der Film kommt genau ein Jahr nach der weitgehend verfehlten "Abrechnung mit dem Terrorismus", die zum 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes im September 2007 schon mit einem Zweiteiler von Aust im Fernsehen angefeuert wurde. Auf Basis einer beispiellosen Schnittfolge werden sämtliche Behauptungen, Erfindungen und Fälschungen, die in dem Buch noch irgendwie den Quellen zugeordnet werden konnten, auf der Leinwand auf die Psychopathie einzelner Personen reduziert. Dem Produzenten Bernd Eichinger zufolge war entscheidend zu zeigen, "dass sie es tun, nicht, warum sie es tun". Das hat ihn in dem Streifen nicht davon abgehalten, leichtfertig mit Begriffen wie "Faschismus" um sich zu werfen und die dargestellten Personen, bis hin zu Rudi Dutschke und den 68er Demonstranten, zu hysterischen und lächerlichen Karikaturen zu verzerren. Mit dem erklärten Ziel, nach vielen Jahren noch mal mit allen Mitteln einen "Mythos" zu zerstören. Gehirnwäsche also.

Die Schauspieler fühlen sich dabei erschreckend wohl. Da wird ein geradezu antisemitisches Bild eines wild herumkommandierenden Andreas Baader im von Aust frei erfundenen Pelzmantel gezeichnet, werden ihm Sätze in den Mund gelegt und Geschichten angehängt, die absurd sind. Baader ist umringt von einem brutalen Haufen, in dem vor allem die Frauen als fanatisch, zerstörerisch, eiskalt, blöde und selbstmörderisch dargestellt werden, um nichts als "Wahn" zu vermitteln. Von wegen "Legendenbildung". Die letzte Erkenntnis des Aust: Bonnie und Clyde als Voraussetzung für die Existenz der RAF. Ohne die Liebesbeziehung von Andreas Baader und Gudrun Ensslin hätte es den bewaffneten Kampf hier nicht gegeben.

Es sind in Deutschland bis jetzt schon mehr als 30 Spielfilme zum Thema RAF gemacht worden, und die Dokumentarfilme - mehr als 100 nach meiner Berechnung - sind gar nicht mehr zu zählen. Etwa ein Dutzend gehen auf das Konto von Stefan Aust selbst, der sich seit dem Erscheinen seines dem Film den Titel gebenden Buchs als RAF-Experte stilisiert hat. Das Buch, das in diesem Monat in einer auf die Filmversionen abgestimmten dritten Neuauflage erscheint, hat sowohl seinen Titel als auch seinen Inhalt dem Bundeskriminalamt zu verdanken. Es hat die mehr als 120000 Seiten umfassenden Ermittlungsakten in den ersten Prozessen gegen die RAF als "Baader-Meinhof Komplex" geführt.

Aust hat diese Akten, mehr als 250 Ordner, zu einem Zeitpunkt bekommen, als der Zugriff darauf formal noch auf die Prozessbeteiligten (d.h. Gericht, Staatsanwaltschaft, Anwälte und Angeklagte) beschränkt war. Informationen des Staatsschutzes (VS, BKA, "politische Polizei" bei den LKAs, Bundesanwaltschaft u.a.) sind denn auch seine Hauptquellen. Ein kritisches Verhältnis dazu ist vom vormaligen Konkret- und Spiegel-Redakteur nicht zu erwarten, der vor allem auf Effekthascherei aus ist. Bei seinem Lieblingsthema Stammheim, zum Beispiel, ist er nie der Frage nachgegangen, ob das "ausgeklügelte Kommunikationssystem in HiFi-Qualität", das es unter den Gefangenen gegeben haben soll, vielleicht nicht das Abhörsystem der Geheimdienste selbst war. Dagegen macht er sich in den Medien gerne wichtigtuerisch mit der Story breit, dass die RAF ihn einmal "abknallen" wollte. Und mit der These, das, wer die RAF verstehen will, "Moby Dick" lesen soll.

Die Darstellung einer Sache wird nicht wahrer, indem sie immer aufs Neue wiederholt wird. Auch nicht, indem sie mit scheinbar logischen Schlüssen und oberflächlichen Ähnlichkeiten zum Original ausgeschmückt wird. Oder indem sie Lernprozesse dadurch verneint, dass Geschichte an der "Persönlichkeitsstruktur" einiger bekannter Figuren festgemacht wird. Die Frage ist nur, was wir diesem Bild entgegensetzen können. Auf verschiedenen Ebenen hat sich gezeigt, dass immer noch und immer wieder viel Interesse an der Geschichte der RAF besteht. Außer Bruchstücken und Einzelbiographien gibt es dazu bisher leider keine authentische Beschreibung und Analyse aus der Gruppe selbst, die diesem Interesse entspräche. Die meisten aus der RAF, die noch leben, haben sich jahrelang mit anderen Dingen auseinandersetzen müssen, wie Knast, Polizeirazzien, Gesundheit und bis zuletzt der Androhung von Beugehaft und neuen Verfahren. Relevante Diskussionszusammenhänge haben sich unter ihnen nur langsam entwickeln können.

Deshalb ist es für Historiker, Studenten und sonstige Interessenten schwierig, auch nur einigermaßen zuverlässige Quellen zu dieser Geschichte zu finden. Die Aufarbeitung der Geschichte der RAF ist gekennzeichnet von äußerst mangelhafter und willkürlicher Dokumentation, sowohl in den Archiven als auch im Internet als auch in der bis jetzt erschienenen Literatur, um von den Medien und Filmproduktionen ganz zu schweigen. So werden Erklärungen in den unterschiedlichsten Fassungen zitiert. Es sind mehrere gefälschte und zerstückelte Dokumente im Umlauf, und ich habe noch keine Veröffentlichung gesehen, die nicht subjektiven Interpretationen unterlegen hätte. In einer Quellenausgabe, die vorgibt, nur Originale zu veröffentlichen, ist jeder zweite Satz irgendwie geändert worden. Die Situation bei den Übersetzungen ist fast noch schlimmer. Wer sich wirklich informieren will, wird sich vorläufig mit den Originaldokumenten begnügen müssen, von denen es inzwischen eine authentische Sammlung auf der Webseite der International Association of Labour History Institutions gibt (labourhistory.net/raf/).

Klar, aus der Sicht derjenigen, die zu ihrer Geschichte stehen, wäre es an der Zeit, die wesentlichen Erfahrungen auszugraben und aufzuschreiben, die Ziele und Inhalte wieder an sich zu reißen, sich die Bilder, die Sprache und einen irgendwie kollektiven Begriff wieder anzueignen. Solange es ihn nicht gibt, werden die vorgegebenen Denunziationen - vom Avantgardeanspruch, verpackt in Erpressungsmärchen, über den Dritte-Welt-Fetischismus und Deutsch-Nationalismus bis hin zum Antisemitismus und zu den Selbstmordbeteuerungen - den öffentlichen Diskurs beherrschen. Und einige werden versuchen, sich damit einen Namen oder halt das große Geld zu machen. Ein afrikanisches Sprichwort lautet: "Solange die Löwen nicht ihre eigenen Historiker haben, werden die Jagdgeschichten stets die Jäger glorifizieren." Eichingers Film macht genau dies. Ihm scheint es nicht einmal um die Opfer von Anschlägen zu gehen, schon gar nicht um die politischen Fehler, die die RAF gemacht hat, sondern einfach darum, abzuschrecken und zu denunzieren. Und damit denjenigen, die zur RAF stießen, auch noch ihren moralischen Anspruch abzusprechen. Der Film ist eine Beleidigung all derer, die für Emanzipation und Befreiung gekämpft haben, und all derer, die versuchen, Widerstand gegen die bestehende Weltordnung zu organisieren.

Ron Augustin, aus: junge Welt 24.9.

Der Baader-Meinhof-Komplex. Regie: Uli Edel. Deutschland 2008, 150 Minuten. Kinostart: 25. September

Ron Augustin war ab 1971 Mitglied der RAF. Zwischen 1973 und 1980 war er eingekerkert und fast ununterbrochen in Einzelhaft.


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Vorbemerkung: Der Text kann auch als Filmrezension des Machwerkes von Aust verstanden werden, denn dort wird der Prozess - wenn auch entstellt - behandelt.

Der erste Stammheim-Prozess

Am 21. Mai 1975 beginnt der Prozess gegen Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader, in dessen Verlauf die Justiz alle Mittel benutzt, um die Gefangenen bzw. deren politische Identität zu brechen und auszulöschen. Ursprünglich sollte auch gegen Holger Meins verhandelt werden, doch er verstarb am 9.11.1974 nach einem achtwöchigen Hungerstreik, verursacht durch die Tortur der Zwangsernährung und gleichzeitig zu geringer Nahrungszufuhr. Verantwortlich für die Haftbedingungen waren neben dem BKA unter der von Leitung Horst Herold der zuständige Haftrichter Prinzing, der später in Stammheim als Vorsitzender Richter fungierte, sowie die Generalbundesanwaltschaft unter Buback, der meinte: "Schon fünf Angeklagte waren manchen zu viel".

Schon der speziell für diesen und die folgenden Staatsschutzprozesse gegen die RAF errichtete berüchtigte Prozessbunker von Stammheim dokumentiert die Entschlossenheit des Staates, dieses Ziel auch zu erreichen.

Die niederländische Tageszeitung "Het Parool" schrieb dazu: "Für 12 Millionen DM ist das Gefängnis zu einer Festung umgebaut worden, in dessen Nähe nicht einmal ein Vogel unbemerkt gelangen konnte, wie ein Wächter dies ausdrückte."

"Auf den Dächern sind Soldaten zu sehen. Fernsehkameras registrieren alles. Helikopter halten die Umgebung im Auge. überall Kontrollposten, bestehend aus Militär und Polizei- und Geheimdiensten." De Telegraaf

Der Spiegel zählt an die 700 Beamte. Im Prozess muss der Besucher all seinen persönlichen Sachen abgeben. "... und verliert ein wenig von seiner Identität und seiner normalen Wahrnehmung ... Durch dieses Gefühl beginnt er zu begreifen, was Langzeitisolation in dieser künstlichen und aseptischen Atmosphäre bedeutet, wo Worte, Gesten und Zeichen durch ständig durch ein Filter der Filter passieren." (Quotidien de Paris, 10.7.75)

So wird dann auch eine politische Prozessführung permanent unterdrückt, die RAF gilt als "kriminelle Vereinigung". Im August 1976 wird der Paragraf 129a "Bildung, Unterstützung und Werbung (für) eine/r terroristische/n Vereinigung" geschaffen. Als "Terroristen" werden alle GegnerInnen des Staates definiert. Zunächst richtet er sich nur gegen die RAF, weil - wie die Bundesregierung ganz offen sagt - die RAF so besser als Gruppe verfolgt werden kann, ohne einen EinzeltäterInnennachweis erbringen zu müssen. Mit dem Paragrafen 129a werden alle Sonderhaftbedingungen und Sonderermittlungen begründet.

In Verfahren nach Paragraf 129a StGB kontrolliert ein Richter die Korrespondenz zwischen Verteidiger/innen und Gefangenen (Paragraf 148 Abs. 2 StPO). Dieser hält die Post zurück, wenn er der Auffassung ist, sie diene nicht dem Zweck der Verteidigung. Dadurch und durch Durchsuchungen in Zellen und Kanzleien mit einhergehenden Beschlagnahmungen von Prozessunterlagen konnten sich Polizei und Staatsanwaltschaft einen Einblick in das Verteidigungskonzept verschaffen. Auch der mündliche Verkehr wurde kontrolliert und akustisch überwacht. Der baden-württembergische Innenminister räumte im März 1977 öffentlich ein, dass in zwei 'Ausnahmesituationen' im Stammheimer Knast Gespräche zwischen Gefangenen aus der RAF und ihren Verteidigern heimlich auf Tonband aufgenommen worden sind.

Neben der 1974 erfolgten Einschränkung des Erklärungsrechts des Gefangenen in der Hauptverhandlung (Streichung des Paragrafen 271a StPO) wurde auch das Recht von Verteidiger/innen, Erklärungen abzugeben, beschnitten. (Justiz-)kritische Äußerungen wurden mit Ehrengerichtsverfahren beantwortet. Verteidiger/innen wurden von Verfahren ausgeschlossen, u.a. mit der Begründung, sie hätten eine 'kriminelle' bzw. 'terroristische Vereinigung', nämlich die Gefangenen aus der RAF, 'unterstützt'. Mit ähnlicher Begründung wurden vier Verteidiger u.a. Klaus Croissant, Armin Newerla und Arndt Müller verhaftet und zu Gefängnisstrafen und Berufsverbot verurteilt. Ziele dieser Eingriffe in das Verteidigungsrecht waren erstens, die Isolation der politischen Gefangenen zu verschärfen, diese werden einer der wenigen ihnen verbliebenen Kommunikationsmöglichkeiten beraubt; zweitens eine politische Verteidigung zu verhindern und drittens zu verhindern, dass die staatlichen Maßnahmen gegen die Gefangenen an die Öffentlichkeit gelangen (vgl. Bakker Schut, Todesschüsse S.137 ff.).

1974 wurde die Höchstzahl der Wahlverteidiger/innen auf drei, das Verbot für AnwältInnen mehrere KlientInnen in ein und demselben Verfahren zu verteidigen und die Erlaubnis, die Hauptverhandlung ohne Angeklagte durchzuführen im Strafrecht festgeschrieben und im Stammheimer Verfahren gegen Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe praktiziert.


Die Isolationshaftbedingungen

Vom Stammheimer Gericht bestellte Gutachter kommen 1975 zum Ergebnis, dass die Gefangenen nach der jahrelangen Isolation nicht mehr verhandlungsfähig sind. Die Isolationsfolter wird auch weiße Folter genannt, weil sie keine sichtbaren physischen Spuren am Körper hinterlässt. Sie dient der sensorischen Deprivation und sozialen Isolation, die auf das Aushungern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tastorgane zielt und dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen kann. Selbst die UNO hat die Isolationshaft als Folter geächtet. Folgen sind z.B. Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, Schlafstörungen, chronischer Schnupfen, Gedächtnisverlust ... Diese Sonderhaftbedingungen gehen an keinem der Gefangenen spurlos vorbei. Dazu kommen Langzeitfolgen.

Erforscht wurde sie in Hamburg am Universitätskrankenhaus Eppendorf. Dienten diese Haftbedingungen anfangs zu Aussageerpressung, zielten sie später auf Vernichtung der Gefangenen. Die Gefangenen aus der RAF wehrten sich in 10 kollektiven Hungerstreiks. Insgesamt 9 politische Gefangene überlebten den Knast nicht.

Selbst vom Gericht bestellte Gutachter befürworteten, die Isolation aufzuheben und die Häftlinge in so genannten "interaktionsfähige Gruppen" von 10 bis 15 Gefangenen zusammenzulegen. Aber die Isolation wird nicht aufgehoben, sondern verrechtlicht. Der Bundesgerichtshof argumentiert in seinem Beschluss: Die Gefangenen hätten ihre Haftbedingungen "selbst verschuldet", und zwar "wegen der fanatischen Verfolgung ihrer Ziele auch aus der Untersuchungshaft heraus". So hätten sie den Behörden keine andere Wahl gelassen. Es war also klar: Es gibt Isolation. Isolation zerstört die Gefangenen, aber: Nach Ansicht der Justiz ist Isolation gerechtfertigt, weil die Gefangenen ihre Identität nicht aufgeben.

"Stammheim ist der Ort, an dem zum ersten Mal in der Justizgeschichte der BRD die Grundsätze der präventiven Konterrevolution wissenschaftlich erprobt wurden: von den Isolationshaftprogrammen made in den USA bis hin zum Bau eines Prozessbunkers auf dem Gefängnisgelände, vom auf seinem Stuhl manipulierenden Gerichtsvorsitzenden bis hin zu offenem Gesetzesbruch durch Abhören der Verteidigergespräche und der Gefängniszellen, von der Zerschlagung der Verteidigung durch Sondergesetze, Verteidigerausschlüsse, Verhaftungen und Berufsverbote bis hin zur Verhängung totaler Kontaktsperre." Klaus Croissant in Bakker Shut Seite 11


Die Gefangenen führen den Prozess politisch

Obwohl der politische Charakter dieses Prozesses mit allen Mitteln verschleiert werden soll, verlesen Anfang Januar 1976 die Angeklagten eine 200 Seiten lange "Erklärung zur Sache". Darin geht es u. a. um die Befreiungskämpfe im Trikont, den ehemaligen Kolonien, und die dagegen gesetzte Völkermordstrategie des Westens insbesondere in Vietnam; insbesondere um die Rolle der daran beteiligten BRD und damit der Notwendigkeit, auch in der BRD (Metropole) guerillamäßig die weltweiten Befreiungskämpfe Befreiungskämpfe aktiv zu unterstützen. So haben die Anwälte der Gefangenen als Zeugen z.B. führende Politiker der BRD laden wollen, die über die Verbindung des Staates und der Wirtschaft mit den Kriegführenden in Vietnam aussagen sollen. Dies wird vom Gericht nicht zugelassen.

Aber auch nur noch 4 Gefangene waren den Herrschende zuviel, denn Ulrike Meinhof erlebte das Ende des Prozesses nicht. Ihr Tod am 9. Mai 1976 ist bis heute ungeklärt und die Internationale Untersuchungskommission kommt zu dem Schluss: "...dass Ulrike M. tot war, als man sie aufhängte und dass es beunruhigende Indizien gibt, die auf das Eingreifen eines Dritten im Zusammenhang mit diesem Tod hinweisen."

Mit Dritte sind gemeint, "Geheimdienste - neben dem Gefängnispersonal - Zugang zu den Zellen ... und zwar durch einen getrennten und geheimen Eingang".

Nicht verwunderlich ist, dass am 28.4.1977 Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt worden und kurz danach am 18.10.77 starben. Ihr Tod ist bis heute ungeklärt.

"Stammheim ist der Ort, an dem die BRD ihre 'freiheitlich-demokratische Grundordnung' und ihre ganze Nachkriegsgeschichte gegen die den Angriff und die Anklage aus der Schusslinie nehmen und den politische Prozess abwürgen musste, die physische Vernichtung der Angeklagten in ihren Gefängniszellen eingeschlossen." Croissant in Bakker Schut, Seite 11


Auswirkungen auf heutige Staatschutzverfahren

Auch wenn das Verfahren damals in den siebziger Jahren einige Besonderheiten aufwies, wie ich eben schon darlegte, gibt es aber auch Berührungspunkte, die ich kurz benennen will: Zur Zeit findet zum einen in Berlin das Verfahren gegen Axel, Florian und Olli wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung mg" (Paragraf 129) statt. Zum anderen wird seit dem Frühjahr wird gegen 5 türkische migrantische Linke wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland" (Paragraf 129b) verhandelt, was oft bei den Linken unter den Tisch fällt.

Aus einem Interview aus dem ak 531 vom 19.9.2008 mit Sven Lindemann, dem Rechtsanwalt von Florian: "Wir verhandeln vor einem Sondergericht, unter Sonderbedingungen, unter Sonderparagrafen, unter einer Sonderanklagebehörde; das geht alles nur im Hinblick auf das Vereinigungsdelikt. Der Paragraf 129 ist also das zentrale Element der Anklage. Gäbe es diesen Anklagepunkt nicht, fände der Prozess vor dem Amtsgericht .... statt, es ging lediglich um versuchte Brandstiftung, die Haftbefehle wären längst aufgehoben und der ganze Prozess würde in einer entspannteren Atmosphäre stattfinden. ... und sicherlich dürfte dann auch das Strafmaß anders ausfallen."

Weiterhin sind diese Staatschutzgerichte mit besonders ausgewählten geschulten Richtern ausgestattet, die Verteidigung wird generell benachteiligt, wie z.B. durch vorenthaltene Akten, Einschüchterung und Behinderung der Öffentlichkeit durch drakonische Kontrollen, und die Prozesse werden auf Kosten und somit auf das Leben von Gefangenen geführt, so z.B. gegen den herzkranken und somit haftunfähigen Mustafa Atalay, den an einer Psychosen leidenden Ilhan Demirtas sowie im aktuellen "mg-Verfahren" ist einer der Beschuldigten retraumatisiert.


Offene Fragen

Oft wird von uns diskutiert, warum reagiert dieser Staat mit seinem ganzen Arsenal an Repression, obwohl die radikale Linke auch schon mal stärker war, denn viele bewaffnete und militante Zusammenhänge aus den siebziger und achtziger Jahren gibt es hier nicht mehr.

Auch hier lohnt es sich, auf das damalige Zeit einzugehen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt meinte in der FAZ vom 21.1.75.: "Im Hinblick auf das atlantische Bündnis muss jedes Land im Auge behalten, dass es innenpolitisch fähig bleibt, seine außenpolitische Verpflichtungen zu erfüllen:"

Bei den heutigen diversen Auslandinterventionen der Bundeswehr von 8000 Soldaten ist die Ruhe an der Heimatfront existenziell: die drei Genossen aus Berlin waren nach einer anti-militaristischen Aktion verhaftet worden und sollen wegen dieser aktiven "Ruhestörung" u.a. verurteilt werden.

Die Türkei ist ein wichtiger Partner für das expansive Nato-Bündnis. Der Verfassungsschutz Baden-Württembergs "warnt vor linksradikaler deutsch-türkischer Solidarität" (Bietigheimer Zeitung). Der VS bezog sich auf die Demo vom 5.7. und somit auf die Arbeit gegen den Paragrafen 129. Agierten die türkische und einheimische Linke leider meist getrennt, so wird das gemeinsame Auftreten als Gefahr letztendlich für die "außenpolitische Verpflichtungen" der BRD und der Nato gesehen.

Vielleicht ist die Frage bezüglich der drakonischen Repression immer noch nicht ausreichend bzw. befriedigend beantwortet, gerade da nicht nur die Justiz, Polizei und Geheimdienste gegen uns eingesetzt, sondern auch Militär wie z.B. anlässlich der Proteste gegen das G-8-Treffen 2007 in Heiligendamm.

In dem 1971 erschienen Buch "Im Vorfeld des Krieges" schreibt Frank Kitson, damaliger Kommandant der 2. Rheinarmee in der BRD: "Subversion und Aufruhr gegenwärtiger Formen der Kriegsführung sind, auf die sich die Streitkräfte sich einstellen müssen". Kitson verfügte über Erfahrungen in der Unterdrückung von Befreiungskämpfen in der 3. Welt sowie auch in Nordirland. Unter Subversion verstand nicht er nur Aktionen von bewaffneten Gruppen, sondern auch legale Aktionen von unbewaffneter Bevölkerung, die Regierung zu stürzen, "oder diese gegen ihren Willen zu bestimmten Handlungen zu zwingen". Zitiert aus Bakker Shut Stammheim, Seite 181/182.

Bestimmt können in einem Artikel zum damaligen Prozess nicht alle heutige Fragen beantwortet werden, aber es können hoffentlich doch hilfreiche Anregungen für heute gezogen werden.

Wolfgang, Mitarbeiter beim Gefangenen Info und beim Netzwerk Freiheit für alle politische Gefangene


Literatur:
Bakker Shut, Stammheim, Isolationshaft in der BRD von Niels Seibert aus "Bei lebendigem Leib" Unrast-Verlag


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Repression auf psychischer Ebene
Über traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt

Wer Widerstand leistet, ist zwangsläufig mit Repression konfrontiert. Diese verläuft auf verschiedenen Ebenen: martialisches Auftreten der Polizei im schwarzen gepanzerten Kampfoutfit, willkürliche Kontrollen, Verhaftungen, Hausdurchsuchungen usw. Auch der Einsatz von potenziell traumatisierender Gewalt ist Bestandteil staatlicher Repression. Im aktuellen mg-Verfahren ist einer der Beschuldigten, davon betroffen. Eine schon bestehende traumatische Erfahrung, ausgelöst u.a. durch früher erlebte dauerhafte Bedrohung durch Nazigewalt, löste im Zusammenhang mit der brutalen Verhaftungssituation am 31. Juli 2007 und der viermonatigen Einzelhaft eine Retraumatisierung aus. Für den Prozess hat dies weitreichende Konsequenzen: Lange war unklar, ob der Beschuldigte überhaupt an dem Prozess teilnehmen kann.

Was bedeutet Traumatisierung?

Während einer traumatischen Erfahrung ist man einer außergewöhnlich bedrohlich wahrgenommenen Situation schutzlos ohne Handlungsmöglichkeiten ausgeliefert. Angst, Kontrollverlust und Ohnmacht überfluten das Erleben. Das Bild von sich selbst als Mensch mit Handlungsmöglichkeiten in einer beeinflussbaren Welt wird langfristig erschüttert. Die überwältigende Situation muss dabei nicht selbst erlebt sein - auch die Ohnmacht, einem anderen Menschen nicht helfen zu können, kann als Trauma wirken.

Nach einer solchen Erfahrung gerät man in einen "psychischen Schockzustand", der mehrere Wochen anhalten kann. Alles ist durcheinander, man fühlt sich betäubt, verletzt, unterliegt Stimmungsschwankungen, mag ständig oder gar nicht über das Erlebte sprechen, hat das Gefühl, neben sich zu stehen oder die Umwelt nur noch verschwommen wahrzunehmen, kann nicht schlafen, hat Albträume, der Körper ist massiv erregt und unter Spannung. Diese psychische Stressreaktion kann sich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln, wenn keine Möglichkeit zur Bewältigung besteht.

Zentrales Element psychischer Traumata ist die Spannung zwischen dem Wunsch, schreckliche Ereignisse zu verleugnen, und dem Wunsch, sie laut auszusprechen. Folgen können sozialer Rückzug oder depressives "Nicht-Fühlen-Können", d.h. ein emotionales Taubheitsgefühl sein. Der Kontakt mit potenziellen Auslösereizen wird vermieden, was oftmals eine starke Einschränkung des bisher gelebten Alltags bedeutet. Um bedrohliche und unwillkürlich auftretende Gefühle (von Angst, Wut, Selbstzweifeln) zu unterdrücken, greifen die Betroffenen u.a. zu Suchtmitteln oder verletzen sich selbst, um ein Ventil für die unerträgliche innere Anspannung zu finden bzw. eine Möglichkeit, dem erlebten Kontrollverlust entgegen zu wirken und sich wieder zu spüren.

Dabei drängen sich die traumatischen Erlebnisse immer wieder als Flashbacks, d.h. als plötzliche, nicht beeinflussbare und äußerst bedrohlich erlebte Erinnerungsfetzen ins Bewusstsein. Viele glauben, verrückt zu werden und ziehen sich noch mehr zurück.


Eine Sache, die uns alle angeht

Traumatische Erfahrungen können zwar nicht verhindert werden, wir können uns aber dagegen wappnen. Der beste Schutz ist ein soziales Klima, in dem selbstverständlich über Gefühle und Erlebtes gesprochen und im Zusammenhang politischer Aktionen kein Heldentum propagiert wird. Langfristig leiden viele Betroffene von Polizeigewalt mehr unter den psychischen Folgen als unter körperlichen Verletzungen. Wenn die Betroffenen mit ihren Gefühlen alleine gelassen werden und keine Solidarität erfahren, kann das eine emotional noch größere Erschütterung sein, als die Gewalterfahrung durch die Polizei.

Für die Bewältigung von Traumafolgen ist es wichtig, mit Unterstützung anderer die Traumatisierung als "Verletzung der Seele" anzuerkennen und zu akzeptieren, dass die Psyche die Möglichkeit und Zeit zum Heilen braucht. Das erfordert Geduld und ist keineswegs ein gradliniger Prozess. Für manche Betroffenen ist es wichtig, unzählige Male das Erlebte zu berichten, so lange, bis es verarbeitet ist. Sport, Entspannungsübungen und Bewegung können helfen, ein Ventil für die im Körper gespeicherte Übererregung oder Spannungszustände zu finden.

Der Bezugsgruppe und FreundInnen kommt eine hohe Verantwortung zu. Für die Verarbeitung von Ohnmachtserfahrungen durch (Polizei-)Gewalt ist wesentlich, dass soziale Umfeld als solidarisch, schützend und unterstützend zu erleben. Kontrollverlust und Ohnmacht sind Bestandteil von Traumatisierungen. Deshalb muss die Selbstbestimmung der Betroffenen unbedingt im Vordergrund stehen. Es ist zudem von zentraler Bedeutung, immer wieder Abstand zu gewinnen, sich eine Tagesstruktur zu geben, Alltag zu leben und zu versuchen, "normale" Dinge zu tun, um aus der Opferposition herauszukommen.

Während Erste Hilfe und rechtlicher Beistand schon lange Teil der Antirepressionsstruktur sind, mangelte es an psychologischer Betreuung von AktivistInnen für AktivistInnen. Die bundesweit aktive Gruppe "Out of Action" will dem entgegenarbeiten. Neben konkreter Unterstützung ist Ziel der Gruppe, Traumatisierung als Teil von Repression sowie einen möglichen Umgang damit in der Linken zu enttabuisieren und "private" psychische Probleme als politisches Thema zu etablieren.

http://outofaction.net
http://activist-trauma.net
P.S. Von der Redaktion aktualisiert.


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Prozesserklärung von Axel, Florian und Oliver

Hier sitzen die falschen Leute auf der Anklagebank und sollen als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 verurteilt werden. Auf die Anklagebank gehören Kriegstreiber, Kriegsbefürworter und Rüstungskonzerne. Sie sind die kriminellen Vereinigungen. Sie sind anzuklagen.


Ist Krieg Frieden?

Immer wieder heißt es, die heutigen Kriege - und ganz besonders der Krieg in Afghanistan - seien eigentlich eine Friedensmission. Wenn man die Truppen abzöge, käme es zum Bürgerkrieg oder chaotischen Verhältnissen. Dies ist allerdings reine Spekulation. Sicher ist dagegen, dass der derzeitige Kriegszustand für die afghanische Bevölkerung Elend, Hunger und Terror bedeutet. Deutsche Politiker, von Jung bis Merkel, erhalten unermüdlich den Mythos aufrecht, die in Afghanistan operierende NATO-Truppe ISAF handle als reine Friedens- und Stabilisierungsmission. Dabei wird immer deutlicher, dass sie an einem entgrenzten Krieg gegen die afghanische Bevölkerung beteiligt ist. Denn bei dem ISAF-Einsatz, an dem gegenwärtig ca. 3.300 Bundeswehrsoldaten beteiligt sind, handelt es sich keineswegs um einen Entwicklungshilfeeinsatz. Der so genannte Krieg gegen den Terror am Hindukusch arbeitet mit Mitteln der Aufstandsbekämpfung, die sich ebenso gegen Kämpfer und Kämpferinnen wie gegen Zivilisten und Zivilistinnen in Afghanistan richten. Mit der Übernahme des Kommandos der Schnellen Eingreiftruppe verstrickt sich Deutschland immer tiefer in diesen Aufstandsbekämpfungskrieg.

Was dies für die afghanische Bevölkerung heißt, ist Ende August wieder einmal sehr deutlich geworden. Die Koalitionstruppen verübten am 21. August diesen Jahres ein Massaker. Sie begründeten ihr Verbrechen mit den Worten, sie hätte mit afghanischer Unterstützung ein Treffen der Taliban in der westafghanischen Provinz Herat angegriffen und dabei 30, zum Teil führende Funktionäre des islamistischen Widerstands getötet. Einige Tage später stellte die afghanische Unabhängige Menschenrechtskommission fest, dass 90 unbeteiligte Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, getötet wurden. Selbst die mit dem Westen verbundene Regierung Karsai musste einräumen, dass Zivilpersonen bei dem Angriff starben.

Das Massaker löste in Afghanistan massive Proteste aus. In Azizabad griffen aufgebrachte Bewohner und Bewohnerinnen afghanische Soldaten an. Angesichts dieser Gewalttaten nimmt der legitime Widerstand gegen die Besatzung unter allen Bevölkerungsschichten Afghanistans zu. Die Medien stellen die afghanische Bevölkerung generell als Taliban oder Warlords dar - ein absolut verzerrtes Feindbild. Für viele geht es einfach um ein Recht auf Widerstand gegen den Terror der Besatzer, gegen einen Krieg, in dem so viele Unschuldige sterben müssen.

Immer wieder kommt es zu solchen so genannten Zwischenfällen, die in Wirklichkeit der Alltag des Krieges sind: Einen Tag vor dem Massaker in Herat meldete dpa, die Bundeswehr habe erklärt, in der Nähe von Faisabad einen Angreifer erschossen zu haben. Der Polizeichef der Provinz habe aber klargestellt, dass es sich um einen Schäfer handelte. Er hatte der Militärpatrouille per Handzeichen signalisiert, nicht näher an seine Herde heranzufahren.

Stirbt ein deutscher Soldat in Afghanistan, dann wird jedoch staatstragend getrauert. Ende August wurde bei einem Angriff auf einen deutschen Konvoi ein deutscher Fallschirmjäger getötet. Sein Trupp sei in eine Sprengfalle geraten, teilte der Verteidigungsminister Jung mit. Er verurteilte diesen Anschlag als feige und hinterhältig. Tote Afghanen werden dagegen allenfalls als unvermeidlicher Kollateralschaden der Kriegsführung erwähnt. Müssen erst viele Zinksärge mit deutschen Soldaten und Soldatinnen zurückkommen, damit allen klar wird: Deutsche Truppen müssen raus aus Afghanistan! Warum reichen die vielen afghanischen Toten nicht aus? Anscheinend nicht: Die Zustimmung im Bundestag für eine Verlängerung des Mandats des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr gilt als sicher. Dabei erkennen selbst viele deutsche Soldaten trotz aller Propaganda, worum es in Afghanistan tatsächlich geht. Es gibt derzeit einen Einbruch bei den Meldungen zum freiwilligen Dienst an der Waffe; zehn Prozent aller Offiziersanwärter quittieren ihren Dienst schon während ihrer Ausbildung. Sie haben berechtigte Angst um ihr Leben.


Was sind die Kriegsgründe?

Die Lügen über die Ziele deutscher Kriegspolitik werden immer offensichtlicher: Schon 1999 hieß es, wir müssten wieder in den Krieg ziehen, um ein weiteres Auschwitz zu verhindern. Mit dieser dreisten Instrumentalisierung der Shoah wurde erstmalig ein völkerrechts- und grundgesetzwidriger Angriffskrieg gegen Jugoslawien legitimiert. Er kostete vielen Zivilisten und Zivilistinnen das Leben. Angeblich sollte ein Völkermord im Kosovo verhindert werden. Gezielte Zerstörungen von Strom- und Wasserversorgungen, Brücken, Ölraffinerien und Chemiefabriken verschlechterten die Lebensbedingungen der Menschen drastisch. Jugoslawien wurde zerschlagen.

In Afghanistan spricht vor allem dessen geostrategische Bedeutung für einen Krieg. So will der US-Konzern Unocal eine Pipeline durch Afghanistan verlegen. Afghanistan ist interessant als Pipelinekorridor und liegt in der Nähe von zwei Dritteln der weltweiten Öl- und Gasvorräte. Das Land eignet sich inmitten dieser weltpolitisch wichtigsten Region als Stationierungsort für Radaranlagen und Raketenabschussrampen. Lothar Rühl, früherer Regierungssprecher und Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, bezeichnete die Sicherung der westlichen Investitionen in das neue Afghanistan als eigentlichen Kriegsgrund.

Daher wurden im Rahmen der Besatzung umfangreiche Wirtschaftsreformen diktiert. So beteiligte sich Deutschland maßgeblich an der Ausarbeitung eines so genannten Investitionsschutzabkommens. Dieses erlaubt es Ausländern, Firmen in Afghanistan zu 100 Prozent zu besitzen, schützt sie vor Enteignung und befreit sie obendrein in den ersten acht Jahren völlig von Steuerzahlungen. Die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" - werden schon in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 als Kriegsgrund genannt. Ein weiterer Grund für die deutsche Regierung, die militärische Unterstützung des Krieges zu verlängern, ist, dass sie ihre Bündnistreue gegenüber der NATO beweisen will. Sie will ihre Position in der NATO sichern und zudem auch die NATO festigen. Denn ein Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan, würde den "Krieg gegen den Terror" zum Scheitern verurteilen. Und es würde die NATO in ihrer gegenwärtigen Konzeption, als weltweit agierendes Bündnis auch für künftige Angriffskriege, in Frage stellen.


Wer verdient an den Kriegen?

Und überhaupt: Die Geschäfte mit dem Tod laufen gut. 2007 stiegen die weltweiten Militärausgaben auf ein Rekordniveau. Insgesamt wuchsen die Umsätze der Waffenkonzerne gewaltig und zeigten, wie gewinnbringend der Handel mit Kriegsmaterial ist. Das Militär verschlingt Milliarden. Das Stockholmer Friedensinstitut ermittelte die größten Waffenexporteure der Welt. Deutschland ist mit einem Weltmarktanteil von zehn Prozent drittgrößter Rüstungsexporteur der Welt.

Die Firma Heckler & Koch beispielsweise liefert weltweit ihre Sturmgewehre G 36 in die Krisenzentren der Welt. So auch an die georgische Armee, die am 8. August dieses Jahres die Hauptstadt der Provinz Ossetien mit deutschen Waffen überfiel. Mit der georgischen Militäroffensive begann ein schmutziger Krieg im Kaukasus. Vor allem traf es wieder wehrlose Zivilisten - auch Kinder: Opfer eines Konflikts, der schon viele Jahre schwelt. Trotz Exportverbots ist die Standardwaffe der Bundeswehr, das Sturmgewehr G 36 K, schon 2005 nach Georgien geliefert worden. Die Rüstungsexportrichtlinien untersagen Waffenexporte in Krisenregionen. Entweder hat Heckler & Koch illegal geliefert oder die USA haben die Waffen weiterverkauft und damit gegen die Endverbleibsklausel verstoßen, die solche Weiterverkäufe verhindern soll.

Es gab und gibt immer wieder Waffenlieferungen von deutschen Firmen an menschenrechtsverletzende oder kriegsführende Staaten. Wer ermittelt gegen solche kriminellen Machenschaften? Wer verurteilt sie?


Woher kommt das Geld für die Kriege?

Die Intensität der Kriege nimmt zu und an der Rüstung wird immens verdient. Mit dem Verteidigungshaushalt werden die finanziellen Grundlagen dafür gelegt, dass die Bundeswehr ihre Kriege führen kann.

Die Abgeordneten des Bundestages haben am 30. November 2007 das Haushaltsgesetz 2008 beschlossen und den Verteidigungsetat wieder einmal um eine Milliarde auf 29,45 Milliarden Euro erhöht. Auch deshalb wird ein Großteil der Menschen immer ärmer. Es geht zuviel Geld in den Verteidigungshaushalt.

Die sozialen Kürzungen in den verschiedensten Bereichen treffen zuerst diejenigen, die sowieso an den sozialen Rand gedrängt sind. Diese Entwicklungen sind eben nicht zu trennen vom weltweiten Kriegszustand. Rüstungsausgaben steigen, an Ausgaben für Soziales wird gespart. Ganze Bevölkerungsschichten verarmen, eine neue Form von Kinderarmut entsteht.

Die neue soziale Situation wird von den Strategen der Bundeswehr für die Nachwuchsgewinnung schamlos ausgenutzt. Professoren an der Bundeswehr-Universität München nehmen an, dass es derzeit eine erhöhte Gewaltbereitschaft von Jugendlichen gebe. Die Bereitschaft zum Töten sei eine ideelle Ressource. Eine mögliche Verbesserung auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist aus ihrer Sicht gar nicht erwünscht. Denn gerade in der Perspektivlosigkeit von Jugendlichen sehen sie die Chance, ausreichend Soldaten zu rekrutieren. So versucht die Bundeswehr besonders an Schulen und auf Arbeitsämtern, Nachwuchs zu gewinnen.


Wo bleiben die Kriegsflüchtlinge?

Der Krieg gegen Afghanistan ist auch der Grund dafür, dass viele Menschen aus dem Land fliehen. Aber anstatt sie aufzunehmen, weil man die Ursachen für die Flucht selbst geschaffen hat, müssen die überlebenden Opfer des Krieges eine Migrationspolitik erleiden, die eng mit den Sicherheits- und Kriegsinteressen verbunden ist. Ziel aktueller deutscher und europäischer Migrationspolitik ist es, Flüchtlinge kriegsnah in Lagern zu internieren - möglichst außerhalb von Europa. Und es geht um eine schnelle Abschiebung der Flüchtlinge, die es doch bis Europa geschafft haben, zurück in die Kriegsgebiete.

Schon im Juni 2005 haben die deutschen Innenminister grundsätzlich die so genannte "Rückführung" aller afghanischen Flüchtlinge in den Krieg beschlossen. Zunächst wurden nur Straftäter und alleinstehende Männer abgeschoben, jetzt sollen zumindest in Hamburg ganze Familien in den möglichen Tod geschickt werden. Die Innenminister hatten diese Entscheidung ein Jahr zuvor damit begründet, dass sich die Lage in Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes stabilisiert habe. Es sei dort wieder sicher. In einem geheimen, von der ZEIT veröffentlichten Papier, gab aber damals selbst das Auswärtige Amt zu, dass das Land "kein sicherer Herkunftsstaat" sei.


Welcher Widerstand ist möglich gegen den Krieg?

Widerstand, der das Ziel hat, die Gewalt des Krieges, die Kriegswirtschaft sowie das Militär anzugreifen, um eine Situation der Besatzung, die Ermordung von Zivilisten und Zivilistinnen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu unterbinden, ist legitim. Sabotage ist ein Teil dieses Rechtes auf Widerstand und soll im besten Fall Schlimmeres, nämlich Kriegseinsätze, verhindern helfen.

Im angelsächsischen Raum gab es in den letzten Jahren drei Sabotage-Aktionen, die die dortigen Geschworenengerichte nicht bestraften, sondern bei denen sie die Angeklagten freisprachen.

Friedensaktivsten und -aktivistinnen hatten 2003 auf dem Flughafen Shannon in Irland einen Schaden von 2,5 Millionen US-Dollar verursacht, um den US-Militärstützpunkt mit seiner Kriegstätigkeit zu sabotieren. Der irische Staat wollte sie bestrafen. Das Geschworenengericht befand, dass die militärischen Ausrüstungen auf dem Flugplatz das Leben und den Besitz der irakischen Bevölkerung bedrohen. Daher sei die erfolgte Sabotage legal und nicht kriminell.

Im englischen Bristol sprachen die Geschworenen im Mai 2007 einstimmig zwei Antimilitaristen frei. Die beiden hatten im März 2003 - kurz vor Beginn des Irakkrieges - auf dem Militärflughafen Fairford versucht, B52-Bomber der US-Airforce unschädlich zu machen. Sie begründeten ihre Tat damit, dass sie die Bombardierung mit Streubomben im Irak verhindern wollten, die wie Minen vorrangig die Zivilbevölkerung treffen. Das Geschworenengericht begründete den Freispruch damit, dass die beiden gehandelt hatten, um Lebensgefahr für die Bevölkerung im Irak abzuwenden und Kriegsverbrechen zu verhindern. Auch in Belfast in Nordirland sprach ein Geschworenengericht im Juli dieses Jahres neun Antimilitaristen frei. Sie hatten im Jahr 2006 eine direkte Aktion in den Büros der Raytheon Company unternommen. Damit demonstrierten sie gegen den Einsatz militärischer Kommunikationssysteme von Raytheon durch die israelische Armee im Krieg im Libanon. Sie beriefen sich auf Human Rights Watch, die diesen Kriegseinsatz als Kriegsverbrechen angeklagt hatten. Die Geschworenen befanden einstimmig, dass die Zerstörungen in den Büros des Unternehmens in Derry darauf ausgerichtet waren, Kriegsverbrechen zu verhindern.

Aber in Deutschland setzt man alles daran, ein ruhiges Hinterland zu haben, um Kriege führen zu können. Deshalb geht es für die Staatsorgane hier mit aller Gewalt darum, die Gesellschaft zu militarisieren und einen Feind sichtbar zu machen und zu identifizieren, um ihn auszugrenzen und in die Gefängnisse zu stecken.

Kenntlich gemacht wird der Feind über das Gesetz, über die Paragraphen 129, 129a und 129b und deren Anwendung. Auch gegen uns wird der Paragraph 129 gerichtet. Wer der Feind ist, liegt in der Definitionsmacht der Herrschenden. Das mg-Verfahren ist in diesem Sinn zu verstehen.


Worum geht es in unserem Verfahren?

Wir sollen als antimilitaristischer Widerstand, Revolutionäre und Mitglieder der militanten gruppe im Sinne der Staatsräson angeklagt und verurteilt werden. Denn es geht in diesem Gerichtsverfahren nicht nur um eine versuchte Brandstiftung gegen Militärfahrzeuge, sondern um ein so genanntes Vereinigungsdelikt. Ob nun terroristische oder kriminelle Vereinigung, strafbar ist die bloße Mitgliedschaft, egal ob die einzelnen Mitglieder eine Straftat begangen haben oder nicht: Der aktuelle Paragraph 129 erhielt seine Struktur im Rahmen des 1. Strafänderungsgesetzes 1951 zur Verfolgung von Kommunisten und Kommunistinnen in der BRD. Der Paragraph 129 hat die Funktion eines politischen Strafrechtes, wenn der Bundesgerichtshof die militante Gruppe als eine kriminelle Vereinigung klassifiziert, obwohl doch nach dem Artikel 103 Absatz II des Grundgesetzes gilt, dass niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Trotzdem bleibt dieses Gesinnungsstrafrecht bestehen.

Im Namen der militanten Gruppe gab es Bekenntnisse zu 24 Anschlägen und den Versuch, eine Debatte über Militanz und Organisierung anzuregen. In ihren Texten erklärt sie, dass ihre Anschläge in der derzeitigen Phase nur eine propagandistische und unterstützende Wirkung für Klassenkämpfe oder antirassistische Kämpfe haben können. Der Bundesgerichtshof nahm inzwischen davon Abstand, zu behaupten, diese Aktionen könnten die Grundstrukturen des Staates beseitigen oder beeinträchtigen - als objektive Bedingung für die Zuschreibung einer terroristischen Tat.

Die Anklage durch die Bundesstaatsanwaltschaft auf der Grundlage des Paragraph 129 soll aber weiter dazu dienen, einen solchen organisierten Widerstand zum Staatsfeind zu überhöhen. Das Verfahren gegen uns kann so auch zu einem exemplarischen Verfahren werden, um zukünftig mit dem Paragraphen 129 vom Farbbeutelwurf bis zum Straßenriot viele Mittel gesellschaftlicher Auseinandersetzung zu kriminalisieren und mit einem Feindstrafrecht zu bestrafen, das vom normalen Strafrecht abgespalten wird.


Wie rüstet der Staat präventiv gegen Widerstand auf?

Das Strafrecht wird hier in ein Gefahrenvorbeugungsrecht überführt. Um ungestört Kriege führen zu können und den kapitalistischen Normalzustand zu sichern, werden Maßnahmen ergriffen, die sich gegen jeden und jede richten können. Damit verbunden ist der immer schnellere Abbau demokratischer Rechte. Die zunehmende Militarisierung - der Ausbau des Überwachungsstaates werden forciert. Ziel des anvisierten präventiven Sicherheitsstaates ist es, den verfassungsgemäß unveränderbaren Artikels 1 des Grundgesetz es, den Schutz der Menschenwürde, auszuhebeln.

Die Angst vor der terroristischen Gefahr wird geschürt, um die Bürger und Bürgerinnen in diese Richtung manipulieren zu können. Für diese Gefahr gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Aber für den Umbau des Rechtsstaates hält sie her. Von einem Großteil der Menschen wird alles gebilligt, was die angebliche Gefahr mindern könnte. Die meisten Freiheitsgesetze werden der Sicherheit geopfert und viele kriegen es nicht mit. Die Sicherheitspolitik schlägt verfassungsrechtliche Bedenken in den Wind.

So will der Innenminister das Folterverbot aufheben: Wenn ein Beschuldigter auf grausame Weise gesprächig gemacht wurde, dann sollen die deutschen Sicherheitsdienste davon profitieren können. Der Innenminister fabuliert von extralegalen Erschießungen und will den Abschuss von entführten Flugzeugen erlauben. Zudem stehen auf der Wunschagenda des Innenministeriums oder sind zum Teil schon Realität: Das Einsperren von so genannten Verschwörern und Gefährdern in Lager, Kommunikationsverbote für politisch Missliebige und für ganze Gruppen von Migranten und Migrantinnen, Hausdurchsuchungen ohne Anwesenheit von Zeugen und Betroffenen, geheime Onlinedurchsuchungen, Einsatz von Militär mit Waffen gegen Demonstrierende und die umfassende Bespitzelung der Bürger und Bürgerinnen durch Polizei und Geheimdienste sowie die Rasterfahndung.

Mit welcher Aggressivität sich die Zustände verschärfen könnten, zeigen die Vorschläge der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die sogar die Anti-Terror-Gesetze durch die zwei neuen Paragraphen 89a "Vorbereitung einer Gewalttat" und Paragraph 91 "Anleitung zu einer Gewalttat" erweitern will. Demnach sollen auch Einzelne wie terroristische Vereinigungen verfolgt werden können.

Dass die Rechtsordnung im Rahmen staatlicher Repression suspendiert wird, ist in der BRD nichts Neues. Schon in den 1970 Jahren wurden Legislative, Exekutive und Justiz in den so genannten Krisenstäben einfach zu einem Komplex miteinander verschmolzen, um gegen die RAF vorzugehen. Die Krisenstäbe erwogen während der Schleyer-Entführung die Todesstrafe für inhaftierte RAF-Aktivisten. Generalbundesanwaltschaft Kurt Rebmann schlug sogar vor, den Artikel 102 des Grundgesetzes, "Die Todesstrafe ist abgeschafft" - unverzüglich zu ändern - und solche Personen zu erschießen, die "von Terroristen durch menschenpresserische Geiselnahme befreit werden sollen".


Was lehrt uns die Geschichte?

Aus der Geschichte des deutschen Faschismus haben zumindest wir gelernt, dass der NS-Staat mit Unterstützung seiner national mobilisierten Bevölkerung eine grenzenlose Kriegsgewalt vorangetrieben hat, die die Zivilbevölkerung in Europa brutal zu spüren bekam. Nach dem 2. Weltkrieg konnte es aufgrund der Millionen Kriegstoten und der systematischen Ermordung des europäischen Judentums nur eine Lehre geben: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.

Daraus speiste sich auch der Widerstand der Nachkriegszeit: Der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung, gegen den Aufbau einer neuen Wehrmacht, die dann Bundeswehr hieß, gegen Atomwaffentests, gegen Nato-Manöver, gegen die imperialistische Kriegspolitik der USA.

Wenn das Gericht versucht, uns zu bestrafen, richtet sich diese Kriminalisierung gegen den emanzipatorischen Versuch, sich gegen einen Staat und gegen eine herrschende Politik zu wenden, die im Namen des sogenannten "Kriegs gegen Terror" Krieg führt, bombardiert, tötet und foltert.

Nie wieder Krieg!
Viele Formen des Widerstands sind legitim!
Für eine kommunistische Weltgesellschaft!
Mit Tucholsky sagen wir: Krieg dem Kriege!
Friede auf Erden!


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Ermittlungen wegen Gründung der militanten gruppe eingestellt

Nach sieben Jahren wurde am 22.9.2008 ein Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129 gegen drei Mitglieder der Initiative Libertad! eingestellt. Wir dokumentieren eine persönliche Erklärung der drei Berliner, denen die Bundesanwaltschaft seit 2001 die Gründung der militanten gruppe vorwarf:

Der Verfassungsschutz muss in die Schranken verwiesen werden

Seit dem 25.9.2008 wird vor dem Berliner Kammergericht gegen drei Männer verhandelt, denen die Bundesanwaltschaft neben einer versuchten Brandstiftung die Mitgliedschaft in der militanten gruppe vorwirft. Die Anklage stützt sich auf den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dieser habe mitgeteilt, bei den Angeklagten handele es sich nach einer "im Allgemeinen zuverlässig berichtenden und nachrichtenehrlichen" Quelle um Mitglieder der militanten gruppe.

Schon einmal hat der Verfassungsschutz behauptet, Mitglieder der militanten gruppe zu kennen:

Am 3.7.2001 teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz der Bundesanwaltschaft mit, wir - drei Mitglieder der Initiative Libertad! - seien die Gründer und Mitglieder der militanten gruppe. Es ging nicht um einen zu prüfenden Verdacht, es wurde eine Feststellung getroffen. Der Verfassungsschutz forderte die Bundesanwaltschaft auf, uns strafrechtlich zu verfolgen.

Seit dem 16.7.2001 hat das Bundeskriminalamt sieben Jahre lang gegen uns ermittelt: Unsere Wohnungen und Arbeitsstellen wurden Tag und Nacht gefilmt, unsere Telefone abgehört, unsere Autos verwanzt und mit Peilsendern versehen. Alle Banktransaktionen wurden kontrolliert. Wir wurden auf Schritt und Tritt von Zivilpolizisten verfolgt. Schließlich wurden unsere Wohnungen und Arbeitsstellen durchsucht, unsere Computer, Tagebücher, Fingerabdrücke und DNA analysiert.

Das Ergebnis: Das Ermittlungsverfahren wurde am 22.9.2008 eingestellt, weil der Anfangsverdacht nicht erhärtet werden konnte. Der Anfangsverdacht, das waren die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Für das aktuelle Gerichtsverfahren kann das nur bedeuten: Der Verfassungsschutz hat vor dem Kammergericht nichts zu suchen.

Die Bundesanwaltschaft hat bei der Verfolgung der linken Szene Rechtsbrüche begangen und musste Niederlagen hinnehmen. Sie steht unter Druck, zumindest ein Urteil gegen linke Aktivisten wegen eines Organisationsdelikts zu erzielen. Dazu ist die Anklagevertretung bereit, auf unüberprüfbare Berichte bezahlter Geheimdienstspitzel zurückzugreifen.

Wir selbst werden alle verfügbaren Mittel nutzen, um gegen die Verletzung unserer Grundrechte und insbesondere gegen die Steuerung der Polizei durch den Geheimdienst vorzugehen.

Berlin, 1.10.2008
Jochen U., Jonas F., Markus H.

weitere Informationen:
Bündnis für die Einstellung der Paragraph 129(a)-Verfahren


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Unterstützungserklärung

Solidarität mit Antimilitaristen

Ende September 2008 soll vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gegen die drei Berliner Oliver, Florian und Axel beginnen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen versuchte Brandstiftung an Bundeswehr-LKWs und die Mitgliedschaft in der "militanten gruppe (mg)" vor. Die drei Angeklagten waren am 31. Juli vergangenen Jahres festgenommen worden, nachdem sie versucht haben sollen, Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen. Ohne Indizien für die Tatbeteiligungen an Brandanschlägen der "militanten gruppe" vorzulegen, hat die Bundesanwaltschaft Anklage nach Paragraph 129 erhoben. Mit dem Konstrukt einer "kriminellen Vereinigung" drohen den Antimilitaristen mehrjährige Haftstrafen. Wir fordern die sofortige Einstellung der Paragraph 129(a)-Ermittlungen und die Abschaffung dieses Gesinnungsparagraphen.

Die Ermittlungen in dem Paragraph 129(a)-Verfahren richten sich gegen insgesamt sieben Verdächtigte und wurden zunächst nach dem Antiterrorparagraphen 129a aufgenommen. Die damit ermöglichten Überwachungskompetenzen sind trotz dürftiger Verdachtslage für eine umfassende Ausforschung und Kriminalisierung zahlreicher politischen Aktivisten benutzt worden. Mit abenteuerlichen Verdachtskonstrukten wurden langfristige Überwachungsmaßnahmen, Hausdurchsuchungen und Haftbefehle gerechtfertigt. Im Laufe des Verfahrens wurden die Verteidigungsrechte der Beschuldigten eingeschränkt und eine Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden mit Geheimdiensten bekannt. In zwei Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof die Ermittlungen der Bundesstaatsanwaltschaft zurückgewiesen bzw. eingeschränkt. Die nun vorgelegte Anklageschrift gegen Oliver, Florian und Axel jedoch greift unbeeindruckt auf die bisherigen Konstrukte zurück und baut auf vagen Indizien und den Aussagen eines Geheimdienstspitzels auf. Diese Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und den Ermittlungsbereichen verstößt gegen das grundgesetzlich verankerte Trennungsgebot. Wir fordern die Auflösung der Geheimdienste sowie die Offenlegung der bisherigen Ermittlungen gegen die drei Antimilitaristen.

Angesichts der internationalen Kriegseinsätze der Bundeswehr sehen viele die Zerstörung von Bundeswehrfahrzeugen als konkrete Abrüstungsinitiative. In anderen europäischen Ländern wurden AktivistInnen, die ähnlich wie Axel, Oliver und Florian für die Sabotage von Kriegsmaterial angeklagt wurden, von Gerichten freigesprochen oder zu nur geringen Strafen wegen Sachbeschädigung verurteilt. In Irland wurden KriegsgegnerInnen, die einen F-16-Bomber zerstört hatten, sogar mit der Begründung freigesprochen, ihre Aktionen hätten dazu beigetragen, Schlimmeres - nämlich Kriegshandlungen - zu verhindern.


Wir unterstützen die Forderung nach Freispruch der drei Antimilitaristen. UnterzeichnerInnen (Stand 03.10.2008):

Peter O. Chotjewitz, Schriftsteller, Stuttgart - Wolf-Dieter Narr, Universitätsprofessor a.D., Berlin - Inge Höger, MdB, Berlin - Dario Azzellini, Politikwissenschaftler, Berlin - Evrim Baba, MdA, Berlin - Klaus Bartl, Rechtsanwalt, Mitglied des Sächsischen Landtages, Chemnitz - Tobias Baumann, Doktorand, Gieboldehausen - Markus Bernhardt, Journalist, Berlin - Torsten Bewernitz, Politikwissenschaftler, Münster - Roland Bialke, Berlin - Garnet Bräunig, Sozialpädagogin, Hamburg - Markus Brunner, Student, Hannover - Sarah Büsse, Studentin, Berlin - Sevim Dagdelen, MdB, Bochum - Irmgard Deschler, Selbständig, München - Jochen Dürr, Landessprecher der VVN-BdA Baden-Württemberg, Schwäbisch Hall - Andreas Frizen, Student, Berlin - Philipp Fuhrmann, IT-Angestellter, Wuppertal - Anne Grunewald, Redakteurin, Berlin - Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes, Offenbach am Main - Dirk Heinke, Sozialarbeiter, Berlin - Sönke Hilbrans, Rechtsanwalt, Berlin - Willi Hoffmeister, Rentner, Dortmund - Thomas Janoschka, Bildungsreferent, Bernau - Dr. Ingrid Jungwirth, Soziologin, Berlin - Wolfram Kempe, Schriftsteller, Journalist, Kommunalpolitiker, Berlin - Daniel Kober, arbeitlos, Berlin - Jana Krystlik, Sozialpädagogin, Berlin - Saskia Kühn, Studentin, Berlin - Norbert Kuske, Verwaltungsangestellter, Wahlstedt - Gerhard Labitzke, Selbstständiger, Potsdam - Norbert Lang, Rentner, Berlin - Wolfgang Lettow, Redakteur beim Gefangenen Info, Hamburg - Max Lill, Student, Berlin - Matthias Marggraff, Auszubildender, Magdeburg - Armin Meyer, Rentner, Niederfinow - Claudia Müller, Studentin, Berlin - Petra Neuhold, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Wien - Daniel Peisker, arbeitslos, Dresden - Thomas Putzmann, Auszubildender, Berlin - Martin Rediker, Sozialarbeiter, Lippstadt - Thomas Richter, Student, Berlin - Joachim Rollhäuser, Rechtsanwalt, Athen - Tobias Samus, Student, Wuppertal - Monty Schädel, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Waren/Müritz - Dagmar Schimmel, Kfm. Angestellte, Oberursel - Ludwig Schönenbach, ehemaliger Lehrer, Bremen - Heike Schrader, Journalistin, Athen - Matthias Schreiber, Koch, Hamburg - Martin Schröder, Grafiker, Kiel - Alexander v. Schwerin, Historiker, Berlin - Petra Steinbecher, Sekretärin, Berlin - Elke Steven, Soziologin, Köln - Tom Strohschneider, Journalist, Berlin - Diana Taube, Kaufmännische Angestellte, Hamburg - Catrin Ulbricht, Auszubildene Altenpflegerin, Dresden - Reinhold Waber, Anwalt, Donauwörth - Christian Wadephul, Student, Stuttgart - Mag Wompel, Industriesoziologin und Journalistin, Bochum - Alex Zollmann, Lehrer i.R., Bühl (Baden) - Interventionistische Linke - DFG/VK Berlin-Brandenburg - Redaktion telegraph, Berlin - Netzwerk für Politische und Soziale Rechte, Griechenland - nextsteffi.tk


Wenn Ihr diese Erklärung unterzeichnen wollt, teilt uns euren Namen, Beruf und Wohnort in einer E-Mail an einstellung@so36.net mit. Vielen Dank.


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Solidarität!

Liebe Genossen, die ihr vor die Schranken der Klassenjustiz gezerrt werdet,

Liebe GenossInnen, UnterstützerInnen und FreundInnen, die Ihr an den Mobilisierungen teilnehmt,

Leider ist es uns nicht möglich, direkt und vor Ort mit Euch zu sein, um gemeinsam die konkrete Solidarität mit den Betroffenen, wie die Entschlossenheit den Angriffen der Repression gemeinsam entgegenzutreten, auf die Straße zu tragen.

Die Suche nach revolutionärer Kontinuität, an die ein "Neubeginn" angeknüpft werden kann DARF es in den Augen der herrschenden Klasse nicht geben. Zu groß die Angst, dass damit ein klassenkämpferisches Signal gegen Hoffnungslosigkeit und Resignation seine Wirkung zeigen könnte.

Und genau da knüpften militante AktivistInnen an, als sie vor Jahren mit ihrer Initiative die Militanz-Debatte auf der einen, der dazu parallel entwickelten Praxis auf der anderen Seite sich in die lange Phase der Neudefinierung revolutionärer Politik einreihten.

Wer in diesen Tagen die mediale Omnipräsenz der Aust-Verfilmung "Der Baader Meinhof-Komplex" mitverfolgt, dem sticht die fast schon hysterische und mit Hass geprägten Aussage des Regisseur ins Auge: "Der Film wurde extra so gewalttätig und niederträchtig gemacht, damit wirklich niemand einen Zweifel haben könnte, dass so was Schlimmes nie mehr entstehen darf" (sinngemäß). Selbst hier in der Schweiz wird dieser "Anwärter für den Oskar" auf allen TV und Radiosendern, Zeitungen und Zeitschriften aufgedonnert und die Genossen und Genossinnen der RAF als blutrünstige und durchgeknallte Monster dargestellt.

Nicht Wenige aber fragen sich: warum jetzt diese hasserfüllte Abrechnung nach so vielen Jahren, wovor fürchtet sich die herrschende Klasse? Sollten sie sich nicht besser um den Scherbenhaufen, den die verschiedensten Groundings (1) kapitalistischer Politik in diesen Tagen anhäufen, kümmern?

Dazu fällt uns ein treffendes Zitat der betroffenen Genossen und Genossinnen der RAF ein:

"Was die herrschende Klasse an uns hasst, ist, dass die Revolution trotz hundert Jahren Repression, Faschismus, Antikommunismus, imperialistische Kriege, Völkermord wieder ihren Kopf hebt."

Uns allen, die am Aufbauprozess einer Internationalen Roten Hilfe zusammenarbeiten, ist sehr wohl bewusst, dass die internationale präventive Konterrevolution in den letzten Jahren Schritte gemacht hat, die analysiert, theoretisiert und entsprechende Gegenmaßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden müssen.

Die Geschichte der Klassenkämpfe lehrt uns, dass diese Angriffe immer eine Art Prüfstein für beide Seiten im dialektischen Verhältnis zwischen Revolution und Konterrevolution sind.

Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage, was der Angriff auslöst: Abschreckung und Lähmung oder mobilisierende Kraft und politische Konsolidierung.

In den letzten 3 Jahren konnten wir eine mobilisierende und politisch konsolidierende Wirkung in den verschiedensten Ländern Europas erkennen. Als am 12.2.07 in Italien die international koordinierte Staatsschutzaktion "Tramonto" ansetzte, war die Klassensolidarität in Italien sofort und kurz danach auch international sehr stark sowie politisch und hält bis heute an. Die italienische Bundesanwaltschaft war deshalb gezwungen, vor der Sommerpause ein spezielles Dossier: "Solidarität"! in den Prozess in Mailand einfließen zu lassen.

Eine sehr ähnliche Beobachtung konnten wir nach den Angriffen am 5.6. in Belgien machen: eine starke Solidarität mobilisierte bis zu 500 Menschen auf die Straßen Brüssels und erzwang die bedingte Freilassung der vier wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (PC p-m) Angeklagten. Auch da setzte sich die internationale Solidarität mit ihrer Vernetzung in Bewegung und vertiefte unsere Gemeinsamkeiten.

"Die internationale Klassensolidarität aufbauen und verteidigen," lautet entsprechend die Parole der RHI, die wir nach den letzten Angriffen gegen politische Solidaritätsstrukturen der RH's und RHI in Belgien, Italien und der Schweiz formuliert haben. Sie ist Ausgangspunkt und Perspektive zugleich.

Dazu gehört auch die Erkenntnis der PC-p-m-Gefangenen, die sie im Solidaritätsschreiben zum Prozess in Berlin verfassten: "Der Neubeginn der revolutionären Bewegung führt auch durch den Gerichtssaal und die Gefängnisse als unvermeidbare Passagen für die Militanten, die sich ernsthaft mit dem revolutionären Kampf identifizieren".

Internationale Klassensolidarität aufbauen und verteidigen

Kommission für eine Rote Hilfe International

(1) Grounding ist ein Begriff, der hier verwendet wird, wenn die Flugzeuge am Boden bleiben, weil die Firma pleite ist... Das kommt von ground, der Boden, d.h. sie bleiben am Boden... aus!


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129a-Verfahren nach G8-Gipfel am 24.9.08 eingestellt

Das mit den bundesweiten Durchsuchungen am 9. Mai 2007 bekannt gewordene Paragraf 129a-Verfahren (Bildung einer terroristischen Vereinigung) ist am 24. September 2008 eingestellt worden.

Es wurden 18 Personen beschuldigt, einer "militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel" anzugehören.

Der BGH hatte bereits mit Beschluss vom 20.12.07 entschieden, dass Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß Paragraph 129a STGB schon aus rechtlichen Gründen ausscheide, aber auch keine hinreichende Verdachtslage hinsichtlich der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß Paragraph 129 STGB gegeben sei. Daraufhin gab die BAW das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Hamburg ab. Diese zögerte die Einstellung nahezu 9 Monate hinaus. Erst mit Bescheid vom 24.9.08 wurde das Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung bei allen Betroffenen ohne jede Begründung eingestellt.

Das Rad der Geschichte lässt sich nicht so einfach zurückdrehen - und das ist auch gar nicht beabsichtigt. Bundesanwaltschaft, Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Landeskriminalamt haben zumindest teilweise das erreicht, was sie vorhatten. Sie haben Daten gesammelt, Strukturen durchleuchtet, bundesweit ein Manöver durchgeführt, um ihre Apparate zu koordinieren und die Funktionsfähigkeit auszuprobieren, und sie haben die politische Konsensfähigkeit ihrer Strategien ausgetestet. Und sie haben versucht, eine Stimmung der totalen Kontrolle und Überwachung zu verbreiten.

Die Auswirkungen auf uns - die Verfolgten - und auf die gesamte Gesellschaft sind nicht zu ignorieren und sind durch den BGH-Beschluss und den der Staatsanwaltschaft Hamburg nicht rückgängig zu machen.

Der größte Teil der Ermittlungen ist vom Verfassungsschutz durchgeführt worden und Ergebnisse und Handlungsvorschläge wurden dem BKA zur Verfügung gestellt. Das ist aus den Akten ersichtlich. Hier wird eine sehr enge Zusammenarbeit von Geheimdienst und Polizei sichtbar. Nicht zufällig wurde nach dem zweiten Weltkrieg - als Reaktion auf den deutschen Faschismus und den unsäglichen Erfahrungen mit dem allmächtigen "Reichssicherheitshauptamt" - die Arbeit von Geheimdienst und Polizei per Festlegung der Allliierten 1949 getrennt. Das scheint heute aber keine Rolle mehr zu spielen. (siehe www.cilip.de/terror/vdj.htm)

Weiter wurden auch Ermittlungen des Staatssicherheitsdienstes der früheren DDR (STASI) herangezogen. Aus den Ermittlungs-Akten wird auch ersichtlich, dass das BKA unmittelbar mit Sozialamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Verkehrsamt, Ordnungsamt, Versicherungen, Ausländerbehörde und Banken usw. zusammenarbeitete.

Kein anderer Paragraf eröffnet dem Staatsschutz so viele Möglichkeiten an Überwachung und Ausforschung wie der Paragraph 129a oder b. Im Rahmen der aktuellen Verfahren hat er über einen langen Zeitraum seine ganzen technischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Flächendeckende Observationen, Telefonüberwachung, e-Mail Überwachung, Postüberwachung, Filmaufnahmen, Peilsender, Rasterfahndung, Einsatz verdeckter Ermittler, Verwertung geheimdienstlich erlangter Informationen (nach dem G10-Gesetz), Aufhebung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, akustische Raumüberwachung, großer Lauschangriff usw.

Diese Überwachungsmaßnahmen haben weit mehr Leute getroffen als die unmittelbar Beschuldigten.

Aber uns scheint, dass zumindest ihr Konzept der Einschüchterung, Verunsicherung und Spaltung des Widerstandes nicht aufgegangen ist.

Große Teile der Öffentlichkeit reagierten mit Unverständnis und Protest. Wir haben viel Unterstützung erfahren. Ein Ausdruck davon sind die vielen Solidaritätserklärungen, Veranstaltungen und Demonstrationen, wie die Demonstration am 15.12.07 in Hamburg unter dem Motto: »gegen den kapitalistischen Normalzustand, gegen Überwachungsstaat und Repression«. Die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm bekam einen neuen Schub.

Der Stein, den sie gegen uns erhoben haben ist auf ihre eigenen Füße gefallen. Sorgen wir dafür, dass das so weitergeht.

Einer der Beschuldigten - unser Freund und Genosse Joachim Täubler - ist für uns alle vollkommen unerwartet gestorben. Er war der staatlichen Überwachung, wie Verwanzung der Wohnung, Videoüberwachung des Hauseinganges, besonders stark ausgesetzt. Wir fühlen uns mit seinen politischen Ideen und Aktivitäten weiterhin stark verbunden.

Solidarische Grüße an Axel, Florian und Oliver. Sie stehen zur Zeit mit der Anklage Paragraph 129 STGB (kriminelle Vereinigung) - Mitgliedschaft in der mg (militante gruppe) - und versuchter Brandstiftung gegen Militärfahrzeuge in Berlin vor Gericht. Wegen Widerstand, der das Ziel hat, die Gewalt des Krieges, die Kriegswirtschaft, sowie das Militär anzugreifen, um eine Situation der Besatzung, der Ermordung von Zivilist_innen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu unterbinden.

Einige Betroffene des nun eingestellten Paragraph
129(a)-Verfahrens, 1.10.08

Mehr zu dem Verlauf des Verfahrens findet sich im Internet, u.a. auf folgender Seite: http://www.Maus-Bremen.de (im Menü unter: "Zu den bundesweiten Razzien am 9.5.07").


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Für die Freilassung von Mustafa Atalay

Mustafa Atalay ist einer der fünf Angeklagten im Paragraph 129b-Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. "Ich bin ein Journalist und ein Sozialist - kein Terrorist" hat er auf den Anklagevorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung erwidert.

Mustafa Atalay ist 52 Jahre alt und lebt seit 2000 in Deutschland als politischer Flüchtling. Er befindet sich seit November 2006 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Die meiste Zeit davon war er isoliert untergebracht und er hat strenge Sonderhaftbedingungen.

Mustafa Atalay ist schwer herzkrank. 2006 erlitt er einen Infarkt. Ihm mussten drei Bypässe gelegt werden. Seine Festnahme erfolgte aus einer Rehabilitationsklinik heraus. Zwei Bypässe sind wieder verstopft. Während der Haft waren am Herzen weitere Eingriffe nötig. Wegen der Herz-Kreislaufprobleme und anderer Erkrankungen erhält er täglich 8 bis 10 Medikamente.

Mustafa Atalay war über 15 Jahre im Gefängnis in der Türkei. Er wurde schwer gefoltert und hat bleibende körperliche Schäden erlitten. Ein vom Gericht bestellter Gutachter hat das Vorliegen eines Posttraumatischen Belastungssyndroms festgestellt.

Mustafa Atalay muss sofort aus der Haft entlassen werden!

Erstunterzeicher:

- Peter Nowak, Journalist, Berlin (Stimme der Unterdrückten) - Dr. Nikolaus Brauns, Historiker und Journalist (Berlin) - Heike Schrader, Journalistin, Athen - Prof. Dr. Johannes Feest (Strafvollzugsarchiv, Universität Bremen) - Wienke Zitzlaff, Angehörige der politischen Gefangenen aus der BRD, Hannover - Rainer Dittrich, politischer Gefangener, Lübeck - Gon und Cor Steinvoort, Kommunisten, Lübeck - Dr. med. Ralf Binswanger, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Zürich - O. Chotjewitz, Schriftsteller, Stuttgart - Dr. med. David Winizki, Arzt für Allgemeine Medizin, Zürich - Dr. med. Emilio Modena, Psychoanalytiker, Zürich - Christiane Schneider, innen- und rechtspolitische Sprecherin der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft - Ulla Jelpke, MdB, Innenpolitische Sprecherin Fraktion DIE LINKE.

Weiter Unterschriften: hamburg@political-prisoners.net
Oder schriftlich an die Redaktion.


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Bundesweite Veranstaltungsreihe zum DHKP-C Prozess in Stammheim

Widerstand ist kein Terrorismus! Weg mit den Paragraphen 129, 129a und 129b!

Seit dem 17. März 2008 läuft in Stuttgart-Stammheim ein politischer Schauprozess gegen Mustafa Atalay, Ahmet Düzgün Yüksel, Ilhan Demirtas, Devrim Güler und Hasan Subasi, denen nach den Paragraphen 129, 129a und 129b die "Mitgliedschaft in der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)" vorgeworfen wird. Der Prozess, der hauptsächlich auf den Aussagen eines Doppelagenten des türkischen Geheimdienstes MIT und des Verfassungsschutzes basiert, soll dem Staat dazu dienen, für den Paragraphen 129b einen Präzedenzfall zu schaffen. Die Angeklagten, die sich seit über 20 Monaten in Haft befinden, sind massivster Willkür, Menschenrechtsverletzungen und Isolationshaft ausgesetzt. Insbesondere die Situation der Gefangenen Mustafa Atalay, der drei Wochen nach einer Herz-OP verhaftet worden war, und Ilhan Demirtas, der an einer Psychose leidet, ist ernst.

Auf der Infotour werden Mitglieder des Komitees gegen die Paragraphen 129 über die aktuelle Situation im Verfahren berichten.

Kampf der Klassenjustiz!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Tourdaten (Genauere Daten gibts in Kürze):

16.10. Donnerstag: Stuttgart
18.10. Samstag: Halle
19.10. Sonntag: Dresden
20.10. Montag: Leipzig
21.10. Dienstag: Berlin
22.10. Mittwoch: Neubrandenburg
23.10. Donnerstag: Greifswald
25.10. Samstag: Hamburg
27.10. Montag: Kiel
28.10. Dienstag: Bremen
29.10, Mittwoch: Hannover
30.10. Donnerstag: Göttingen
03.11. Montag: Duisburg
04.11. Dienstag: Bonn
05.11. Mittwoch: Mannheim
06.11. Donnerstag: Kaiserslautern

Rote Hilfe e.V. | www.rote-hilfe.de | Komitee gegen die Paragraphen 129 | www.no129.info


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Zur Haftsituation der fünf türkischen Gefangenen in Stammheim

"Zu unseren Haftbedingungen kann ich sagen, dass wir uns alle im ersten Gebäude, jedoch auf verschiedenen Etagen befinden. Außer der einen Stunde auf dem Dach im achten Stockwerk - nur Ahmet und Mustafa kommen auf dem Hof im Erdgeschoss, weil sich ihre Zellen in den unteren Stockwerken befinden - verbringen wir den Rest des Tages auf der Zelle. Umschluss haben wir auf Grund der Sicherungsmaßnahmen keinen. Es wurde vom Gericht zwar verfügt, dass wir dem Gericht einen Antrag schreiben und den Namen eines Gefangenen, mit dem wir gerne Umschluss machen würden, angeben könnten, damit das Gericht über den Antrag entscheiden könne, aber soweit ich weiß, hat Ahmet einen entsprechenden Antrag mit gleich vier Namen von Mitgefangenen von seinem Stockwerk an das Gericht gestellt, mit der Bitte, mit einem dieser vier Umschluss machen zu dürfen, dieser Antrag ist dennoch aus mir unbekannten Gründen abgelehnt worden, Ich selber habe bisher noch keinen Antrag gestellt. Wenn es bald eine passenden Mitgefangenen geben sollte, würde ich mich mein Glück versuchen, aber im Moment gibt es niemanden ..."

Devrim Güler


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Freigang für Jean-Marc Rouillan gestrichen!

Vor einigen Tagen wurde Jean-Marc Rouillan, Gefangener aus Action Directe, nach einem Interview mit der Zeitung L'EXPRESS zurück in den geschlossenen Vollzug verlegt. Er war seit Dezember 2007 im Freigang, sollte dort 1 Jahr arbeiten und dann - nach fast 22 Jahren Knast, davon die meiste Zeit in Isolationshaft - entlassen werden.

Der zuständige Richter ließ ihn jetzt zurückverlegen mit der Begründung, Jean-Marc habe gegen die Auflage für den Freigang verstoßen, "sich nicht öffentlich zu den Taten zu äußern, wegen der er er verurteilt wurde".

Jean-Marc hatte auf die Frage von L'EXPRESS, ob er das Attentat auf Renault-Chef Besse bereue, geantwortet: "Ich habe nicht das Recht, mich dazu zu äußern. Aber diese Tatsache ist schon eine Antwort. Denn es ist klar, dass ich mich äußern dürfte, wenn ich allem abschwören würde, was wir getan haben! Mit diesem Zwang zum Schweigen wird auch jede kritische Bilanz unserer Geschichte unterdrückt. Der Prozess des bewaffneten Kampfes, der sich in der Folge von 68 mit großem emanzipatorischen Elan entwickelt hat, existiert nicht mehr. Aber als Kommunist bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass der bewaffnete Kampf in einem bestimmten Moment des revolutionären Prozesses notwendig ist."

Am 16.10.08 soll entschieden werden, ob Jean-Marc wieder in den Freigang kommt oder nicht - was mit Sicherheit auch eine Rolle bei der Frage seiner Entlassung im Dezember spielen wird.

Weitere Infos: www.nlpf.samizdat.net


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Prozess gegen Andrea am 23.10.08

Am 23.10.08 findet ein Prozess mit codierten PolizistInnen gegen die Antifaschistin Andrea statt (um 10.30 Uhr im Raum 371 im Amtsgericht Tiergarten - Turmstr. 91, Moabit). Ihr wird der Verstoß gegen das Versammlungs- und Waffengesetz bei der Antifademo in Neukölln am 1.12.2007 vorgeworfen. Am gleichen Tage wurde sie für 14 Monate weggehaftet.

Zeigt eure Solidarität und kommt zahlreich!

Haltet Ausschau nach einer voraussichtlich stattfindenden Infoveranstaltung über codierte Beamte.


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Zur Konferenz no prison! no state!

Diese von abc (anarchist black cross) organisiertes Internationale Anti-Knast Wochenende fand vom 26.9.- 28.9. in Kiel statt. Wir veröffentlichen dazu einen ersten kurzen Bericht und zwei Grußadressen von den Gefangenen Thomas Meyer-Falk und Christian S.

Das Wochenende liegt nun schon seit einigen Tagen hinter uns und alle sind mit mehr oder weniger guten Gefühlen wieder abgefahren. Es gab eine Vielzahl lebhafter Diskussionen, viele neue Bekanntschaften und vieles mehr. Besten Dank an alle Dagewesenen, im Speziellen die, welche gekocht, Tresenschichten übernommen und anderweitig geholfen haben. Natürlich auch besten Dank an die Alte Meierei für die Bereitstellung der Räumlichkeiten.

Um eine kurze Zusammenfassung des Wochenendes zu geben: am Freitag Abend gab es ein Eröffnungsplenum, auf welchem erklärt wurde, warum wir dieses Wochenende organisiert haben, damit bezwecken und erreichen wollen. Darauf schloss sich eine Diskussion zur Abschaffung von allen Knästen und Zwangsanstalten an, welche anfangs etwas stockte, was unter anderem auch an der großen Runde gelegen haben mag. Nach dem Essen gab es einen Film über die Zustände in russischen Knästen mit dem Schwerpunkt auf Tätowierungen - deren Rolle und Funktion.

Der Samstag startete mit einem reichhaltigen Frühstücksbuffet, bevor es zur Kundgebung vor die JVA Kiel ging. Insgesamt waren zwischen 60 und 80 Personen vor Ort und lauschten den Redebeiträgen und der Musik. Der Knast selber ist so gebaut, dass kein Gefangener nach draußen blicken kann, weshalb es keinen Sichtkontakt gab und keine Kontaktaufnahme in irgendeiner Form möglich war. Das Einzige waren ein paar Schließer_Innen, welche die Kundgebung von einer Art gläserner Überwachungskanzel, mit welcher der Freihof und Sportplatz beobachtet wird, beäugten. Im Anschluss bewegten sich die ehemaligen Kundgebungsteilnehmer_Innen in Form einer spontanen Demonstration unter lauten Parolen um den Knast und die Justizgebäude herum.

Zurück in der Alten Meierei starteten die Vorträge - über die Geschichte der Knastkämpfe in der BRD, zur Situation der kriminalisierten Tierrechts-Aktivist_Innen in Österreich und zur Kritik an der gelaufenen Soliarbeit und anschließend über die alltägliche Repression und technokratisierte Knastgesellschaft in Großbritannien. Jeweils im Anschluss gab es lebhafte Diskussionen und Fragen zu den Thematiken.

Bevor es am späten Abend eine Party in den Räumlichkeiten gab, wurde ein spannender Dokufilm über Mumia Abu-Jamal, welcher seit fast 27 Jahren in den USA inhaftiert ist, gezeigt.

Am Sonntag gab es nach dem Frühstück noch ein Perspektiv- und Auswertungsplenum, auf welchem über den Ablauf des Wochenendes, eine mögliche Weiterführung des Ganzen und persönliche Eindrücke der Dagewesenen geredet wurde.

In den nächsten Tagen wird es noch einen Auswertungstext vom Vorbereitungskreis geben.

Einer aus dem Vorbereitungskreis


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Abschaffung von Knästen - Utopie oder Chance?

Knäste, Zuchthäuser oder wie immer man sie nennen mag, erfüllen nach gängiger Vorstellung drei wesentliche Funktionen: sie sollen "Unrecht" sühnen, "Gesetzesbrecher" zu einem Leben ohne Straftaten sozialisieren, und sie haben die Aufgabe, die Gesellschaft durch Wegsperren zu schützen. So zumindest der Grundkonsens von Politik und Justiz, wie er stets verbreitet wird. Weshalb steigen dann aber die Zahlen der Gefangenen, obwohl seit circa 20 Jahren in allen Staaten Westeuropas die Kriminalität sinkt? Was hat es damit auf sich, wenn Medien und Politiker gemeinsam immer wieder, immer öfter und lauter härtere Strafen und die Ausweitung von Straftatbeständen fordern?

Solche Fragen müssen gestellt werden, wenn wir uns mit der Abschaffung von Verwahrungsanstalten beschäftigen. Denn es darf keine Utopie, das heißt keine unerfüllbare Wunschvorstellung sein, wenn wir für eine knastfreie Gesellschaft streiten und auch kämpfen. Knäste sind heute ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, in manchen Orten stellen sie den größten Arbeitgeber. Knäste sind Experimentierfeld für Strategien der Überwachung, Kontrolle und Aufstandsbekämpfung. Wer heute in Gefängnisse blickt und beobachtet, wie mit den Insassinnen und Insassen verfahren wird, der sieht, wie in einigen Jahren außerhalb der Knastmauern mit den vermeintlichen freien Menschen umgegangen werden wird.

Knäste sind Einschüchterungs- und Disziplinierungsinstrument für die Unmächtigen, die Ohnmächtigen und (relativ) Besitzlosen in unseren Gesellschaft. Und Knäste sind Projektionsfläche. Dies in mehrfacher Hinsicht: für jene, die in den Gefangenen nur Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse sehen wollen ebenso wie für jene, die eigene und unbewusste Wünsche unterdrückend und verdrängend um so heftiger auf "Kriminelle" verbal einprügeln und den angeblichen "Hotel-Vollzug" skandalisieren.

Und aus all diesen und noch vielen Gründen mehr ist der Kampf um und für eine knastfreie Gesellschaft keine Utopie, sondern Chance! So wichtig es ist, im konkreten Einzelfall für Inhaftierte Hilfe zu leisten, gilt es Strukturen zu erkennen, zu analysieren und anzugreifen. Denn das Gefängnis von heute ist die Gesellschaft von morgen. Letztlich sind die Verwahranstalten Symptom eines degenerierten politischen Systems. Je weiter also Gefängnisse zurückgedrängt würden, umso mehr würde dies auf eine Gesundung der Gesellschaft hindeuten: eine freie, anarchistische Gemeinschaft braucht keine Zuchthäuser, braucht keine Kerker, keine Orte der Disziplinierung.

Die Chance liegt also in der (Selbst-)Befreiung!

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-Zelle 3113
Schönbornstrasse 32, 76646 Bruchsal
www.freedom-for-thomas.de
Blog: www.freedomforthomas.wordpress.com


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Soliadresse von Christian S.

Zuerst mal Grüße an alle, die an diesen Treffen teilnehmen.

Obwohl ich mit dem Zustand der Anti-Knast Bewegung in Deutschland nicht besonders glücklich bin, soll das Folgende nicht als Kritik an denen verstanden werden, die sich an diesem Thema seit Jahren abarbeiten. Vielmehr stört mich die relative Gleichgültigkeit der linksradikalen Szene insgesamt gegenüber Knast als letztem Baustein staatlicher Repression, mit dem nur ein kleiner Teil der AktivistInnen jemals in direkten Kontakt kommt. Bei jeder Inhaftierung gibt es zwar eine kurzfristige Mobilisierung, vor allem materielle Unterstützung, aber das Widerstandsniveau in unserer Region bleibt inhaltlich und aktionistisch zurück. Wer verhaftet wird, gilt irgendwo als Pflegefall, etwas moralische Unterstützung und eine gute Anwältin sollen es richten. Von den Gruppen, die zur 1. Mai-Randale oder dem militanten Verhindern von Nazidemos aufrufen, wird keine kontinuierliche Anti-Knast-Arbeit geleistet.

Die wenigen Leute in der BRD, die sich selbst als politische Gefangene definieren, sind weitgehend von der Auseinandersetzungen draußen abgetrennt. Es gibt noch nicht mal ein funktionierendes Infosystem, das uns regelmäßig relevante Zeitschriften oder Internetveröffentlichungen zukommen lässt. Eine Diskussion zwischen Drinnen und Draußen findet kaum statt. Viele Möglichkeiten, den Justizbehörden in den Arm zu fallen, werden vergeben, so dass jede Soligruppe bei Null anfängt, z.B. bei der Frage nützt Öffentlichkeitsarbeit dem Gefangenen oder schadet es.

Die Widerstandsebene Knast hat in antifaschistischen und antikapitalistischen Strukturen kaum Bedeutung, der Knast ist weit weg und erscheint unangreifbar. Dabei kulminieren bei diesem Thema viele Konflikte: durch und durch faschistische Beamte, viele rechtsradikale Gefangene, soziale Minderheiten wie Obdachlose und Junkies, Leute voller Wut auf die Gesellschaft und ohne deutschen Pass sind auf engsten Raum zusammengepfercht. In dieser Atmosphäre testet der Staat unablässig technologische und psychologische Mittel und Maßnahmen, um sie auch draußen zur Kontrolle und Aufstandsbekämpfung anzuwenden. Private Unternehmen sind dabei für maximale Ausbeutung zuständig.

Dass diese Zusammenhänge und Chancen so wenig beachtet werden, enttäuscht mich. Ich glaube, die meisten Menschen wollen, wenn sie durch Verhaftung und Prozess aus der Anonymität gerissen werden, weniger eine personalisierte Soliarbeit, sondern vielmehr das Strafsystem an sich ins Visier genommen sehen. Wenn die radikale Linke aktiv wird gegen Knastneubauten wie im Großbeeren, werden wir auch insgesamt eine glaubhafte Alternative für die Masse der Gefangenen bieten. Ausbeutung, privatisierte Sicherheit und Sozialpolitik mittels physischer Gewalt fokussieren sich in den Senatsplänen zu Großbeeren und bieten Anknüpfungspunkte zu anderen Teilbereichsbewegungen.

Die Hungerstreikaktion, die Anfang August von überwiegend sozialen Gefangenen in NRW ausging, stieß in linksradikalen Kreisen und bürgerlicher Öffentlichkeit auf wenig Beachtung. Das war aber ein viel versprechender Organisierungsansatz, und ich halte es für wichtig, daran weiter zu arbeiten. Denkbar wäre z.B. eine bundesweite Arbeitsstreikaktion von Gefangenen. In absehbarer Zeit wird es in deutschen Knästen nicht mehr von alleine zu Revolten kommen wie zuletzt Anfang der 90er Jahre. Durch minimale Zugeständnisse und perfektionierte Vereinzelung sitzen die Anstaltsleitungen fester im Sattel denn je. Die Wut hinter Gittern kann nur von draußen gezündet werden. Ich weiß nicht, ob die Anti-Knast-Bewegung mehr Empathie in linken Strukturen durch intensivere Öffentlichkeitsarbeit erreichen kann. Aber das Schweigen und Nichtverhalten zur kürzlich eingeführten Sicherungsverwahrung für Jugendliche fand ich sehr unangemessen. Damit ist jetzt lebenslange Haft für 14-Jährige möglich, eine Verschärfung des Gewohnheitsverbrechergesetzes vom 24. November 1933, mit dem erstmals die Sicherungsverwahrung für Erwachsene eingeführt wurde. SV für Jugendliche ist ein Quantensprung der staatlichen Repressionsstrategie, genauso wie die fünf Jahre Jugendstrafe gegen die Münchener Hausbesetzer.

Natürlich sind wir zu wenige, um kurzfristig auf so was oder auf Todesfälle in den Knästen angemessen reagieren zu können. Vielleicht ist eine bessere Vernetzung mit mobilisierungsfähigen Gruppen möglich. Eine vor allem materielle Unterstützung einzelner Gefangener und gelegentliche symbolische Aktionen sind auch mit schwachen Kräften machbar. Nur mit wesentlich mehr Aufwand können unsere Ideen in den Knästen erstmal bekannt gemacht werden. Strukturen wie ABC oder Rote Hilfe sind zumindest unter Berliner Gefangenen fast völlig unbekannt, diese informieren sich hauptsächlich durch die Tegeler Zeitung "Lichtblick", ein reformistisches Blatt mit 5000er Auflage bundesweit, in dem auch Nazis Kontaktanzeigen veröffentlichen. Die von unserem Spektrum herausgegebenen Publikationen haben sich in letzter Zeit qualitativ stark verbessert, um mehr Resonanz aus dem Knästen zu erhalten, müsste aber auch die Verbreitung erhöht werden.

Mir gegenüber zeigen JVA-Funktionäre unverhohlen ihren Hass auf diverse Solidaritätsaktionen und justizkritische Veröffentlichungen. Das ist ein Zeichen, das wir auf dem richtigen Weg sind.


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Kommentar zur Aktionswoche

Ich war schon lange auf die Reaktionen der Aktionswoche gespannt. Meine 4-Tagesteilnahme wurde hier ja mehr oder weniger nur als Diät betrachtet und gar nicht richtig ernst genommen. Aber ich kann sagen: "Ich war dabei!"

Ich werde auch in Zukunft meine Unterstützung anbieten.

Wie ich gelesen hatte, hat die große Politik das schon vertraute Leugnen an den Tag gelegt, um sich ja nicht öffentlich auseinandersetzen zu müssen. Scheinbar ist es gängige Praxis. Wenn man von nichts weiß, braucht man ja auch nicht darauf reagieren. Vielmehr verschließt man mutwillig die Augen vor der Realität und verblendet die Öffentlichkeit weiter mit einem funktionierenden Vollzug, den es in Wirklichkeit nicht gibt.

Die Aktionswoche hat aber ihr Ziel nicht verfehlt. Eine solche Solidarität kann man nicht einfach so untergraben und ignorieren. Schon allein durch die Beistandsaktionen von Außen wurde wieder ein Teil der Öffentlichkeit auf die real existierenden Missstände aufmerksam. Es liegt auch weiter in unserem Interesse, den Druck auf die oberen Politiker aufrecht zu erhalten und zu verstärken, damit die vom Vater Staat geschützten Justizorgane, die der Meinung sind, durch mutwillige Rechtsbeugung einen Strafgefangenen zum Freiwild machen zu können, auch durch das angebliche demokratische Rechtssystem für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden können.

Artikel 3 Satz 1 des Grundgesetzes: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich".

Man muss kein Prophet sein um zu erkennen, dass dieser Satz im Vollzug seine Glaubwürdigkeit verloren hat!

Vollzugsteilnehmer Harry z.Zt. JVA Hof


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Angst essen auf - ein paar Zeilen zur "Gefährlichkeit" von Gefangenen

Im Strafrecht ist die Tendenz zur Ausgrenzung (nämlich der Angeklagten und später: Gefangenen) immer schon angelegt. In den letzten 10-15 Jahren paaren sich jedoch neoliberales Risikomanagement und Angstklima. Ergebnis dieser verhängnisvollen Liaison ist eine Kultur der Kontrolle. Zu beobachten nicht nur in ebenso unzähligen wie unsäglichen Fernsehsendungen vom Schlage "Achtung Kontrolle", oder "N24 - auf Streife", sondern auch im Umgang mit Gefangenen.

Ein erster populistischer Höhepunkt war 2001 (Bild am Sonntag, 08.07.2001) die Forderung des damaligen SPD-Bundeskanzlers Schröder "Wegschließen - und zwar für immer!".

Seit 2001 gibt es im deutschen Strafrecht das Mittel der "nachträglichen Sicherungsverwahrung". Erweist sich ein Gefangener während des Strafvollzugs (angeblich) als "gefährlich" für die Allgemeinheit vor den Gefängnismauern, so kann er seitdem auch über das reguläre Haftende hinaus in Haft gehalten werden! Ein Gericht kann gegen ihn in einem neuen Prozess die Sicherungsverwahrung verhängen, die dann auch bis zum Tode vollstreckt werden darf. Nachdem 2004 das Bundesverfassungsgericht die bis dahin geltenden Landesgesetze zur nachträglichen Sicherungsverwahrung als verfassungswidrig verworfen hatte, da für diese Materie der Bund zuständig sei, gibt es seit 2004 ein entsprechendes (und seitdem mehrfach ausgeweitetes) Bundesgesetz.

Nach einer aktuellen Untersuchung wurden seit 2001 von den Gerichten 110 Anträge auf Unterbringung in der nachträglichen SV zurückgewiesen. In einer Antwort auf die kleine Anfrage der Partei DIE LINKE im Bundestag, teilte die Bundesregierung am 22.05.2008 (BT-Drucksache 16/9241) mit, erst in 7 Fällen habe der Bundesgerichtshof die Verhängung der nachträglichen SV bestätigt (wobei in einem Fall, dies nur nebenbei, das Bundesverfassungsgericht die entsprechende Entscheidung als verfassungswidrig beanstandet und aufgehoben hat).

Jetzt wäre es doch interessant zu wissen, was aus jenen 110 Gefangenen geworden ist, die nach Ansicht von Gefängnismitarbeitern, Staatsanwaltschaften, vielfach Land- und Oberlandesgerichten als "brandgefährlich" galten, bei denen jedoch keine SV nachträglich rechtskräftig angeordnet wurde. Haben diese sofort nach der Freilassung aus der Haft gemordet, vergewaltigt, geraubt, wie es ihnen eigentlich zuvor attestiert wurde, dass sie es tun würden?

Michael Alex von der Universität Bochum zog eine erste empirische Bilanz zu obiger Frage.

Leider verweigerten sich die Behörden in Bayern und Baden-Württemberg offenbar einer intensiven Mitwirkung an einer Untersuchung (obwohl aus Bayern überproportional viele Anträge auf nachträgliche SV kommen), so dass nur Daten der übrigen 14 Bundesländer ausgewertet werden konnten, konkret 67 Fälle.

Von diesen verbleibenden 67 (der insgesamt 110) Fällen wurden 23 wieder straffällig, davon wiederum lediglich zwei schwer. Diese zwei wurden verurteilt wegen schwerer räuberischer Erpressung bzw. schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern.

So ungemein tragisch die Situation für die Opfer in den zwei genannten Fällen auch ist, so muss doch festgestellt werden, dass von 67 zuvor als äußerst gefährlich "diagnostizierten" Gefangenen, denen JVA-Mitarbeiter und weiteres Justizpersonal unterstellte, umgehend schwerste Delikte zu begehen, es letztlich nur derer zwei waren.

Als - Zitat - "besorgniserregend" bezeichnet Alex in seiner Untersuchung diesen Befund im Hinblick auf die Situation derer, bei denen schon mit dem Strafurteil Sicherungsverwahrung angeordnet wurde und die nun aktuell in SV sitzen (Stand 31.03.2008: 435).

Von diesen 435 Verwahrten säßen, so Alex, ca. 360 Menschen in Haft, wiewohl sie "keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen".

360 Menschen ...

Thomas Meyer-Falk


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Auch für Önder Dolutas fordern wir Demokratie, Menschenrecht, Freiheit!

Wie die Öffentlichkeit bereits erfuhr, wurde Önder Dolutas, ein anerkannter Flüchtling und Staatsbürger in Großbritannien, am 23. Mai in Flughafen Frankfurt/Hahn wegen eines scheinheiligen türkischen Interpolersuchens verhaftet und sitzt seitdem in Rohrbacher Justizvollzugsanstalt und kämpft gegen seine Auslieferung.

(...) Seit einigen Jahren werden die international anerkennten Rechte der Flüchtlinge durch irgendwelche politischen Beschlüsse der EU und ihrer Mitgliederstaaten ständig aberkannt. Somit werden Flüchtlinge, egal welchen Status - beantragte, abgelehnte oder anerkannte - einer undemokratischen und menschenunwürdigen Handlung und Praxis unterzogen und sie werden ständig mit Abschiebung bzw. Auslieferung bedroht. Die Bundesregierung in der BRD spielt in diesem wachsenden Unrecht gegen Flüchtlinge und Migrantinnen eine Rolle einer Lokomotive. In Deutschland sind seit Jahren auf dem politischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen Bereichen mehrere Angriffe in Anmarsch. Das friedliche Zusammenleben von einheimischen und migrantischen Bürgern ist durch diese Politik mehr denn je gefährdet. Die Lohnabhängigen und Werktätigen - egal welcher Nation oder Herkunft - sind alle von diesen wachsenden Angriffen betroffen. Deshalb ist es enorm wichtig, einen Gegenpol der internationalen Solidarität in allen Lebensbereichen herzustellen. Die Schaffung einer solidarischen Basis ist eine der wichtigsten Aufgaben der politischen fortschrittlichen Opposition in BRD.

Wir, Unterzeichner dieses Aufrufes, erklären uns mit Önder Dolutas solidarisch, der durch einen Brief an seinen Anwalt und an die Öffentlichkeit mitgeteilt hat, "er sei seit dem 8. September in einem unbefristeten Hungerstreik, um gegen die antidemokratische Haltung der BRD Justiz zu protestieren". Im Rahmen der Kampagne zur Unterstützung von Önder Dolutas werden wir alle demokratischen und friedlichen Aktionen sowie Demonstrationen aktiv unterstützen.


Erklärung von Önder Dolutas aus dem Gefängnis

Seit 23. Mai 2008 befinde ich mich aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Türkei in der Justizvollzugsanstalt in Rohrbach. Um gegen den Beschluss vom 15. August 2008 des Oberlandesgerichts Koblenz zu protestieren, welcher meinen von Britannien anerkannten Status als politischer Flüchtling missachtet, und gegen die Tatsache, dass dieser Beschluss sich gegen die Genfer Konvention von 1951 richtet, erkläre ich hiermit, dass ich seit dem 08. September 2008 in einen unbefristeten Hungerstreik getreten bin.

Wie in den vielen unzähligen Beispielen vor mir, wurde ich vom türkischen Staat aufgrund meiner politischen Gedanken verfolgt und war gezwungen, die Türkei im Jahre 2001 zu verlassen. Ich ging nach Britannien und beantragte dort Asyl, welches mir von Großbritannien relativ schnell gewährt wurde. Währenddessen hatte ich die Möglichkeit, meine akademischen Ziele zu erweitern. Im Moment bin ich ein PHO-Kandidat im Bereich "financial computing" auf der Brunel Uni in London.

Während meiner Einreise von London nach Deutschland, um einen Besuch zu erledigen, wurde ich am 23. Mai im Flughafen Frankfurt/ Hahn verhaftet. Seitdem warte ich auf die gerichtliche Prozedur. Doch der schockierende Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz zwingt mich, mein einziges Instrument anzuwenden, um mein Recht zu erlangen. Somit habe ich mich entschlossen, in den Hungerstreik zu treten, um gegen diesen Gerichtsbeschluss zu protestieren. Der Beschluss ist unakzeptabel und spricht gegen die Genfer Konvention von 1951.

Das Oberlandesgericht zieht meinen Status als politischer Flüchtling, welcher mir von Großbritannien zugesprochen wurde, nicht in Erwägung und verweigert mir meine Rechte aus der Genfer Konvention von 1951, auf der anderen Seite treffen sie Entscheidungen zu Ungunsten meiner Person. Meine Abwesenheit in der Türkei sowie der Punkt, dass mich kein Anwalt während des Gerichtsverfahrens vertreten hat, wird mir vom Oberlandesgericht Koblenz als "Eigenverschulden" vorgeworfen. Wie auch immer, die Entscheidung des Kölner Bundesgerichtshofes vom 15.08.2008 sagt eindeutig, dass die Genfer Konvention von 1951 vorsieht, [dass in solchen Fällen nicht das Opfer die Schuld zu tragen hat].

Ein Opfer von Verfolgung und der Folter und unmenschlicher Behandlung ausgeliefert zu sein und in einem unfairen Gerichtsverfahren vor einem speziellen Gericht angeklagt zu werden, sind für das Oberlandesgericht in Koblenz keine ausschlaggebenden Gründe, um den Auslieferungsprozess zu stoppen.

Bei einem ähnlichen Fall wie dem meinen beim Oberlandesgericht Köln wurde das Auslieferungsgesuch der Türkei gegen eine Person zurückgewiesen. Ich erwarte und beantrage hiermit die gleiche Entscheidung auch für mich.

Im Rahmen der oben erwähnten Punkte erkläre ich nochmals, dass ich am 8. September 2008 in einen unbefristeten Hungerstreik getreten bin, um gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, welches meinen Status als politischen Flüchtling und meine britische Staatsbürgerschaft nicht anerkennt und sich gegen die Genfer Konvention von 1951 wendet, zu protestieren.

In Solidarität, Önder Dolutas, 8. September 2008, Rohrbach


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Savvas Xiros gegen Griechenland

Ex-Stadtguerilla-Mitglied klagt vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte gegen seine Haftbedingungen

Savvas Xiros hält seine Haftbedingungen für einen Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention - niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt werden. Xiros, der einmal Mitglied der ehemaligen griechischen Stadtguerillaorganisation 17N war, hat deshalb im Dezember 2006 Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht. Demnächst soll darüber entschieden werden. Seit über sechs Jahren wird Xiros trotz schwerer gesundheitlicher Schäden im Gefängnis festgehalten.

Die griechische Regierung hat die Behandlung des fast blinden und tauben Gefangenen in ihrer Antwort auf die Fragen des EGMR im Juni als korrekt beschrieben. Gleichzeitig bat sie das Gericht zu bedenken, dass die besonders während der Untersuchungshaft angewandten strengen Isolationsbedingungen im Einklang mit den Empfehlungen des Europarates von 2002 hinsichtlich der "Abwägung zwischen den Menschenrechten und den Erfordernissen des Kampfes gegen den Terror" ständen.

Von angemessener medizinischer Versorgung könne keine Rede sein, meint dagegen Savvas Xiros. Durch die vorzeitige Explosion einer Bombe hatte er 2002 mehrere Finger, einen Großteil seines Augenlichts und beide Trommelfelle verloren. Gefängnisärzte bestätigen, dass die medizinischen Einrichtungen des Gefängnisses selbst über keinerlei Ausstattung zur Behandlung seiner Augen- und Nervenschäden besitzen. Das laut Angaben der Regierung mit der regelmäßigen augenärztlichen Betreuung des Gefangenen beauftragte Krankenhaus in Athen dagegen hat die erforderliche stationäre Behandlung von Savvas Xiros bereits mehrfach abgelehnt. Begründung: Durch die horrenden Sicherheitsvorkehrungen für den Sonderpatienten werde die Versorgung der übrigen Kranken in unannehmbarem Ausmaß beeinträchtigt. Nötige Operationen an Augen und Ohren wurden bis heute gar nicht oder nur mit monate- bis jahrelanger Verspätung durchgeführt. Als Folge davon hat sich die Sehfähigkeit des Gefangenen drastisch verschlechtert, eine völlige Erblindung droht.

Bei dem laut Regierung eigens für die Gefangenen aus dem 17-N-Prozeß eingerichteten Zellentrakt handelt es sich um eine Reihe vollständig unterirdisch liegender Zellen ohne Sonnenlicht. Der die Zellen verbindende Flur muss den nicht vorhandenen Aufenthaltsraum ersetzen, der "Hofgang" findet in einem ebenfalls unterirdischen Raum statt.

"Der Ort ist für die Unterbringung eines beliebigen Gefangenen völlig ungeeignet, erst recht für einen zu harter Strafe und Aussicht auf lange Jahre hinter Gittern Verurteilten", heißt es in der Antwort des wegen Beteiligung an Anschlägen der 17N rechtskräftig zu sechsmal lebenslänglich verurteilten Schwerbehinderten an das Gericht.

Savvas Xiros ist bereits der zweite Gefangene aus dem 17-N-Verfahren, der wegen unzureichender medizinischer Versorgung Klage beim EGMR erhoben hat. Der unter multipler Sklerose leidende Pavlos Serifis wurde auf Entscheid des Gerichts 2005 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen.

Von Heike Schrader, Athen, aus: jW 30.9.


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Iran

Politische Gefangene im Hungerstreik

In mehreren europäischen Städten haben am Wochenende Solidaritätsaktionen für die politischen Gefangenen im Iran stattgefunden, die sich seit dem 25. August im Hungerstreik befinden.

In Hamburg fand ... eine Kundgebung statt, bei der zwei symbolische Galgen aufgestellt wurden. Die Polizei beschlagnahmte nach der Aktion KCK-Fahnen und Öcalan-Bilder. In London fand am Sonntag eine Kundgebung statt. In Bremen, Hannover, Köln und Paris fanden zweitägige Solidaritätshungerstreiks statt. In Anvers ist ein achttägiger Hungerstreik begonnen worden. In Leipzig ist ab dem 9. Oktober ein dreitägiger Hungerstreik geplant, der am 11. Oktober mit einer Kundgebung beendet werden soll. In Berlin nahmen etwa 200 Menschen an einer Demonstration am Sonntag zur Gedächtniskirche teil. Der Solidaritätshungerstreik im Kurdistan Volkshaus in Hannover wird bis kommenden Donnerstag verlängert.

Seit dem 25. August 2008 befinden sich mehrere hundert kurdische politische Gefangene, zumeist Mitglieder der "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" (PJAK) und der PKK, im Iran im unbefristeten Hungerstreik. Angeschlossen haben sich ebenfalls zum Tode verurteilte kurdische Journalisten und Frauenrechtlerinnen. Mit der Aktion, die unter dem Motto "Berxwedan Jiyane - Widerstand heißt Leben" steht, protestieren die Gefangenen gegen die Todesstrafe gegen fünf kurdische Lehrer, zwei Journalisten und eine Studentin. Weiterhin geht es bei dem Hungerstreik in den Gefängnissen von Urmiye, Sine, Kirmanshan, Teheran u.a. um die Menschenrechtsverletzungen in und außerhalb der Gefängnisse. Sie protestieren gegen die unmenschlichen Verhältnisse in den Gefängnissen, gegen tägliche Folter und Misshandlungen. Die Hungerstreikenden fordern die Einhaltung der Menschenrechte der Gefangenen, das Ende der Hinrichtungen, die Beendigung der Folter und der Misshandlungen sowie die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in den Haftanstalten des Iran.

Von den kurdischen Gefangenen, die sich im Hungerstreik befinden, sind zum Tode verurteilt und warten auf ihre Hinrichtung:
Adnan Hassanpur (Journalist), Hiwa Bwtimar (Journalist), Farzad Kamangar (Journalist), Anwer Hussein Panahy (Lehrer), Farhad Wakily (Menschenrechtsaktivist), Ali Haidrian (Menschenrechtsaktivist), Arsalan Awliaiy (Menschenrechtsaktivist), Habibulla Latify (Menschenrechtsaktivist).

Folgende Gefangene wurden zu mehren Jahren Haft verurteilt:
Muhamad Sadiq Kabudwand (Menschenrechtsaktivist, zu 11 Jahren verurteilt), Hana Abi (Menschenrechtsaktivist, zu 5 Jahren verurteilt), Zainab Baiazidy (Menschenrechtsaktivistin, zu 4 Jahren verurteilt), Fatima Gwftary (Menschenrechtsaktivistin, zu 18 Monaten verurteilt), Amir Raza Ardalan (Student, zu 2,5 Jahren verurteilt), Ali Shakry (Student, zu 2,5 Jahren verurteilt) und Suhrab Jalaly (verurteilt zu 3 Jahren Haft).


Aktuelle Situation:

Der Gesundheitszustand der seit dem 25. August hungerstreikenden kurdischen politischen Gefangenen im Iran verschlechtert sich zunehmend. Aus dem Gefängnis in Seqiz wurden mindestens drei Aktivisten ins Krankenhaus überstellt. ... Für Menschenrechtsorganisationen ist es schwer, Informationen über die Situation in den Gefängnissen zu bekommen. Vielen Gefangenen ist der Kontakt zu Angehörigen untersagt. Bekannt ist lediglich, dass der Hungerstreik in mindestens zwölf Gefängnissen durchgeführt wird und eine Erfüllung der Forderungen der Gefangenen durch das iranische Regime ausbleibt. Von Angehörigen war zu erfahren, dass sich einige der Gefangenen die Lippen zugenäht haben.


Hintergründe:

Es ist bekannt, dass der Iran kein demokratisches Land ist. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2008 wurden im Iran 220 Menschen hingerichtet, zumeist in öffentlichen Schauveranstaltungen. Werte wie Menschenrechte, Demokratie, Frauenrechte und Meinungsfreiheit bleiben ungeachtet. Vielmehr gelten in diesem Land die Scharia-Gesetze mit denen jede Opposition mit rechtswidrigen Mitteln und Methoden zerschlagen wird.

In den letzten Jahren ist die Repression auch gegen Frauenrechtlerinnen im Iran ersichtlich gestiegen. Die islamische Republik Iran hat ihre Angriffe gegen ethnische und religiöse Minderheiten, insbesondere aber gegen Kurdinnen und Kurden im Iran und andere Oppositionelle wie Intellektuelle, Studierende, Frauenrechtlerinnen sowie Homosexuelle massiv ausgeweitet und praktiziert mit grausamen Methoden vor den Augen der Weltöffentlichkeit massive Menschenrechtsverletzungen.

Journalisten werden willkürlich verhaftet und gefoltert, kritische Zeitungen werden geschlossen, Besitzer von Satellitenempfänger werden gefoltert und bedroht und die Satelliten beschlagnahmt, Oppositionelle und Homosexuelle werden zum Tode verurteilt und friedliche Demonstranten insbesondere in den kurdischen Regionen von iranischen Sicherheitskräften beschossen.

Seit Jahrzehnten versucht die kurdische Volksgruppe mit demokratischen Mitteln für die Erhaltung ihrer Minderheitsrechte, Meinungsfreiheit und Demokratie im Iran - wie auch in der Türkei, Syrien und dem Irak - zu kämpfen. In den letzten zwei Jahren haben sie mit friedlichen Mitteln demonstriert, wurden dabei aber regelmäßig von iranischen Sicherheitskräften angegriffen und mehrere kurdische Demonstranten wurden dabei getötet.

Der Druck auf die Kurdinnen und Kurden wurde so stark erhöht, dass die kurdischen Ortschaften unter militärischer Kontrolle stehen und politische kurdische Aktivisten und Menschenrechtler entweder festgenommen oder vom iranischen Geheimdienst getötet werden.

Die Einschüchterungspolitik und die Repression gegen die kurdische Volksgruppe, die demokratische Zivilgesellschaft und die oppositionellen Kräfte sind verbrecherisch und willkürlich.

Solidarität!

Menschenrechtsorganisationen, Amnesty International und kurdische Vereine fordern ein Ende von Folter, Exekutionen und anderen Menschenrechtsverletzungen im Iran.

Es sollte für jeden Menschen selbstverständlich sein, sich gegen die Todesstrafe und die Hinrichtungen einzusetzen und die Forderungen der streikenden Gefangenen zu unterstützen. Angesichts der bedrohlichen Situation der Hungerstreikenden im Iran, dürfen wir die Gefangenen im Iran nicht alleine lassen. Sie brauchen unsere Solidarität.


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IMPRESSUM

Gefangenen Info
10.10.2008, Nr. 342

Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Info hervorgegangen. Das Gefangenen Info erscheint vierwöchentlich bei GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein / Hamburg m. b. H., Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg.

V.i.S.d.P.: Christiane Schneider.

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Gesamtherstellung: GNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein / Hamburg m.b.H.

Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist die Zeitung so lange Eigentum des Absenders, bis es dem Gefangenen ausgehändigt wird. "Zur-Habe-Nahme" ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info dem Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, ist es dem Absender mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken.


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Quelle:
Gefangenen Info Nr. 342, 10.10.2008
eMail: gnn-hamburg@freenet.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2009