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GEGENWIND/384: Segeberg - Bewährungsstrafe für Rassismus-Opfer


Gegenwind Nr. 251 - August 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

REPRESSION
Segeberg: Bewährungsstrafe für Rassismus-Opfer
Angriff auf Nigerianer "keine strafbare Handlung"


Den anwesenden Mitgliedern des alternativen "Hotel am Kalkberg" und der Antifa-Gruppe "Plan B" stockte der Atem, als Amtsrichter Florian Wüllenkemper am 24. Juni das Urteil gegen Robert Nwanna verkündete.


Es lautete 6 Monate Haft auf Bewährung für den heute 28jährigen Nigerianer - weil er sich in Wahlstedt gegen eine etwa zehnköpfige Gruppe prügelnder Rassisten zur Wehr gesetzt hatte.

Während einige Details der Auseinandersetzung unklar bleiben, halten auch Richter Wüllenkemper und der Kieler Oberstaatsanwalt Thomas Michael Hoffmann den wesentlichen Tatablauf nach vier Prozesstagen und 14 Zeugen für erwiesen: Demnach kam Nwanna am 26. Mai 2005 vom Einkaufen nach Hause, als er kurz vor seiner Wahlstedter Wohnung aus einer Gruppe von zehn angetrunkenen "jungen Leuten" heraus rassistisch beleidigt, angerempelt und getreten wurde. Nachdem ihm der heute 25jährige Artur K. und dessen Freundin Sandra S. Beleidungen wie "Scheißneger" und "Nigger" entgegen gebrüllt und Nwanna angegriffen hatten, beschimpfte der seinerseits die Angreifer. Daraufhin holte "Opfer" K. aus und schlug dem Afrikaner noch einmal unter lautem Gejohle seiner Kumpanen mit der Faust ins Gesicht, aus der Gruppe heraus wurde seine im Haus befindliche Familie bedroht. Während streitig bleibt, ob Nwanna auf seiner anschließenden Flucht in das Haus vom Mob verfolgt wurde, ist klar, dass er wenig später aus dem Küchenfenster sprang und auf die Gruppe zulief.


Staatsanwalt Hoffmann: "Tendenziöse Berichterstattung"

Was dann geschah, stellt der Spiegel in einem längeren Artikel zum Fall so dar: "Unstrittig ist, dass Robert Nwanna (...) plötzlich ein Messer in der Hand hat. Ob er es aus seiner Küche mitgenommen oder, wie er aussagt, einem Angreifer abgenommen hat, ist dagegen unklar. Der Afrikaner steht jedenfalls allein einer Gruppe von zehn Leuten gegenüber. Auch Artur K. (...) hält ein Messer in der Hand, wirft es aber wieder weg. "Das Ding ist viel zu kurz", schimpft er laut Zeugen, lässt sich von einem Kumpel den Golfschläger reichen. Mit dem Sportgerät aus Metall, blauer Griff, blaue Schlagfläche, haut er mit aller Kraft zu, trifft den Nigerianer am Oberkörper. "Er hat ihm so richtig eins übergezogen", bestätigt selbst K.s Freundin Sandra S. Die Reaktion folgt Sekunden später. Das Messer von Robert Nwanna trifft Artur K. an der linken Halsseite, tritt in Schulterhöhe wieder aus. Der 30-Jährige (gemeint war wohl: "der 20jährige", d. Gegenwind-Red.) sackt zusammen, wird bleich, droht zu kollabieren. Blutet. Doch er hat Glück: Der Stich verfehlt die Halsschlagader, die zunächst heftige Blutung kommt schnell zum Stillstand."

"Einseitige und tendenziöse Berichterstattung" nennt Staatsanwalt Hoffmann den Artikel später im Verhandlungssaal, mag das Plädoyer von Nwannas Anwältin Jennifer Jakobi auf "Notwehr" nicht gelten lassen: Der Angeklagte habe nach dem Angriff schließlich im Haus bleiben können, er habe es aber vorgezogen "vom Bedrängten zum Angreifer zu werden".

Während Richter Wüllenkemper dieser Argumentation folgt, hatte sein Vorgänger den Fall noch völlig anders gesehen: Der inzwischen pensionierte Harald Pöhls, seinerzeit Chef des Amtsgerichts, lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens 2008 kurzerhand ab, weil die anfangs zuständige Staatsanwältin Silke Füßinger grob einseitig ermittelt habe. Pöhls sah es als durchaus wahrscheinlich an, dass Robert Nwanna den Messerstich in einer Notwehrsituation ausgeführt hat.


Staatsanwaltschaft sieht bei den Angreifern "keine strafbaren Handlungen"

Schon bei der herbeigerufenen Polizei hatte die Aussage des heute in Bad Segeberg lebenden Afrikaners wenig Interesse erregt. Die Beamten führten Nwanna in Handschellen ab, übernahmen die Version der offensichtlich betrunkenen Angreifer, führten keine Blutproben bei ihnen durch und beleidigten das Opfer mit fragwürdigen Protokolleinträgen über dessen Familie: So wurde festgehalten, Nwanna sei in Begleitung seiner "Verlobten" (in Anführungszeichen) und einem Kind (Zitat: "augenscheinlich Mulattin") auf der Wache.

Und so ermittelte die Staatsanwältin anschließend mit Hochdruck gegen einen Mann, der sich und seine Familie verteidigte, während sich Artur K. und seine Gruppe allenfalls als Zeugen der Anklage vor Gericht zeigen müssen: Erst auf eine Anzeige von Anwältin Jakobi hin ermittelte Füßinger auch gegen die Angreifer, die anschließenden Verfahren gegen sechs Beschuldigte werden jedoch allesamt eingestellt, weil die Staatsanwältin keine strafbaren Handlungen erkennen kann.

Während Silke Füßinger für den Gegenwind urlaubsbedingt nicht erreichbar ist, bereitet es auch Oberstaatsanwalt und Pressesprecher Uwe Wick spürbar Unbehagen, über den Fall zu sprechen. Zu Details des Urteils kann und will er ohnehin nichts sagen, ansonsten betont Wick lediglich, dass das Gericht der Staatsanwaltschaft gefolgt ist. Das spreche ja schließlich für die Arbeit seiner KollegInnen Füßinger und Hoffmann. Für eine spätere Anfrage danach, ob die Ermittlungen gegen sechs der Angreifer nach der gerichtlichen Feststellung des grundlosen und brutalen Angriffs auf Nwanna nun wieder aufgenommen werden, war Wick dann nicht mehr erreichbar. Und auch Silke Tobies, Pressesprecherin der Polizeidirektion Segeberg, will dem Gegenwind lieber nicht beantworten, was sie von der Ermittlungsarbeit ihrer Kollegen im Mai 2005 hält und ob Vermerke wie "augenscheinlich Mulattin" in eine Polizeiakte gehören.


Richter Wüllenkemper: "Eigentlich nur wenige Rassisten in Deutschland"

Den Vogel aber, und da sind wir wieder bei der Empörung der Segeberger Jugendlichen, schießt schließlich Richter Wüllenkemper ab, als er Robert Nwanna gegen Ende seiner Urteilsbegründung noch ein paar - sagen wir - Lebensweisheiten mit auf den Weg gibt: Er solle doch besser Deutsch lernen, dann könne er sich auch besser integrieren. Und: Auch wenn es natürlich schwer falle, sich "in die Lebenswirklichkeit eines Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu versetzen", gebe es in Deutschland doch eigentlich nur sehr wenige Rassisten.

Das sahen die ProzessbeobachterInnen von "Plan 3" dann doch etwas anders: Sie sprachen vor Ort von einem "rassistischen Urteil" und organisierten für den 3. Juli eine Demonstration in der Kreisstadt: Unter dem Motto "Solidarität mit Robert N!" beteiligten sich rund 100 Menschen daran. Das Urteil ist rechtskräftig.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 251, August 2009, S. 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2009