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GEGENWIND/430: Urteil im Gleisblockaden-Prozeß


Gegenwind Nr. 262 - Juli 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Urteil im Gleisblockaden-Prozess

Von Hauke Thoroe


Nun ist die erste Instanz endgültig: Erwartungsgemäß verurteilte Richter Veckenstedt im Amtsgericht Husum am 3. Juni eine angeklagte Antimilitaristin zu 120 Tagessätzen à 15 Euro. Die Angeklagte hatte sich anlässlich eines Militärtransportes der Husumer Bundeswehreinheiten für die Nato - Response-Force (NRF) an Bahngleise gekettet, um ihren Protest gegen die Existenz von Militär und die als "Auslandseinsätze" bezeichneten Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr zu verdeutlichen. Richter Veckenstedt sah es als erwiesen an, dass die damalige Aktion die Straftatbestände der Nötigung und "Störung öffentlicher Betriebe" erfülle. Dem Urteil waren bereits zwei Verhandlungstage im Mai und ein geplatzter Verhandlungsversuch im Dezember vorausgegangen. Bereits hier hatte sich gezeigt, dass die Angeklagte kein faires Verfahren zu erwarten hatte.


Bereits vor dem Prozess stand das Urteil eigentlich fest: Staatsanwalt Berns stellte z.B. 2004 ein Verfahren um folternde Polizisten gegen eine gemeinnützige Spenden ein, weil die tatverdächtigen Polizisten nicht vorbestraft seien, und das Treten von Verdächtigen zur Aussageerzwingung nur "geringe Schuld" sei. Im Fall der angeklagten Antimilitaristen hatte der Anwalt der Beschuldigten im Vorfeld des Verfahrens angeregt, dieses gegen eine gemeinnützige Spende einzustellen, denn seine Mandantin sei nicht vorbestraft und habe aufgrund ihres geringen Einkommens nur eine sehr niedrige Tagessatzhöhe zu erwarten. Außerdem könne doch von "geringer Schuld" gesprochen werden, da es sich bei der Aktion um kein Verbrechen im eigentlichen Sinne gehandelt habe, sondern eher um eine demonstrative Aktion. Aber nicht mit Staatsanwalt Berns! In seiner Stellungnahme lehnte er dies ab, da die Art und Weise der Aktion auf eine enorme kriminelle Energie schließen ließe. Am zweiten Verhandlungstag darauf angesprochen, sagte der Folterschützer Berns: "Es gilt in einem Rechtsstaat das Legalitätsprinzip!", und Richter Veckenstedt folgte dieser Argumentation bereits im Vorfeld des Prozesses.

Dem entsprach der Verhandlungsverlauf: Schnell war klar, dass es in Husum bei Richter Veckenstedt und Staatsanwalt Berns kein faires Verfahren geben würde. Selbst die Anwälte mussten mehrmals um ihr Rede- und Antragsrecht kämpfen. Richter und Staatsanwalt waren schlichtweg an einer schleunigen Abwicklung des unbequemen Verfahrens interessiert. Die beiden waren nicht einmal bereit, die eingesetzte "Mobile Einsatzgruppe Justiz" (MEG) in ihre Schranken zu verweisen, als ein Beamter am zweiten Verhandlungstag einen Zuschauer schlug. Die Aufforderungen des Anwaltes der Verteidigung, hier einzuschreiten, kommentierte Richter Veckenstedt schlicht mit den Worten: "Langweilen Sie mich nicht." Als die Verteidigung hierzu später mit Anträgen nachbohrte, redete Veckenstedt sich mit der Erklärung heraus, er hätte die Wiederholung des Antrages gemeint. "Nirgends tritt in dieser Gesellschaft das Prinzip des Faustrechtes so offen zu Tage wie in Gerichten und Polizeiwachen. Richter Veckenstedt und Staatsanwalt Berns scheint es vollkommen egal zu sein, wenn in ihren Diensten anderen Menschen Schmerzen zugefügt werden", erklärte die Angeklagte. "Es ist absurd: Gerade die Leute, die von sich behaupten, sie würden den Rechtsstaat schützen, lassen ihre Entscheidungen ständig von Uniformierten gegen den Willen der Betroffenen durchprügeln."

Diese Form der Willkür schlägt sich auch im Urteil nieder. Im Strafbefehl ging es um 90 Tagessätze, beim gescheiterten Verhandlungsversuch im Dezember bot Richter Veckenstedt eine Verurteilung in Höhe von 60 Tagessätzen an, wenn auf weitere Rechtsmittel verzichtet würde. Nun wurden es 120 Tagessätze. "Hier zeigt sich deutlich: Ich werde auch für meine Kritik an der Justiz und meinem beharren auf meinen Rechten im Prozess bestraft" kommentierte dies die Angeklagte.

Außerdem als sehr interessant erwiesen sich die Aussagen des Lokführers und des Rangierleiters. In der entscheidenden Frage, wann und wie der Zug stoppte, unterschieden sich ihre Aussagen deutlich. Für die Angeklagte keine Überraschung: "Hier wird versucht, von eigenem Fehlverhalten abzulenken." In einem Vermerk vom Tag nach der Aktion beschreibe ein Polizist, wie die beiden ihm gesagt hätten, sie hätten Warnsignale, Feuer, und einen Knall gehört, dies aber für einen "Schabernack" gehalten, und seien bis zur Anschlussstelle weitergefahren. "Man muss sich das mal vorstellen: Da donnert ein Zug mit Militärmaterial für Angriffskriege durch die Nacht, und die Verantwortlichen decken, dass die Zugführer Alarmsignale ignorieren, weil sie es für "Schabernack" halten.

Peinlich war auch das "Fachwissen" der nordfriesischen Polizei zum Versammlungsrecht. Darauf angesprochen, ob sie angesichts versammelter Menschen, Bannern mit politischen Forderungen und Slogans an die Anwendung des Versammlungsgesetzes gedacht hätten, gab es nur unbefriedigende Antworten.. "Nein!" antwortete die zuerst vernommene Polizistin. "Naja, gedacht schon, aber nach 10 Minuten war die Bundespolizei da, und naja, die waren dann ja zuständig" gab ihr Kollege zu Protokoll. Erst der vernommene Beamte von der Bundespolizei versuchte zu retten, was zu retten war, indem er angab, er habe das Versammlungsrecht eingehalten, um dann aber mit jeder weiteren "Maßnahme" das Gegenteil zu beweisen. "Das zeigt, wie wenig die uniformierten staatlich bezahlten Gewalttäter von Polizei und Militär noch Rücksicht auf die Freiheit nehmen müssen!" kommentierte dies die Angeklagte. Komme es im Handeln der Exekutive zu unrechtmäßigen Maßnahmen, so würden Staatsanwälte wie Berns eingestellt oder Gerichte die Willkür als neue "Normalität" etablieren. Dies zeige auch die aktuelle Rechtssprechung des Bundesverfassungsgericht zu den Tornado-Einsätzen gegen Demonstrationen beim G8-Gipfel: "Es ist nun völlig normal, wenn Militärflugzeuge der Polizei im Inland "Amtshilfe" leisten und darüber weder der Bundestag noch der Kriegsminister informiert werden, weil die Uniformträger das Prozedere auf unterster Kommandoebene auskungeln!" analysierte die Angeklagte.

Am hiesigen dritten Verhandlung eskalierten die eingesetzten BeamtInnen der "Mobilen Einsatzgruppe Justiz" (MEG) bereits vor Verhandlungsbeginn noch einmal kräftig die Situation. Nachdem eine Person versuchte, an einem Fahnenmast hochzuklettern, hinderten die Beamten die Person am weiter klettern, und schnitten in etwa zwei Meter Höhe einfach die zur Sicherung dienende Halteleine durch. Glücklicherweise kam es nicht zu Verletzungen. Doch anstatt irgendwie über ihr unverantwortliches Handeln zu reflektieren, attackierten sie daraufhin eine weitere Person, von der sie annahmen, diese habe Fotos von der Situation gemacht. Es gelang ihnen jedoch nicht, der Person die Kamera zu entreißen. Daraufhin bat der Gruppenführer MEG den Einsatzleiter der Polizei, Herrn Hoffmann, die Kamera und Speicherkarte zu beschlagnahmen, weil angeblich seine Persönlichkeitsrechte verletzt seien. Es passierte das zu Erwartende: Die eine uniformierte Gewalttätertruppe half der anderen uniformierten Gewalttätertruppe. Hoffmann ließ die Kamera beschlagnahmen, und verfügte, dass zwei Personen komplett (!) zu durchsuchen seien, weil er bei ihnen die Speicherkarte der Kamera vermutete.

Das Vorgehen ist typisch: Staatliche Gewalttäter begehen kritikwürdige Amtshandlungen, und um die Berichterstattung dazu zu unterbinden, behaupten sie, ihre Persönlichkeitsrechte seien verletzt, während sie die Verletzung ihrer Opfer mindestens billigend in Kauf nehmen. Das Problem dabei: Auch wenn die Maßnahmen rechtswidrig sind, verhindern diese die Berichterstattung z.B. über die Gewalttätertruppe MEG. Und leider ist Berichterstattung und das Erzeugen von Öffentlichkeit über dieses Treiben der einzige Schutz vor Willkür. Eventuelle Dienstaufsichtsbeschwerden werden einfach vom OLG Schleswig abgelehnt, und für Strafverfahren sind Staatsanwälte wie Herr Berns zuständig...

Dies ist nicht nur für die Frage der sog. "Auslandseinsätze" von Relevanz. Horst Köhler stellte treffend dar, dass die Militärs im Ausland wirtschaftliche Interessen durchsetzen. Das Verfolgen dieser Interessen führt dazu, dass die weltweite Wertschöpfung in wenigen Ländern für relativen Wohlstand sorgt, während die meisten Menschen an der kapitalistischen Peripherie verelenden. Und selbst in den relativ reichen Ländern herrscht eine enorme Diskriminierung was den Zugriff auf die gesellschaftlichen Ressourcen angeht. Laut der Frankfurter Rundschau vom 12.6.2010 verfügen in Deutschland die Oberen 20 % der Gesellschaft über 80,1 % des Reichtums, während die unteren 50% der Bevölkerung mit weniger als 1,6 % des Reichtums auskommen müssen. Laut der angeklagten Antimilitaristin zeigt sich: "Der Reichtum weniger auf Kosten der meisten wird von Uniformierten verteidigt. Nach Außen übernehmen die Militärs diesen Job, und im Inneren sichern Polizei und Justiz einigen Wenigen den privilegierten Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen".


siehe auch: Interview mit Hanna Poddig: "... verantwortlich was mit den Panzern passiert...", Gegenwind 260, Seite 41
[Im Schattenblick zu finden unter: www.schattenblick.de -> Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse:
GEGENWIND/422: Interview mit der Gleisblockade-Aktivistin Hanna Poddig]


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Quelle:
Gegenwind Nr. 262 - Juli 2010, Seite 44-46
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2010