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GEGENWIND/495: Brandanschlag auf die Lübecker Flüchtlingsunterkunft - 10 Tote und keine Täter?


Gegenwind Nr. 281 - Februar 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

LOKALES: Lübeck
10 Tote und keine Täter?

von Reinhard Pohl


Immer noch ungeklärt ist der Brandanschlag auf die Lübecker Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße am 18. Januar 1996. Damals kamen zehn Flüchtlinge ums Leben, 38 weitere wurden teils schwer verletzt. Auf einer Veranstaltung am 17. Januar wurde in Lübeck erneut gefordert, dass die Staatsanwaltschaft endlich ernsthafte Ermittlungen aufnimmt.


Fabian Virchow gab eine Übersicht über die militante Nazi-Szene, Gabriele Heinecke erläuterte als damalige Verteidigerin von Safwan Eid den Stand der "Aufklärung", und der ehemalige Bügermeister Michael Bouteiller erläuterte die Auswirkungen des Anschlags auf das Klima in der Stadt. Der Sitzungsraum im Rathaus war überfüllt, Zuschauerinnen und Zuschauer drängten sich auf der Galerie. Das Interesse an dem Brand in der Hafenstraße steht in einem scharfen Gegensatz zum Desinteresse von Landesregierung und Staatsanwaltschaft, die den Fall ruhen lassen wollen.

Die Parallelen sind auffällig: Seit zehn Jahren mordete der "NSU" in der Geschäftswelt, das Ziel waren erfolgreiche Einwanderer, die sich als Kleinunternehmer etabliert haben. "Döner-Morde" nannten Polizei und Presse die Mordserie und vermuteten Motive wie Schutzgelderpressung oder Drogenhandel - nach dem Motto: Die bringen sich gegenseitig um. Exakt das war auch die erste Vermutung der Staatsanwaltschaft Lübeck, als 1996 die Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße brannte. Die Festnahme von vier Nazis am Tatort konnte sie bis heute nicht davon abbringen.

So erläuterte Gabriele Heinecke noch einmal, wie es zur Anklage gegen den in der Unterkunft untergebrachten Flüchtling Safwan Eid kam. Die zweite Hauptverhandlung vor dem Landgericht Kiel endete unter anderem mit der Feststellung, dass bei einer solch dünnen Beweislage gegen diesen Angeklagten das Landgericht unter normalen Umständen überhaupt keine Hauptverhandlung zugelassen hätte.

Anders sieht die Beweislage gegen die vier Nazis aus, die in der Brandnacht direkt am Haus festgenommen wurden. Nicht nur die Tatortspuren sowie Spuren an Händen und Gesicht belasten sie, einer von ihnen hat zwischenzeitig auch zweimal ein Geständnis abgelegt. Doch darin sehen Staatsanwaltschaft und Justizministerium "keine neuen Ermittlungsansatz".

Dem widersprach auf der Veranstaltung Hans-Ernst Böttcher, bis Ende November 2009 Präsident des Landgerichtes Lübeck. Bei diesem Erkenntnisstand muss, so seine Einschätzung, die Staatsanwaltschaft Lübeck die Ermittlungen aufnehmen und sie muss nötigenfalls dazu aus Kiel angewiesen werden.

Auch der am Tatort leitende Notarzt meldete sich aus dem Publikum zu Wort. Die unklaren Äußerungen im Bus, in dem die Leichtverletzten versorgt wurden und die der Staatsanwaltschaft zur Begründung dienten, aus dem aufgeschnappten "wir war'ns" eine Täterschaft eines Flüchtlings anzunehmen, könnten in dieser Situation gar nicht verstanden worden sein, außerdem fielen alle in einer traumatischen Situation den Ärzten gegenüber geäußerten Vermutungen unter die ärztliche Schweigepflicht.

Die Versammlung verabschiedete letztlich einstimmig die Forderung an die Landesregierung, die Ermittlungen jetzt endlich aufzunehmen und ernsthaft zu betreiben. Die Landesregierung aber, so wurde schon am nächsten Tag in der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses deutlich, will dies nicht.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 281 - Februar 2012, S. 56
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2012