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GEGENWIND/498: Krebsfälle bei Brokdorf aufklären!


Gegenwind Nr. 281 - Februar 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Krebsfälle bei Brokdorf aufklären!

von Karsten Hinrichsen, Brokdorf


Seit Jahren stellt das Krebsregister Schleswig-Holstein eine signifikant erhöhte Zahl von Krebsneuerkrankungen in der Gemeinde Wewelsfleth fest. Im Diagnosezeitraum 1998-2008 betrug die Zahl der Krebsneuerkrankungen in Wewelsfleth 142 und lag damit um fast 50 % über dem Landesdurchschnitt von 96, d. h. in Wewelsfleth hätten eigentlich nur 96 Fälle auftreten dürfen. Die Bürgerinnen und Bürger sind äußerst beunruhigt.

Seit 2010 fordert der Gemeinderat von Wewelsfleth, die Ursache für das Krebscluster aufzuklären. Das Sozialministerium und das Institut für Krebsepidemiologie an der Universität zu Lübeck e. V. lehnen (weitere) Untersuchungen ab, weil sie nicht zielführend seien. Wewelsfleth grenzt unmittelbar östlich an Brokdorf an und liegt damit in der Hauptwindrichtung des AKW Brokdorf. 25 Mitglieder der Initiative Brokdorf-akut (sie hat sich neu gegründet), der Kieler BI gegen Atomanlagen und der Fukushima-Mahnwache Schönberg haben - in Anwesenheit des Bürgermeisters von Wewelsfleth, Herrn Ingo Karstens - am Dienstag, dem 17.1.20 12, Listen mit 1900 Unterschriften im Sozialministerium überreicht, in denen die Aufklärung der Krebshäufigkeit gefordert wird. Anschließend fand ein Fachgespräch mit Behördenvertretern statt.


Ergebnisse des Gesprächs

Es war unstrittig, dass die Anzahl der Krebsneuerkrankungen in Wewelsfleth seit Jahren auffällig ist. Was dann zu geschehen hat, steht in den Jahresberichten des Krebsregisters Schleswig-Holstein: " Wird tatsächlich eine statistisch signifikant höhere Fallzahl beobachtet als erwartet, müssen weitere Untersuchungen folgen."

Allerdings sucht das Krebsregister nicht aktiv nach Krebshäufungen. Das wird damit begründet, dass bei 1100 Gemeinden in SH und rund 100 Krebsarten bei zwei Geschlechtern ca. 220.000 Berechnungen durchgeführt werden müssten, und bei einer angenommenen statistischen Sicherheit von 5 % immer noch 5.500 Gemeinden auffällig wären. Deshalb überprüft das Krebsregister Häufungen von Krebserkrankungen nur, wenn ein Verdacht gemeldet wird. Das tut Bürgermeister Karstens seit Jahren unermüdlich, weil er auch selbst persönlich betroffen ist.

Merke: Falls in einer Gemeinde viele Krebserkrankungen beobachtet werden, müssen die Bürger das dem Krebsregister, Tel. 045 1/500 5440, melden.

Die Initiativen baten das Ministerium - um den Aufwand zu verringern - als ersten Schritt eine Statistik für Gemeinden mit über 1000 Einwohnern durchzuführen. Es wurde die Vermutung geäußert, Wewelsfleth könnte die einzige Gemeinde in SH mit einem derart auffälligen Krebscluster sein.

Die Initiativen bestritten, dass überhaupt die notwendigen Untersuchungen erfolgt sind. Dagegen verwies das Sozialministerium auf seine letzte Stellungnahme vom Juli 2011. Danach wäre folgenden Fragen nachgegangen worden:

• höhere Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen: nein

• Erhöhung des Krebsrisikos durch individuelle Verhaltensweisen wie Rauchen: allenfalls teilweise

• Tumore die bei Werftarbeitern gehäuft auftreten (in Wewelsfleth ist eine Werft): nein

• Sind die Krebserkrankungsraten in unmittelbarer Nähe von Brokdorf höher als in größerer Entfernung? nein, es ist kein räumliches Muster erkennbar.

Die Initiativen bewerten diese Aussagen eher als Mutmaßungen denn als Untersuchungen: es wurden beim individuellen Verhalten keine Vergleiche mit Kontrollgruppen herangezogen, es wurde keine Altersstandardisierung vorgenommen (wenn Krebs in früherem Alter auftritt als im Landesdurchschnitt, können sich daraus Hinweise auf Ursachen ergeben), ob es Dioxine, alte Müllablagerungsflächen, Pestizide, gibt, wurde nicht betrachtet. Es gibt auch einen größeren Futtermittelbetrieb.

Im Ergebnis hatten die Initiativen den Eindruck, dass sich das Ministerium mit Händen und Füßen dagegen wehrt, eine belastbare Studie in Auftrag zu geben. Der Hinweis eines Behördenmitarbeiters, er hätte kein Problem, mit seiner Familie nach Wewelsfleth zu ziehen, konnte die Sorgen nicht nehmen. Bürgermeister ingo Karstens stellte resigniert fest: "Abwarten nützt uns gar nichts."


Ernsthafte Aufklärung könnte weitere Krebserkrankungen verhindern

Besonders erstaunt hat die Einschätzung der Behörde, dass es eine plausible Hypothese für einen Risikofaktor nicht gäbe. Auch das AKW Brokdorf käme nicht in Frage, da

a) die strahlenspezifischen Krebsarten nicht auffällig seien

b) es keine erhöhte radioaktive Belastung gäbe.

Zu a): Eine Häufung von Schilddrüsenkrebs und Leukämien würde natürlich sofort den Verdacht auf das AKW Brokdorf lenken. Das ist hier aber nicht der Fall. Andererseits ist bekannt, dass viele Krebsarten durch eine vorausgegangene Initiation durch radioaktive Strahlen und einer dann anschließenden Promotion durch andere einwirkende Schadsubstanzen hervorgerufen werden können.

zu b): Ohne Überprüfung der vom Betreiber stammenden Messwerte ist es zumindest voreilig zu behaupten, es gäbe keine erhöhte radioaktive Belastung durch das AKW Brokdorf. Die Initiativen fordern, dass ihnen die Werte der radioaktiven Emissionen und der Wetterdaten zugänglich gemacht werden. Insbesondere bei Revisionen geben Atomkraftwerke große Nuklidmengen (wenn auch wohl unterhalb der genehmigten Kurzzeitwerte) ab.

In einer im Jahr 2009 vorgelegten "Auswertung der Krebshäufigkeit in Wewelsfleth und Umgebung 1998 bis 2007" der Krebsregisters SH und des Instituts für Krebsepidemiologie e. V. an der Universität zu Lübeck wird argumentiert, dass die Krebserkrankungen in der Gemeinde Brokdorf am höchsten sein müssten, wenn das AKW Brokdorf der Verursacher sei. Dem muss widersprochen werden. 1. liegt das AKW ganz im östlichen Zipfel der Gemeinde Brokdorf. 2. wehen südwestliche Winde besonders häufig in Richtung Wewelsfleth, Wewelsfleth grenzt unmittelbar an das Kraftwerksgelände und 3. kommt es wohl eher darauf an, wohin der Wind weht, wenn hohe Radioaktivitätsmengen werden. Hier bedarf es umfänglicher Aufklärungsarbeit.

Erinnert sei außerdem an eine zweimonatige Periode im Jahr 1989, als die damalige Brokdorfer Anti-AKW-Initiative extrem hohe Strahlungswerte in Wewelsfleth gemessen hat. Weniger große Auffälligkeiten gab es während dieser Zeit auch bei den Messwerten in den betreibereigenen Messcontainern, deren Ursachen nie geklärt wurden. Betreiber und Aufsichtsbehörde wiesen allerdings darauf hin, dass keines der drei AKW Stade, Brunsbüttel und Brokdorf zur fraglichen Zeit erhöhte Radioaktivitätsabgaben getätigt habe. Leider wurden die damaligen Messergebnisse der Initiative dem zuständigen Minister Günther Jansen im Original überreicht. Nach Aussage der Reaktoraufsichtsbehörde sind diese Dokumente nicht mehr auffindbar.

Die Kritik der Initiativen kann zusammengefasst werden: Das Institut für Krebsepidemiologie kommt seiner Verpflichtung zur Aufklärung des Krebsclusters in Wewelsfleth nicht nach.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 281 - Februar 2012, Seite 42-43
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2012