Gegenwind Nr. 285 - Juni 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern
Was ist Dialektik und wozu kann sie eigentlich nützlich sein?
von Klaus Peters
Philosophie und Politik sind eigentlich vielfältig miteinander verbundene Wissensgebiete. Die Inhalte von fundierten Parteiprogrammen lassen sich deshalb auch auf philosophische Erkenntnisse zurückführen. Die Bürger sind allerdings trotz eines formal steigenden Bildungsniveaus nur schwer für anspruchsvollere politische Botschaften zu interessieren. Solange das so ist, ist Phantasie gefragt. Manche Parteien setzen auch auf Unverbindlichkeit, dreiste Propaganda und Desinformation - und haben Erfolg.
Mit der Dialektik, die die Bewegungsgesetze in der Natur und in der Gesellschaft behandelt, gelingt es, das politische Geschehen besser zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Für Linke geht es jetzt und in Zukunft darum, Wege von Reformanstößen zu einem grundlegenden Politikwechsel zu finden. Am 21. April fand in der Kieler Pumpe, in Schleswig-Holstein erstmalig, ein spannendes und lehrreiches Tagesseminar des Arbeiterbildungszentrums(1) zur Einführung in die Dialektik statt.
Wie viele andere Begriffe kommt der Begriff Dialektik in den Massenmedien praktisch nicht vor. Dies hat Gründe, die klarer werden, wenn man sich mit seiner Entstehung und der Entwicklung der politischen Verhältnisse auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung erfolgt in den Einführungsseminaren in 6 Lektionen: Einführung, Der Widerspruch in Natur und Gesellschaft (Materialismus/Idealismus), Dialektik als Summe aller Bewegungsgesetze (Metaphysik/Dialektik), Die drei hauptsächlichen Gesetze in Natur und Gesellschaft, Die dialektisch-materialistische Methode, Die Lehre von der Denkweise.
In den Nachschlagewerken wird auf den griechischen Philosophen Socrates und seinen Nachfolger Aristoteles verwiesen, die die Gesprächsform begründeten, mit der durch systematisch aufeinander folgende Fragen und Antworten neue Erkenntnisse gewonnen werden. Von der griechischen in die deutsche Sprache wörtlich übersetzt heißt Dialektik "Kunst der Unterredung". Der deutsche Philosoph Hegel hat die Dialektik der griechischen Philosophen übernommen und weiterentwickelt. Nach Hegel hat die geschichtliche Entwicklung dialektischen Charakter. Karl Marx und Friedrich Engels wiederum haben die Hegelsche Dialektik ohne ihren idealistischen Charakter übernommen und nochmals weiterentwickelt. Die Dialektik ist von Marx, Engels und ihren Nachfolgern als wissenschaftliche Methode angewandt worden, um die Bewegungsgesetze in der Natur und der Gesellschaft zu verstehen, die Wirklichkeit verändern zu können und auch um Manipulationen zu erkennen.
Alle Vorgänge in der Natur und in der Gesellschaft sind zunächst als widersprüchlich zu erkennen. Diese Widersprüche ergeben sich aus unterschiedlichen natürlichen Voraussetzungen und aus den Erwartungen oder Handlungen der Menschen. Widersprüche wirken sich auch auf die Denkweise der Menschen aus. Es gibt eine idealistische und eine materialistische Haltung zu den Widersprüchen. Die idealistische Haltung (Entwicklung allein als Projektion des Geistes betrachtend) verleitet zu Flucht und Verdrängung. Eine positive Einstellung zum Widerspruch, d.h. das Ergründen und die Bewältigung der Widersprüche, ist grundlegend für die materialistische Dialektik.
Es geht damit darum, herauszufinden, mit welchen Eigenschaften und Bewegungsformen man es zu tun hat, welche Zwecke verfolgt werden, welche inneren (selbstverschuldeten) und äußeren Ursachen wirken. Beispiele: Wetter, Straßenverkehr, Parteien, Denkweisen.
Es gibt unendlich viele Bewegungsgesetze in Natur und Gesellschaft, die in ihrer Summe die Dialektik der Widersprüche ausmachen (vereinfacht: Wechselwirkungen). Zunächst war die metaphysische Betrachtungsweise vorherrschend, die die Wirklichkeit als sich wiederholende Kreisläufe und einfache Zusammenhänge (einfache Kausalität) erklärte. (Im weiteren Sinn umfasst der Begriff Metaphysik das, was hinter bzw. nach der Natur kommt, was über die sinnlich-körperlich erfahrbare Welt hinausgeht.)
Die drei hauptsächlichen Bewegungsgesetze sind:
Das erste Hauptanwendungsgebiet ist die politische Information (Gespräch, Lektüre, Publikation). Das zweite Hauptanwendungsgebiet ist die Strategie und Taktik in Klassenauseinandersetzung. Hier geht es beispielsweise um die Einteilung der Kräfte, das Auffinden geeigneter Mittel und Methoden, in der jeweiligen konkreten Situation. Der Schlüssel für die wissenschaftliche Anwendung der dialektischen Methode ist das dreifache Denken:
Die Denkweise wird dialektisch beeinflusst. Das vorherrschende System der kleinbürgerlichen Denkweise ist das Haupthemmnis für die Entwicklung eines sozialistischen Bewusstseins.
Anmerkung:
(1) Arbeiterbildungszentrum e.V. Gelsenkirchen
www.arbeiterbildungszentrum.de
Das Beispiel Saarland zeigt, dass nicht allein Programme und Personen (Spitzenkandidaten) das Wählerverhalten entscheidend beeinflussen. Oskar Lafontaine erreichte als SPD-Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten 1985 die absolute Mehrheit, 1990 ebenfalls und 1994 als Direktkandidat für den Bundestag nochmals. Als Spitzenkandidat der Linkspartei erreichte er mit einem besseren Programm 21,3 %, 2012 sogar nur 16,1 %.
Faktoren, die den Rückgang von Wählerstimmen beeinflusst haben könnten:
Einflüsse und Mängel, die auch die Chancen guter politischer Programme darüber hinaus grundsätzlich beeinträchtigen können:
SHZ vom 23.04.2012, "Wolkige und farblose Spitzenkandidaten, Der Wahlkampf in Schleswig-Holstein verläuft ohne ideologische Grabenkämpfe - eine Zwischenbilanz" von Erich Maletzke
Der langjährige "Chefkorrespondent" der SHZ-Verlags beklagt also gemäß Überschrift seines Beitrags fehlendes politisches (ideologisches) Profil, gleichzeitig freut er sich darüber, dass es zu keinen "ideologischen Grabenkämpfen" gekommen sei. Der halbwegs aufgeklärte Leser muss sich natürlich fragen, was mit diesem Artikel eigentlich erreicht werden soll. Am Schluss wird es ziemlich deutlich was beabsichtigt ist: Der Autor schließt den Beitrag mit einer Anmerkung zur Linkspartei (die einzige Alternative mit von den anderen Parteien auch grundlegend abweichenden Zielen, diese Partei sei doch eigentlich überflüssig!
Beispiel direkter dreister politischer Propaganda (Interview Jürgen Trittin "Der SSW steht uns am nächsten" in der gleichen Ausgabe.) Frage: "Was sagen Sie den Menschen, die Angst vor neuen Windparks und Hochspannungstrassen haben?" Antwort: "Die Akzeptanz der Energiewende ist auch bei einer Mehrheit in Schleswig-Holstein hoch. Aber wir brauchen schnelle und gute Genehmigungsverfahren - an denen sich die Menschen frühzeitig beteiligen können. Schnelles Recht und Partizipation schließen sich nicht aus."
Die Grünen hatten sich bisher immer gegen die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren ausgesprochen. Im Bereich Massentierhaltung unterstützt der Landesverband sogar ein Moratorium in der gleichen Ausgabe der SHZ, allerdings nur in der Lokalausgabe Nordfriesland, wird darüber berichtet, dass der BUND damit rechnet, dass seine Einwände (wie die Einwände zum Ausbau der B5) und die des WWF gegen die beabsichtigten Pläne für eine Hochspannungstrasse an der Westküste "vom Tisch gewischt" werden; Der NABU hatte gar nicht erst an der vorausgegangenen Anhörung teilgenommen.
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Quelle:
Gegenwind Nr. 285 - Juni 2012, Seite 44-45
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2012