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GEGENWIND/522: Roma in der EU - Buchbesprechung


Gegenwind Nr. 290 - November 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Roma in der EU

von Reinhard Pohl



In der Europäischen Union sind die Roma die größte Minderheit. In den 27 Mitgliedsstaaten leben 7 bis 9 Millionen Roma. Genaue Zahlen sind nicht festzustellen, weil Roma sich - wie alle Völker - mit anderen mischen und es dann letztlich der Selbstdefinition überlassen bleibt, ob sich jemand zu dieser Minderheit zählt. Und da Roma in ganz Europa diskriminiert werden, halten viele ihre Zugehörigkeit auch geheim.

Innerhalb der Europäischen Union gehört die Bekämpfung von Diskriminierung zur offiziellen Aufgabe der Kommission und der nationalen Regierungen. Zu diesem Diskriminierungsschutz gehören auch sogenannten positive Maßnahmen, also Bevorzugung, um Benachteiligungen der Vergangenheit auszugleichen.

Dieses Buch, ursprünglich eine Doktorarbeit, stellt zunächst die Roma vor, und zwar die Geschichte, die heute Situation und die kulturelle Identität. Dann gibt die Autorin eine Übersicht über den Minderheitenschutz, und zwar weltweit und in der EU. Dabei wird die Politik der UNO erläutert, dann der Minderheitenschutz der OSZE und des Europarates. Dem Europarat gehören im Gegensatz zur EU alle demokratischen Länder Europa an (also alle außer dem Vatikanstaat und Weißrussland), alle diese internationalen Organisationen können aber nur Empfehlungen geben und Beschlüsse ohne Sanktionsmöglichkeiten fällen. Immer bleibt es den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie wirklich aktiv werden.

Anschließend wendet sich die Autorin dem Minderheitenbegriff zu. Zwar leben Roma seit mindestens fünfhundert Jahren in ganz Europa, in vielen Ländern werden sie aber nicht als Minderheit, sondern als "Ausländer" (heute: Migranten) behandelt. Auch die Verfassung von Schleswig-Holstein nennt als Minderheiten Dänen und Friesen, die Definition der Roma (hier vor allem der Sinti) als schleswig-holsteinische Minderheit scheiterte bisher daran, dass nicht die für eine Verfassungsänderung nötigen zwei Drittel der Landtagsabgeordneten das so sehen. Insbesondere für die CDU im Landtag sind die Sinti nach 500 Jahren Leben in Schleswig-Holstein noch immer Fremde und keine Einheimischen.

Den Schwerpunkt des Buches bildet die Analyse des Minderheitenschutzes der EU. Die EU hat im Gegensatz zum Europarat nach den Europäischen Verträgen die Aufgabe, die Politik in den Mitgliedsstaaten zu vereinheitlichen und steht in bestimmten Fragen über den nationalen Regierungen. Vor allem als Kriterium flur den Beitritt neuer Mitgliedsländer ist auch der Minderheitenschutz ein wichtiger Punkt, wobei die EU diesen Minderheitenschutz immer neutral formuliert. Die geforderten Maßnahmen beziehen sich also in der Regel nicht auf Roma, sondern auf jede Minderheit, nur dass eben die Roma die größte Minderheit sind. Sie spielten auch bei der Überprüfung des Minderheitenschutzes beim Beitritt von Tschechien und der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien eine große Rolle, und ebenso wird es im Beitrittsprozess von Serbien, Mazedonien oder Kosova eine wichtige Rolle spielen.

Dabei gibt es eine Menge Programme und Projekte, aber insgesamt nur wenige oder, besser gesagt, sehr langsame Fortschritte. Die EU erlässt Richtlinien und stellt auch Geld für Projekte zur Verfügung, die einzelnen Länder setzen die Richtlinien mehr oder weniger um und versuchen, mit guten oder auch schlechten Projekten möglichst viel von dem Geld zu erhalten.

Dabei ist auch die EU selbst nicht unbedingt fortschrittlich. So verabschiedete noch vor 20 Jahren das Europäische Parlament Resolutionen, in denen die Mitgliedsländer zum Schutz der Roma aufgefordert wurden. Explizit wurde dann gefordert, das "traditionelle Leben der Zigeuner" zu schützen, indem Plätze für Pferdegespanne bereit gestellt werden. Heute fordert das Parlament, Organisationen und Vertretungen der Roma selbst an den Programmen, der Geldvergabe und den Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen - sicherlich ein Fortschritt.

In jüngster Zeit differenziert die EU auch beim Minderheitenschutz. So sollen besonders die Minderheiten geschützt werden, die in keinem Staat eine Mehrheit bilden - man erkennt also an, die die dänische Minderheit in Deutschland oder die ungarische Minderheit in der Slowakei weniger Unterstützung durch EU-Programme benötigen als Roma, Basken oder Friesen.

Das Buch gibt eine gute und gründliche Übersicht über den Stand der Dinge in der EU. Auf die heute diskutierte Situation der Roma in Mazedonien oder Serbien geht es weniger ein, weil das für die Autorin nur im Rahmen des Beitrittsprozesses eine Rolle spielte. Klar ist aber, dass die Standards in der EU ausstrahlen auf die Nachbarländer, insbesondere wenn die eine Annäherungspolitik mit dem Ziel der Mitgliedschaft verfolgen.


Jessica Heun: Minderheitenschutz der Roma in der Europäischen Union. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2011, 176 Seiten, 40 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 290 - November 2012, Seite 60
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2012