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GEGENWIND/616: TTIP stoppen


Gegenwind Nr. 315 - Dezember 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Internationales
TTIP stoppen

Von Ulrich Stellfeld-Petersen



In der September-Sitzung des Kreistages Nordfriesland wurde ein Antrag zum TTIP vorgelegt (vgl. Gegenwind 314, Seite 28). Dieser Antrag ist am 26. September mehrheitlich mit den Stimmen der Grünen, SPD, WG-NF und SSW beschlossen worden. Dazu erklärte der SSW Nordfriesland:

Aktuell müssen wir uns mit dem aktuellen Thema TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) befassen, das in Kreisen "großer" Politik auf Bundes- und EU-Ebene gerne heruntergespielt wird. Am liebsten wäre es diesen Akteuren, wenn sie alles weiterhin in der Nichtöffentlichkeit, besser, im stillen Kämmerlein aushandeln könnten. Nur Dank Teilen des europäischen Parlaments und einer aufmerksamen Öffentlichkeit sind diese Geheimverhandlungen zum Teil an das Tageslicht gedrungen. Und mit ihm Erschreckendes an Inhalten:

Seit Februar 2013 finden bereits die Geheimverhandlungen zwischen den USA und der Europäischen Kommission, die für die Mitgliedsstaaten der EU auftritt, statt, die "eigentlich" nur das Ziel haben, die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen. Was dafür letztlich aufgegeben werden muss, wird möglichst verschleiert: Wesentliche Grundsätze des demokratischen, sozialen Rechtsstaats, nämlich:

1. die öffentliche Daseinsvorsorge in Bundesländern, Landkreisen, Städten und Gemeinden

2. das Subsidiaritätsprinzip welches im GG folgendermaßen geregelt ist: "... was Einzelne bzw. Körperschaften aus eigener Kraft tun können, darf von keiner übergeordneten Instanz an sich gezogen werden. Dabei gibt es eine staatliche Pflicht, die kleineren Einheiten, falls erforderlich, so zu stärken, dass sie entsprechend tätig werden können." So steht es im Artikel 28 des Grundgesetzes.

Die charakteristischen Vorteile des Subsidiaritätsprinzips, wie Träger- und Wertevielfalt, effektive Versorgung der Bürger vor Ort und gelebtes bürgerschaftliches Engagement wären dann wirkungslos.

Woran liegt das? - Eindeutig am Investorenschutz, der im Handelsabkommen verankert werden soll. Wie soll er durchgesetzt werden? - Durch die Einsetzung sogenannter Schiedsgerichte, die unser Rechtssystem auf den Kopf stellen: Internationale Investoren müssen dann nämlich nicht mehr den allgemeinen Rechtsweg einhalten, sondern erhalten Sonderklagerechte in völlig intransparenten Schiedsgerichtsverfahren, d.h. es entscheiden keine ordentlichen Gerichte, sondern geheim tagende bestellte, hochbezahlte private Juristen. Damit einher geht in der Konsequenz die Privatisierung von Rechtsprechung. Ein Albtraum.

Sobald ein Konzern seinen Profit z.B. durch neue Gesetze beeinträchtigt sieht, strengt er hohe Entschädigungsforderungen vor den privaten Schiedsgerichten an. Diese Forderungen können dann schnell durchaus mal in die Milliarden gehen.

Ein Beispiel: Vattenfall hat die Bundesrepublik Deutschland wegen des angekündigten Atomausstiegs verklagt und verlangt mehrere Milliarden Euro als Entschädigung dafür. Als "Gegenleistung" präsentiert uns Vattenfall Atommüll in verrotteten Fässern, gelagert in Atomkraftwerken. Gäbe es also bereits das transatlantische Freihandelsabkommen, würde dies nicht mehr vor einem deutschen Gericht verhandelt, sondern vor einem geheim tagenden, nicht unabhängigen Schiedsgericht. Dann würde z.B. das Vorsorgeprinzip, das hier für mögliche schädliche Umwelteinflüsse gilt umgekehrt, mit der Folge, dass das Vorsorgeprinzip die Renditen von solchen Konzernen beschneidet, die diese dann im Weg einer privatisierten und geheimen Rechtsprechung von den Nationalstaaten fordern.

Ein zweites Beispiel: Wenn TTIP - so wie vorgesehen - verwirklicht werden würde, wäre das öffentliche Beschaffungswesen in dieser Freihandelszone faktisch verboten. Bislang vergeben ja Gemeinden, Landkreise oder Bundesländer im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens Aufträge vor Ort, um die regionale Wirtschaft zu stärken oder um unnötige Transportwege zu verhindern. Die Folge des TTIP: Nicht zum Zuge kommende Anbieter fordern Entschädigungszahlungen für rein theoretisch entgangene Renditen. Die leistet dann in jedem Fall der Steuerzahler.

Diese handelnde EU-Kommission selbst ist es, die eine weitgehende Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens will. Damit würde es unmöglich, die eigene Region gezielt zu stärken oder soziale und ökologische Ziele zu berücksichtigen. Wir als regional verankerte Partei lehnen solche Abkommen ab.

Wir wollen ein solches Handelsabkommen nicht, weil der SSW klar für Rechtstaatlichkeit, Gewaltenteilung und kommunale Selbstbestimmung eintritt. Das alles steht auf dem Spiel, wenn TTIP, so wie vorgesehen, Wirklichkeit werden würde.

Dass die Gefahr real ist, zeigt das unterschriftsreif ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA). Entgegen allen Beschwichtigungen enthält dieses Abkommen genau das, was viele aufgeklärte Menschen befürchteten: Investorenschutz über abhängige Schiedsgerichte. Internationale Konzerne werden so in die Lage versetzt, unser Gemeinwesen zu erpressen. Die sowieso schon starke Tendenz "Nicht mehr die Schwachen werden geschützt, sondern die Starken" wäre dann an der Tagesordnung.

Die von den Befürwortern des Freihandelsabkommens ins Feld geführten positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft, nämlich Wirtschaftswachstum und neue Jobs, sind in Wirklichkeit ein Marketingbluff. Deren Zahlen gehen von höchst optimistischen Annahmen aus und wurden für das Ziel-Jahr 2027 errechnet. Tatsächlich sind die versprochenen Erträge geradezu winzig.

Weitere Gründe dieses Abkommen sehr kritisch zu betrachten ist die Gefahr, dass Technologien wie Fracking und CO2-Verpressung durch Regularien des Abkommens für die bereits von Konzernen ausgeguckten Regionen legalisiert werden würde.

Teile der Bundesregierung haben zwar Bedenken wegen CETA und TTIP, wollen aber aus "übergeordneten, politischen Gründen" stillhalten. Dieses Stillhalten kommt nicht nur aus der CDU/CSU sondern insbesondere vom Minister der Wirtschaft aus der SPD Siegmar Gabriel.

Transparenz, der Schutz der Daseinsvorsorge und der kommunalen Selbstverwaltung, der weitere schutzwürdige Bestand von Krankenhäusern, Wasserwerken und Stadtwerken, der Schutz vor sehr gefährlichen Fördertechnologien wie die des Fracking, all das steht auf dem Spiel. Dagegen gilt es sich zur Wehr zu setzen.


Ulrich Stellfeld-Petersen ist Fraktionssprecher des SSW im nordfriesischen Kreistag

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Resolution "TTIP stoppen"

Keine Freihandelsabkommen (ob "TTIP"* oder "CETA"**) ohne Schutz von Arbeitnehmerrechten, Daseinsvorsorge, Demokratie und Rechtsstaat

Der nordfriesische Kreistag setzt sich uneingeschränkt für die kommunale Selbstverwaltung, für den Schutz und Fortbestand der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Kultur- und Bildungspolitik im Land, den Landkreisen sowie den Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein ein.

Die Mitglieder des nordfriesischen Kreistages beobachten mit großer Sorge die aktuellen Meldungen um das derzeit von der EU-Kommission mit den USA hinter verschlossenen Türen verhandelte transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP). Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass diese Verhandlungen negative Auswirkungen für das kommunale Handeln, z.B. bei der öffentlichen Auftragsvergabe, bei der Gestaltung der regionalen Energieversorgung, dem Umweltschutz, der Förderung und Unterstützung der Kultur (z.B. Theater), der Erwachsenenbildung (z.B. Volkshochschulen), wie auch für die Tarifgestaltung und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Schleswig-Holstein nach sich ziehen könnten.

Die Mitglieder des nordfriesischen Kreistages fordern von der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament, dar. Bundesregierung sowie der Landesregierung; dass folgende Bedingungen erfüllt sein müssen:

1. Die aktuellen Verhandlungen sind mit größtmöglicher Transparenz und öffentlich zu führen. Es dürfen keine Verschlechterungen unserer Standards weder im Bereich der Verbrauch-, Umwelt- und Datenschutz, noch bei Arbeitnehmerrechten und Mitbestimmung eintreten.

2. Es dürfen keinerlei Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden vorgenommen werden. Das bewährte System der Daseinsvorsorge darf nicht angetastet werden. Selbstverständlich muss es auch weiterhin kommunale Krankenhäuser, Wasser- und Stadtwerke geben.

3. Abschaffung der Subventionen für Theater und Museen, Beibehaltung der Buchpreisbindung, kein Rütteln am öffentlich-rechtlichen Rundfunk bzw. Fernsehen.

4. Es darf kein Freihandelsabkommen geben, bei dem rechtsstaatlich getroffene, demokratisch legitimierte Entscheidungen von Parlamenten, die dem Allgemeinwohl dienen, durch internationale Konzerne vor Schiedsgerichten angegriffen werden können.

Die Mitglieder des nordfriesischen Kreistages begrüßen ausdrücklich den Beschluss des Hauptausschusses des Deutschen Städtetages vom 12.02.2014 in dieser Angelegenheit, und fordern den Deutschen Landkreistag dazu auf, sich dem Beschluss des Deutschen Städtetages anzuschließen.

(Antragsteller:)

Ulrich Stellfeld-Petersen (SSW) Thomas Nissen (SPD)

* TTIP = "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (Freihandelsabkommen mischen EU und USA)

** CETA = "Comprehensive Economic and Trade Agreement" oder "Canada EU Trade Agreement": (Europäisch-Kanadisches Freihandelsabkommen)"

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Quelle:
Gegenwind Nr. 315 - Dezember 2014, Seite 25 - 26
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2015