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GEGENWIND/657: Rebellenmädchen der 60er und aktuelle Blackpower-Music


Gegenwind Nr. 330 - März 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Rebellenmädchen der 60er und aktuelle Blackpower-Music

Von Günther Stamer


Ein Dreigestirn von "Rebellenmädchen" mischte Mitte der 60er Jahre die musikalische und politische Szene der USA spürbar auf und war mit seiner Musik mobilisierender Teil der rasch anwachsenden Bürgerrechts- und Anti-Kriegs-Bewegungen in den USA.

Und sie - die selbst am eigenen Leib als Schwarze, Indianerin und Hispana, vor allem in ihrer Kindheit und Jugend - rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt waren, blieben zeitlebens gesellschaftlich engagiert.

Die Rede ist von Odetta, Buffy Saint-Marie und Joan Baez.

Ihre runden Geburtstage und die Tatsache, dass schwarze Musiker in den letzten Wochen bei öffentlichen Auftritten wieder ausdrücklich Bezug auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung nahmen, ist Anlass genug an diese Musikerinnen zu erinnern.


"Stop shooting us"

Bei seinem Auftritt bei der diesjährigen Grammy-Verleihung, auf der er mit fünf Preisen ausgezeichnete wurde, erinnerte der Rapper Kendrick Lamar in mehreren Songs an die Zeit der Sklaverei und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Seinen Song "The Blacker the Berry" performte der Rapper in Häftlingskleidung vor Gefängniskulisse und mit Handschellen; am Ende blieb seine Silhouette im Dunkeln vor dem Grundriss Afrikas, über den "Compton" geschrieben war, der Name des sozial gebeutelten Stadtteils in Los Angeles.

Noch eindrucksvoller war der Auftritt von Beyoncé beim Super-Bowl (dem Endspiel in der American Football-Leage): Die Tänzerinnen, deren Formation sie anführte, trugen Uniformen, die dem Dress der "Black Panthers" nachgebildet waren, der schwarzen Widerstandsbewegung aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Aus der Totalen zeigte die Stadionkamera, dass die Tänzerinnen zwischenzeitlich ein "X" bildeten - im Zusammenhang mit ihrem Song und den Uniformen unschwer als eine Hommage an Malcolm X, der Symbolfigur der Black-Power-Bewegung, zu erkennen. Und an einer Wand, die im Video zu sehen ist, stand der Satz gesprüht "Stop shooting us", eine Anspielung auf die Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze, die die USA in den vergangenen Monaten erschüttert haben.

Wenden wir uns den "Rebellenmädchen" zu, die in den 60er Jahren wichtige musikalisch-politische Anstöße für ein antirassistisches Bewusstsein schufen, die glücklicherweise bis in die Gegenwart wirken.


Odetta

Eigentlich wäre Odetta Holmes (1930-2008) am 31. Dezember 2015 85 Jahre alt geworden. Künstlerisch inspiriert wurde sie von der Gospelsängerin Mahilia Jackson und dem Bluessänger Leadbelly. Bei dem von Martin Luther King am 28. August 1963 initiierten Bürgerrechtsmarsch in Washington trat sie mit ihrem Lied "I'm on My Way" und dem Sklavenarbeiterlied "Oh Freedom" auf.

Sie beeinflusste etliche Folk/Rock-Künstler wie Bob Dylan. Joan Baez, Janis Joplin und Tracy Chapman. Dylan bekannte in einem Interview im Jahr 1978, dass es Odetta war, die ihn zum Folkgesang führte. "The first thing that turned me on to folk singing was Odetta."

Mit ihrem Repertoire, das Sklavenlieder und Spirituals sowie aktuelle Songs von Blueslegenden und Polit-Folk-Songs von Woody Guthrie und Pete Seeger umfasste, wurde Odetta eine der prägenden Figuren der Folk-Szene. Ein Markenzeichen ihrer langen Karriere war vor allem auch ihre ausdrucksvolle, unverwechselbare Stimme, deren Spannbreite von tiefen, dunklen Tönen bis hin zu zarten und hohen Tönen reichte und bei den Zuhörern Gänsehautgefühle auszulösen vermochte.

In Los Angeles aufgewachsen, war sie von Kindheit an rassistischen Demütigungen ausgesetzt, was sie - die ausgebildete klassische Sängerin - dazu bewog, eine Klassik-Karriere nicht weiter zu verfolgen. Ihre Ausbildung in klassischer Musik und im Musiktheater war "eine nette Übung, aber es hatte nichts mit meinem Leben zu tun", sagte sie später über diese Zeit. Stattdessen nahm sie einen Job in einem Folk Club in San Francisco an und sang dort die traditionellen Sklavenlieder, die sie zu Hause gelernt hatte. "Damit konnte ich meinen Hass und meine Wut abarbeiten", erinnerte sie sich. "Durch diese Songs habe ich gelernt, Dinge über die Geschichte der schwarzen Menschen in diesem Land zu erzählen."

Und so wurde Odettas Stimme zur musikalischen Stimme der Bürgerrechtsbewegung, gegen die Rassendiskriminierung bei den Demonstranten auf den Straßen von Alabama und Mississippi und den Boulevards von Washington. Rosa Parks, eine der politischen Symbolfiguren dieses Kampfes, die mit ihrer Weigerung, ihren Sitzplatz einem weißen Fahrgast in einem Bus zu überlassen und damit den Anlass zu den "Rassenunruhen" in Montgomery, Alabama gab, wurde einmal gefragt, was ihre Lieblingssongs seien: "All of the songs Odetta sings", antwortete sie.


Buffy Sainte-Marie

Sie wurde vor 75 Jahren am 20. Februar 1941 als Tochter von Cree-Indianern geboren, vermutlich in einer kanadischen Cree-Reservation im Qu'Appelle Valley, Saskatchewan. Sie wuchs hauptsächlich in Massachusetts auf, wo ihre Kindheit und Jugend nach eigenen Aussagen von Ablehnung und Misshandlungen geprägt war. Anfang der sechziger Jahre startete sie ihre Gesangskarriere mit selbstkomponierten Liedern im New Yorker Clubs. In ihren Songs klagte sie das Schicksal ihrer indianischen Vorfahren - begangen durch die weißen Kolonialherren - an ("He's An Indian Cowboy In The Rodeo", "Cripple Creek", "Now That The Buffalo's Gone") und wurde prompt vom US-Radio boykottiert.

Ihr Antikriegssong "The Universal Soldier" (1963) ging ins Standardrepertoire der weltweiten Antikriegsbewegung ein. Dem Lied war zuerst kein großer Erfolg beschieden, das änderte sich erst, nachdem der britische Sänger Donovan sich knapp ein halbes Jahr später seiner annahm und im August 1965 eine Coverversion des Originals in Großbritannien auf den Markt brachte, die es dort bis auf Platz 5 der Single-Charts schaffte. The Universal Soldier ist auch deswegen ein so über alle Maßen außergewöhnlicher Kriegsprotestsong, weil er eben nicht die Regierungen, Führer oder Konzerne der Welt anprangert - was in letzter Konsequenz durchaus richtig ist - sondern sich an den Soldaten wendet - ähnlich wie Wolfgang Borchert in seinen berühmten Appell "Dann gibt es nur eins! Sag NEIN!"

He 's five foot-two,
and he 's sixfeet-four,
He fights with missiles and with spears.
He 's all of thirty-one, and he 's only seventeen,
Been a soldier for a thousand years.

He 's a Catholic,
a Hindu,
an Atheist,
a Jain,
A Buddhist and a Baptist and a Jew

And he knows he shouldn 't kill,
And he knows he always will,
Kill you for me my friend and me for you.

1969 erneuerte sie ihren Protest in dem Anti-Vietnam-Lied "Moratorium - Bring Our Brothers Home". In den siebziger Jahren trat Buffy Sainte-Marie zusammen mit ihrem Sohn Dakota Starblanket Wolfchild regelmäßig in der TV-Kinderserie "Sesame Street" auf.

Von ihren folkloristischen Wurzeln hatte sich Buffy Sainte-Marie im Laufe der Jahre immer weiter entfernt und nahm Alben auf, auf denen sie sich mal bluesig, jazzig oder rockig gab. So veröffentlichte sie z.B. 1971 eine Rock-LP, auf der sie von Ry Cooder, Neil Young und dessen Band Crazy Horse begleitet wurde. Anschließend konzentrierte sie sich aufs Songschreiben. Ihr Erfolg gipfelte darin, dass sie 1983 für ihre Komposition "Up Where We Belong" die Joe Cocker und Jennifer Warnes im Duett zu einem Welt-Hit emporgesungen hatten, den Grammy für das beste Lied des Jahres entgegennahm.

Während der Neunziger erlebte sie als Malerin mit ihrer indianisch inspirierten Kunst in renommierten amerikanischen und kanadischen Museen hohe Anerkennung.


Joan Baez

"Ihr Anblick berauschte mich. Und dann erst ihre Stimme. Wenn sie sang, fielen einem die Zähne aus dem Mund. Es war, als sei sie von einem anderen Planeten herabgestiegen," so Bob Dylan über die am 9. Januar 1941 geborene Joan Baez.

Als Tochter eines mexikanischen Physikers hatte sie die Wirkung von Vorurteilen früh kennengelernt: Sie durfte wegen ihrer dunklen Hautfarbe nicht mit den Nachbarkindern spielen und wurde als "Nigger" beschimpft. Ihren ersten Erfolg hatte sie 1959 beim Newport Folk Festival. Beim Bürgerrechtsmarsch von Martin Luther King 1963 in Washington eröffnete sie die Kundgebung mit ihrem Lied "Oh Freedom". Sie marschierte an der Spitze eines Demonstrationszuges von Selma nach Montgomery in Alabama, klebte in amerikanischen Großstädten Plakate gegen die Atomrüstung, blockierte mit Protestantentrupps mehrfach Armeegebäude und verbüßte dafür Gefängnisstrafen.

In Woodstock schließlich, August 1969, erlebt sie den Höhepunkt und zugleich den Abgesang auf die 6Oer-Jahre-Protestkultur. Das bis dahin größte Popfestival geht als spektakuläres Meeting der Love-and-peace-Generation in die Geschichte der Rockmusik ein - und eben nicht als politisches Ereignis. Die politischen Aussagen in den Auftritten von Country Joe Mc-Donald, Jimi Hendrix' und von Joan Baez blieben die Ausnahmen. "Die inzwischen verheiratete Sängerin berichtete vom Hungerstreik ihres inhaftierten Ehemanns David Harris, eines bekannten Antikriegsaktivisten, und sang einen von dessen Lieblingssongs: 'I dreamed I saw Joe Hill last night / Alive as you and me' - die Hommage an den von der US-Justiz 1915 hingerichteten Arbeiterführer. Baez' Vortrag in Woodstock kann durchaus als Versuch eines Brückenschlags zwischen der neuen Bewegung und der alten Arbeiterbewegung verstanden werden," so Gerd Schumann in der jungen welt (9.1.16).

Für den Film "Sacco und Vanzetti" (1971) über die beiden Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti trug sie den Song "Here's to you" bei. Franz Josef Degenhardt, der 1967 mit Joan Baez bei der Ostermarschkundgebung in Frankfurt am Main aufgetreten war, übertrug dieses Lied 1972 auf seine Art in seine Weltsicht: "Dieses Lied, Nicola und Bart / Ist für euch und Angela / Hinter euch steht heute die Welt / In der das Volk die Macht schön hält." "Allerdings hätte der Texterin Baez die freie Interpretation von Väterchen Franz, der sich in jenen Tagen längst auf dem Weg aus der Sozialdemokratie zum Kommunismus befand, überhaupt nicht gefallen. Zwar ergriff sie stets Partei für die Verfolgten und Unterdrückten, doch vermied sie es, sich tiefer mit alternativen Gesellschaftsmodellen zu beschäftigen. Und sie stellte sich auch nicht an die Seite derjenigen, die mit Waffen um Befreiung kämpften." (Gerd Schumann). Das führte in der Folge in den Zeiten der Systemauseinandersetzung auch zu manchen politischen Aktivitäten und Stellungnahmen ihrerseits, die sie auf der Seite der "Kalten Krieger" gegen den realen Sozialismus wiederfand.

Im kollektiven Gedächtnis der Friedensbewegten ist sie aber als die engagierte Friedensaktivistin geblieben, die mit ihrer Musik Millionen in aller Welt begeisterte und bewegte. In jüngster Zeit trat sie in Konzerten gegen Landminen auf; im August 2005 demonstrierte sie neben Cindy Sheehan, der Mutter eines im Irak getöteten Soldaten und Anti-Kriegs-Aktivistin, an der Zufahrt zur Ranch des Kriegspräsidenten George W. Bush.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 330 - März 2016, Seite 61-63
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2016

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