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GEGENWIND/677: 60 Jahre KPD-Verbot - und kein Ende?


Gegenwind Nr. 336 - September 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

60 Jahre KPD-Verbot - und kein Ende?

Von Günther Stamer


"Am Abend des 16. August 1956, einem Donnerstag, versammeln sich im Hause Dorfstraße Nr. 4 in Kiel-Elmschenhagen sechs Männer: Mitglieder des Sekretariats der KPD-Landesleitung Schleswig-Holstein. Es gibt keine Tagesordnung. Alles ist bereits beschlossen. Seit Montag ist bekannt: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe wird am 17. August nach fünfjährigen, wiederholt unterbrochenen Verhandlungen seine Entscheidung zum Antrag der Bundesregierung bekanntgeben, die KPD zu verbieten. Am Dienstag hatte das 'Norddeutsche Echo', die Zeitung der KPD Schleswig-Holsteins, in seiner Schlagzeile aufgefordert: 'Verteidigt Demokratie und Gesinnungsfreiheit!' und den Genossen Mut gemacht: 'Die KPD ist und wird sein. Sie wird an der Spitze unseres Volkes vorwärts zum Sieg schreiten'. Die Versammelten beschäftigt Naheliegenderes, sie haben keine Illusionen, für sie steht fest: Am morgigen Freitag wird man ihre Partei verbieten. Der älteste unter ihnen, der fünfzigjährige Hein Meyn, wird aufgefordert, über seine Erfahrungen zu berichten. Er hatte das Parteiverbot von 1933 erlebt, die politische Arbeit heimlich fortgesetzt, war zweimal 'hochgegangen' und hatte elf Jahre Haft in Zuchthäusern und Konzentrationslagern hinter sich."


Am folgenden Tag, dem 17. August, wurde die Befürchtung der sechs Männer zur Realität. "In der Mittagsstunde besetzten Polizeibeamte die Landesleitung der KPD in der Lerchenstraße in Kiel und durchsuchten die Räume. In dem gleichen Gebäude befindet sich auch die Kieler Redaktion der kommunistischen Zeitung 'Norddeutsches Echo'. Die Ausbeute der Haussuchung war nicht sehr ergiebig: Das Protokoll der Beamten des 8. Kommissariats listet nach Durchsuchung 'sämtlicher Räume' der KPD-Landesleitung nur Möbel, Aschenbecher, Vasen, Gardinen, Papierkörbe und dergleichen auf - und selbst im 'Zimmer des Chefs' nichts als ,leere Aktendeckel im Bücherschrank, im und auf dem Schreibtisch'. Auch anderenorts wurde man nicht fündiger: In vielen Orten füllte das beschlagnahmte Material nicht mehr als einen Pappkarton." Soweit Eindrücke von unmittelbar betroffenen Genossen aus Schleswig-Holstein (zit. nach Brammer/Weigle: Die Illegalen von 1956/1968. In: Demokratische Geschichte. Jahrbuch für Schleswig-Holstein 12/1999).


Mehr als 500.000 Menschen von Kommunistenverfolgung betroffen

Als das Bundesverfassungsgericht die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verbot, wurden deren Mitglieder in die Illegalität gedrängt - die Kommunistenverfolgung hatte aber bereits Jahre vorher begonnen. Seit der Verbotsantragstellung durch die Bundesregierung im November 1951 waren schon unzählige Ermittlungsverfahren gegen Personen, die kommunistischer oder prokommunistischer Aktivitäten verdächtigt wurden, eingeleitet. Denn durch das bereits zwei Monate vorher in Kraft getretene Strafrechtsänderungsgesetz (dem sog. "Blitzgesetz") waren alte Straftatbestände aus der Zeit des Faschismus wie Hochverrat, Landesverrat und Staatsgefährdung wieder in das bundesdeutsche Rechtssystem eingeführt worden, die die Besatzungsmächte nach dem Krieg außer Kraft gesetzt hatten. Es wurde ein umfassendes System von Repression und Verfolgung installiert und bediente sich einer breiten Palette von Maßnahmen: Überwachung, vorübergehende Festnahme, Strafanzeige, Anklage, Prozess. Zu den Sanktionen gehörten neben Gefängnis- und Zuchthausstrafen, hohen Geldstrafen, der Verlust staatsbürgerlicher Rechte, der Verlust politischer Mandate, der Verlust des Arbeitsplätzes, der Verlust von Wiedergutmachungsleistungen für erlittenes Unrecht während der Nazi-Zeit.

Nach seriösen Schätzungen waren bis 1968 Ermittlungsverfahren gegen 150.000 bis 200.000 Personen eingeleitet worden; etwa 10.000 von ihnen wurden zu teilweise mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Kommunistenverfolgung jener beiden Jahrzehnte betraf direkt oder indirekt mehr als 500.000 Menschen (vgl. Alexander von Brünneck: Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968. Frankfurt/Main 1978). In den 1970er und 1980er Jahren folgten dann die Berufsverbote dieser Tradition der Kommunistenverfolgung.

Ewald Stiefvater, langjähriger Vorsitzender der DKP Schleswig-Holstein und Betroffener der Kalten-Kriegs-Justiz, erinnerte sich (UZ 2.10.89): "Während wir Kommunisten einsaßen, saßen die Altnazis gut betucht in Amt und Würden, besetzten hohe Kommandostellen im Staatsapparat, besonders bei der Justiz und Polizei. Der bekannte Altnazi Lembke war in Schleswig-Holstein Ministerpräsident. In diesem antikommunistischen Klima wurde ein Uwe Barschel als Kommunistenhasser ein Senkrechtstarter. Er wurde Innenminister und später Ministerpräsident. Er ordnete noch im November 1981 in einer Nacht- und Nebelaktion bei 20 Kommunisten in Schleswig-Holstein Hausdurchsuchungen an, weil die DKP illegale Praktiken des Verfassungsschutzes entlarvt hatte. Unter den Opfern waren auch Antifaschisten, die jahrelang in Hitlers KZ saßen. In unserer Wohnung tauchten in der Novembernacht 1981 sechs Polizisten auf. Weil ich mich weigerte, die Wohnungstür zu öffnen, wurde sie mit Gewalt eingeschlagen."


Hauptgrund für KPD-Verbot: "Kampf gegen Remilitarisierung"

Das Bundesverfassungsgericht begründete die Verbots-Entscheidung u.a. damit, dass die KPD "die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Revolution und die Diktatur des Proletariats" anstrebe. Im zweiten Abschnitt der Urteilsbegründung wurde den Mitgliedern und Anhängern der Partei eine "Untergrabung der inneren natürlichen Autorität (!) und damit der Legitimation der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" unterstellt. Nicht genug damit, wurde der KPD im dritten Absatz der Urteilsbegründung vorgeworfen, mit ihrer Parteinahme für die Politik der UdSSR in einem "grundsätzlichen Gegensatz zur Politik der drei Westmächte und der Bundesrepublik" zu stehen. Letzteres gelte besonders für die Vorstellungen der Partei von einer "Wiederherstellung der Einheit Deutschlands" beziehungsweise hinsichtlich ihres Eintretens für eine "ganz bestimmte Gestaltung der Wiedervereinigung". Ein Abweichen vom damaligen deutschlandpolitischen Kurs der Regierung Adenauer und der Westmächte wurde demnach als Indiz für die Verfassungsfeindlichkeit der KPD genommen. Im vierten und letzten Abschnitt der Urteilsbegründung wurde schließlich eine "Verächtlichmachung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik" unterstellt, ja der Vorwurf erhoben, die KPD sei der "freiheitlichen demokratischen Ordnung" nicht mit der "nötigen Achtung" begegnet.

Der Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung, Ritter von Lex, vormals tätig im Nazi-Innenministerium, führte das Verfahren ganz im Geiste und Diktion seines vormaligen Dienstherrn: "Sie (die KPD) ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet." Worum es der Bundesregierung hauptsächlich ging, verriet Ritter von Lex in seinem Eingangsplädoyer: "Diese Partei verdächtigt die Bundesregierung seit Jahren der Remilitarisierung." Sie würde "mit psychologischen Mitteln jeder Art arbeiten"; typisch für ihre Propaganda sei, dass sie "die Oder-Neiße-Linie als endgültige Grenzziehung nach Osten" bezeichne.

Im Widerstand gegen die Remilitarisierung und im Festhalten an der Idee eines einheitlichen antifaschistischen Deutschlands liegen also eingestandenermaßen die Hauptursachen des KPD-Verbots. "An der Nahtstelle entgegengesetzter Militär- und Gesellschaftssysteme sollten nicht nur nationale Wirkungen erreicht werden. Die imperialistischen Mächte wollten auch mit dem Mittel des KPD-Verbots den Systemkampf forcieren. Aus meiner Sicht ist dies die Hauptsache, sie ermöglicht die Einordnung der Ereignisse in die Wirklichkeit jener Jahre", so Ellen Weber, langjährige stellvertretende DKP-Parteivorsitzende auf einem Kolloquium von DKP-Parteivorstand und PDS-Bundestagsgruppe am 17.8.1996 (UZ vom 6.9.96).


KPD-Verbot immer noch aktuell?

Manche Zeitgenossen glauben nun, das Verbot der KPD habe sich durch die Neukonstituierung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) 1968 und spätestens mit "Deutschlands Einheit" 1990 erledigt. Dem ist leider nicht so.

Folgt man dem Urteilstext von 1956, so wird darin die Wirksamkeit des Verbots "für den vom Grundgesetz zeitlich und sachlich beherrschten Raum" festgestellt; eine Aufhebung des Verbots erwogen die Richter für den Fall, dass die "Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands" mit einer gesamtdeutschen Entscheidung über eine neue Verfassung gemäß Art. 146 GG besiegelt werde. Doch die Einheit Deutschlands erfolgte bekanntlich nach Art. 23 S. 2 GG alter Fassung im Wege des Anschlusses der DDR an die Bundesrepublik - ohne die Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue, frei zu beschließende Verfassung. Damit hat das KPD-Verbot nach herrschender Rechtsauffassung unverändert Bestand und Geltung (nebenbei bemerkt: Das bedeutet gleichzeitig die Ausdehnung des KPD-Verbots auf das Gebiet der ehemaligen DDR).

"Weil also der Rechtskraft des KPD-Verbots quasi Ewigkeitswert zukommt, muss zur Beendigung dieses anachronistischen Zustands eine parlamentarische Entscheidung angestrebt werden. Der Bundestag ist gefordert, alle notwendigen Schritte zu tun, um dieses Relikt aus der Eiszeit des Kalten Krieges so schnell wie möglich zu überwinden. Das KPD-Verbot ist umstandslos aufzuheben und die Justizopfer des Kalten Krieges in Westdeutschland sind schnellstens zu rehabilitieren," so der Rechtsanwalt und Bürgerrechtsaktivist Rolf Gössner.


Geheimnisse um die Akten des KPD-Verbotsprozesses

Neben der Forderung nach Aufhebung des KPD-Verbotsurteils und Rehabilitierung der Opfer steht außerdem die Forderung nach Zugang zu den KPD-Verbotsakten des Bundesverfassungsgerichts auf der Tagesordnung. Warum werden diese Akten nach wie vor als "Top Secret" vor der Öffentlichkeit unter Verschluss gehalten? Für das Archivgut des Bundes gilt eine Sperrfrist von dreißig Jahren - ausgenommen davon ist das gesamte Archivgut der DDR, das jederzeit von jedermann eingesehen werden kann. Aber: Die Verfahrensakte zum KPD-Prozess hält das Bundesverfassungsgericht auch nach 60 Jahren noch unter Verschluss. Als Abgeordnete der Partei DIE LINKE von der Bundesregierung wissen wollten, ob sich die Akte zum KPD-Verfahren inzwischen im Archivgut des Bundesarchivs befindet (wo es für die Öffentlichkeit zugänglich wäre), wurde das von der Regierung verneint; die Unterlagen seien noch nicht weitergeleitet worden, weil die Akte vom Bundesverfassungsgericht noch benötigt werde (Antwort der Bundesregierung vom 29.11.2010). Weshalb die Verfassungsrichter diese Akten 60 Jahre nach Urteilsverkündung noch benötigen, blieb dabei offen.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 336 - September 2016, Seite 21-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2016

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