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GEGENWIND/689: 2. Flüchtlingskonferenz des Landes Schleswig-Holstein - Treffen für alle Aktiven


Gegenwind Nr. 339 - Dezember 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

FLUCHT & ASYL
Treffen für alle Aktiven
2. Flüchtlingskonferenz des Landes Schleswig-Holstein

Von Reinhard Pohl


Während die erste Flüchtlingskonferenz im Mai 2015 noch großes Interesse der Medien fand, war es diesmal weitaus stiller. Es gab einige Berichte in lokalen Medien oder den Regionalsendungen, im wesentlichen wurde gemeldet, dass die Landesregierung die Veranstaltung erfolgreich fand.


Rund 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen. Darunter fast die gesamte Landesregierung, die entsprechenden Verantwortlichen aus den verschiedenen Abteilungen der Ministerien, außerdem Landesamt und Bundesamt. Aus den Kreisen waren die "Koordinatorinnen und Koordinatoren" da, 30 Stellen dafür hatte die Landesregierung ja bei der ersten Flüchtlingskonferenz versprochen, die sind inzwischen eingerichtet. Viele Kommunen waren ebenfalls vertreten. Alle Wohlfahrtverbände waren da, vor allem deren Fachleute und BeraterInnen für Migrationsfragen. Aber auch Volkshochschulen, lifeline und viele andere waren vertreten.

Die Landesregierung hatte die Konferenz relativ alleine vorbereitet, ohne anderen allzuviel Einblick zu geben. So bekam der Gegenwind zwar im April eine Vorankündigung, um den Termin zu reservieren. Aber eine Übersicht über das Programm gab es sehr knapp vorher und auch nicht vollständig, und auf vielen Veranstaltungen berichteten andere über ergebnislose Versuche, Einblick in die Planungen zu bekommen.

Leitlinien und ihre BotschafterInnen

Im Mittelpunkt standen zehn "Leitlinien", für die es jeweils zwei Botschafterinnen oder Botschafter gab. Diese wurden vom Innenministerium nicht vorgeschlagen und zur Diskussion gestellt, sondern waren schon fertig. Die Botschafterinnen und Botschafter vertraten jeweils "ihre" Leitlinie, kannten aber die anderen und nutzten ihren Auftritt teilweise auch zur Kritik.

So bekennen sich die Leitlinien zur Vielfalt in der Gesellschaft (1), zu einer offenen Gesellschaft (2), zum Respekt vor anderen (3), zur Abschiebung für alle ohne Aufenthaltsrecht (4), zu Deutschkursen für alle (5), zur Integration als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe (6), zu gleichem Zugang zu Bildung, Wohnung und Arbeit (7), zur Zuwanderung (nicht Einwanderung) (8), zu Sicherheit (9) und zu Ausgaben für Integration als Investition (10).

Die Botschafterinnen und Botschafter kommen aus der "Türkischen Gemeinde", der Kirche, der Hochschule, dem Sport, den engagierten Vereinen, dem Städtetag, der Diakonie, der Volkshochschule, der Schura, dem Paritätischen, dem Flüchtlingsrat, dem DGB, dem Flüchtlingsbeauftragen, der Law Clinic, dem Runden Tisch Neumünster, der Polizei, dem Unternehmerverband und der ZBBS. Der Landesregierung lag offenbar mehr als breiten Spektrum als an dem Konsens, deshalb wurden die Botschafterinnen und Botschafter einzeln ausgewählt und selektiv informiert. Bei der Konferenz sollten sie auf der Bühne ein Puzzle zusammensetzen - die Show war wichtiger als die Inhalte.

Grünbuch

Eine Reihe von Organisationen, darunter Flüchtlingsrat, Flüchtlingsbeauftragter und Antidiskriminierungsverband, hatten vorher eine Broschüre mit einer Bilanz der Pläne der ersten Flüchtlingskonferenz im Mai 2015 veröffentlicht.

In diesem Grünbuch wird ein großes Spektrum an Themen angesprochen: So geht es um die Aufnahme, das Asylverfahren, die Beratung und Betreuung. Es geht um die Unterbringung und das Wohnen, die soziale Versorgung und das Ehrenamt vor Ort. Es geht um die Psychotherapie, die Schule, Sprachkurse und Ausbildung. Es geht um die Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen, um unbegleitete Minderjährige, Frauen und die Beendigung des Aufenthalts. Es geht schließlich um Behörden und um Diskriminierung.

Die Broschüre durfte auf der Konferenz ausgelegt werden, allerdings waren die Autorinnen und Autoren nicht als Vortragende vorgesehen - die Kritik durfte nur in einzelnen Arbeitsgruppen angesprochen werden. Auf der Bühne sprach der Innenminister, eine Runde von Flüchtlingen, dann die Puzzler (Botschafter) jeweils zwei Sätze, am Schluss der Innenminister.

Arbeitsgruppen

Die Arbeitsgruppen waren weit besser organisiert als im Mai 2015. Damals fanden sie in der offenen Halle zwischen den Ausstellungen statt. So konnten höchstens Gruppen von 10 Personen gebildet werden, zwei Meter weiter konnte man nichts mehr verstehen.

Diesmal gab es richtige Räume mit einer Tür, und es gab auch eine Vorbereitung. Allerdings war das gesamte Spektrum der Themen von der Landesregierung vorgegeben worden, man kam im Vorfeld schwer an Informationen ran, konnte sich also auch nicht vorbereiten. Auch waren (und sind?) keine Ergebnisse vorgesehen: Man traf sich, diskutierte und ging wieder auseinander.

Sicherheitsmaßnahmen

Auffällig waren die Sicherheitsmaßnahmen. Überall war Polizei, und mehrfach hatten angemeldete Teilnehmerinnen und Teilnehmer Mails vom Innenministerium bekommen, dass keine weitere Personen mitgebracht werden dürfen, niemand hereingelassen wird, Ausweise und Taschen kontrolliert werden.

Diejenigen, die nicht eingeladen waren, aber Interesse an einer Teilnahme hatten, bemühten sich oft im Vorfeld um eine Einladung, wie ich auf vielen Veranstaltungen hörte. Diese Bemühungen endeten meistens im Nirgendwo: Eine Einladung kam nicht, auch keine Erklärung, nur viele nichtssagende Mails aus Textbausteinen.

Das Ergebnis: Im Plenum blieben viele Plätze leer. Offenbar war man im Ministerium zu ängstlich gewesen, um Interessierte einfach "zuzulassen" und ihnen auf eigenen Wunsch eine Einladung zuzuschicken. Das traf vor allem Ehrenamtliche und Initiativen, die direkt mit Flüchtlingen arbeiten, vor allem aber Flüchtlinge selbst. Nur wenige Organisationen (z.B. die ZBBS) hatten die Möglichkeit, auch Flüchtlinge für eine Teilnahme vorzuschlagen und die "Armbändchen" dafür zu bekommen.

Aber dem Ministerium ging es offenbar mehr um die großen Organisationen: Rotes Kreuz, Diakonie, AWO, Paritätischer, Caritas wurden als Landesverband sowie Kreis- und Ortsverband eingeladen, was ja auch richtig ist. Das Lübecker Flüchtlingsforum, seit einigen Jahrzehnten aktiv, durfte draußen in der Kälte einen Protest gegen die angekündigten Afghanistan-Abschiebungen organisieren. Auch viele andere mussten draußen bleiben.

Der wahre Wert der Konferenz

Der wirkliche Wert der Konferenz bestand darin, dass man viele, viele Aktive aus der Szene getroffen hat und sprechen konnte. Behörden und Verbände waren vollständig da, und die Pausen waren großzügig geplant - für viele Begegnungen und Absprachen sind nun mal die Pausen weitaus wichtiger als die Plenums- und Arbeitsgruppenzeiten.

Die Regierungsmitglieder nahmen diesmal wirklich teil, gingen auch in Arbeitsgruppen, standen zum Ansprechen bereit und diskutierten mit. Auch die anfangs sehr verkniffene Haltung der Sicherheitsleute, Polizei und Personenschutz entspannte sich ab dem Mittag - was zu dieser übergroßen Anspannung im Vorfeld geführt hatte, wurde leider nicht erklärt. Aber es mag sein, dass manche in der Regierung doch vor einer Demonstration gegen geplante Abschiebungen mehr Angst haben als ich.


Das "Grünbuch" zur Flüchtlingskonferenz ist bei den herausgebenden Organisationen zu bekommen, aber auch bei der redaktion@gegenwind.info (als pdf-Datei oder als gedruckte Broschüre).

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Quelle:
Gegenwind Nr. 339 - Dezember 2016, Seite 9 - 11
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2016

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