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GEHEIM/268: BND wäscht sich von Nazi-Vergangenheit rein und verschweigt das Wesentliche


GEHEIM Nr. 1/2010 - 7. April 2010

DEUTSCHLAND
Pullacher Nebelkerzen
Der BND wäscht sich von seiner Nazi-Vergangenheit rein und verschweigt das Wesentliche

Von Ingo Niebel


Es gibt vieles in der Welt der Geheimdienste, nur eines nicht: Zufälle. Folglich war es kein Zufall, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) Mitte März der interessierten Öffentlichkeit über die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kundtat, dass auch er seine Nazi-Vergangenheit aufarbeiten lässt. Da es nicht zur Natur von Geheimdiensten gehört, ihre verdeckte Arbeit publik zu machen, drängt sich die Frage nach dem Grund für die ungewöhnliche Offenheit auf. Die berechtigten Zweifel gehen einher mit der Erfahrung, dass (geheime) Regierungsinstitutionen bei einer Öffentlichtkeitskampagne gerne auf das Verteidigungsgebahren von Mafiosi zurückgreifen: Gewiefte Straftäter geben nur die Delikte zu, die eh schon bekannt sind. Ergo ist es besser, einen bekannten Mord zu gestehen, wenn so andere Straftaten unentdeckt bleiben. Genauso verhält es sich im vorliegenden Fall: Der BND gibt Akten zu bekannten Fällen frei, um andere, sehr viel brisantere unter Verschluss halten zu können.

Am 17. und 18. März 2010 erschienen auf der Internetseite und in der Druckausgabe der FAZ umfangreiche Artikel über die BND-interne Suche nach NS-Altlasten, sprich: Massenmördern aus SS, Gestapo und Geheimer Feldpolizei, die im Auslandsnachrichtendienst bis in die 1960er Jahre tätig waren. Der Artikel "Die Arbeit für Org. 85" berichtet von der Tätigkeit des BND-internen Ermittlers Hans-Henning Crome (die FAZ verrät nicht, ob es sich um den Klar- oder Decknamen des Geheimdienstlers handelt) über das Aufspüren von braunen Altlasten. Er ist sicherlich eine Bereicherung für die geschichtswissenschaftliche Forschung, aber nichts, was Kennern der BND-Historie nicht schon bekannt gewesen wäre. Spektakulär mag sein, wenn man es denn so sehen möchte, dass die FAZ die anonymisierten Identitäten von 47 belasteten BND-Beamten ins Internet stellte. Dort fehlen wichtige Hinweise erstens auf deren Weiterverwendung nach 1945/49 in bundesdeutschen Staatsdiensten und zweitens ob sie trotz Beteiligung an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit beim BND bleiben konnten.

Diese finden sich ansatzweise im Artikel "Wie der BND seine eigenen Nazis jagte", der am 18. März 2009 auf Spiegel-Online erschien und ausführlicher in Beständen des US-Nationalarchivs, den US National Archives. Auch wenn das Hamburger Nachrichtenmagazin behauptet, dass sich "mit wenig Aufwand die Identität von Personen ermitteln" lässt, ganz so einfach ist die Identifizierung ohne Gegenrecherche nicht.

Die FAZ nennt zum Beispiel einen Kurt A. mit folgenden Informationen:

"Geboren 1908 in Breslau
Gestapo Breslau, Kriminalrat
1939-1941 Leiter einer Gruppe der Geheimen Feldpolizei (GFP) der Wehrmacht in Polen und in Südfrankreich
1941-1944 Leitender Feldpolizeidirektor bei einer Sicherungsdivision in Russland
1944-1945 Leiter der Geheimen Feldpolizei beim Oberkommando des Heeres (OKH)"

Möchte man die Identifizierungsmethode des Spiegel anwenden kommt beispielsweise ein Kurt Auner in Frage, der im Bereich des SS-eigenen Geheimdienstes, des Sicherheitsdienstes, auf dem Balkan tätig war. Wahrscheinlich wird es nicht SS-Sturmbannführer Kurt Amend sein, der zuerst im Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) die Fahndung organisierte und ab 1951 in gleicher Funktion beim Bundeskriminalamt weiterbeschäftigt wurde.

Noch viel interessanter als die angeblich 200 Nazi-Verbrecher unter den damals 2600 BND-Beamten sind diejenigen, die nicht in der 47köpfigen "Auswahlbiographie" der FAZ auftauchen, wie zum Beispiel der Leiter der Geheimen Feldpolizei (GFP) Wilhelm Krichbaum. Bei der GFP handelte es sich um eine Sondertruppe bestehend aus Angehörigen des militärischen Geheimdienstes "Abwehr" und der Gestapo. SS-Oberführer und Oberst der Polizei Krichbaum entging trotz Beteiligung an Kriegsverbrechen jeglicher juristischer Verfolgung. Stattdessen fand er Aufnahme in die "Organisation Gehlen", der US-gesteuerten Vorläuferin des BND. Dort soll er für die Leitung des deutschen Teils der NATO-Geheimarmee Gladio verantwortlich gewesen sein. Krichbaums braune Vergangenheit ist spätestens seit 1986 bekannt, als der NVA-Offizier Klaus Gessner seine Studie über die Geheime Feldpolizei vorlegte. Wahrscheinlich kam der GFP-Leiter nicht auf Cromes Liste, weil er nach Meinung seines Chefs Reinhard Gehlen zur Wehrmacht und nicht zur SS zählte. Gehlen selbst war unter Hitler zum General aufgestiegen und leitete bis Kriegsende den Nachrichtendienst des Heeres "Fremde Heere Ost".

Die Pullacher Nebelwand besteht also einerseits aus einer Liste von Kriegsverbrechern, die posthum zum Abschuss [frei]gegeben werden und jenen BND-Beamten, die trotz vergleichbarer Vergehen weiterhin in Würden verweilen, weil ihre Vergangenheit verheimlicht wird. Sinn und Zweck dieser Nebelkerzen ist, den Blick auf eine Personengruppe zu verstellen, die gänzlich in den Artikeln der FAZ und der anderen Medien, die ihrem Beispiel folgten, fehlt: Jene Mitglieder des RSHA, die keine BND-Beamten waren, aber "freischaffend" für ihn arbeiteten. Zu den bekannten Namen gehören der "Schlächter von Lyon", Klaus Barbie, oder der Organisator der "Endlösung", Adolf Eichmann.

Am 13. März 2010 erinnerte das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel daran, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gerade entscheiden muss, ob der Journalistin Gabriele Weber 4500 Seiten Aktenmaterial über die Connection zwischen dem Vernichter des europäischen Judentums und dem bundesdeutschen Auslandsgeheimdienst zugänglich gemacht werden oder nicht. Der BND will das verhindern, weil angeblich die meisten Dokumenten von einem ausländischen Geheimdienst stammen. Eine Veröffentlichung würde zu einem Vertrauensverlust bei seinen Partner führen, so die Pullacher Argumentation. Tatsächlich geht es wohl eher darum, erstens Eichmanns Tätigkeit für den BND und zweitens die Kooperation zwischen Hitlers Nuklearwissenschaftlern und ihren Kollegen aus Tel Aviv beim Bau der A-Bombe für Israel geheim zu halten. Weber fand in Buenos Aires Hinweise, die belegen, dass Eichmann von dieser Zusammenarbeit wußte und versuchte daraus, Kapital zu schlagen. Sein Verhalten besiegelte sein Schicksal: Nach offizieller Lesart entführte der Mossad den SS-Offizier, den ein israelisches Gericht zum Tode verurteilte und hinrichten liess. Weber ist eher der Ansicht, dass der Menschenschlächter ausgeliefert wurde. Über ihre Recherchen zu Eichmann, Hitlers Atombombe und die nukleare Kooperation zwischen Bonn und Tel Aviv berichtete GEHEIM bereits ausführlich in Heft Nr.4/2009.

Die neue "Offenheit" des BND dient offensichtlich der Imagepflege, aber nicht der Klärung seiner Zusammenarbeit mit NS-Verbrechern. Die Freigabe der genannten Akten soll den Eindruck erwecken, als habe er mit jenem Kapitel und den involvierten Personen abgeschlossen. Damit folgt er der Linie, die gleichermaßen belastete Unternehmen und Banken mit entsprechenden Publikationen bereits in den 1990er Jahren beschritten haben. Der BND ist der Öffentlichkeit noch schuldig, eine "Historikerkommission" an seine Akten heranzulassen.

Das ist aus zwei Gründen nicht zu erwarten: Erstens ist es nach dem jetzigen Stand der geschichtswissenschaftlichen Forschung nicht mehr möglich, wie im FAZ-Artikel indirekt geschehen, zwischen den "guten" Wehrmachts-Nachrichtendienstlern und den "bösen" RSHA-Angehörigen zu unterscheiden. Die Geschichtswissenschaft hat belegt, dass erstens Hitlers Streitkräfte gemeinsam mit der SS einen Vernichtungskrieg gegen ihre Gegner führten. Zweitens lässt sich die Untersuchung nicht mehr nur auf die Zeit 1933-1945 beschränken, weil zahlreiche NS-Verbrecher zumindest bis in die 50er und 60er Jahre für den BND, den Verfassungsschutz sowie für die Polizeien des Bundes und der Länder tätig waren. Folglich würden sich so neue Forschungsfelder erschließen, wobei der Fall Eichmann nur ein Beispiel wäre. Ein weiteres ist die Verwendung von Alt-Nazis in Lateinamerika (und andernorts), die dort in den ersten drei Jahrzehnten des Kalten Krieges Kontakt zu einheimischen Diktatoren, Faschisten und Todesschwadronen hielten, um ihren verlorenen Krieg gegen den Sozialismus an der geheimen Front fortzuführen.

So behält der SD-Experte Lutz Hachmeister recht, der in seinem Artikel "Weiße Flecken in der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes" (FAZ, 13.5.2008) feststellte: "Der Aktenüberlieferung, die sich durch Unterlagen der Birthler-Behörde oder nach dem US Nazi War Crimes Disclosures Act ergeben hat, steht Pullach hilflos gegenüber." Folglich darf man gespannt sein, ob es jemals eine wissenschaftliche Untersuchung der Entstehungsgeschichte des BND geben wird.

Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der einst geheimen BND-Akten war jedenfalls kein Zufall, sondern Kalkül: Die Berichte, die dem BND ein neues Image verpassen sollen, erschienen zeitnah zum Richtfest des zukünftigen Hauptquartiers an der Berliner Chausseestraße.


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Quelle:
GEHEIM Nr. 1/2010 - 7. April 2010, Seite 8-9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2010