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GLEICHHEIT/2318: Der Finanzkrach 2008 und die Perspektiven für 2009


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Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Der Finanzkrach 2008 und die Perspektiven für 2009

Von Nick Beams
13. Januar 2009
aus dem Englischen (2. Januar 2009)


Bei einem historischen Rückblick gibt es immer bestimmte Jahre, die besondere Aufmerksamkeit erregen, weil sie für entscheidende Ereignisse stehen. Es fallen einem die Jahre 1914, 1929, 1933, 1939 und in jüngerer Zeit 1956 und 1989 ein. Das Jahr 2008 wird seinen Platz in dieser Reihe einnehmen.

Dies ist das Jahr, an dem das angeblich Unmögliche geschah: Das kapitalistische Weltsystem erlebte einen Finanzzusammenbruch, der ohne weiteres die Ausmaße des Börsencrashs von 1929 erreichen oder gar übertreffen könnte.

Die Zahlen sprechen für sich. Alleine die US-Regierung hat sich verpflichtet, das Finanzsystem mit mehr als acht Billionen Dollar zu stützen. Im verzweifelten Bemühen, einen Finanzkollaps zu vermeiden, sind die Zinssätze der Zentralbanken in aller Welt auf Rekordniveau - im Fall der USA fast auf Null Prozent - gesenkt worden.

Das Jahr endete mit Börsenverlusten in einem Ausmaß, wie es sie seit den schlimmsten Jahren der Großen Depression nicht mehr gegeben hat. Der S&P 500 Index in den USA ist um 38,5 Prozent gefallen, zum größten Teil in den letzten paar Monaten. Das ist der schlimmste Absturz seit 1931, als er 47,1 Prozent verlor.

In Japan schloss der Nikkei-Index am Jahresende mit einem Verlust von 42,1 Prozent. Das ist mehr als der bis dato größte Verlust von 38,7 Prozent im Jahre 1990, als die Aktien- und Immobilienblase platzte. In Korea schrieb der Kospi-Index für dieses Jahr einen Verlust von 40,7 Prozent. Für beide asiatischen Länder waren das die größten Verluste der Geschichte. Europa hatte ähnliche Einbrüche zu verzeichnen.

Der Zusammenbruch der Finanzmärkte wird jetzt vom Niedergang der Realwirtschaft eingeholt. Im nächsten Jahr wird die gesamte Wirtschaftsleistung der entwickelten kapitalistischen Länder zum ersten Mal in der Nachkriegsperiode real zurückgehen. Dem Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard zufolge, "könnte der Zusammenbruch der Nachfrage alles in den Schatten stellen, was wir seit der Großen Depression in den 1930 Jahren erlebt haben".

Im November verzeichnete Japan, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, gegenüber dem Vormonat einen Rückgang der Industrieproduktion um acht Prozent; das ist der stärkste Rückgang in der Geschichte. In Südkorea, einer der wichtigsten industriellen Volkswirtschaften der Welt, fiel die Industrieproduktion im November um 14,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat - ebenfalls der tiefste jemals gemessene Absturz.

Und die Aussichten für die US-Wirtschaft, das Herz der globalen Wirtschaft, sind nach den Worten des Wirtschaftsinstituts Levy inzwischen "einmalig und schauderhaft, um nicht zu sagen furchterregend".

Dem Levy-Bericht zufolge wird das amerikanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) den Trend von jetzt bis 2010 um ungefähr zwölf Prozent unterschreiten. Die Arbeitslosigkeit wird auf etwa zehn Prozent steigen. Der Bericht schließt mit der Bemerkung, der "praktische Zusammenbruch des privaten Konsums" werde es "den US-Behörden nahezu unmöglich machen, einen ausreichend starken haushalts- und geldpolitischen Anstoß zu geben, um die Produktion und die Arbeitslosigkeit innerhalb von zwei Jahren wieder auf ein akzeptables Niveau zu bringen."

Allein schon die massiven Finanzverluste und der Umfang und die Geschwindigkeit der darauf folgenden Rezession werfen Licht auf die historische Bedeutung des Jahres 2008. Aber die ökonomischen Ereignisse des vergangenen Jahres lassen sich nicht nur rein quantitativ fassen.

Auf die Subprime-Hypothekenkrise vom Sommer 2007 folgten Ereignisse, die über anderthalb Jahre den Zusammenbruch der kapitalistischen Akkumulationsweise der letzten dreißig Jahre einläuteten. Diese Akkumulationsweise hatte sich aus der vorhergehenden historischen Krise der kapitalistischen Wirtschaft der 1970er Jahre entwickelt.

Das Kredit- und Finanzgebäude, das heute zusammenbricht, war kein Auswuchs an einem ansonsten gesunden Wirtschaftssystem. Es war das Schlüsselelement des globalen Mechanismus der Kapitalakkumulation.

Eine zeitlang schien es so, als ob die so genannten "Finanzinnovationen", d.h. die Erfindung immer komplexerer Instrumente, mit denen scheinbar Geld durch die Manipulation von Geld geschaffen werden konnte, die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Wirtschaftsweise außer Kraft setzen würden. Aber letztlich konnten noch so viele Finanzmanipulationen die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass die Kapitalakkumulation davon abhängig ist, dass die Arbeiterklasse im Produktionsprozess Mehrwert hervorbringt.

Die gegenwärtige Krise zeigt, dass die Unterordnung der Wirtschaft unter das Finanzkapital in den letzten drei Jahrzehnten den Punkt erreicht hat, an dem der Anspruch des Finanzkapitals an den Mehrweit dessen Verfügbarkeit weit übersteigt. Das Ergebnis waren zwei Entwicklungen. Einerseits muss das Kapital einen umfassenden Angriff auf die Arbeiterklasse starten, um die Akkumulation von Mehrwert zu steigern, und andererseits muss jede Kapitalistengruppe versuchen, ihre Konkurrenten an die Wand zu drücken.

Mit anderen Worten, alle Bedingungen, die die 1930er Jahre geprägt haben - Massenarbeitslosigkeit, der Angriff auf die soziale Position der Arbeiterklasse und zunehmende Konflikte zwischen rivalisierenden Gruppen kapitalistischer Mächte - sind heute wieder aktuell.

Angesichts dieses Zusammenbruchs versuchen die politischen und ideologischen Vertreter der kapitalistischen herrschenden Klasse verzweifelt, die Illusion zu verbreiten, sie hätten ein Heilmittel gegen die Krise.

Dreißig Jahre lang wurde die Theorie der so genannten "Markteffizienz-Hypothese" aufrechterhalten, die in der Behauptung besteht, Marktpreise seien immer korrekt. Jetzt jedoch wird hurtig einer neuer Mythos gezimmert: Es sei möglich, mittels keynesianischer Wirtschaftsmaßnahmen, durch höhere Staatsausgaben und einer Erhöhung der Staatsverschuldung, am Ende die kapitalistische Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen.

Die historische Bilanz belegt etwas anderes. In den 1930er Jahren brachten die New Deal Maßnahmen von Roosevelt keine Erholung der amerikanischen Wirtschaft. Nach einem kurzen Aufschwung Mitte der dreißiger Jahre erlebte die amerikanische Wirtschaft 1937-38 einen erneuten scharfen Abschwung, der mindestens so scharf wie Anfang der 1930er war. Die Erholung der US-Wirtschaft begann erst mit dem Einsetzen der Rüstungswirtschaft, und weltweite Stabilität setzte erst mit dem Wiederaufbau der Weltwirtschaft nach den massiven Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ein.

Auch Anfang der 1970er Jahre war es nicht möglich, durch keynesianische Maßnahmen die tiefste Rezession seit den 1930er Jahren zu verhindern. Tatsächlich führten diese Maßnahmen zu einer Stagflation, d.h. zu hoher Arbeitslosigkeit, begleitet von steigenden Preisen. Das war der Prozess, der zum politischen Umschwenken zur "freien Marktwirtschaft" unter Reagan und Thatcher führte.

In Japan brachten ständige Konjunkturprogramme in den 1990er Jahren ebenfalls keinen Aufschwung, nachdem die Aktien- und Immobilienblase 1990 geplatzt war.

Auch wenn Maßnahmen á la Keynes kein Allheilmittel gegen den Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaft sind, so erfüllen sie doch für die herrschende Klasse eine wichtige politische Funktion. Roosevelts New Deal half nicht gegen die Krise der 1930er Jahre, aber er trug zur Schaffung der Illusion bei, dass eine Lösung möglich sei. Damit leistete er einen unschätzbaren Dienst dabei, sozialistisches Bewusstsein in der Arbeiterklasse zu verhindern.

Wenn heute der Weltkapitalismus in seine ernsteste Krise seit dem Zusammenbruch der 1930er Jahre eintritt und die herrschende Klasse ihre Lehren zieht, dann muss auch die Arbeiterklasse die Lehren der Geschichte ziehen. Eine Wiederholung der Bedingungen der Großen Depression, die ihren Höhepunkt im Tod von Millionen im Zweiten Weltkrieg und im Einsatz von Atomwaffen fand, kann nur durch den Sturz des historisch veralteten Profitsystems verhindert werden. Das Jahr 2008 markiert einen Meilenstein in der Auflösung des Weltkapitalismus; 2009 muss der Ausgangspunkt für ein Wiederaufleben des Kampfs für den internationalen Sozialismus in der Weltarbeiterklasse werden.

Siehe auch:
Der Madoff-Skandal
(17. Dezember 2008)

Absturz an der Wall Street und wachsende Anzeichen
einer globalen Rezession (11. Oktober 2008)

Panik ergreift globale Finanzmärkte
(8. Oktober 2008)

Zeit der Revolten
(30. Januar 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 13.01.2009
Der Finanzkrach 2008 und die Perspektiven für 2009
http://wsws.org/de/2008/jan2009/beam-j13.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2009