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GLEICHHEIT/2589: Unruhen in Xinjiang legen Schwäche des chinesischen Staates bloß


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Unruhen in Xinjiang legen Schwäche des chinesischen Staates bloß

Von John Chan
15. Juli 2009
aus dem Englischen (13. Juli 2009)


Die Proteste uigurischer Arbeiter und Studenten in Xinjiang am 5. Juli und die brutale militärische Antwort der chinesischen Regierung zeigen, dass die Grundlagen des chinesischen Nationalstaats mit seinen 1,3 Milliarden Menschen, 56 Ethnien und zahllosen Sprachen trotz der bevorstehenden Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Revolution von 1949 keineswegs gesichert sind.

Die Verheißung der chinesischen Revolution - der Aufbau eines Landes des Sozialismus und sozialer Gleichheit auf der Grundlage des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln und der Vereinigung der Arbeiter- und Bauernmassen aller ethnischen Gruppen - ist längst verblasst.

Die ethnischen Auseinandersetzungen und das gewaltsame Vorgehen von Militär und Polizei haben vergangene Woche in Urumqi Hunderte Menschenleben gefordert. Sie haben die ausgeprägten Spaltungen zwischen Klassen, Ethnien und geopolitischen Regionen in ganz China ins Bewusstsein gehoben, deren Ursache die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist. Gleichzeitig zeigt die Entsendung schwerbewaffneten Militärs nach Urumqi und in andere Städte in Xinjiang wieder einmal, wie die kapitalistische Ausbeutung durchgesetzt wird.

Nicht ein einziger Weltpolitiker hat die militärische Unterdrückung durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) in Xinjiang verurteilt. Eine Ausnahme ist der türkische Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan, der erklärte, an den turk-sprachigen Uiguren sei "fast ein Völkermord" begangen worden. Er selbst versucht damit innenpolitisch an pan-türkischen Nationalismus zu appellieren.

Die imperialistischen Regierungen wissen nur zu genau, dass gewaltsame gesellschaftliche und ethnische Konflikte unvermeidlich sind in einem Land, in dem der Durchschnittslohn eines Arbeiters nur 20 Cent die Stunde beträgt, während das Land gleichzeitig die nach den USA weltweit zweithöchste Zahl an Milliardären hat (101 im Jahre 2008).

Dru Gladney, eine amerikanische Expertin für ethnische Fragen in China, warnte am 12. Juli im Wall Street Journal : "Ein durch innere Auseinandersetzungen, Inflation, ungleiche ökonomische Entwicklung oder politische Nachfolgekämpfe geschwächtes China könnte noch zusätzlich durch kulturelle und linguistische Gegensätze gespalten werden. China wird vor allem von inneren Unruhen und vielleicht ethnischen Unruhen innerhalb der so genannten Han-Mehrheit bedroht. Wir sollten uns daran erinnern, dass es ein im Ausland geborener und ausgebildeter Mann aus dem Süden war [Sun Yat Sen], der die Revolution anführte, welche die letzte Dynastie Chinas stürzte. Als das Reich zusammenbrach, kämpften rivalisierende und oft aus dem Ausland unterstützte Warlords um Macht und Einfluss."

Die Quelle dieser Konflikte war die Unfähigkeit der chinesischen Bourgeoisie unter Sun, einen einheitlichen Nationalstaat zu schaffen. Die Ursache waren ihre Bindungen an die Großgrundbesitzer und die imperialistischen Mächte und ihre Furcht vor der Mobilisierung der unterdrückten Massen. Diese Aufgabe der Vereinigung Chinas blieb der jungen chinesischen Arbeiterklasse vorbehalten, die von der Russischen Revolution von 1917 inspiriert war. Die chinesische Revolution von 1927 wurde jedoch infolge der opportunistischen Politik der stalinistischen Bürokratie in Moskau erdrosselt. Sie hatte die KPCh gezwungen, sich der bürgerlichen Kuomintang (KMT) unterzuordnen. Die Konsequenz war die Zerstückelung Chinas für weitere zwanzig Jahre. Die KMT war fast gar nicht in der Lage, so entfernte Gebiete wie Xinjiang zu kontrollieren.

Die heutige politische Krise in Xinjiang ist das Ergebnis der historischen Entwicklung des 1949 gegründeten chinesischen Staates. Die Revolution der Maoisten war weder sozialistisch noch kommunistisch. Schon lange vor 1949 hatte die KPCh ihre Verbindungen zur städtischen Arbeiterklasse gekappt und sich den Bauern zugewandt. Die Vereinigung Chinas unter Mao unter den außergewöhnlich günstigen Umständen des Kalten Kriegs und des Zusammenbruchs der alten Kolonialreiche fand unter dem Banner der stalinistischen "Zwei-Stadien-Theorie" statt: diese besagte, dass die Kommunistische Partei zuerst bürgerliche nationale und demokratische Aufgaben erfüllen müsse, bevor sie für den Sozialismus kämpfen könne. Die Arbeiterklasse wurde in den städtischen Zentren Chinas von Maos Bauernarmeen rücksichtslos unterdrückt.

Xinjiang wurde in den 1930er und 1940er Jahren von uigurischen Nationalisten und chinesischen Warlords - oftmals von Stalins Gnaden - beherrscht. Das Gebiet wurde mittels Gewalt und politischer Manöver in Maos Reich eingegliedert und nicht durch die demokratische und bewusste Beteiligung der unterdrückten Massen. Pekings grobschlächtige ethnische Politik war von der Behinderung von Religionen und seiner Gleichgültigkeit gegenüber örtlichen Gebräuchen gekennzeichnet. Sie diente der Konsolidierung des Nationalstaats und einer nationalen Wirtschaft nicht nur gegenüber den Westmächten, sondern auch gegenüber dem Stalin-Regime in der UdSSR. Xinjiang wurde zum "Hinterhof" Chinas. Dort wurden Atomtests durchgeführt und Nuklearanlagen errichtet.

Maos Hinwendung zum US-Imperialismus im Jahre 1971, die vom Besuch von US-Präsident Richard Nixon in China markiert wurde und die folgende Ping-Pong-Diplomatie haben machtvolle Kräfte frei gesetzt, die China jetzt erneut zu zerreißen drohen. Chinas Unterstützung für die Einmischung der USA im sowjetisch besetzten Afghanistan und besonders die Mudschaheddin Guerillas schufen die Grundlage für das Wachstum des Islamismus in Xinjiang selbst.

In den 1990er Jahren eröffneten der Zusammenbruch der UdSSR und der Abfall ihrer zentralasiatischen Republiken dem US-Imperialismus die Chance, in die Region einzudringen, u.a. auch in Xinjiang. Um diesem Druck zu begegnen, beschloss Peking, die Einwanderung von Han-Chinesen nach Xinjiang massiv zu fördern.

Dann wurden ganze Regionen Chinas für das Eindringen ausländischen Kapitals geöffnet, was zur Verschärfung sozialer und nationaler Spannungen führte. Seit dem Start des "Go West"-Programms durch Peking im Jahre 2000, um die enormen Bodenschätze in der Region auszubeuten, sprießen in Urumqi Einkaufszentren, Bürohochhäuser, Kaufhäuser und ausländische Banken aus dem Boden. In Xinjiang werden 30 Milliarden Fass Öl unter der Erde vermutet, dass ist ein Drittel der Ölreserven Chinas. Außerdem liegen dort vierzig Prozent der chinesischen Kohlevorkommen und es ist ein wichtiger Produzent von Baumwolle und anderen Rohstoffen für die Industrie. Außerdem ist Xinjiang jetzt das neue Tor, von dem aus das chinesische Kapital Zentralasien nach Öl und Gas abgrast - in relativ enger Zusammenarbeit mit Russland.

Ein Teil der mit der KP verbundenen uigurischen Elite gehört zu den neuen Reichen in China. Aber die Mehrheit der uigurischen Bevölkerung ist ins Hintertreffen geraten. Sie leiden unter sprachlicher Diskriminierung bei der Arbeitsplatzvergabe, einem schlechteren Niveau der Ausbildung und vor allem darunter, dass sie zu dem riesigen Heer der arbeitenden Armen in China gehören. Einige Experten nehmen an, dass Xinjiang inzwischen zu den Provinzen in China gehört, in denen die ökonomische Ungleichheit am stärksten ausgeprägt ist, obwohl es, abgesehen von den am meisten entwickelten Provinzen im Südosten, das höchste Pro-Kopf-Einkommen des Landes hat.

Ein Teil der uigurischen Elite, der einen größeren Anteil an den Profiten aus der Öffnung Xinjiangs für sich beansprucht, versucht, eigene Beziehungen zu den westlichen Großmächten aufzubauen. Diese Tendenz wird von der uigurischen Führerin im Exil Rebiya Kadeer repräsentiert. Kadeer war eine der reichsten Frauen Chinas und prominentes Mitglied der Handelskammer von Xinjiang und der Peoples Political Consultative Conference (einer Plattform von Multimillionären, die die KPCh berät). Diese Schicht der Bourgeoisie versucht die Unzufriedenheit der uigurischen Massen vor ihren Karren zu spannen, teilt aber Pekings Klassenfeindschaft gegen die arbeitende Bevölkerung.

Der spiegelbildliche Gegensatz des Separatismus ist das Erstarken des Han-Chauvinismus nach dem Massaker auf dem Tienanmen-Platz im Jahre 1989, als das stalinistische Regime den Widerstand der Arbeiterklasse gegen ihre pro-kapitalistische Politik brutal unterdrückte. Weil die traditionelle Unterstützung der KPCh bei den Bauern immer schwächer wurde, förderte sie bewusst chinesischen Nationalismus, um sich eine Basis bei den Mittelschichten zu schaffen. Dieser Prozess kann die Zerfaserung der nationalen Einheit nur weiter verstärken.

Jetzt hält die KP das Land mit den Mitteln militärischer und polizeilicher Gewalt zusammen. Aber sie kann damit nicht die machtvollen zentrifugalen sozialen, ethnischen und geographischen Tendenzen aufhalten. Nur wenn die chinesische Arbeiterklasse mit einem revolutionären internationalistischen sozialistischen Programm eingreift, kann die arbeitende Bevölkerung aller ethnischen Gruppen gegen alle Formen von Nationalismus und Chauvinismus vereint werden. Nur so können die ethnische Gewalt und die zunehmende Gefahr eines Bürgerkriegs gestoppt werden.

Siehe auch:
China: Krise in Xinjiang spitzt sich zu
(10. Juli 2009)

Entstehungsgeschichte und Folgen des Massakers von
1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens
(3. Juli 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.07.2009
Unruhen in Xinjiang legen Schwäche des chinesischen Staates bloß
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2009