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GLEICHHEIT/2708: Innenministerium plant Geheimpolizei


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Innenministerium plant Geheimpolizei

Von Justus Leicht
26. September 2009


Geht es nach dem Bundesinnenministerium (BMI), das gegenwärtig von Wolfgang Schäuble (CDU) geführt wird, gibt es nach der Bundestagswahl am 27. September eine neue Dimension in der Bespitzelung der Bürger durch den Staat. Dem Inlandsgeheimdienst sollen weitgehende polizeiliche Kompetenzen eingeräumt und die Trennung von Polizei und Geheimdiensten faktisch aufgehoben werden.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete von einem sechsseitigen Forderungskatalog mit dem Titel "Vorbereitung Koalitionspapier" mit Datum vom 22. September, das von mehreren Fachabteilungen des BMI erstellt und von Schäubles Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit gebilligt worden ist. In dieser Abteilung hat der Innenminister bereits die früher getrennten Abteilungen für Polizei und Inlandsgeheimdienst, der in Deutschland Verfassungsschutz heißt, zusammengefasst. Sein Staatssekretär, der frühere Geheimdienstchef August Hanning, erklärte zu dem Papier, es handle sich dabei "um eine interne Aufzeichnung erledigter und offener Themen". Mit anderen Worten also um das, was bereits und noch nicht durchgesetzt ist.

Weder die Süddeutsche noch Spiegel online, wo das Papier ebenfalls vorliegt, haben es bisher veröffentlicht. Trotzdem wird klar, dass der Verfassungsschutz künftig systematisch Befugnisse erhalten soll, die bisher nur die Polizei hatte - mit dem Unterschied, dass die vom Geheimdienst Bespitzelten von den Maßnahmen gegen sie nicht einmal erfahren, geschweige denn sich juristisch gegen sie wehren können.

Der Verfassungsschutz soll künftig Computer online durchsuchen dürfen, was bisher nur das Bundeskriminalamt (BKA) darf. Außerdem soll er auf die Daten der Vorratsdatenspeicherung zugreifen dürfen. Darin wird aufgezeichnet und sechs Monate gespeichert, wer wen wann angerufen hat, wie lange das Gespräch dauerte, bei Handys auch, von wo das Gespräch erfolgte. Ebenfalls festgehalten werden Zeitpunkt, Absender und Adressat von E-Mails, wann sich wer ins Internet eingewählt hat und welche Datenmengen heruntergeladen wurden. Auch Journalisten und Rechtsanwälte dürfen überwacht werden. Schon das Gesetz, das Polizei und Staatsanwaltschaft den Zugriff auf die gespeicherten Daten erlaubt, wird nach zahlreichen Beschwerden derzeit vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Außerdem soll der Geheimdienst künftig auch Privatwohnungen mit Kameras und Mikrofonen überwachen dürfen.

Auch die Polizei soll neue Befugnisse erhalten. Der so genannte genetische Fingerabdruck, dessen Abnahme bisher nur bei schweren Straftaten und nach richterlicher Entscheidung erlaubt war, soll künftig eine erkennungsdienstliche Standardmaßnahme werden. Aufgewertet werden sollen Polizeiprovokateure, Lockspitzel und Verdeckte Ermittler, ihnen sollen "szenetypische" Straftaten erlaubt werden. Ganz offiziell soll kriminelles Handeln also dann zulässig sein, wenn es im Dienste des Staates erfolgt.

Die im BMI aufgestellten Forderungen müssen im Zusammenhang mit dem gesehen werden, was bisher schon durchgesetzt wurde. Seit 2007 gibt es die Antiterrordatei, eine gemeinsame Datenbank von 38 deutschen Ermittlungsbehörden, in der diese Daten über von ihnen erfasste Personen austauschen. Schon Anfang dieses Jahres gab es Vorstöße aus dem BMI, die Antiterrordatei weiter auszubauen und einen automatischen Datenabgleich der Behörden zu ermöglichen.

Schon 1994 bekam der Auslandsgeheimdienst BND die Befugnis, auch bei gewöhnlicher Kriminalität wie dem Drogenhandel internationale Telefongespräche abzuhören. Seit 1998 gibt es den "Großen Lauschangriff", der nach Kritik vom Bundesverfassungsgericht 2004 in modifizierter Form von der rot-grünen Bundesregierung Gerhard Schröders (SPD) weitergeführt wurde.

Der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) peitschte unter Mitwirkung der Grünen bis 2006 neue Befugnisse für das BKA und die Inlands- wie Auslandsgeheimdienste durch das Parlament. Neben dem Verfassungsschutz können seitdem auch Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) Auskünfte bei Luftfahrtunternehmen, Banken, Post-, Telekommunikations- und Teledienstunternehmen einholen. Dies gilt nicht mehr nur bei Terrorverdacht, sondern auch im Rahmen der Aufklärung "verfassungsfeindlicher Bestrebungen" im Inland. Entsprechend ausgedehnt wurde die Ermächtigung zur Handy-Ortung für die Mobilfunküberwachung.

Mit der Neufassung des BKA-Gesetzes, die von der großen Koalition aus SPD und CDU beschlossen wurde und dieses Jahr in Kraft trat, durfte die Behörde erstmals präventiv, d.h. ohne konkreten Tatverdacht, eigene Ermittlungen anstellen. Das BKA erhielt außerdem die Befugnis zur heimlichen Videoüberwachung von Privatwohnungen sowie zum Abhören auch von "Kontaktpersonen", d.h. von Dritten, die lediglich zufällig mit einem Verdächtigen bekannt sind.

Die jetzt geplanten Erweiterungen sollen den Überwachungsstaat noch einmal drastisch ausbauen. Das einzige, was Geheimdienste dann nicht dürfen, ist Bürger zu verhören, festzunehmen und einzusperren, d.h. alles, wovon der Betroffene etwas merkt. Das tut dann bei Bedarf die Polizei, die sich dabei immer mehr auf geheim erlangte Informationen über jedes Detail des Privatlebens stützen kann. Kontrolle und Rechtsmittel gegen die Bespitzelung sind praktisch kaum noch möglich.

Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten sowie die Beschränkung des BKA darauf, die Landespolizeibehörden zu koordinieren, gehen bis auf die Gründung der Bundesrepublik Deutschland zurück. Nach den Erfahrungen mit dem Reichssicherheitshauptamt und der Geheimen Staatspolizei während des Nazi-Regimes sollten in Deutschland keine vergleichbar allmächtigen Behörden mehr geschaffen werden. In der stalinistischen DDR gab es dagegen die Stasi. Nun gibt es systematische Anstrengungen, vergleichbares wieder zu schaffen.

Ein Staat, der nichts mehr zu bieten hat außer der Bereicherung einer kleinen Handvoll Banken, Konzerne und Spekulanten auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit, tritt dieser naturgemäß mit Misstrauen und Feindschaft gegenüber und sieht sie unter dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr. Deshalb kann er auch nie genug über sie wissen und muss sie möglichst heimlich und unkontrolliert überwachen und bespitzeln.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 26.09.2009
Innenministerium plant Geheimpolizei
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2009