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GLEICHHEIT/2748: Klassenjustiz - Gericht gewährt Banker Abfindung von 1,5 Millionen Euro


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Klassenjustiz: Gericht gewährt Banker Abfindung von 1,5 Millionen Euro

Von Stefan Steinberg
23. Oktober 2009


Der deutsche Banker Jens Peter Neumann, der einen Großteil der Verantwortung für die Rekordverluste der Dresdner Bank im Jahr 2008 trägt, hat seinen Berufungsprozess um eine Abfindung in Höhe von 1,5 Millionen Euro gewonnen. Am 15. Oktober hat ein Gericht in Frankfurt am Main der Klage Neumanns, des ehemaligen Investmentchefs der Dresdner Bank, stattgegeben, der 1,5 Millionen Euro gefordert hatte. Neumann hatte bereits einen Bonus von 3 Millionen Euro von seinem ehemaligen Arbeitgeber erhalten, trotz der katastrophalen Ergebnisse der Bank unter seiner Führung.

Als Leiter der Abteilung für Kapitalmarkt-Geschäfte der Dresdner Bank spielte Neumann eine Schlüsselrolle bei den spekulativen Anlagen, die dazu führten, dass die Bank einen operativen Verlust von gigantischen 6,3 Milliarden Euro für das Jahr 2008 melden musste. Ein Großteil dieser Verluste wurde von der Dresdner-Bank-Tochtergesellschaft Dresden Kleinwort verursacht, die auf dem US-Markt für Sub-Prime-Hypotheken enorme Verluste machte.

Im August 2008 wurde die angeschlagene Dresdner Bank dann von der Commerzbank übernommen. Im Hintergrund agierend, ermutigte die deutsche Regierung die Übernahme, da sie dieser Lösung den Vorzug gab gegenüber dem konkurrierenden Übernahmeangebot einer chinesischen Finanzgruppe.

Als sich herausstellte, dass die Commerzbank wegen Spekulationsgeschäften, ähnlich denen der Dresdner Bank, ebenfalls in großen Schwierigkeiten steckte, griff die deutsche Regierung ein und erwarb mit 18 Milliarden Euro Steuergeldern einen 25-prozentigen Anteil an der Commerzbank. Laut Quellen aus dem Finanzsektor geht man davon aus, dass der Zusammenschluss von Dresdner Bank und Commerzbank nicht weniger als 9.000 Angestellten den Arbeitsplatz kostet.

Nach dem Bankrott der Dresdner Bank spielte Investment-Banker Jens Peter Neumann eine führende Rolle bei der Vernichtung von Anlagevermögen in Milliardenhöhe und Tausenden von Arbeitsplätzen. Danach erhielt er 2008 einen Bonus von 3 Millionen Euro für seine Dienste. Das Geld kam aus einem Topf von 400 Millionen Euro, welche die Dachgesellschaft der Dresdner Bank, die Allianz-Gruppe, beiseite gelegt hatte, um ihre Spitzenmanager bei Kleinwort zu belohnen.

Nicht zufrieden mit seinem 3-Millionen-Euro-Bonus reichte klagte Neumann auf eine Abfindung. Nach dem Zusammenschluss von Dresdner und Commerzbank im letzten Januar waren die Abfindungen und Bonus-Zahlungen ausgesetzt worden.

Das führte wiederum dazu, dass Banker in Frankfurt und London mindestens zwölf Klagen vor Gericht einreichten, darunter auch Neumann. Diese Klagen waren zum größten Teil erfolgreich. Mitte Juli forderte ein Gericht in London die Commerzbank auf, 20 Millionen Euro an vier Investment-Banker zu bezahlen. In anderen Fällen schloss die Bank außergerichtliche Einigungen und zahlte ebenfalls Millionen an die Banker.

Jetzt, nach dem letzten Gerichtsurteil in Frankfurt konnte, Neumann auch noch seine Abfindung einstreichen. Neumann selbst erschien nicht vor Gericht. Er lebt zur Zeit im Steuerparadies Zypern; vor Gericht wurde er von seinem Anwalt vertreten.

Man geht davon aus, dass sein Sieg vor Gericht in Frankfurt eine Kette von bis zu 70 weiteren Klagen von anderen Commerzbank/Kleinwort-Bankern auslösen wird, die ebenfalls ihre Forderungen stellen wollen.

Das Urteil zugunsten von Neumann ist ein krasses Beispiel von Klassenjustiz. Das Gericht erklärte, es habe diese Entscheidung getroffen, weil der Bonus und die Abfindung für Neumann vertraglich vereinbart waren, und jede Verletzung eines solchen Vertrags stelle einen "Vertrauensbruch" dar.

Ganz andere Regeln gelten jedoch, wenn es um gewöhnliche Arbeiter geht. Während die Gerichte sich bei den Top-Bankern und Managern genauestens an das Kleingedruckte der Verträge halten, behandeln dieselben Gerichte die Arbeitsverträge der arbeitenden Bevölkerung mit Missachtung und Geringschätzung. Es gab eine Reihe von Fällen in Deutschland, in denen die Arbeiter aus den belanglosesten Gründen fristlos entlassen wurden.

Im August 2008 wurde die Supermarkt-Kassiererin Barbara E., die oft auch "Emmely" genannt wird, fristlos entlassen, weil sie angeblich Flaschenpfand im Wert von 1,30 Euro eingelöst hatte, den ein Kunde liegen gelassen hatte. Emmely hatte mehr als 30 Jahre lang für ihre Firma gearbeitet. Ihre Entlassung wurde sowohl von einem Berliner Arbeitsgericht als auch einem Berufungsgericht aufrechterhalten.

Im September 2008 wurden zwei Angestellte der Bäckereikette Bergkamen fristlos entlassen. Sie wurden von ihrem Arbeitgeber beschuldigt, ihre Brötchen (die sie bezahlt hatten) mit einem Aufstrich aus der Bäckerei bestrichen zu haben. Der Wert dieses Aufstrichs wurde auf 10 Cent geschätzt

Im Juni dieses Jahres wurde ein Arbeiter in Oberhausen auf der Stelle entlassen, weil er sein Handy am Arbeitsplatz aufgeladen hatte. Der geschätzte Wert der Elektrizität, die er verbraucht hat, beträgt 0,014 Cent. Der Arbeiter, Mohammed Sheikh, hatte in der Fabrik Jawa in Oberhausen 14 Jahre lang gearbeitet.

Und diese Woche, sich überschneidend mit dem Gerichtsurteil in Frankfurt, bestätigte ein Arbeitsgericht in Radolfzell, die fristlose Entlassung einer Pflegerin, die beschuldigt wurde, sechs übrig gebliebene Pasteten aus einem Altenheim, in dem sie beschäftigt war, mitgenommen zu haben. Die 58-Jährige war die letzten 17 Jahre bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt.

Im Anschluss an ihre Entlassung sind alle diese Arbeiter nach jahrzehntelanger Arbeit zu einem Leben in Armut verurteilt, abhängig von kümmerlichen Sozialleistungen und mit einer sehr geringen Chance eine neue Arbeit zu finden.

Es wäre falsch, diese Urteilssprechungen einer Reihe deutscher Gerichte im letzten Jahr nur als eine Reihe von isolierten Fällen zu betrachten. Sie sind vielmehr Teil einer geplanten Offensive von Kreisen der Justiz und der Politik, sämtliche Arbeitnehmerrechte, die sich die Arbeiter in Jahrhunderten des Kampfs erobert haben, rückgängig zu machen.

Die gesellschaftlich zerstörerischen, spekulativen Tätigkeiten von Bankern wie Neumann haben entscheidende Unterstützung von den führenden Justizbehörden erhalten, Die bekannte Neue Juristische Wochenschrift veröffentlichte einen fünfseitigen Artikel von Volker Rieble, Professor für Arbeits- und Zivilrecht an der Ludwig Maximilian Universität in München, in dem er das Urteil gegen die Verkäuferin Emmely rechtfertigt.

Genau derselbe Professor hat auch die habgierigen Banker verteidigt, die exzessiv hohe Boni verlangen. Laut den jüngsten Äußerungen von Rieble haben sich die Banker im Verlauf der Finanzkrise zu einem "sozial hoch angesehenen Beruf" entwickelt, und jeder Versuch, das System der Bonuszahlungen zu beeinträchtigen, würde die "Entrechtung eines ganzen Berufsstands" bedeuten.

Gleichermaßen trägt die deutsche Regierung als Haupt-Aktionär der Commerzbank die Verantwortung für die überzogenen Zahlungen an die gescheiterten Banker, die kriminelle spekulative Methoden benutzt haben. Das eisige Schweigen der Mitglieder der regierenden Parteien nach dem Frankfurter Urteil macht absolut klar, dass sie voll und ganz einverstanden sind mit der Entscheidung des Richters.

Es gibt einen weiteren wichtigen Aspekt des Frankfurter Gerichtsurteils vom 15. Oktober. Die Richter haben der Finanzwelt ein klares Signal gesandt: "Von uns habt ihr nichts zu befürchten. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um eure Geschäfte zu unterstützen. Das Finanzkasino ist wieder eröffnet!"

Siehe auch:
Fristlose Kündigung wegen Handy-Aufladens am
Arbeitsplatz (13. August 2009)

Emmely und die Klassenjustiz (18. August 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.10.2009
Klassenjustiz: Gericht gewährt Banker Abfindung von 1,5 Millionen Euro
http://wsws.org/de/2009/okt2009/neum-o23.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009