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GLEICHHEIT/2760: Zukunft Opels wieder offen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Zukunft Opels wieder offen

Von Dietmar Henning
31. Oktober 2009


Die neue Bundesregierung ist noch nicht im Amt, da stehen alle Vereinbarungen zwischen den Gewerkschaften, General Motors (GM) und dem Konsortium aus dem kanadisch-österreichischem Autozulieferer Magna und der russischen Sberbank wieder in Frage. Das Schicksal des belgischen Opel-Werks in Antwerpen scheint besiegelt, den deutschen Werken in Bochum und Eisenach droht die Schließung.

"In der neu zusammengesetzten Bundesregierung wird über die bisherigen Entscheidungen zu Opel und die drohenden Auflagen der EU-Kommission noch einmal nachgedacht", sagte Dirk Pfeil, der als Vertreter der Bundesländer im fünfköpfigen Opel-Treuhandbeirat sitzt, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Der hessische FDP-Schatzmeister Pfeil favorisiert eine Lösung, bei der Opel vollständig im Konzernverbund von General Motors bleibt. Er hatte sich im September bei der Abstimmung im Treuhandbeirat über den Verkauf von Opel an Magna der Stimme enthalten und später die Entscheidung scharf kritisiert. Nun betont er, wenn Opel nicht wie geplant mehrheitlich an den österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna verkauft werde, was staatliche Kredite von 4,5 Milliarden Euro erfordere, könnte der Autobauer beim bisherigen Mutterkonzern GM verbleiben. Der Finanzbedarf der Bundesregierung dafür läge nur bei 2,5 bis 3 Milliarden Euro.

Damit ist die Zukunft der Werke von Opel und Vauxhall in Europa wieder völlig offen.

Ursprünglich sollten die Unterschriften unter den Vertrag zwischen GM und Magna schon in der letzten Woche geleistet werden. Doch der Verwaltungsrat von GM wird den Verkauf auf seiner regulären Sitzung am 3. November nochmals neu besprechen. Das teilte GM-Unterhändler John Smith am Freitag vergangener Woche in seinem Internet-Blog mit.

Der Hintergrund dieser neuerlichen Verzögerung ist eine Anfrage der EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. Sie fordert von GM eine schriftliche Erklärung, dass die Entscheidung für Magna ohne politischen Druck erfolgt sei, speziell ohne Einflussnahme der deutschen Bundesregierung. Es gäbe Hinweise, dass dies der Fall gewesen sei. Kroes gab der Bundesregierung die Möglichkeit zu erklären, dass die Magna in Aussicht gestellten Geldmittel von 4,5 Milliarden Euro auch allen anderen Bewerbern zur Verfügung stehen.

GM und die Opel-Treuhand sollten die Gelegenheit bekommen, "das Ergebnis des Bieterverfahrens zu überdenken". Dies solle auf Grundlage "fester, schriftlicher Zusicherungen der deutschen Behörden geschehen, dass die Hilfe unabhängig von Investor oder Plan verfügbar ist, um die langfristige Überlebensfähigkeit von New Opel zu sichern, sowie unter der Voraussetzung von vernünftigen Finanzierungsbedingungen".

Für den Fall, dass die Staatshilfen nur Magna versprochen worden seien, weil in dessen Konzept alle deutschen Standorte erhalten bleiben, seien diese Absprachen unvereinbar mit den EU-Staatsbeihilferegeln sowie dem gemeinsamen EU-Binnenmarkt. Die Kommission muss die Staatshilfen genehmigen.

Das Eingreifen der EU-Kommission war durch die Proteste der Regierungen aus Spanien, Belgien und Großbritannien gegen die Magna-Pläne ausgelöst worden. Die dortigen Regierungen sahen ihre heimischen Standorte gegenüber deutschen Produktionsstätten benachteiligt.

Inzwischen haben aber Spanien und Großbritannien eingelenkt, weil sie wie die deutsche Regierung einen Deal mit Magna und Sberbank vereinbart haben. So hatten die spanische Regierung und die Regierung der Region Aragón sich bereit erklärt, mit der deutschen Bundesregierung und den Verantwortlichen in den anderen Ländern mit Opel-Werken über eine Finanzierung der staatlichen Hilfen zu verhandeln. Im spanischen Werk in Figueruelas bei Saragossa sollen dafür von den rund 7.500 Arbeitsplätzen "nur" 900 anstatt wie ursprünglich geplant 1.300 Arbeitsplätze abgebaut werden.

Die belgische Regierung lenkte nicht ein, da die Schließung des Werks in Antwerpen mit derzeit knapp über 2.000 Beschäftigten beschlossene Sache zu sein scheint.

Weder GM noch die beteiligten Regierungen können ernsthaft der Forderung der EU-Wettbewerbskommissarin Kroes nachkommen. Von Anfang an war nicht nur in Deutschland klar, dass Staatsgelder nur fließen, wenn Arbeitsplätze in den eigenen Ländern erhalten bleiben. Weil das Konzept Magnas im Gegensatz zu den anderen Bewerbern zumindest den kurzfristigen Erhalt aller deutschen Werke in Aussicht gestellt hatte, hatte sich die deutsche Regierung unterstützt von der IG Metall mit den größten in Aussicht gestellten Staatsgeldern für Magna durchgesetzt. Die Gewerkschaften und Regierungen der anderen Länder bevorzugten das Konzept des Mitbewerbers RHJ International, einem Finanzinvestor mit Verbindungen zu den USA.

Der deutsche Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer sagte der Frankfurter Rundschau, GM könne unmöglich das von der EU geforderte Papier unterschreiben. Denn ansonsten "würde sofort Fiat-Chef Sergio Marchionne vor der Tür stehen und dagegen klagen". Marchionne hatte sich im Frühjahr massiv um die Übernahme von Opel bemüht, war aber von der deutschen Regierung wegen seiner geplanten Schließung von Werken in Deutschland aus dem Bieterverfahren gedrängt worden.

Der Spiegel berichtete am Wochenende, dass sich im GM-Verwaltungsrat die Stimmen derer mehren, die gegen einen Verkauf von Opel sind. Laut dem deutschen Nachrichtenmagazin wird wegen der Forderungen aus Brüssel in Detroit nun wieder intensiver über einen so genannten "Plan B" diskutiert, nach dem Opel doch im GM-Konzernverbund verbleiben würde. Der Sanierungsplan GMs sähe die Schließung der Werke in Bochum mit fast 5.000 Arbeitern und des Werks in Eisenach mit rund 1.800 Arbeitern vor.

Der Betriebsrat des Opel-Werks in Bochum hat diese Pläne sofort dementiert. Das vermeintliche Geheimpapier oder "Plan B" sei der Öffentlichkeit und der Belegschaft seit Anfang 2009 bekannt, teilte er am Montag mit. Der Bundesregierung sei er als "Viability Plan 1" (zu Deutsch etwa: "Überlebensplan 1") im März vorgelegt worden. Inzwischen sei aber ein "Viability Plan 2" erarbeitet worden. Darin sei von den Schließungen keine Rede mehr. Der Bochumer Betriebsrats-Vorsitzende Rainer Einenkel bezeichnete die angeblichen Schließungspläne als "Panikmache". Er und die IG Metall würden die Schließung des heimischen Werkes "niemals akzeptieren".

Das ist gelogen und soll nur die Bochumer Belegschaft von Protesten abhalten. Bislang haben der Bochumer Betriebsrat und die IG Metall allen Kürzungen zugestimmt und dies seit Jahren als "Verteidigung des Standorts" ausgegeben. Noch vor fünf Jahren, beim Streik der Bochumer Opel-Arbeiter gegen eine drohende Schließung des Werks im Oktober 2004, streikten 10.000 Beschäftigte. Der Betriebsrat würgte den Streik ab und schloss einen "Zukunftsvertrag" ab, der bis heute die Halbierung der Belegschaft zur Folge hatte. Jetzt hat der Betriebsrat dem Abbau von weiteren 2.000 Arbeitsplätzen zugestimmt.

Dann würden von den einst mehr als 20.000 Beschäftigten aufgrund der "Zukunftsverträge zur Sicherung des Standorts" noch knapp 3.000 übrig geblieben sein. Im Endeffekt ist das die Schließung des Bochumer Werks auf Raten. Schließlich sind Zusagen für die in Bochum produzierten Opel-Modelle Astra und Zafira vage.

So lief am Wochenanfang im Opel-Montagewerk Awtotor in der Stadt Kaliningrad der erste Astra vom Band. "Geplant ist, 25.000 Wagen des Astra und 6.000 des Modells Zafira jährlich zu bauen", sagte Awtotor-Chef Waleri Gorbunow. Die Produktion soll weiter ausgeweitet werden. GM will bis 2011 rund 50 Millionen Euro in das Projekt stecken.

Im Falle der Übernahme von Opel durch Magna soll dann der russische Autohersteller GAZ in St. Petersburg neue Astras bauen. Was dann mit dem Werk in Bochum geschieht, ist klar: Es wird geschlossen.

Insgesamt sollen nach dem Magna-Plan von den rund 50.000 Arbeitsplätzen in Europa 11.000 abgebaut werden, davon 4.500 in Deutschland. Die europäischen Betriebsräte haben dem genauso wie drastischen Lohnkürzungen schon zugestimmt. Europaweit sollen jedes Jahr 265 Millionen Euro an Personalkosten bei den verbleibenden Beschäftigten eingespart werden, 176,8 Millionen Euro davon in Deutschland. Die Betriebsräte fordern von den Beschäftigten die Streichung der für 2009 vereinbarten Tariferhöhung von 4,2 Prozent, die Kürzung des Weihnachtsgeldes auf knapp ein Fünftel eines Monatslohns ab 2009, die Halbierung des Urlaubsgeldes ab 2010 sowie die Einbehaltung der Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung zunächst für die nächsten zwei Jahre.

In allen deutschen Werken haben die Betriebsräte diesen Kürzungen schon vor längerer Zeit zugestimmt. Weil der Bochumer Betriebsratsvorsitzende Einenkel jedoch den Unmut darüber in seiner Belegschaft kennt, will er diese Kürzungen noch der Belegschaft zur Abstimmung vorlegen und die drohende Stilllegung als Druckmittel benutzen, um sie durchzusetzen. Dies war in der Vergangenheit schon der Mechanismus, mit der die Bochumer Belegschaft, die eine lange Geschichte militanter gewerkschaftlicher Kämpfe vorzuweisen hat, bezwungen worden ist.

Auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel in Europa, Klaus Franz, der von Beginn an die treibende Kraft hinter der Opel-Übernahme durch das Magna-Sberbank-Konsortium war, wischte die Überlegungen beiseite, dass Opel doch nicht verkauft werde und daher mehrere Werke in Europa von der Schließung bedroht sind.

"Der Verkauf wackelt nicht", sagte Franz. "Wir als Arbeitnehmer werden keinen Beitrag leisten, wenn wir unter dem GM-Dach bleiben", fügte er hinzu. Dann hätte GM keinen Zugang zu Krediten oder Bürgschaften.

Auch das ist gelogen. Die Betriebsräte werden allem zustimmen. Sie stehen auf der anderen Seite der Barrikade, auf der Seite Opels und der Bundesregierung. Diese hatte die Staatshilfe für Opel im Sommer dieses Jahres allein wegen der bevorstehenden Bundestagswahl befürwortet. Sie wollte unbedingt offene Proteste und womöglich gar einen Arbeitskampf im Vorfeld der Wahlen vermeiden. Nun, nach der Bundestagswahl, wird sie den Vorstoß der EU-Kommissarin Kroes dankend aufgreifen und ihre Zusagen - dann "gezwungenermaßen" - zurückziehen.

Siehe auch:
Hauen und Stechen zwischen den Opel-Standorten
(8. Oktober 2009)

Opel-Arbeiter demonstrieren in Antwerpen für Erhalt des
Werks (24. September 2009)

IG Metall setzt Lohnkürzung bei Opel in Bochum durch
(30. April 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 31.10.2009
Zukunft Opels wieder offen
http://wsws.org/de/2009/okt2009/opel-o31.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2009