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GLEICHHEIT/2878: Europäische Banker fordern beispiellose Kürzungen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europäische Banker fordern beispiellose Kürzungen

Von Stefan Steinberg
20. Januar 2010
aus dem Englischen (19. Januar 2010)


Europäische Banker verlangen von EU-Mitgliedern, die am Rande des Staatsbankrotts stehen, brutale Kürzungsmaßnahmen auf Kosten ihrer Bevölkerung.

Als Reaktion auf die internationale Finanzkrise vom September 2008 haben kapitalistische Regierungen in aller Welt die Schulden ihrer jeweiligen Bankeliten übernommen. Infolge spekulativer Risikobereitschaft und offenen Betrugs waren diese Schulden von monumentalem Ausmaß.

Im Allgemeinen galt die Devise, die großen Banken seien "zu groß zum Scheitern". Das Ergebnis dieser Plünderung der Staatskassen ist auf der einen Seite ein Aufschwung der Börsenwerte, massive Profitsteigerung der Großbanken und aufgeblähte Boni für die Banker. Auf der andern Seite bringt es rücksichtslose Angriffe auf die Arbeitsplätze, Löhne und den Lebensstandard der Arbeiterklasse mit sich.

Ein Artikel in der britischen Financial Times kommentierte die gestiegene Staatsverschuldung aufgrund staatlicher Rettungsprogramme für die Banken so: "Noch nie in Friedenszeiten sind die Staatsschulden in solcher Geschwindigkeit und einem solchen Ausmaß gestiegen... Die gesellschaftliche Toleranz für die Schuldenhöhe und für eine schmerzhafte Haushaltskonsolidierung ... sind schwer einzuschätzen. In mehreren EU-Mitgliedsstaaten ist die Schwelle schon überschritten. Das Gespenst des Staatsbankrotts ist deshalb in die reiche Welt zurückgekehrt."

Im Falle schwächerer Volkswirtschaften mit hoher Verschuldung sind europäische Banker und Politiker eindeutig gegen eine Rettungsaktion. Stattdessen wird von diesen Ländern erwartet, dass sie "schmerzhafte Maßnahmen" ergreifen, die die "gesellschaftliche Toleranz" bis zum Zerreißen auf die Probe stellen.

In der vergangenen Woche erklärte Jean-Claude Trichet, Chef der Europäischen Zentralbank, die notleidende griechische Wirtschaft könne in ihrem Kampf gegen die erdrückende Verschuldung "keine Sonderbehandlung" erwarten. Darauf drohte Trichet hochverschuldeten Ländern der Eurozone mit "schnellen Veränderungen der Stimmung an den Märkten". Damit meinte er eine Herabstufung ihrer Bonität und daraus folgende höhere Zinsen für die Kreditaufnahme an den Kapitalmärkten.

Deutschland, Europas größte Wirtschaftsmacht, unterstützt die kompromisslose Haltung der EZB gegenüber Griechenland. Deutschland war die treibende Kraft, als die EU die Drei-Prozent-Marke für Neuverschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, als Bedingung für Mitgliedschaft in der Eurozone festlegte.

Trichets Äußerungen wurden einige Tage später vom Sprecher der Eurozone, Jean-Claude Juncker, in einem Brief an die europäischen Finanzminister ergänzt: "Die Europäische Kommission sollte nicht zögern..., die Mitgliedsstaaten zu verwarnen, die Kriterien und Verpflichtungen nicht respektieren."

Griechenland liefert sich gegenwärtig ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Irland um das höchste Haushaltsdefizit der Eurozone - ungefähr 12,5 Prozent des BIP, d.h. ungefähr viermal so viel, wie den Mitgliedern der Eurozone nach den Maastricht-Kriterien erlaubt ist. In der Vergangenheit haben sich griechische Wirtschaftsdaten immer wieder als höchst unzuverlässig erwiesen. Einige Quellen kalkulieren die Verschuldung des Landes für 2009 eher mit 14,5 Prozent. Spanien liegt auf dem dritten Platz und steuert auf eine Neuverschuldung von 11,2 Prozent zu, gefolgt von Frankreich mit 8,3 Prozent und Portugal mit 8,0 Prozent.

Der "schwerste Fall" in Europa ist Island, das alle oben genannten Verschuldungsgrenzen noch weit überschreitet. Island ist kein Mitglied der EU und der Eurozone, aber seine Wirtschaft fungierte praktisch als riesiger Hedge Fond im Dienste der Finanzmärkte des Europäischen Wirtschaftsraums. Nachdem die isländische Blase im vergangenen Jahr geplatzt ist, verlangen jetzt zwei Gläubiger, Großbritannien und die Niederlande, die Rückzahlung von fast vier Milliarden Euro ihrer verlorenen Investitionen. Diese Summe entspricht 50 Prozent des aktuellen BIP der kleinen isländischen Wirtschaft.

In Griechenland hat die sozialdemokratische PASOK-Regierung einen Plan bekannt gegeben, wie sie das Defizit des Landes bis Ende 2012 wieder auf das von der EU erlaubte Niveau, d.h. auf drei Prozent des BIP, zurückfahren will. Der Plan beinhaltet starke Kürzungen beim Gesundheitssystem und eine Revision des Steuersystems des Landes. Dazu gehört auch eine Erhöhung der Steuern auf Tabak und Alkohol. So sehen die "schmerzhaften" Maßnahmen aus, die Ministerpräsident George Papandreou kurz nach seiner Amtsübernahme ankündigte. Sie werden schwerwiegende Folgen für den Lebensstandard der griechischen Bürger haben.

Finanzminister George Papaconstantinou erläuterte auf einer Pressekonferenz am 14. Januar das Programm der Regierung: "Wir werden tun, was für die Erreichung unserer Ziele notwendig ist", sagte er. Nach negativen Reaktionen der EZB und der Finanzmärkte auf die griechischen Vorschläge Ende der letzten Woche erklärte Papaconstantinou, er sei bereit, "einen Nachtragshaushalt einzubringen und nötigenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen".

Aber selbst diese Unterwürfigkeit unter die Diktate der Europäischen Kommission und der internationalen Banken reicht offenbar nicht aus. Europäische Banker und führende Politiker verlangen von verschuldeten Staaten noch viel weiter gehende Maßnahmen, selbst wenn sie die soziale Stabilität der betroffenen Länder untergraben. Ob Regierungen Finanzhilfen von internationalen und europäischen Banken erhalten, wird von ihrer Bereitschaft abhängig gemacht, beispiellose Kürzungsmaßnahmen durchzusetzen und mit den politischen Konsequenzen fertig zu werden.

Die gleichen Kriterien gelten im Prinzip für alle westlichen Regierungen, nicht nur für die mit den höchsten Schulden.

Das machte ein Artikel in der Financial Times unter der Überschrift "Finanzierung und der Patriotismus-Test" klar. Darin schreibt Financial Times -Kolumnistin Gillian Tett, die wirkliche Herausforderung für die Staaten bestehe darin, die Haushaltskürzungen durchzusetzen, die von den Banken verlangt werden, und "sogar den Sozialkontrakt neu zu definieren", ohne eine Revolution zu provozieren.

Sie erklärt: "In den kommenden Jahren wird nicht nur die schiere Höhe der Schulden wichtig sein, sondern die Frage, ob es den Regierungen gelingt, einen rationalen und effektiven Weg zu finden, sie wieder abzubauen, ohne (im besten Fall) politische Instabilität oder (im schlimmsten Fall) eine regelrechte Revolution zu entfesseln."

Tett geht auf die isländischen Wähler ein, die die Pläne der Regierung, ihre Schulden auf Kosten der Steuerzahler zurückzuzahlen, durchkreuzt hätten, und spekuliert, ob die britische Regierung wohl die Nerven habe, in einem Wahljahr weitgehende Ausgabenkürzungen zu beschließen. Sie warnt: "Sozialer Zusammenhalt und Patriotismus könnten in Großbritannien bröckeln"; und das bedeute: "Die Antwort ist schlicht nicht bekannt." Dann kommt sie zum Schluss: "Aber die zentrale Frage lautet: Wenn die vergangenen beiden Jahre ein entscheidender Test für die globalen Finanzmärkte waren, dann werden die nächsten beiden ein ebenso entscheidender Test für die westlichen Regierungssysteme werden."

Die von Trichet, Juncker & Co. geforderten sozialen Angriffe werden die Klassenspannungen unvermeidlich verschärfen und auf dem ganzen Kontinent zu extremer politischer Instabilität führen. Wie die angeführten Zitate zeigen, werden sie mit einer Verschärfung der Angriffe auf demokratische Rechte und wachsender staatlicher Repression verbunden sein.

Gleichzeitig wird dies die zentrifugalen Kräfte verstärken, die die Europäische Union auseinanderzureißen drohen. Wenn ein Land die von den Banken geforderten Haushaltskürzungen nicht schafft und zahlungsunfähig wird, dann wird das eine Kettenreaktion bei anderen notleidenden Volkswirtschaften auslösen und den Euro gefährden.

Die europäische Arbeiterklasse tritt in eine neue Periode revolutionärer Kämpfe ein. Sie muss dem Klassenkriegsprogramm der Banken ihr eigenes Programm entgegensetzen, das sich auf die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa stützt.

Siehe auch:
Europa in der Krise
(12. Januar 2010)

Nationale Gegensätze wachsen in Europa
(24. November 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.01.2010
Europäische Banker fordern beispiellose Kürzungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2010