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GLEICHHEIT/3205: Französische Nationalversammlung stimmt für Burka Verbot


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Französische Nationalversammlung stimmt für Burka Verbot

Von Alex Lantier
11. August 2010


Im vergangenen Monat stimmte die französische Nationalversammlung mit 335 zu 1 dafür, Ganzkörperschleier an allen öffentlichen Orten in Frankreich zu verbieten. Das ist ein reaktionärer Angriff auf demokratische Rechte und ein bewusster Schritt weg von der Rechtsstaatlichkeit. Der Angriff auf Religionsfreiheit ist Teil einer umfassenderen Law and Order Kampagne, die der Vorbereitung polizeistaatlicher Maßnahmen gegen die Bevölkerung dient.

Das Gesetz zum Verbot der Burka wird vom gesamten politischen Establishment unterstützt. Das zeugt vom Verfall des demokratischen Bewusstseins in Frankreich und der Komplizenschaft der so genannten "linken" Parteien. Das Verbot muss im September noch im Senat diskutiert werden, aber es wird allgemein erwartet, dass es durchkommt.

Ab dem Frühjahr 2011 droht Frauen, die in Frankreich eine Burka oder einen Niqab tragen, eine Geldbuße von einhundertfünfzig Euro. Außerdem werden sie gezwungen, Unterricht in Staatsbürgerkunde zu nehmen. Dies alles findet unter dem scheinheiligen Deckmantel statt, Burka tragende Frauen vor dem Druck ihrer Verwandten zu schützen, denen drakonische Strafen angedroht werden. Wer für schuldig befunden wird, eine Frau zum Tragen eines Niqab gezwungen zu haben, kann mit einer Geldstrafe von bis zu 30.000 Euro und einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Auf Anregung der oppositionellen Sozialistischen Partei (PS) ist das Strafmaß zu verdoppeln, wenn die Frau minderjährig ist.

Am 23. Juni, einige Wochen vor der Abstimmung in der Nationalversammlung, verabschiedeten europäische Parlamentarier aus 47 Ländern im Europarat einstimmig eine Resolution, die Burka Verbote als antidemokratisch und diskriminierend verurteilte. Die Resolution wurde mit Stimmen der PS und der UMP (Union pour un Mouvement Populaire), Frankreichs regierender konservativer Partei, angenommen.

Der Europarat erklärt in seiner Resolution, dass er es "bedauert, dass immer mehr politische Parteien in Europa Angst vor dem Islam schüren, indem sie eine grob vereinfachende Sichtweise und negative Klischees über die europäischen Muslime verbreiten und den Islam mit Extremismus gleichsetzen. Anstiftung zu Intoleranz und sogar Hass auf Muslime dürfen nicht geduldet werden."

Die Resolution verweist unmissverständlich auf Burka Verbote, wie sie vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy forciert werden: "Artikel 9 der Europäischen Konvention der Menschenrechte gibt jedem Einzelnen das Recht, religiöse Bekleidung zu tragen oder nicht, im Privatbereich oder in der Öffentlichkeit... Ein breites Verbot des Tragens der Burka und des Niqab würde Frauen, die aus freien Stücken ihr Gesicht verhüllen wollen, dieses Recht verweigern."

Trotz dieser Resolution stimmten die UMP Abgeordneten in der Nationalversammlung mit überwältigender Mehrheit für das Burka Verbot und die PS Abgeordneten versäumten es, dagegen zu stimmen. Die französische Presse berichtete nur spärlich über die Abstimmung des Europarates - ein feiger Akt von Selbstzensur der Medien.

Die 335 zu 1 Abstimmung in der 577-köpfigen Nationalversammlung zeichnete sich in erster Linie durch das Fehlen der Mehrheit der "linken" Abgeordneten - das heißt von der PS und der Kommunistischen Partei (KPF) - aus, die nicht zur Abstimmung erschienen. Die UMP stellt den größten Teil der Stimmen für das Verbot, obwohl auch eine Minderheit der PS und KPF Abgeordneten dafür stimmten. Darunter war auch André Gérin von der KPF, der eine führende Rolle bei der Vorbereitung des Verbots spielte und der anti-Burka Kommission vorstand, die letztes Jahr von Sarkozy eingerichtet worden war.

Die einzige Gegenstimme kam vom UMP Abgeordneten Daniel Garrigue, einem politischen Mitarbeiter von Ex-Premierminister Dominique de Villepin, Sarkozys Hauptrivalen auf der französischen Rechten. Garrigue kommentierte: "Um extremistische Verhaltensweisen zu bekämpfen, laufen wir Gefahr in Richtung einer totalitären Gesellschaft abzugleiten".

Villepins Einwände sind jedoch rein parteipolitischer Natur. Er und sein politischer Mentor, Ex-Präsident Jacques Chirac, sind nicht grundsätzlich gegen anti-muslimische Politik. Während Villepin in der Regierung war, verabschiedete Chirac 2004 das Verbot von muslimischen Kopftüchern an öffentlichen Schulen. Diese Maßnahme zielte zum Teil darauf ab, rechte Stimmungen unter den Lehrern zu schüren, die gerade einen erbitterten Streik gegen Rentenkürzungen verloren hatten.

Die Tatsache, dass die einzige Nein-Stimme bei der Burka Abstimmung aus der UMP kam, zeugt von der Unterstützung der bürgerlichen "Linken" für das Verbot. Darüber täuscht auch nicht ihr zynischer Versuch hinweg, sich der politischen Verantwortung für diese Maßnahme zu entziehen.

Die PS rechtfertigt ihre Nicht-Teilnahme an der Abstimmung nicht damit, dass sie gegen ein Burka Verbot sei, sondern mit dem Hinweis auf Befürchtungen, Sarkozys Verbot könne verfassungswidrig sein. Im Vorfeld der Abstimmung schlug die PS vor, das Verbot auf staatliche Einrichtungen zu beschränken, anstatt es für die gesamte Öffentlichkeit einzuführen. Der PS-Vorschlag umfasste z.B. den öffentlichen Nahverkehr, Krankenhäuser, Schulen und öffentliche Gebäude. Das würde praktisch, wenn auch nicht formal, darauf hinauslaufen, jeder Frau das Tragen der Burka nur in der Abgeschiedenheit der eigenen Wohnung zu erlauben.

Das Burka-Verbot führte zu Protesten in der muslimischen Welt. Die Khaleej Times in den Vereinigten Arabischen Emiraten brachte am 14. Juli einen Leitartikel mit dem Titel "Die verhüllte Drohung in Europa". Er fragte: "Was ist los auf dem Kontinent, der der Welt die Magna Charta, die erste Menschenrechtscharta der Welt, und die Demokratie brachte? Es ist noch nicht lange her, da wurden Europa und das brillante EU-Experiment als Speerspitze des Fortschritts angesehen. All das scheint jetzt der Vergangenheit anzugehören".

Er warnte vor der Verfolgung von Moslems, deren Zahl in Frankreich über fünf Millionen liegt, und erklärte: "Wir dürfen nicht vergessen, dass Europa vor gar nicht langer Zeit Zeuge einer ähnliche Kampagne gegen die Juden war, die letzten Endes dazu geführt hat, dass die Nazis Tausende von ihnen in den Tod schickten. Die europäischen Regierungen, die Gesetzgeber und die Medien müssen deshalb darauf achten, dass sie nicht erneut ein Monster entfesseln, das sie hinterher nicht mehr bändigen können".

Das französische Vorgehen ist Teil einer reaktionären Kampagne in mehreren europäischen Ländern, mit der die Burka verboten werden soll. Im April beschloss Belgiens Unterhaus ein vollständiges landesweites Burka-Verbot, verbunden mit der Androhung einer Geldstrafe in Höhe von fünfundzwanzig Euro und sieben Tagen Gefängnis. Ähnliche Verbote sind in Spanien, Italien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz vorgeschlagen worden. Barcelona, die zweitgrößte Stadt Spaniens, hat islamische Schleier bereits auf städtischen Ämtern, öffentlichen Plätzen und in Bibliotheken verboten. In bestimmten Regionen Deutschlands ist Lehrerinnen an öffentlichen Schulen das Tragen von Kopftüchern verboten.

Diese Verbote versuchen die Arbeiterklasse zu spalten, fördern anti-muslimischen Rassismus und sollen dem Widerstand der Bevölkerung gegen den verhassten Afghanistan-Krieg entgegenwirken.

Wie im Fall von Frankreichs Kopftuchgesetz von 2004 wurde das Burka Verbot vorgeschlagen, um die Arbeiterklasse zu spalten und das politische Klima nach rechts zu drücken. Sarkozy hat das Verbot im Juni 2009 nach einer Reihe von "Aktionstagen" der Gewerkschaft vorgeschlagen, mit denen die Arbeiter ihre Feindschaft gegen ein 360 Milliarden Euro schweres Bankenrettungsprogramm demonstrierten. Diese Aktionstage kamen allerdings bald zum Erliegen, weil sie auf der bankrotten Perspektive eines modifizierten Rettungspaket organisiert worden waren, das von der Vorsitzenden der PS, Martine Aubry, vorgeschlagen worden war.

Die jüngsten Schritte gegen die Burka sind ebenfalls ein politisches Ablenkungsmanöver, aber unter explosiveren politischen Bedingungen, wie sie durch die griechische Schuldenkrise entstanden sind. Sarkozys Position war schon durch die Niederlage der UMP bei den Landtagswahlen im März sehr geschwächt. Jetzt wird sie endgültig durch die Enthüllungen erschüttert, dass seine Partei Spenden von der Milliardärin Liliane Bettencourt angenommen hat und ihr gleichzeitig half, Steuern zu hinterziehen. Gleichzeitig versucht Sarkozy vor allem durch massive Rentenkürzungen etwa hundert Milliarden Euro an Haushaltskürzungen gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen, um die Banken zufrieden zu stellen.

Nach den Landtagswahlen benutzte Sarkozy die Burka Frage, um das politische Klima weiter zu vergiften. Innenminister Brice Hortefeux veranstaltete eine Hexenjagd auf Lies Hebbadj, den Partner einer Niqab tragenden Frau, die von der Polizei angehalten wurde, als sie beim Autofahren einen Niqab trug. Er wirft ihm Sozialhilfebetrug vor und droht ihm mit dem Entzug der französischen Staatsbürgerschaft. Diese Anstiftung zu anti-muslimischem Rassismus hat zu mehreren Vorfällen geführt, bei denen von Unbekannten auf muslimische Lebensmittelgeschäfte und Moscheen geschossen wurde.

Die Regierung Sarkozy hat ihre repressiven Maßnahmen im Laufe des Sommers gesteigert. Unruhen, die durch die Erschießung eines jungen muslimischen Mannes in Grenoble durch die Polizei und eines Roma in Saint-Aignan provoziert wurden, wurden von der Regierung als Vorwand benutzt, um Gesetze vorzubereiten, die Massendeportationen von Roma ermöglichen. Die Unruhen wurden von der Polizei unter Einsatz scharfer Munition unterdrückt.

Dass Sarkozy das politische Klima bei Bedarf mit anti-islamischer Law and Order Demagogie vergiftet, wird inzwischen auch von der bürgerlichen Presse anerkannt. Seine Anti-Einwanderer- und Law and Order-Rhetorik inmitten des Bettencourt Skandals kommentierte Le Monde: "Die Taktik ist nun bis zur Perfektion gesteigert: jedes Mal, wenn Nicolas Sarkozy in Schwierigkeiten kommt, baut er sein Image als Verfechter von Law and Order aus, meist auf polemische Art und Weise."

Das Burka Verbot ist auch Teil einer schmutzigen Kampagne, mit der der Afghanistan-Besetzung ein "linker" Deckmantel verschafft werden soll. Sie soll als Teil eines feministischen Kampfes für die Rechte der Frauen dargestellt werden.

Dies wurde ausdrücklich als einer der Gründe für das Burka Verbot angeführt, als es letztes Jahr zum ersten Mal vorgeschlagen wurde. Damals sagte der UMP Abgeordnete Pierre Lellouche, Frankreichs Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan, "Wenn ich täglich für die Rechte der Frauen in Afghanistan kämpfe, werden Sie verstehen, dass ich mir wünschte, dass alle Frauen in Frankreich über ihren Körper und ihre Person bestimmen dürfen sollten."

Umfragen im letzten Monat haben ergeben, dass siebzig Prozent der französischen Bevölkerung gegen den Afghanistan-Krieg sind. Die Reaktion auf Seiten der Presse bestand darin, eine neo-koloniale Stimmung zu schüren. In einem Editorial vom 20. Juli schrieb Le Monde, "Unser Ziel ist, einen Staat aufzubauen, wenn nicht sogar eine Nation... Manche mögen das die jüngste Verkörperung einer schmutzigen westlichen Gewohnheit nennen: Neokolonialismus. Egal, wie man es nennt, es zeigt das Ausmaß der vor uns liegenden Aufgabe".

Eine unverhüllte Propagierung von Neo-Kolonialismus als Rechtfertigung für den Krieg würde auf den überwältigenden Widerstand der Bevölkerung treffen, also mussten Wege gefunden werden, um einen trügerischen, "links" klingenden Vorwand zu schaffen. Durchgesickerte Dokumente zeigen, dass die herrschende Klasse die Initiative für ein Burka Verbot als entscheidend für die Aufrechterhaltung der europäischen Kriegsbeteiligung betrachtet.

Am 11. März veröffentlichte WikiLeaks einen Bericht unter dem Titel "Aufrechterhaltung der westeuropäischen Unterstützung für die Nato-Mission - warum es möglicherweise nicht reicht, sich auf die Apathie zu verlassen". Darin stellte die CIA fest, dass "öffentliche Apathie Staats- und Regierungschefs in die Lage versetzt, die Wähler zu ignorieren". Dennoch zeigt er sich besorgt, dass letzten Endes die Opposition gegen den Krieg die Oberhand über öffentliche Apathie gewinnen könnte. Dabei ist die Apathie selbst das Produkt davon, dass es keinen politischen Weg gibt, auf dem die Leute ihre Feindschaft gegen den Krieg zum Ausdruck bringen können.

Der Bericht betont insbesondere die geringe Unterstützung für den Krieg bei den Frauen: "Französische Frauen unterstützen ihn um acht Prozentpunkte weniger als die Männer, und deutsche Frauen unterstützen ihn um zweiundzwanzig Prozentpunkte weniger als die Männer." Die CIA folgerte, dass die Erfahrungen von Frauen "unter den Taliban, ihre Erwartungen an die Zukunft und ihre Angst vor einem Sieg der Taliban" unterstrichen werden müssen.

Die Anti-Burka Kampagne, die den Staat als aufgeklärten Verteidiger der Rechte der Frauen gegen Teile der muslimischen Bevölkerung darstellt, ist auf ähnliche politische Ziele zurückzuführen. Alle Parteien, die an dieser Kampagne teilgenommen haben, sind Agenten der politischen Reaktion und des imperialistischen Krieg.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.08.2010
Französische Nationalversammlung stimmt für Burka Verbot
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2010