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GLEICHHEIT/3269: Betrug, Gewalt, Wahlenthaltung - Wahldebakel in Afghanistan


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Betrug, Gewalt, Wahlenthaltung: Wahldebakel in Afghanistan

Von Patrick Martin
21. September 2010


Die Wahl des afghanischen Parlaments am Samstag war ein einziges Debakel. Sie war von Betrug und Gewalt geprägt und wurde von der afghanischen Bevölkerung weitgehend boykottiert. Beamte der Marionettenregierung Hamid Karzais behaupten, 3,6 Millionen Wähler hätten ihre Stimme abgegeben. Das sind wesentlich weniger, als bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr, als angeblich sechs Millionen Stimmen abgegeben wurden. Die Wahl damals war gefälscht worden, um die Wiederwahl Karzais zu gewährleisten.

Die 3,6 Millionen Stimmen machen gerade einmal 31 Prozent der 11,4 Millionen registrierten Wähler aus, aber die Karzai-Regierung versucht die Beteiligung auf 40 Prozent schön zu rechnen, indem sie argumentiert, dass die 2,2 Millionen Wahlberechtigten in Gebieten, in denen die Wahl aus Sicherheitsgründen nicht durchgeführt werden konnte, von der Gesamtzahl der Wahlberechtigten abgezogen werden müssten.

Die Unabhängige Wahlkommission (IEC) hatte bisher erklärt, dass seit 2003 16,7 Millionen Wähler registriert worden seien, was die Wahlbeteiligung auf 21 Prozent drücken würde. Aber welche Zahl auch zutreffend ist, es steht außer Frage, dass die Beteiligung gering war, mit Ausnahme einiger Stadtteile der Hauptstadt Kabul, die unter der strikten Kontrolle amerikanischer und Nato-Truppen stehen.

Der afghanische Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak räumte ein, dass der Einfluss der Taliban zunimmt. Er gab gegenüber der Presse als Grund für die geringe Wahlbeteiligung an: "Eine Möglichkeit ist, dass die Propaganda des Feindes die Stimmung der Bevölkerung beeinflusst hat."

Die afghanische Stiftung Freie und Faire Wahlen erklärte am Samstag, sie habe "ernste Zweifel an der Qualität der Wahlen". Die Gruppe mobilisierte 7.000 Wahlbeobachter und war damit die größte afghanische Organisation dieser Art. Internationale Beobachter hatten letztes Jahr eine wichtige Rolle bei der Entlarvung der systematischen Wahlfälschungen bei der Präsidentschaftswahl gespielt. Sie kümmerten sich aus Sicherheitsgründen und wegen der offensichtlichen Ablehnung dieser Kontrollen durch die Karzai-Regierung kaum um die diesjährige Wahl.

In einer Erklärung der Stiftung hieß es: "Gewalt von Kandidaten, ihren Helfern und lokalen Machthabern wurde aus mehreren Regionen berichtet und ebenfalls eine bedenkliche Anzahl von Einmischungen von Regierungsvertretern in den Wahlprozess, um ihre bevorzugten Kandidaten zu begünstigen" Weiter hieß es:"In den meisten Provinzen hat es in unterschiedlichem Ausmaß illegale Stimmabgaben, stellvertretende Stimmabgaben und die Abgabe von Stimmen durch Minderjährige gegeben."

Der Stiftung zufolge öffneten hauptsächlich im Süden und Osten 1.053 Wahllokale aus Sicherheitsgründen gar nicht. Weitere 1.584 öffneten verspätet und in vielen Gebieten, darunter ganzen Provinzen, gab es keine weiblichen Wahlhelfer, so dass Frauen nicht abstimmen konnten.

Nach Einzelberichten in der Presse gab es zahlreiche Wahllokale, in denen Wahlbeobachter und Kandidaten gegenüber den tatsächlichen Wählern bei weitem in der Überzahl waren.

Anti-Betrugsmaßnahmen, wie nicht abwaschbare Tinte, in die die Wähler ihre Finger tauchen mussten, funktionierten nicht. Die Tinte ging leicht ab und viele Menschen konnten mehrfach wählen. In der Provinz Wardak berichtete ein Journalist über Faustkämpfe zwischen Polizisten und Wahlhelfern, die jeweils versuchten, die Wahlurne mit Wahlzetteln für ihren bevorzugten Kandidaten vollzustopfen.

Die New York Times berichtete: "In einem Wahllokal in der Ghazi Khan High School in Kundus beobachteten Journalisten und Wahlbeobachter wie IEC Beamte und Anhänger einiger Kandidaten die Türen zwei Stunden lang verschlossen, und Stimmzettel selbst ausfüllten."

Aber die ganze Wahl war neben der unmittelbaren Manipulation der Stimmzettel in einem noch grundlegenderen Sinn ein Betrug. Die Abstimmung konnte schon deswegen kein freier Ausdruck des Willens der afghanischen Bevölkerung sein, weil sie unter den vorgehaltenen Waffen der Besatzungsarmee von USA und Nato und ihren afghanischen Marionetten stattfand.

Außerdem wird das gewählte Parlament unter der Fuchtel der Besatzungsmacht und des Marionettenregimes von Karzai stehen und keine Möglichkeit haben, sich ihnen zu widersetzen. Obwohl es 2.500 Kandidaten für die 249 Sitze gab, gab es keine organisierten Parteien. Fast jeder Kandidat kandidierte als Unabhängiger. Es gab lediglich lockere Allianzen von Kandidaten, die von bestimmten Warlords in den Provinzen oder von hohen staatlichen Vertretern wie Karzai und Wardak unterstützt wurden.

Das neue Parlament wird noch stärker als sein Vorgänger offiziellen Manipulationen ausgesetzt sein. Zu den Entscheidungen, die, vielleicht nach einigen Stimmenkäufen, abgenickt werden, gehören wahrscheinlich die Aufhebung der Beschränkung von Amtszeiten, damit Karzai erneut als Präsident kandidieren kann, sowie die Genehmigung von langfristigen Stationierungsrechten für das amerikanische Militär.

Trotz der Mobilisierung von 400.000 Bewaffneten - US- und Nato-Soldaten und afghanische Truppen und Polizisten - kam es am Wahltag in den meisten Provinzen zu Gewaltausbrüchen. Mindestens dreißig Personen wurden am Tag der Abstimmung getötet, darunter neun Polizisten, und in der Nordprovinz Balkh wurden mindestens zwei Wahlhelfer entführt und ermordet.

Die NATO gab am Sonntag bekannt, dass am Wahltag drei ihrer Soldaten getötet worden seien, darunter zwei britische, die bei den Queen's Royal Lancers und den Royal Engineers dienten. Sie wurden von einer Bombenfalle an einer Straße im Distrikt Lashkar Gah in der Provinz Helmand getötet. Mit ihnen haben die britischen Truppen seit der Invasion und Besetzung des Landes 2001 337 Mann verloren.

Karzai sagte am Sonntag ein Treffen mit lokalen Stammesältesten und örtlichen Anhängern seiner Regierung in Kandahar ab, der zweitgrößten Stadt des Landes. Das ist Ausdruck der Isolation des Marionettenregimes. Karzais Bruder Ahmed Wali Karzai ist die beherrschende politische Figur in Kandahar und bereichert sich angeblich an dem verbreiteten Drogenhandel sowie an kräftigen Zuschüssen der CIA. Aber nicht einmal er konnte die Sicherheit bei einem Besuch des Präsidenten garantieren.

Das Treffen sollte im Distrikt Arghandab am westlichen Stadtrand von Kandahar stattfinden, dem Zentrum einer Großoffensive des US-Militärs in den letzten Wochen, die einen gewissen Erfolg hatte. Nach der Explosion von drei Raketen brach am geplanten Ort der Versammlung ein Feuergefecht aus und Hamit Karzai zog es vor, nicht zu erscheinen.

Presseberichten zufolge herrschte am ganzen Wahltag in Kandahar Chaos. Ständig waren Explosionen zu hören. Der Konvoi des lokalen Gouverneurs Tooryalai Wesa wurde von einer am Straßenrand versteckten Bombe getroffen, als er versuchte, Wahllokale zu inspizieren. Die Taliban, die seit langem In Kandahar großen Einfluss haben, warnten am Vorabend der Wahl die Menschen auf Plakaten, nicht an den "amerikanischen Wahlen" teilzunehmen. Sie gaben sogar zwei Telefonnummern an, unter denen man mehr Informationen erhalten und sich beschweren konnte.

Während Karzai, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, das Weiße Haus und US-Kommandeur General David Petraeus die Wahl lobten und als Erfolg hinzustellen versuchten, mussten selbst die sonst willfährigen amerikanischen Medien das Offensichtliche zugeben.

Die Web Seite des Magazins Time bezeichnete die Wahl als "ein schlechtes Déjà Vu"-Erlebnis und verglich sie mit dem Debakel der Präsidentschaftswahl vom letzten Jahr. Die Washington Post schrieb, die Wahl habe "eine desillusionierte Wählerschaft und eine blühende Aufstandsbewegung gezeigt".

Die New York Times entsandte ihre Korrespondentin Elisabeth Bumiller nach Mardscha, den Distrikt, den die US-Armee im Frühjahr erobert hatte. Sie berichtete aus Mardscha über eine äußerst geringe Wahlbeteiligung von nur zehn Prozent. Heftige Kämpfe zwischen Marines und Taliban-Guerillas sorgten dafür, dass die Straßen leergefegt waren.

"Um 10.30 Uhr seien erst 27 Wähler an den Urnen erschienen, erklärten Wahlhelfer an der neuen Schule von Mardscha. Gewehrfeuer auf den Straßen halte die meisten Leute von der Wahl fern", schrieb sie. "Noch während wir mit den Wahlhelfern sprachen, waren zwei Explosionen von Raketenwerfern ganz in der Nähe des Wahllokals zu hören. Marines erklärten später, dass Kugeln aus AK-47 Gewehren gleichzeitig über das Wahllokal hinweggezischt seien."

Der britische Guardian berichtete über offene Einschüchterung von Wählern in Kabul, als 800 Soldaten in das Wahllokal in der Pul-e-Charki Schule marschierten und jeden bedrohten, der nicht für die Regierungskandidaten stimmen wollte. Der Anwohner Khaliq Noor sagte dem Guardian: "In den unsicheren Gegenden im Süden können die Leute nicht wegen al-Qaida wählen gehen, aber in Kabul haben wie eine interne al-Qaida, die uns nicht abstimmen lässt, wie wir wollen!"


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Quelle:
World Socialist Web Site, 21.09.2010
Betrug, Gewalt, Wahlenthaltung: Wahldebakel in Afghanistan
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010