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GLEICHHEIT/3389: Krise der Eurozone weitet sich aus


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Krise der Eurozone weitet sich aus:
Nach Irland geraten Portugal, Italien und Spanien unter Druck

Von Stefan Steinberg
3. Dezember 2010


Nach der Rettungsaktion für Irland am vergangenen Wochenende erschüttert die Finanzkrise der Eurozone jetzt Portugal und wirkt sich auch auf die Refinanzierung Italiens, Belgiens und Spaniens aus.

Alle vier Länder mussten am Dienstag Rekordzinsen für ihre zehnjährigen Staatsanleihen bieten. Die Gläubiger verlangen die höchste Verzinsung seit der Einführung des Euro im Jahre 1999. Selbst französische und deutsche Anleihen wurden von dem Abwärtssog erfasst. Spekulanten verlangten einen halben Prozentpunkt höhere Zinsen als im Sommer.

Portugal entging am Mittwochmorgen knapp einer Katastrophe, als es dem Land gerade noch gelang, zwölfmonatige Anleihen über 500 Millionen Euro zu platzieren. Der Staat musste aber einen Zinssatz von 5,281 Prozent bieten, gegenüber 4,813 bei einer ähnlichen Auktion vor zwei Wochen. Die Auktion fand nur wenige Stunden nach der Drohung der Rating-Agentur Standard & Poors statt, die Kreditwürdigkeit Portugals herabzustufen.

Eine Analyse von Standard & Poors stellte fest, dass die brutalen Kürzungen, die die portugiesische Regierung schon beschlossen hat, das Land vermutlich in eine Rezession stürzen werden. "Wir sehen wenig Fortschritt bei wachstumsfördernden Reformen, um der fiskalischen Bremse entgegenzuwirken, die von den für 2011 geplanten Haushaltskürzungen ausgehen wird", warnte S&P. "Als Folge der starren Strukturen der portugiesischen Wirtschaft und der sehr unruhigen äußerlichen Bedingungen erwarten wir, dass die Wirtschaft 2011 real um mindestens zwei Prozent schrumpfen wird."

Die portugiesische Zentralbank warnte am Dienstag, dass sie sich in einer Liquiditätskrise befinde und nur durch Kredite der Europäischen Zentralbank (EZB) flott gehalten werde. Zum ersten Mal erkannte mit Oppositionsführer Pedro Passos Coelho von den Sozialdemokraten ein führender portugiesischer Politiker an, das Land müsse vielleicht einen EU-IWF-Bailout akzeptieren. Damit wäre Portugal nach Griechenland und Irland das dritte Land der Eurozone, das einen solchen Kredit erhielte.

In Italien warnte Ministerpräsident Silvio Berlusconi seine Kabinettskollegen vor den möglichen Auswirkungen der Rekordzinssätze für italienische Staatsanleihen. Sein Kabinettskollege Gianni Letta zog einen Vergleich zwischen den letzten Entwicklungen auf den Geldmärkten und AIDS. Letta sagte der Presse, er fürchte, "Schocks der Euromärkte, die andere solidere Länder wie Spanien, Portugal und Italien anstecken könnten." Er sagte: "Marktturbulenzen sind ansteckender als AIDS und wir brauchen einen Impfstoff dagegen".

Die Krise führte auch zu einem starken Verfall des Euro, der diese Woche zum ersten Mal seit September kurzfristig unter 1,30 Dollar fiel. Der Euro fällt, obwohl die US-Regierung mit Handelskriegsmaßnahmen systematisch versucht, den Dollar auf den internationalen Devisenmärkten zu drücken.

Das Treffen des EZB-Rats am Donnerstag wird von immer stärkerem Druck überschattet, in großem Umfang Staatsanleihen der schwächeren Länder aufzukaufen, um die Finanzmärkte zu stützen.

In den letzten zwei Wochen haben führende europäische Mächte gemeinsam mit der Europäischen Kommission und der EZB mehrere außergewöhnliche Schritte unternommen, um die Gier der großen Banken und Finanzinteressen zu bedienen. Um die Banken zu beruhigen, stimmten die europäischen Finanzminister am Wochenende eilig einem Vorschlag Deutschlands zu, der von Frankreich unterstützt wurde, den bestehenden Euro-Rettungsfond zu verlängern und zu dem Zweck einen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu schaffen.

Das zentrale Element der neuen Vereinbarung ist die Bildung eines Fonds, der den existierenden 440 Milliarden Euro schweren Rettungsfond ersetzen soll, den die europäischen Regierungen auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise im Mai dieses Jahres aus der Taufe gehoben hatten. Diese European Financial Stability Facility (EFSF) wird 2013 auslaufen. Der neue ESM-Fond wird daran anschließen und beinhaltet einige Mechanismen, mit denen die stärksten europäischen Mächte Strafmaßnahmen nach Art von "Schocktherapien" gegen schwächere Länder verhängen können, die vom Bankrott bedroht sind. Zum ersten Mal lässt der neue Mechanismus die Möglichkeit zu, dass ein Land tatsächlich zahlungsunfähig wird.

Die Verlängerung des Eurorettungsfonds war seit einiger Zeit eine der Hauptforderungen der Banken und Geldmärkte. Die Notwendigkeit einer Anschlussregelung zur Sicherung der Interessen der Banken wurde deutlich, als die Europäische Kommission Anfang der Woche bekannt gab, dass der erste Empfänger der europäischen Kredite, Griechenland, seine Kredite nicht termingerecht würde zurückzahlen können. Die EU-Kommission schlägt jetzt vor, die Rückzahlungsfrist für die griechischen Kredite um drei Jahre bis 2017 zu verlängern.

Das ESM-Abkommen kam den Banken noch weiter entgegen, indem es die Forderung von Kanzlerin Merkel fallen ließ, private Gläubiger automatisch an den Kosten zukünftiger Bailouts zu beteiligen. Dass diese Forderung fallengelassen wurde, ist in erster Linie auf den Druck Frankreichs zurückzuführen.

Die wirkliche Bedeutung des ESM, der auch vom Internationalen Währungsfond unterstützt wird, erklärte einer der Experten, der ihn mit ausgearbeitet hat. Andre Sapir, führendes Mitglied eines Brüsseler Think Tanks, sagte hierzu: "Wenn man mich vor einem Jahr gefragt hätte, dann hätte ich gesagt, so etwas wäre völlig unmöglich... Jetzt wird, was ein gewaltiger Sprung ist, die Idee akzeptiert, dass die Verbindlichkeiten eines Eurolands umgeschuldet werden könnten. Das war undenkbar, das war nur etwas für aufstrebende Länder. In diesem Sinn ist das wirklich eine Revolution."

Die Revolution, über die Sapir spricht, besteht darin, dass die Europäische Union die Macht bekommt, die Art von "Schocktherapie" zu verordnen, die in der Vergangenheit der IWF gegen mehrere Länder verhängt hat. Nach einer Intervention des IWF in Argentinien in den 1990er Jahren stürzte die Wirtschaft des Landes um 27 Prozent ab und über die Hälfte der Bevölkerung wurde unter die Armutsgrenze gedrückt.

Obwohl Deutschland und Frankreich sich die gleichen Vollmachten aneignen, die traditionell dem IWF vorbehalten waren, nämlich soziale Verwüstung auf Geheiß der Banken zu verbreiten, haben die Geldmärkte über den neuen Plan den Daumen gesenkt. Zu viele Details blieben unklar, was die Funktion und Finanzierung des Mechanismus angeht, der viel zu spät in Kraft trete, um den Banken das Geld zu verschaffen, das sie fordern. Nur einen Tag nach der Veröffentlichung des Plans nahmen die Finanzspekulanten ihre Attacken auf die angeschlagenen Volkswirtschaften wieder auf.

Das jüngste Stadium der Krise, das einige Kommentatoren mit dem Bankenkrach von 1931 vergleichen, treibt führende europäische Politiker und Banker zu noch extremeren Maßnahmen. Der Präsident der EZB Jean-Claude Trichet steht unter Druck, den Kredit massiv auszuweiten.

Der Chefökonom der Citigroup Willem Buiter erklärte zur Rolle der EZB: "Entgegen den Verlautbarungen - und wahrscheinlich entgegen den eigenen Absichten - wird sich die EZB vermutlich noch stärker einbringen müssen."

Er bezeichnete Irland als "insolvent", Portugal als "verdeckt insolvent", Griechenland als "de facto insolvent". Spanien benötige eine weitgehende Umstrukturierung der Schulden seiner Banken. Buiter fügte hinzu, die Krise der Eurozone sei nur der "Auftakt" für eine breitere Finanzkatastrophe, in die auch Japan und die Vereinigten Staaten hineingezogen würden.

Dass auch die Interessen des amerikanischen Kapitalismus in der europäischen Krise auf dem Spiel stehen, zeigte sich im Besuch des US-Sondergesandten Lael Brainard, dem Staatssekretär für internationale Angelegenheiten. Er besucht Madrid, Berlin und Paris, um Gespräche "über die wirtschaftliche Entwicklung in Europa zu führen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.12.2010
Krise der Eurozone weitet sich aus:
Nach Irland geraten Portugal, Italien und Spanien unter Druck
http://www.wsws.org/de/2010/dez2010/euro-d03.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2010