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GLEICHHEIT/3432: Öl-Oligarch Chodorkowski in Moskau verurteilt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Öl-Oligarch Chodorkowski in Moskau verurteilt

Von Patrick Martin
30. Dezember 2010


Der inhaftierte Öl-Oligarch Michael B. Chodorkowski, einer der reichsten Männer Russlands, wurde am Montag in einem manipulierten Prozess wegen neuer Vorwürfe der Unterschlagung verurteilt. Mit ihm wurde sein früherer Geschäftspartner und Ex-Milliardär, Platon L. Lebedew, verurteilt.

Der Schuldspruch war erwartet worden, besonders nachdem der russische Premierminister Wladimir Putin Chodorkowski in aller Öffentlichkeit als schuldig bezeichnet und einen "Dieb" genannt hatte, der eine Gefängnisstrafe verdiene. Nach einem solchen Ausbruch des mächtigsten Mannes Russlands war die Wahrscheinlichkeit, dass Richter Wiktor Danilkin den Angeklagten nicht schuldig sprechen würde, gleich Null.

Es ist auch unwahrscheinlich, dass der Richter eine Strafe auf Bewährung oder eine kurze Gefängnisstrafe verhängt. Die Staatsanwälte fordern zusätzlich zu den acht Jahren, die Chodorkowski im Moment verbüßt, eine weitere Strafe von vierzehn Jahren Haft.

Chodorkowskis erste Strafe läuft 2011 aus. Aber die neue Verurteilung wird wohl dafür sorgen, dass er bis nach der Präsidentschaftswahl 2012 im Gefängnis sitzt. Die bisherigen juristischen Vorgänge machen klar, dass das Putin-Regime, wie auch das Justizsystem, das es kontrolliert, von solchen politischen Überlegungen angeleitet werden.

Der Ölmilliardär kam zuerst mit dem Kreml in Konflikt, als er 2003 begann, eine politische Oppositionsbewegung zu finanzieren, die potentiell Putins Widerwahl 2004 hätte gefährden können. Er wurde zudem als Verbündeter und Werkzeug des amerikanischen Kapitals gesehen. Er hatte die Öffnung der russischen Ölindustrie für ausländische Investitionen befürwortet.

Die Verurteilung Chodorkowskis vor sieben Jahren signalisierte den Oligarchen, d.h. einer Handvoll Milliardären, die aus der Restauration des Kapitalismus in den 1990er Jahren ein riesiges privates Geschäft gemacht hatten, dass ihr Reichtum nur solange sicher sei, wie sie der herrschenden Clique von ehemaligen stalinistischen Apparatschiks und KGB-Agenten aus der Umgebung Putins nicht in die Quere kämen.

Nach langwierigen Verhandlungen vor dem Finanzgericht übernahm die Putin-Regierung 2005 Yukos-Ol und übertrug den größten Teil des Vermögens der Firma auf Gazprom, der offiziell staatlichen Gas-Firma, die von Putin und seinen Freunden kontrolliert wird. Yukos war Chodorkowskis wichtigster Hebel, um die russische Ölindustrie zu beherrschen. Ihre Liquidierung vernichtete sein persönliches Vermögen, das früher auf zehn Milliarden Dollar geschätzt wurde.

Die Strafverfolgung Chodorkowskis brachte Putin 2003 viel Popularität ein, weil die Oligarchen in der russischen Bevölkerung sehr verhasst sind. Der zweite Prozess bedient ein wesentlich engeres Publikum von rechten, russischen Nationalisten, für die ein bekannter jüdischer Angeklagter ein willkommenes Zielobjekt ihrer anti-semitischen Demagogie ist.

Vor dem Gericht versuchten mehrer hundert Anhänger der beiden Angeklagten, eine nicht genehmigte Kundgebung abzuhalten, die von der Polizei schnell und brutal aufgelöst wurde. Mehrere Demonstranten wurden festgenommen.

Westliche Medienberichte haben die Vorwürfe in dem jüngsten Verfahren als zurechtgezimmert und sogar "absurd" bezeichnet. Diese Darstellungen zielten auf die offensichtlichen Widersprüche zwischen dem Prozess 2003 und dem der letzten 22 Monate ab. Im Prozess 2003 wurden Chodorkowski und Lebedew der Steuerhinterziehung für verkauftes Yukos-Öl beschuldigt, während die gleichen Männer im jüngsten Prozess beschuldigt wurden, das gleiche Yukos-Öl gestohlen zu haben.

Der Charakter der Vorwürfe kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass das riesige persönliche Vermögen Chodorkowskis und Lebedews - wie auch der anderen russischen Oligarchen - tatsächlich aus dem grandiosesten Diebstahl der Weltgeschichte stammt.

In weniger als einem Jahrzehnt wurde praktisch das gesamte Vermögen der Sowjetunion, das von Generationen von Arbeitern geschaffen wurde, von einer kapitalistischen Mafia an sich gerissen, die sich weitgehend aus den Reihen der stalinistischen Bürokratie rekrutierte und dabei von der Wall Street und dem internationalen Finanzkapital unterstützt wurde.

Chodorkowski, ein ehemaliger stalinistischer Jugendführer, war einer der rücksichtslosesten und skrupellosesten dieser neuen Kapitalisten. Dass er zehn Milliarden Dollar besaß, während die Mehrheit der Bevölkerung der ehemaligen UdSSR im Elend lebte, war selbst der Beweis für ein großes Verbrechen an der Gesellschaft.

Aber anders als seine Mit-Oligarchen begann Chodorkowski, die Rolle eines Fürsprechers des amerikanischen und internationalen Kapitals in der ehemaligen Sowjetunion zu spielen. Er kritisierte die Putin-Regierung nicht wegen ihrer rechten Gesellschaftspolitik und ihrer Brutalität in Tschetschenien, sondern weil sie die Prinzipien des freien Marktes verletze, wenn die dem russischen und dem internationalen Kapital im Interesse des russischen Staates Fesseln anlege.

Der Spiegel schrieb 2005: "Bis 2003 standen die Türen für Chodorkowski in Washington offen. Er war die Schlüsselfigur im russisch-amerikanischen Energiedialog, eine Art Erkundungsagent für amerikanische Ölgesellschaften auf höchster Ebene in dem Milliarden schweren Monopoly um Rohstoffvorkommen in Putins Reich."

In den Monaten vor seiner Verhaftung 2003 soll Chodorkowski über den Verkauf eines beträchtlichen Anteils an Yukos-Öl an die amerikanischen Ölgiganten Chevron und Exxon und den Bau einer privaten Ölpipeline in Konkurrenz zu den staatlichen Pipelines verhandelt haben. Beide Projekte sah der Kreml offensichtlich als Bedrohung der nationalen Souveränität an.

Die Bush-Regierung und die westlichen Medien verurteilten den ersten Prozess gegen Chodorkowski, und die gleiche Konstellation ist auch dieses Mal sichtbar. Die Obama-Regierung tritt in die Fußstapfen der Vorgängerregierung.

Das Weiße Haus gab nach dem Urteil vom Montag eine Erklärung heraus, in der es seiner Sorge über "die ernsten Verletzungen der Strafprozessordnung und über den Missbrauch des Justizsystems für sachfremde Zwecke" Ausdruck gab. "Die anscheinend selektive Anwendung des Rechts auf diese Personen unterhöhlt den Ruf Russland als eines Landes, das der Vertiefung der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist."

Solche Äußerungen wären glaubhafter, wenn das gleiche Weiße Haus nicht am Tag vorher bekannt gegeben hätte, dass Dutzende Gefangene in Guantánamo auf Kuba womöglich für den Rest ihres Lebens ohne Rücksichtnahme auf "die Strafprozessordnung" festgehalten werden. Weiter nimmt dieses Weiße Haus für sich in Anspruch, jeden ermorden zu dürfen, den der Präsident als "Terroristen" einstuft, auch eigene Staatsbürger.

Wenn die russische Regierung Sanktionen gegen die Vereinigten Staaten wegen ihrer Verbrechen in Guantánamo oder in CIA-Geheimgefängnissen fordern würde, dann gäbe es im amerikanischen politischen Establishment und den offiziellen Medien einen kollektiven, ohrenbetäubenden Aufschrei.

Die Kritik der Obama-Regierung an Russland wegen des Chodorkowski-Prozesses und die offizielle Zurückweisung dieser Kritik durch die russische Regierung triefen nur so von Zynismus. Die ganze Affäre riecht nach einer Inszenierung hinter den Kulissen.

Das russische Gericht wollte sein Urteil eigentlich am 16. Dezember bekannt geben, aber der Richter verschob den Termin ohne Begründung. Lediglich ein Zettel an der Tür des Gerichtssaals wies auf die Verschiebung hin.

Der Grund war offenbar die Ratifizierung des Neuen START-Vertrages zwischen den Vereinigten Staaten und Russland durch den US-Senat. Dem sollte das Urteil nicht in die Quere kommen. Rechte Republikaner im Senat hätten sich auf einen Schuldspruch in Moskau als weiteren Beweis dafür gestürzt, dass Russland nicht "vertrauenswürdig" sei.

Die Abstimmung im Senat wurde verzögert, weil die Obama-Regierung noch auf Stimmenfang war. Schlussendlich wurde der Vertrag am 22. Dezember ratifiziert. Fünf Tage später setzte der Richter wieder einen Prozesstermin an und verkündete den Schuldspruch gegen Chodorkowski.



siehe auch:

Jukos und der Kampf um die russischen Energiequellen
http://www.wsws.org/de/2005/jan2005/juko-j06.shtml

Chodorkowskis Verhaftung und die Verteidiger einer "Demokratie" der Milliardäre
http://www.wsws.org/de/2003/nov2003/chod-n08.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.12.2010
Öl-Oligarch Chodorkowski in Moskau verurteilt
http://www.wsws.org/de/2010/dez2010/chod-d30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010