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GLEICHHEIT/3697: Deutsche Regierung bereitet Einsatz in Libyen vor


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Deutsche Regierung bereitet Einsatz in Libyen vor

Von Sven Heymanns und Peter Schwarz
15. Juni 2011


Die deutsche Regierung vollzieht einen Kurswechsel in der Libyenpolitik. Hatte sie sich am 17. März bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat noch der Stimme enthalten und eine militärische Beteiligung im Krieg gegen Libyen abgelehnt, so will sie sich jetzt sowohl militärisch wie politisch und wirtschaftlich an der Besetzung des Landes beteiligen, wenn das Regime Muammar al Gaddafis fällt.

Am vergangenen Donnerstag erklärte Verteidigungsminister Thomas de Maizière am Rande eines Nato-Treffens seine grundsätzliche Bereitschaft, deutsche Soldaten nach Libyen zu schicken. Er will die Bundeswehr zwar auch weiterhin nicht am laufenden Krieg beteiligen, aber deutsche Truppen nach Libyen senden, um den "Frieden zu sichern", falls dafür ein neues UN-Mandat vorliegt.

Ein solcher "Friedenseinsatz" käme, wie schon in Afghanistan, einer militärischen Besetzung des Landes gleich. Und da viele Beobachter selbst nach einem Rückzug oder Sturz Gaddafis mit einem anhaltenden Bürgerkrieg rechnen, liefe sie auf eine Fortsetzung des derzeitigen Kriegs hinaus.

Am Montag besuchten dann Außenminister Guido Westerwelle und Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (beide FDP) die Rebellenhochburg Bengasi. Sie versicherten den Aufständischen ihre Solidarität und eröffneten ein offizielles deutsches Verbindungsbüro. Westerwelle sprach dem Gaddafi-Regime "jede Legitimation" ab, versicherte dem sogenannten Übergangsrat seine Unterstützung und anerkannte ihn als "legitime Vertretung des libyschen Volkes".

Der deutsche Kurswechsel hat mehrere Ursachen.

Erstens will auch Deutschland an der Aufteilung der Beute beteiligt sein, falls es der Nato gelingt, den Übergangsrat an die Macht zu bomben. "Westerwelles Lieblingsthema", schreibt der Spiegel, "ist die Wirtschaft. Libyen ist ein reiches Land, und der Wiederaufbau dieses Landes dürfte auch deutschen Firmen nutzen. Libyen braucht alles: neue Straßen, Telekommunikation, Wohnungen, Eisenbahnen und Kraftwerke - und es hat ein Vermögen von 180 Milliarden Dollar, um dafür zu zahlen. Libyens Zukunft könnte glänzend sein, ein neues Dubai am Mittelmeer, und auch Deutschland will davon profitieren."

Zweitens ist die Bundesregierung seit ihrer Stimmenthaltung im Sicherheitsrat unter massiven Druck von Seiten der USA geraten.

Als Bundeskanzlerin Merkel vor einer Woche die USA besuchte, wurde sie zwar mit großem Zeremoniell empfangen und mit der Freiheitsmedaille geehrt, doch gleichzeitig machte die Obama-Administration unmissverständlich deutlich, dass sie in Zukunft vom deutschen Verbündeten engere Gefolgschaft erwartet. Wenige Tage später drohte der scheidende US-Verteidigungsminister Robert Gates mit dem Bruch der Nato, falls die Europäer in den laufenden Kriegen nicht höhere finanzielle und militärische Lasten tragen.

Und drittens stand die Bundesregierung auch innenpolitisch wegen ihrer Haltung im Libyen-Konflikt unter starkem Druck. Vor allem die Grünen und die SPD, aber auch Teile der Regierungsparteien hatten die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat und beim Militäreinsatz heftig kritisiert.

Für seine Zusage, deutsche Besatzungstruppen nach Libyen zu schicken, erhielt de Maizière sogleich Rückendeckung aus der Unionsfraktion. Die bisherige Ablehnung eines Militäreinsatzes beziehe sich nur auf die Durchsetzung der Flugverbotszone, nicht auf eine mögliche Peacekeeping-Mission im Anschluss daran, sagte Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) im Tagesspiegel. Es wäre "fatal, wenn Deutschland nicht dabei wäre", sobald es um Stabilitätsinteressen und die Verhinderung von Flüchtlingsströmen gehe.

Die SPD warf dem Verteidigungsminister zwar Inkonsequenz vor. Er versuche nun, von der Festlegung im UN-Sicherheitsrat "wieder herunterzukommen, ohne völlig das Gesicht zu verlieren", sagte SPD-Mann Rolf Mützenich. Grundsätzlich unterstützt aber auch die SPD de Maizières Vorschlag.

Auch in den Medien waren Kommentare zu lesen, die die bisherige Haltung der Bundesregierung als inkonsequent kritisierten. Unter dem Titel "Der Preis der Abstinenz" griff die Süddeutsche Zeitung die Regierung scharf an: Deutschland habe für seine "Haltung einen sehr hohen Preis gezahlt. Gelohnt hat sich das nicht. [...] Sich erneut zu verweigern, kann Berlin sich nicht leisten. Es würde seinen letzten Kredit bei den Alliierten verspielen. Als eine ernstzunehmende Größe in der Außen- und Sicherheitspolitik wäre Deutschland erledigt."

Die Grünen hatten bereits die Enthaltung der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat scharf kritisiert. Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour sprach von einer "Blamage" und einem "Armutszeugnis". Mit der Bereitschaft, nun doch Truppen nach Libyen zu senden, nähert sich die CDU den Grünen weiter an. Bereits in den letzten Wochen hatte der von der Bundesregierung beschlossene Atom-Ausstieg bei den Grünen Zustimmung geerntet und war als Offerte für zukünftige schwarz-grüne Regierungsbündnisse interpretiert worden.

Die FDP gerät in dieser Hinsicht immer mehr unter Druck. Zahlreiche Kommentare in den Medien rügten die Inkonsequenz Westerwelles, der einerseits "an der Seite der Demokratie und der Freiheit" stehen, andererseits aber militärische Konsequenzen vermeiden wolle. So sprach die Neue Osnabrücker Zeitung von "purem Opportunismus", während die Saarbrücker Zeitung dem Außenminister vorwarf, er habe "keinen Plan, er wird nirgendwo so recht ernstgenommen".

Der Verteidigungsminister versucht, einen zukünftigen Bundeswehreinsatz als friedliche Aufbaumission darzustellen und wird dabei auch von vielen Medien unterstützt. Die Süddeutsche Zeitung schrieb, deutsche Soldaten "würden nicht kommen, um Krieg zu führen, sondern um jenen Frieden zu sichern, um den zurzeit noch gerungen wird". Angesichts der "Friedens- und Aufbaumission" in Afghanistan, bei der Anfang des Monats der 52. Bundeswehr-Soldat starb, gesteht sie allerdings ein: "Auch Friedenseinsätze [gehen] nicht immer kampflos ab."

Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen Afghanistan und Libyen. In Afghanistan hatte die Nato die bestehende Regierung gestürzt und ein Marionettenregime unter Hamid Karzai an die Macht gebracht, dass sich auf lokale Stammesführer, Warlords und Drogenbarone stützte. Die Konflikte zwischen diesen Gruppen und die wachsende Opposition gegen die Besatzungsmächte ließen den Krieg eskalieren, der nun schon zehn Jahre dauert.

Auch in Libyen ist der Nationale Übergangsrat, der von den westlichen Regierungen offiziell als Volksvertretung anerkannt wird, ein Sammelsurium unterschiedlichster Kräfte - von Stammesführern, früheren Vertretern des Gaddafi-Regimes und vielen Unbekannten. Nicht einmal die Hälfte der 31 Mitglieder des Rates sind namentlich bekannt.

Der Vorsitzende des Rats, Mustafa Mohammed Abdul Jalil, war noch bis Februar dieses Jahres Justizminister Gaddafis. Mahmud Jibril war früher Präsidentenberater, Ali al-Issawi libyscher Botschafter in Indien. Angesichts solcher politischer Herkunft fällt es schwer, ihr angebliches Engagement für Demokratie und Menschenrechte jetzt für bare Münze zu nehmen.

Das einzige, was die Mitglieder des Rats verbindet, ist ihre Opposition gegen das Regime in Tripoli. Fällt Gaddafi, haben sie die Chance, selbst vom Öl- und Gashandel mit westlichen Großkonzernen zu profitieren. Doch damit sind auch Konflikte um die innere Führung Libyens vorprogrammiert.

Auf dem von ihm besetzten Gebiet im Osten des Landes vertritt der Rat nur etwa 20 Prozent der libyschen Gesamtbevölkerung, vereinnahmt jedoch die wesentlichen Ölvorräte Libyens. An deren Ausbeutung wurden die lokalen Stammesführer bislang von der Zentralregierung Gaddafis in Tripolis gehindert. Dass dies eines der wichtigsten Anliegen des Rates ist, zeigt seine Zusage, in jedem Falle die Lieferverträge über libysches Öl mit westlichen Großkonzernen zu garantieren.

Auffällig ist auch, dass sich unter den vom Westen unterstützten Rebellen-Truppen Leute befinden, die noch vor kurzem als "Terroristen" galten und im Irak gegen die amerikanische Besatzung kämpften, was den westlichen Regierungen bis vor kurzem als Legitimation für die Zusammenarbeit mit Gaddafi im Namen des "Kampfs gegen den Terror" diente.

Vor allem aber vertritt keiner der Beteiligten die Interessen der libyschen Bevölkerung. Sie würde auch ohne Gaddafi von den riesigen Profiten der neuen nationalen Elite ausgeschlossen bleiben, was zwangsläufig zu breiter Unzufriedenheit führen wird. Die Aufgabe einer "Friedens-Mission" bestünde darin, die Herrschaft der neuen libyschen Elite über die reichen Rohstoffquellen vor der eigenen Bevölkerung zu sichern.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.06.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2011